11. Juni 2000
Gottes Geist – in die Herzen gegossen
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, in heiliger Pfingstfreude Versammelte!
Das Pfingstfest hängt eng zusammen mit dem Osterfest. An Ostern haben wir die glorreiche Auferstehung unseres Herrn und Heilandes gefeiert, die ihren Abschluß fand am Tage der Himmelfahrt, als er mit seiner verklärten menschlichen Natur in die Herrlichkeit des Vaters aufgenommen wurde. Aber da verhieß er schon den Seinen, sie sollten in Jerusalem ausharren, bis die Kraft aus der Höhe kommt, der Geist der Wahrheit, den der Vater senden wird und den er senden werde, der Tröster, der bei ihnen bleiben werde. Und am 50. Tage hat sich erfüllt, was der Herr verheißen hat: Der Heilige Geist kam in aufsehenerregenden Zeichen auf die Jünger herab. Der Pfingsttag hat für die Urkirche eine dreifache Bedeutung:
1. Er besagt die Ausgießung des Heiligen Geistes.
2. Er beinhaltet den Abschluß der Gründung der Kirche.
3. Er bezeichnet den Beginn der christlichen Mission.
Diese drei Ereignisse oder diese drei Geschehnisse sind eines in allem, aber man kann sie unterscheiden, weil sie eben in verschiedene Richtung weisen. An Pfingsten wurde der Heilige Geist ausgegossen, die Kraft aus der Höhe. In den 40 Tagen, in denen der Herr bei den Jüngern weilte und sie unterwies, ist von kraftvoller Verkündigung, von begeistertem Hinausgehen unter die Menschen noch nicht die Rede. Erst nachdem der Geist sie erfaßt hatte, treten sie vor die Menge und beginnen sie das Reich Gottes zu verkünden. Es muß in diesem Abendmahlssaal in Jerusalem etwas Unerhörtes geschehen sein. Was geschehen ist, entzieht sich weitgehend unserer Erkennntis, weil es eben ein göttliches Geschehen ist. Wenn die Geschehnisse Gottes zu begreifen wären, dann wären sie nicht göttlich; es muß ein unaufklärbarer Rest bleiben. Immerhin wird uns durch die äußeren Geschehnisse angedeutet, was der Heilige Geist in seinen Jüngern bewirkt. Es ist die Rede von einem Brausen, wie wenn ein gewaltiger Sturm daherführe. Welches ist den das Tertium Comparationis, warum wird dieses Bild denn in die Geschehnisse des Pfingstfestes eingeführt? Vermutlich deswegen, weil der Wind, der Sturm etwas Unwiderstehliches an sich hat und weil er geheimnisvoll ist. Unwiderstehlichkeit und Geheimnischarakter, das sind die Wirkungen des Heiligen Geistes. Unwiderstehlich freilich nur bei dem, der ihn wirken läßt, und geheimnisvoll nur für den, der an ihn glaubt. Die feurigen Zungen scheinen darauf hinzudeuten, daß diejenigen, die den Geist empfangen, nun mit einer besonderen Begabung ausgestattet werden, nämlich mit der Begabung, lauter, furchtlos und ohne Zögern das Evangelium von der Herrlichkeit Gottes zu verkündigen. Zungen haben es ja mit dem Sprechen zu tun, und so dürfen wir wohl dieses Bild deuten, daß diejenigen, die bisher sprachlos waren, jetzt eine Sprachenbegabung empfangen zum Erstaunen des zuhörenden Volkes. Der Fischer – Petrus – vermag plötzlich eine Rede zu halten, spricht über theologische Dinge, die er nie gelernt hat.
Der Befähigung, zu reden, entspricht die Fähigkeit des Volkes, zu hören. Die Menschen, die da versammelt sind – wir haben eben die Völkertafel in der Epistel vorgeführt bekommen –, verstehen, was die Apostel reden, obwohl sie doch in einer ganz anderen Sprache reden. Sie sind Galiläer; sie haben weder Griechisch noch Arabisch noch Lateinisch gelernt. Aber was sie sagen, das ist den Anwesenden offensichtlich zugänglich. Das kommt daher, daß der Geist den Zuhörern erschließt, was diese Männer ihnen verkündigen. Und was verkündigen sie ihnen? Sie verkündigen nicht ihre eigene Leistung und ihre eigene Tüchtigkeit, sie verkündigen die Großtaten Gottes. Wo immer Menschen von den Großtaten Gottes sprechen, und wo immer Menschen willig sind, von den Großtaten Gottes zu hören, da gibt es ein Verstehen, da gibt es eine Verständigung, da hört das Mißverständnis und das Streiten auf, denn die Großtaten Gottes vereinen die Prediger und die Zuhörer in der Begeisterung für das, was Gott an seinem Volke getan hat. Das also ist das Geschehen von Pfingsten an erster Stelle. Hier wird unter geheimnisvollen Zeichen den Jüngern der Geist mitgeteilt, auf daß sie überfließen vor Begeisterung, daß sie die Worte verströmen lassen, daß sie furchtlos und mutig vor das Volk treten, sie, die vor wenigen Tagen sich noch verkrochen haben. Jetzt ist der Geist in ihnen, und jetzt vermögen sie dem Hohen Rat zu sagen: Wir können nicht schweigen von dem, was wir gehört und gesehen haben. Wir können es nicht – weil es der Geist nicht zuläßt.
Die Geschehnisse des Pfingsttages besagen aber auch den Abschluß der Gründung der Kirche. Bei der Gründung der Kirche sind drei Phasen zu unterscheiden: die Taten des historischen, irdischen Jesus, das Wirken des verklärten Herrn nach seiner Auferstehung und die Pfingstereignisse. Schon als Jesus auf Erden wandelte, hatte er die Absicht, eine Kirche zu gründen, und er hat diese Absicht auch in ersten Handlungen ausgeführt. Er hat einen Jüngerkreis gesammelt, er hat ihnen die Apostel als das Zwölferkollegium vorangestellt. Als dann die Auferstehung geschehen war, hat er sein kirchenstiftendes Wirken fortgesetzt. Er hat die Jünger belehrt, hat ihnen die Schrift erschlossen, hat ihnen Vollmachten gegeben, hat sie hinausgesandt. Mit der pfingstlichen Geistbegabung findet dieses kirchenstiftende Wirken Jesu seinen Abschluß. Jetzt ist der in der Kirche, der die Kirche von innen her bewegt. Ohne den Geist wäre die Kirche eine Organisation von Menschen wie andere auch. Mit dem Geist ist sie eine göttliche, eine gottdurchwirkte Wirklichkeit. Die Kirche ist ein Geschöpf des Geistes. Das unterscheidet sie von allen anderen Vereinigungen auf Erden, mögen sie religiösen oder nichtreligiösen Charakters sein. Der Geist hat seine eigentliche Wohnstätte in der Kirche, mag er auch über die Kirche hinauswirken bei denen, die guten Willens sind, ihrem Gewissen folgen und die Wahrheit suchen. Aber auch diese Menschen werden vom Geist zur Kirche gerufen. Der Geist wirkt in der Kirche und für die Kirche. Wenn der Geist nicht wirken würde, meine lieben Freunde, dann wäre das Evangelium von Jesus Christus dem Herrn längst vergessen, verbogen, verunstaltet; dann hätten sich längst Wucherungen angesetzt, und dann wäre der Kern dieser Botschaft längst ausgehöhlt worden. Aber der Geist der Wahrheit ist eben am Werk, und er ist es immer, die Kirche in der Wahrheit zu erhalten und sie in die Wahrheit einzuführen.
Man kann in der Kirchengeschichte Ärgernisse feststellen, selbstverständlich; wo Menschen sind, da menschelt es. Man kann Versagen und Schuld feststellen, ohne weiteres, alles zugegeben. Aber daß diese Kirche 2000 Jahre lang an der Wahrheit festgehalten hat, das ist ein Zeichen dafür, daß der Geist in ihr lebt. Dieser Geist hat das Traditionsprinzip in ihr begründet. Dieses Traditionsprinzip spricht der Apostel Paulus im 15. Kapitel des 1. Korintherbriefes aus: „Ich habe euch übergeben, was ich empfangen habe.“ Das ist also die Weise, wie man in der Kirche das Evangelium verkündet: das weitergeben, was man selbst empfangen hat, ohne Abstriche, aber auch ohne Zufügungen. Der Geist ist der Hüter des Traditionsprinzips in der Kirche. Auf diesem Prinzip ist die Kirche erbaut, und wer von diesem Prinzip abgeht, der verrät den Heiligen Geist und sein Wirken.
Der Geist ist auch wirksam in der Austeilung der Gnade. Wir kennen die heiligmachende Gnade und die helfende Gnade. Wir haben in der Rechtfertigung an diese beiden Wirklichkeiten erinnert. Rechtfertigung ist ja die Versetzung aus dem Zustand des Sünders in den Zustand der Gnade, und das ist eine Wirkung des Heiligen Geistes. Der Geist teilt die Gnade mit, einem jeden nach seiner Empfänglichkeit und einem jeden nach seinem Willen. Der Geist ist wirksam in den Sakramenten. Beruhigende Worte kann jeder sprechen, wenn er einigermaßen dazu aufgelegt ist, aber den Menschen die Gewißheit geben, daß die Sünden vergeben sind, das kann nur der Heilige Geist. Der Priester ist lediglich der Mund und die Hand des Heiligen Geistes, wenn er einem Sünder sagt: „Deine Sünden sind dir vergeben.“ Ähnlich ist es bei allen Sakramenten, vor allem beim eucharistischen Opfersakrament. Da ruft der Priester den Heiligen Geist auf die Gaben von Brot und Wein herab. Er kann nicht wandeln, wandeln kann nur Gott. Aber Gott bedient sich dazu seiner Priesters; er bedarf sogar des Priesters, um die Wandlung vorzunehmen, anders kann Brot und Wein nicht Leib und Blut des Herrn verwandelt werden, aber der Verwandler ist der Heilige Geist. So ist also der Geist in der Kirche wirksam, und das ist auch der Grund, warum wir dieser Kirche die Treue halten. Es gibt keine Alternative, meine lieben Freunde. Ein Protestant kann sich selber eine Kirche gründen, das ist legitim; aber in der katholischen Kirche gibt es keine Alternative zu der einen, heiligen, katholischen Kirche.
Das dritte Geschehnis von Pfingsten ist der Beginn der Mission. Die Apostel treten heraus aus dem Obergemach, in dem sie sich versammelt hatten, vermutlich auf den Tempelplatz. Man nimmt an, daß die Predigt des Petrus auf dem Tempelplatz in Jerusalem gehalten wurde. Und da sind viele Menschen versammelt, denn das Pfingstfest war auch für die Juden ein großes Fest. Und er kündet ihnen von den Geschehnissen in Jesus Christus; er legt ihnen dar, wie der Vater seinen Knecht Jesus Christus nicht der Verwesung überlassen hat, sondern ihn aus dem Tode auferweckt hat, verklärt hat und in die himmlische Herrlichkeit versetzt hat. Er erklärt ihnen auch das Mißverständnis, das bei einigen obwaltet, als ob sie, die hier so begeistert predigen, betrunken wären. „Ja“, sagt er, „es ist erst 9 Uhr. Um 9 Uhr in der Frühe, da ist man doch noch nicht betrunken. Das Trinken fängt man später an. Nein, was ihr hier seht, das ist die Wirkung der Ausgießung des Heiligen Geistes.“ Und sein Wort zündet, es zieht die Menschen an. Dreitausend werden an diesem Tage der Kirche zugeführt. Das ist der Beginn der Mission. Aber die Apostel werden sich nicht damit beruhigen, in Jerusalem das Evangelium zu verkündigen, sondern sie werden hinausziehen; denn der Herr hat ihnen gesagt: „Geht hinaus zu allen Völkern!“ Geht hinaus, nicht: Wartet, bis sie kommen! Büros und Info-Läden sind nicht die Weisen, wie man das Evangelium verbreitet. Man muß zu den Menschen gehen. Man muß zu ihnen hingehen; man darf nicht auf sie warten. Man muß ihnen das Evangelium vorlegen und sie zur Entscheidung zwingen: Für oder wider Christus. Das mögen sie dann verantworten.
Das Zweite Vatikanische Konzil sagt: „Die ganze Kirche ist missionarisch.“ Das heißt: Die Missionspflicht obliegt nicht nur den berufsmäßigen Männern und Frauen, die hinausziehen, um das Evangelium zu verkünden, sondern diese Pflicht obliegt einem jeden Christen. Ein jeder hat an seiner Stelle zu tun, was er vermag, um Menschen für Christus zu gewinnen. Diese Aufgabe umfaßt zwei Personenkreise, einmal diejenigen, die noch nicht von Christus gehört haben. Sie sollen von ihm hören, von ihm ergriffen werden und in seine Kirche hineingebetet werden. Der andere Kreis aber sind diejenigen, die schon von Christus gehört haben, aber die das süße Joch seiner Gebote abgeworfen haben, die Abständigen und Abgefallenen. Und da haben wir alle eine große Aufgabe, denn sie sind in unserem Umkreis zu finden, Mengen, Unmengen von Abständigen und Abgefallenen. Sie sind uns aufgegeben, ihnen müssen wir ein Wort sagen, ihnen müssen wir durch unser Beispiel die Botschaft Christi nahebringen. Es gibt nämlich Früchte des Heiligen Geistes. Die Früchte werben für Christus und seine Kirche: Liebe, Friede, Freude, Langmut, Milde, Güte, Treue, Sanftmut, Enthaltsamkeit. Wenn wir Tugenden entwickeln, die nur der Heilige Geist in uns hervorbringen kann, dann werben wir für Christus und seine Kirche.
Vor über 60 Jahren saß mit mir auf der Schulbank ein Freund, der dann in den Missionsorden der Steyler eingetreten ist. Seit Jahrzehnten wirkt er als Missionar in Ecuador. Er ist jetzt im Alter von 73 Jahren. Er denkt nicht daran, sich einen schönen Lebensabend zu machen, indem er in die Heimat zurückkehrt. Nein, er hält aus in den Armenvierteln von Guayaquil, zweimal von der Ruhr heimgesucht, in armseligen Verhältnissen, unter dem Ansturm der protestantischen Sekten. Er hält aus und bleibt dort, weil ihn die Liebe Christi drängt, weil ihn der Geist festhält. Der Geist fesselt ihn gleichsam, daß er weiter bei seiner Aufgabe bleibt. Dieser Missionar kann uns ein Beispiel sein, was wir tun müssen: Nicht das behagliche und bequeme Leben ist uns aufgegeben, sondern die ständige Sorge, die Unruhe, bis alle Menschen für Christus gewonnen sind.
Das Wirken des Geistes ist als solches nicht sichtbar, es ist unanschaulich. Aber die Menschen, die vom Geist ergriffen sind, die sind anschaulich, an denen kann man ablesen, daß sie im Geiste leben und im Geiste wandeln. Wenn sie die Früchte des Geistes hervorbringen, dann muß der Geist in ihnen lebendig sein, vor allem die Früchte des Glaubens. Der Apostel Paulus sagt einmal: „Niemand, der im Geiste lebt, kann sagen: Verflucht sei Jesus. Und niemand kann sprechen: Jesus ist der Herr, außer im Geiste.“ Wer im Glauben lebt, der lebt auch im Geiste. Wer in den Tugenden lebt, der lebt im Geiste. O daß doch der Geist, meine lieben Freunde, den Glauben in uns vermehren, daß er die Tugenden in uns hervorbringen, daß er die Liebe in uns entzünden möge!
Amen.