12. Juni 2000
Die Schöpfermacht des Heiligen Geistes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Der Geist des Menschen ist ohnmächtig, wenn sich nicht die Macht mit ihm verbündet. Vor 14 Tagen sprach ich mit einem Professor in Trier, der mir sagte, daß er Werke in seinem Schreibtisch liegen habe, die er aber nicht veröffentlichen könne, weil er keinen Verleger finde. Große Gedanken werden oft ausgesprochen, aber wenn sie nicht von einem, der die Macht hat, aufgenommen werden, dann bleiben sie ohne Wirkung. Der menschliche Geist ist unkräftig. Anders der Geist Gottes. Ihn preisen wir als den Schöpfergeist.
„Komm, Schöpfergeist, kehr‘ bei uns ein,
besuch das Herz der Kinder dein!
Erfüll‘ uns all mit deiner Gnad‘,
die deine Macht erschaffen hat!“
Hier ist vom Schöpfergeist die Rede und von seiner Macht. Der Geist Gottes ist Schöpfer, und er ist voll Kraft und Macht. Das zeigt sich an vielen Stellen der Heiligen Schrift, der Offenbarungsurkunde Alten und Neuen Bundes. Als die Welt geschaffen wurde, als Gott Himmel und Erde schuf und die Erde ein wirres Durcheinander war, Finsternis über dem Abgrund lag, „da schwebte Gottes Geist über den Wassern“. Damit wird angedeutet, daß eine Antriebskraft bereit lag, um das Werk der Teilung und der Sonderung in dem Geschaffenen durchzuführen. Der Geist Gottes schwebte über den Wassern.
Der Geist Gottes ist eine Antriebskraft für Menschen und für die unbelebte Wirklichkeit. Diese Antriebskraft zeigt sich, wenn im Buch des Alten Testamentes oft davon die Rede ist, daß der Geist als fruchtbringendes Wasser und als Quelle neuen Lebens auftritt, etwa beim Propheten Isaias. Da heißt es: „Denn wie ich Wasser gieße auf lechzendes Land und Bächlein auf trockenes Erdreich, so gieß‘ auf deine Nachkommen ich meinen Geist, auf deine Sprößlinge meinen Segen. Sie sollen sprossen wie Gras am Bach, wie Weiden an Wasserläufen.“ Der Geist, so ist hier ausgesagt, ist fruchtbringend, er ist lebendig machend, er ist eine Quelle lebendigen Wassers. Ähnlich heißt es beim Propheten Ezechiel, daß Gott seinen Geist auf das Haus Israel ausgießt, nämlich: „Ich werde mein Angesicht nicht mehr vor ihnen verbergen, weil ich meinen Geist über das Haus Israel ausgießen werde.“ Natürlich nicht, damit der Geist fruchtlos bleibt, sondern damit er Frucht bringt, wie es dann ausgeführt ist etwa beim Propheten Joël: „Ausgießen werde ich meinen Geist über alles Fleisch. Da werden eure Söhne und Töchter weissagen, eure Greise Träume haben, eure Jünglinge Gesichte schauen. Selbst über Knechte und Mägde werde ich meinen Geist ausgießen in jenen Tagen.“
Dieser Geist Gottes war auch wirksam bei der Erschaffung des Menschen. Es heißt ja, daß Gott den Menschen gemacht hat, in einer figürlichen Darstellung: „Gott hat den Menschen gebildet aus dem Staub der Erde und hauchte ihm den Odem des Lebens ins Angesicht.“ Dieser Hauch Gottes ist der Geist Gottes, der den Menschen lebendig macht. Durch seinen Geist macht Gott den Menschen zu einem Lebewesen. Im Menschen ist ein Lebensatem, und dieser Lebensatem stammt vom Geiste Gottes. Ja, man kann sagen: Im Menschen ist ein Geist, der dem Geiste Gottes ähnlich ist. Und nicht nur im Menschen ist der Geist Gottes wirksam; er ist auch wirksam in der Tierwelt. Im Psalm 104 wird die erhaltende Kraft des Geistes geschildert. Da ist von den Geschöpfen die Rede: „Deiner harren sie alle, daß du sie speisest zur rechten Zeit. Spendest du ihnen, so sammeln sie ein; tust du die Hand auf, so werden sie gesättigt. Doch kehrst du dein Antlitz ab, so faßt sie der Schrecken. Ziehst du zurück ihren Odem, so sterben sie und kehren wieder zum Staube. Du schickest deinen Hauch, so sind sie geschaffen. So machst du das Antlitz der Erde neu.“ Also auch in der ganzen untermenschlichen geschöpflichen Welt ist Gottes Geist wirksam. Er erhält sie durch seinen Geist, und wenn er ihnen den Geist wegnimmt, dann gehen sie zugrunde.
Eine gewaltige Offenbarung vom Geiste Gottes findet sich dann im Buche des Propheten Ezechiel. Ezechiel hat eine Vision. Er sieht ein Totenfeld, lauter Totengebeine, und Gott führt ihn und zeigt ihm, daß die Gebeine verdorrt sind. Dann fragt ihn Gott: „Menschensohn, können diese toten Gebeine wieder lebendig werden?“ Der Prophet ist vorsichtig und sagt: „Allmächtiger, du weißt es.“ Und dann erhält er den Befehl, eine Weissagung zu geben: „Weissage über diese Gebeine: Ihr verdorrten Gebeine, hört das Wort des Herrn: Ich werde Geist in euch bringen, daß ihr lebendig werdet. Ich will euch Sehnen schaffen und Fleisch wachsen lassen und euch mit Haut überziehen und euch Geist einflößen, daß ihr lebendig werdet.“ Das geschieht dann auch. Die Gebeine bekommen Fleisch, Sehnen überziehen sie, sie werden mit Haut versehen. Es ist noch kein Geist in ihnen, aber: „O Geist, so spricht der allmächtige Herr, o Geist, komme von den vier Winden herbei, hauche den Getöteten das Leben ein, daß sie wieder lebendig werden.“ Und es kommt der Geist, und die Gebeine werden lebendig.
Diese Weissagung ist, wie der Prophet dann selber von Gott belehrt wird, ein Hinweis darauf, daß das Volk Israel, das ja zerstreut war, in die Gefangenschaft, ins Exil abgeführt war, wieder lebendig werden würde, indem es eben in das Land der Verheißung zurückkehren darf. Das ist der erste und nächste Sinn dieser Weissagung. Aber damit erschöpft sie sich nicht, sondern die Weissagung geht auch auf die Auferstehung der Toten am Ende der Zeiten. Der Geist, der das Volk Israel zurückgeführt und lebendig gemacht hat, derselbe Geist wird auch die Verstorbenen lebendig machen. Einmal ist das schon geschehen, nämlich in dem Jesus von Nazareth. Da ist ein Toter wieder lebendig geworden, nicht in der irdischen Gestalt, die er vorher trug, sondern in der verklärten Gestalt, die ihn an die Herrlichkeit des Vaters angepaßt macht. Jesus hat durch seine Auferweckung, die der Geist gewirkt hat, eine neue Schöpfung erfahren, wie der Apostel im Römerbrief schreibt: „Wenn der Geist dessen, der Jesus von den Toten erweckt hat, in euch wohnt, so wird der, welcher Christus Jesus von den Toten erweckt hat, auch eure sterblichen Leiber beleben durch seinen Geist, der in ihm wohnt.“ Dieser Zusammenhang ist also folgendermaßen zu verstehen. Es gibt eine neue Schöpfung; sie ist vorläufig in der Vollendung beschränkt auf Jesus Christus. In seinem Tod und in seiner Auferstehung hat die neue Schöpfung den Anfang genommen. Aber Jesus hat das neue Leben nicht nur für sich gewonnen, sondern auch für alle, die nach ihm folgen sollen. Er teilt allen Glaubenden das neue Leben mit, zunächst anfanghaft in der Taufe und einmal vollendet bei seiner Wiederkunft und der Auferstehung des Fleisches. Deswegen: „Wenn der Geist dessen, der Jesus von den Toten erweckt hat, in euch wohnt – nämlich durch die Taufe –, so wird der, welcher Christus von den Toten erweckt hat, auch eure sterblichen Leiber beleben.“ Wodurch? „Durch seinen Geist, der in euch wohnt.“ Es gibt eben einen irdischen Leib und einen himmlischen Leib. Der erste Adam hatte einen irdischen Leib, der zweite Adam, Christus, hat einen himmlischen Leib. Diese Adam-Christus-Parallele ist ein Eigengut des Apostels Paulus. „Gesät wird ein irdischer Leib, auferweckt ein vergeistigter Leib. Wenn es einen irdischen Leib gibt, so gibt es auch einen geistigen Leib. Also steht geschrieben: Der erste Mensch (nämlich Adam) ward zum lebenden Wesen, der letzte Adam ward zum lebendigmachenden Geist.“
Die Wirklichkeit Jesu ist derart beschaffen, daß sie eigentlich nicht mehr mit körperlichen Begriffen bezeichnet werden kann, sondern sie muß beschrieben werden mit dem Worte Geist. Jesus ist seit der Auferstehung geistig geworden. Der Geist durchdringt ihn so, daß man ihn als eine geistige Wirklichkeit ansprechen muß. Er besitzt die Fülle des Geistes, und er hat die Fähigkeit, diesen Geist allen denen mitzuteilen, die sich ihm gläubig anschließen. Deswegen kann Paulus auch im Galaterbrief sagen: „Wenn einer in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung“, neu geschaffen nämlich durch die Macht des Geistes.
Das ist der wesentliche Unterschied zwischen menschlichem und göttlichem Geist. Der menschliche Geist ist unkräftig, ist ohnmächtig, wenn sich nicht mit ihm die Macht verbindet. Der Papst hat neulich der Meinung Ausdruck gegeben, die Wahrheit werde sich schon selbst durchsetzen. Da bin ich etwas anderer Meinung. Ich fürchte, daß es der Wahrheit ähnlich gehen wird wie dem, der die Wahrheit selbst gewesen ist, nämlich Jesus Christus. Und diese Wahrheit wurde von den Menschen nicht angenommen, sondern ans Kreuz gehängt. Die Wahrheit, und das ist ja ein Ausdruck des Geistes, hängt auf Erden am Kreuze. Wenn sich mit ihr die Macht nicht verbindet, dann ist die Wahrheit, jedenfalls bei der Masse der Menschen, unkräftig und ohnmächtig.
Um so mehr muß unser Flehen dahin gehen, zu dem Geiste zu rufen, der die Kraft hat, die Wahrheit durchzusetzen, der mit seiner sieghaften Gnade, mit der gratia victrix, die Menschen überwinden kann, der sie überführen kann von der Wahrheit, so daß sie gleichsam bezwungen sind von der Wahrheit.
Komm, Schöpfer Geist, kehr‘ bei uns ein,
besuch das Herz der Kinder dein!
Erfüll‘ uns all‘ mit deiner Gnad‘,
die deine Macht erschaffen hat!
Amen.