Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
16. Juli 2017

Das Wesen der Sakramente

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Präsident des Deutschen Bundestages, Norbert Lammert, sagte vor kurzer Zeit, katholische Kirche und protestantische Gemeinschaften könnten und sollten sich vereinigen, sie seien sich im Wesentlichen einig. Wir wollen prüfen, ob diese Äußerung zutrifft. Und zwar wollen wir die Prüfung vornehmen anhand der Sakramente, diese sind ja ohne Zweifel etwas Wesentliches, ja etwas Grundwesentliches in der Kirche. Aus ihnen baut sich die Kirche auf. Der katholische Christ ist an das sakramentale Leben seiner Kirche gewöhnt und gebunden. Er kann sich eine Kirche ohne die sieben Sakramente nicht vorstellen. Anders ist es im Protestantismus. Luther schied von den sieben Sakramenten fünf aus; er ließ nur zwei Sakramente bestehen: Taufe und Abendmahl. Er veränderte aber – und das ist vielleicht noch wichtiger – auch das Verständnis der Sakramente. Luthers Rechtfertigungslehre hat das Sakrament als selbständiges, eigenartiges Gabenmittel entwurzelt und entwertet. Grundlage der lutherischen Rechtfertigungslehre ist der Fiduzialglaube: Man muss glauben, dass man durch das Erlösungswerk Jesu gerechtfertigt ist, und dieser Glaube bewirkt die Rechtfertigung. Der Glaube bewirkt die Rechtfertigung, nicht das Sakrament. Rechtfertigung erfolgt durch den Glauben allein, und wenn es so ist, dann kann auch nur als Gnadenmittel in Betracht kommen, was den Glauben weckt und fördert, und das ist die Predigt. Nicht umsonst steht im Protestantismus die Predigt oben an. Sie ist wichtiger als alles andere, wichtiger auch als die Sakramente. Das Sakrament ist nichts anderes als ein sichtbares Wort, „verbum visibile“, schreibt Luther. Ein sichtbares Wort ist das Sakrament, das Gnadenmittel des Wortes, eingefasst in einen kirchlichen Brauch, nur eine andere Weise, das Evangelium an die Leute heranzubringen. Nicht im Vollzug des Sakramentes liegt ihre Wirksamkeit, sondern im Glauben, der dadurch im Empfänger geweckt wird.

Die Lehre der katholischen Kirche lautet anders. Die Kirche hat die Aufgabe das Geheimnis Christi, also Leben und Werk Christi, allen Zeiten bis zur Wiederkunft Christi wirksam zu vergegenwärtigen. Sie ist das Werkzeug der rettenden Liebe Gottes. Sie vollzieht diese Funktion in der Verkündigung des Wortes und im Vollzug der Sakramente. Hier soll nur von den Sakramenten die Rede sein. Ganz allgemein versteht man unter Sakrament ein sichtbares, von Gott eingesetztes Zeichen, das eine dem jeweiligen Stand der Heilsordnung entsprechende Heiligung andeutet und bewirkt. Ein Sakrament des Neuen Bundes ist ein von Christus eingesetztes sinnfälliges Zeichen, das innere Heiligung andeutet und bewirkt. Durch die Sakramente wird die durch Christi Opfertod verdiente Erlösungsgnade den einzelnen Menschen wirklich zugewendet. Die objektive Erlösung, also das Werk Christi, wird hier zur subjektiven, sie wird auf den Einzelnen angewandt. Die auf Golgotha erfolgte Heilsbegründung wird jetzt im Sakrament zur Heilsverwirklichung. In diesem Sinne nennt man die Sakramente auch bildlich Kanäle, Kanäle, welche das Verdienst oder die Gnade Christi den einzelnen Gläubigen zuleiten. Die ordentliche Vermittlung oder Zuwendung der heilenden und heiligenden Gnade Christi geschieht durch die Sakramente.

Jedes Sakrament hat zwei Wesensbestandteile: äußeres Zeichen und innere Gnade. Das äußere Zeichen wiederum besteht aus einer sinnenhaften Sache oder Handlung (Wasser, Öl) und aus Worten oder Gebeten, welche die Handlung begleiten. Die Worte haben konsekratorische Bedeutung, d.h. sie richten sich nach ihrer eigentlichen Zielbestimmung nicht an den Empfänger, um nach Art einer Predigt auf ihn einzuwirken, sondern sie machen die sinnenhafte Sache oder Handlung zum übernatürlichen Heils- und Heiligungsmittel. Der oberste Grundsatz der katholischen Lehre von den Sakramenten lautet: Die Sakramente enthalten die Gnade und verleihen sie demjenigen, der kein Hindernis entgegensetzt. Dieser Satz ist gegen die Neuerer des 16. Jahrhunderts gesagt. Nach ihnen sind die Sakramente bloße Zeichen, durch die Gott dem einzelnen Menschen seine Verheißungen bestätigt. Sie dienen dazu, den allein rechtfertigenden Glauben zu wecken oder zu stärken. Nicht die Sakramente rechtfertigen, sondern der Glaube an die Sakramente. Andere Protestanten gehen noch weiter. Nach den Vertretern der liberalen Theologie erinnern Sakramente lediglich an die Gegenwart Gottes, so wie ein Kreuz an Christus erinnert. Dem gegenüber lehrt die Kirche: Die Sakramente sind wirklichkeitsmächtige Zeichen, wirklichkeitsmächtige Heilszeichen. Gewiss sind sie auch Glaubenszeichen, sichtbares Glaubenswort, Christuspredigt, Christusverkündigung, das sind sie auch, aber sie sind mehr. Die Christuspredigt, welche die Sakramente darstellen, ist wirksam und heilschaffend. Die Glaubenspredigt der Sakramente wirkt, was sie verkündet. Die Glaubenszeichen bringen hervor, was sie versinnbilden. Sakramente dienen nicht bloß dazu, den heilskräftigen Glauben zu wecken und zu stärken, sie enthalten vielmehr das im Glauben zu ergreifende Heil. Die katholische Theologie bezeichnet diese Wirkungsweise der Sakramente mit den drei Worten „ex opere operato“, die Sakramente wirken ex opere operato, d.h. sie wirken kraft der vollzogenen Handlung. Darin liegt die Eigenart des Gnadenmittels Sakrament. Diese Lehre ist so alt wie die Kirche. In der Heiligen Schrift erscheinen nicht Glauben und Buße, sondern Abwaschung und geistiges Begrabenwerden in der Taufe als Ursache der inneren Heiligung und Reinigung, der geistigen Wiedergeburt, des neuen Lebens. Nach den Vätern und Altliturgien erhält das Wasser der Taufe durch die konsekratorische Formel, durch das konsekratorische Wort heiligende Kraft. Die Ursache der Reinigung ist in der Handlung als solcher beschlossen. Die Sakramente sind Wirkursachen der Gnade. Gebraucht wird dieses Werkzeug von Gott selbst; er ist der Haupthandelnde, also der Sakramentenspender. Die Sakramente verursachen die Gnade, insofern als sie im Namen und in der Kraft der Autorität Christi gesetzte Zeichen sind, welche die Gnade hervorbringen. Wer also fragt: Was wirken die Sakramente?, dem muss man antworten: Sie wirken das, was sie bezeichnen. Sie wirken es, indem sie es bezeichnen. Die Sakramente versinnbilden Christus und sein Heilswirken, vor allem seinen Tod und seine Auferstehung. Damit bringen sie unsere Teilnahme am Tode und an der Auferstehung Christi hervor. Sie wirken Gemeinschaft mit Christus und sie wirken Umgestaltung nach seinem Bilde. Christusbegegnung und Christusbildlichkeit, das ist die erste Wirkung der Sakramente: Christusbegegnung und Christusbildlichkeit. Zweck und Wirkung der Sakramente ist es, die Gnade Christi an die Gläubigen zu vermitteln. Diese Gnade ist vorerst und vor allem die heiligmachende Gnade. Es gibt zwei Sakramente, die für die Sünder bestimmt sind, um sie aus der Gnadenlosigkeit in den Gnadenstand zu versetzen: Taufe und Buße. Ist der Empfänger bereits im Gnadenstand, dann vermehren die Sakramente die Gnaden. Die übrigen fünf Sakramente sollen den Gnadenstand nicht erst herstellen, sondern sie sollen ihn bereits vorfinden und erhöhen. Außer der heiligmachenden Gnade bewirkt aber jedes Sakrament noch eine ihm eigentümliche, seinem eigenartigen Zweck und Charakter entsprechende Gnade. Das ist die sakramentale Gnade. Sakramentale Gnade prägt das Gesicht Christi in den Empfänger in einer je verschiedenen Weise aus. Christus erkennt in der sakramentalen Gnade die Zugehörigkeit des Menschen zu seiner Gemeinschaft, der Kirche. Drei Sakramente, nämlich Taufe, Firmung und Weihe wirken eine Christusbildlichkeit von besonderer Mächtigkeit und Beständigkeit. Wer eines dieser Sakramente empfängt, ist für immer mit Christus besiegelt, er trägt für immer die Züge Christi. Taufe, Firmung und Priesterweihe bewirken eine unauslöschliche Prägung; sie ist unzerstörbar. Die Sünde kann sie entstellen, aber nicht vernichten. Auch der getaufte Verdammte bleibt durch sie gekennzeichnet. Es ist Glaubenssatz: Taufe, Firmung und Priesterweihe prägen der Seele ein unauslöschliches geistliches Zeichen ein, weshalb sie nicht wiederholt werden dürfen. Es ist ein anormaler Zustand, wenn in einem Menschen die Christusbildlichkeit besteht und auf das Christusleben hinweist, aber es nicht wirkt. Das ist der Fall beim Getauften, Gefirmten oder Geweihten, der die Sakramente im Zustand der schweren Sünde empfängt. Da werden die Christuszüge eingeprägt, mit Sicherheit, aber sie haben keine Leuchtkraft, sie haben keine Glut.

Sakramente, meine lieben Freunde, sind keine bloß menschlichen, von Menschen erfundene und betriebene Geschehnisse, sie sind vielmehr ein Vorgang, der von Gott verursacht und getragen ist und an dem der Mensch in sekundärer, in abhängiger Weise beteiligt ist. Der primäre und unsichtbare Spender der Sakramente ist Gott durch Christus. Sekundärer und sichtbarer Spender ist der Mensch auf Erden, „homo viator“, wie die Theologie sagt. Taufe und Ehe ausgenommen, erfordert die gültige Spendung der Sakramente den Weihecharakter des Spenders. Nichtkatholische Religionsdiener haben in der Regel keine gültige Weihe empfangen. Und so vermögen sie die fünf Sakramente nicht wirksam zu vollziehen. Ich möchte aber an dieser Stelle bemerken: Es gibt in Deutschland eine beträchtliche Zahl lutherischer Pastoren, die sich von irgendeinem nichtkatholischen Bischof haben eine Priesterweihe spenden lassen. Ich habe einmal einen evangelischen Pfarrer getroffen, der mir sagte: „Ich habe das Allerheiligste“, und zwar deswegen, weil er die Priesterweihe empfangen hatte, heimlich und gegen den Willen seiner Vorgesetzten. Vom rechten Glauben oder vom Gnadenstand des Spenders hängt die Gültigkeit der Sakramente nicht ab. Sie werden vielleicht staunen, wenn ich sage, dass der Glaube und der Gnadenstand an der Gültigkeit der Sakramente nichts ändern. Wie erklärt sich das? Nun ja, die grundsätzliche Entbehrlichkeit dieser Erfordernisse erklärt sich aus dem bloßen Dienstcharakter des Sakramentenspenders. Er bringt ja die Wirkung nicht hervor, er dient ja nur Gott und Christus als Hand oder als Mund. Er leiht ja dem Herrn, der im Sakrament wirksam ist, nur seine Persönlichkeit. Aber es gibt allerdings ein Minimum, das der Spender nicht unterschreiten darf, wenn sein Dienst an den Sakramenten wirksam bleiben soll. Unerlässlich ist nämlich die Absicht, die Intention, wie man sagt, wenigstens zu tun, was die Kirche bei der Sakramentenspendung tut. Das ist das Minimum: der Spender muss das wollen, was objektiv mit dem von der Kirche gebrauchten sakramentalen Ritus zusammenfällt. Er kann nur dann ein brauchbares Werkzeug Gottes sein, wenn er willensmäßig so gestimmt ist, dass er den in der Kirche üblichen Vorgang bejaht und zu setzen entschlossen ist. Das ist sehr tröstlich. Wir brauchen uns also nicht besorgt zu zeigen über den Glauben eines Priesters oder über den Gnadenstand eines Priesters. Auch der vom Glauben Abgefallene kann, wenn er dieses Minimum setzt, gültig Sakramente spenden.

Wenn Sie meinen Ausführungen gefolgt sind, meine lieben Freunde, dann werden Sie mir zustimmen, wenn ich sage: Die Bemerkung von Herrn Lammert, zwischen katholischer Kirche und protestantischen Gemeinschaften gäbe es keine wesentlichen Unterschiede, trifft im Bezug auf die Sakramente nicht zu. Hier bestehen Gegensätze, die sich ausschließen. Luther hat fünf Sakramente der Kirche verworfen. Die Kirche hat ihre gottgestiftete Existenz immer gelehrt. Sie ist an den Willen Gottes gebunden. Sie vermag an der Zahl und an der Substanz der Sakramente nichts zu ändern. Die Sakramente sind Zeichen und Mittel der Zuwendung Gottes zu uns Menschen. Sie machen zu ihrem Teil die Würde und das Glück des katholischen Christen aus. Die Sakramente sind für die Zeit zwischen Auferstehung und Wiederkunft Christi eingesetzt. Sie sind Hinweise und Vorzeichen unserer vollendeten Teilnahme an der Auferstehung Christi. Sie bezeichnen und schaffen jeweils einen neuen Anfang und sind zugleich wirksame Zeichen der Zukunft. Wenn diese Zukunft, die Christus herbeiführen wird, anbricht, hören die Zeichen auf, denn es bedarf ihrer nicht mehr. Es bedarf nicht mehr des Hinweises auf Christus, wenn er selbst in seiner unverhüllten Herrlichkeit erscheint. Bis dieser Zustand eintritt, bilden die Sakramente die Bürgschaft, dass er kommen wird. Die Kirche der Sakramente, meine lieben Freunde, ist die wartende Kirche, und sie wartet nicht vergebens.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt