Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
4. September 2016

Der Tag des Herrn

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Zahl 7 ist bei allen Völkern eine heilige Zahl. Sie gilt als Zahl der Vollkommenheit. Die Antike, die alte Welt, kannte nur 7 Planeten. Im Buch der Sprüche heißt es: „Die Weisheit hat sich ein Haus gebaut; auf sieben Säulen ruht es.“ Und im Tempel des Zerubbabel in Jerusalem stand der siebenarmige Leuchter. Die Zahl 7 scheint ein Gesetz zu sein, das Gott in die Natur geschrieben hat. Die einfachsten Naturmenschen ahnen, dass der Weltenlauf einem siebenteiligen Rhythmus gehorcht. Die alte Zeit rechnete nach Mondmonaten. Der Mondmonat umfasst 28 Tage (4×7). Das ganze Jahr war in synodische Mondmonate eingeteilt. Ja, es gab schon in der alten Zeit Völker, die die 7-Tage-Woche eingeführt haben: die Babylonier und die Juden. Die göttliche Offenbarung stellt im Anfang der Heiligen Schrift die Erschaffung der Welt unter dem Bild einer 7-Tage-Woche dar. Gott wollte es den Menschen recht anschaulich zeigen, dass der Sabbat, der siebente Tag, heilig ist. Und deswegen stand auf der ersten Gesetzestafel vom Berge Sinai: Du sollst den Sabbat heiligen! Man muss den Israeliten zugestehen, sie haben dieses Gebot sehr ernst genommen. Aber ihre Schriftgelehrten haben es mit einem Kranz von Vorschriften umgeben, die es fast unerträglich machten. Der Herr, unser Heiland, hat das Gesetz der Welt und das Gesetz seines Vaters geachtet; er hat den Sabbat geheiligt. Aber er hat verächtlich über die von Menschen erfundenen Vorschriften der Sabbatheiligung geurteilt. Als der göttliche Heiland am Sonntag, dem ersten Tag der jüdischen Woche, in Glanz und Herrlichkeit von den Toten auferstand, und als er an einem Sonntag die Gabe des Heiligen Geistes über die Seinen herabsandte, da hat sich die junge Kirche vom alten Sabbat der Juden als befreit angesehen. Was unter Blitz und Donner am Sinai geschehen ist, das fiel weit zurück hinter jene unerhörten Wunder der Auferstehung und der Geistmitteilung. Und so entstand die christliche Sonntagsfeier. Kaiser Constantin hat im Jahre 321 das Sonntagsgesetz für sein Reich eingeführt. Es beinhaltete die Arbeitsruhe und den Gottesdienst. Und seitdem ist der Sonntag nicht nur bei den christlichen Völkern, sondern auch bei den nichtchristlichen Völkern zum Regelbestand der Lebensführung geworden. Den Christen der alten Zeit, den Urchristen, war die Sonntagsfeier heilig, sie war ihnen eine wahre Insel der Freude und des Friedens, des Gebetes und der Liebestätigkeit; dafür brauchte es kein Gesetz. Erst als die Geisteskraft nachließ, als der Glaube schwächer wurde, hat die Kirche das Sonntagsgebot formuliert und allen vorgeschrieben: Du sollst den Sonntag heiligen durch das Gebot der Mitfeier der heiligen Messe und durch das Gebot der Arbeitsruhe! Der Sonntag ist der Tag des Gebetes, das ist sein erster und entscheidender Sinn. Aber damit er auch dem Gebet gewidmet werden kann, ist die Arbeitsruhe damit verbunden. Freilich dient die Arbeitsruhe auch einem sozialen Zweck. Man sieht, Gott ist ein sozialer Gott, der will, dass sich die Menschen nicht erschöpfen und dass sie ihre Arbeitskraft erhalten. Und so steht auch heute noch in unserer Verfassung, dass der Sonntag der Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung ist – immerhin seelischen Erhebung. „Mehr war nicht zu erreichen“, hat Joseph Mausbach bemerkt, der diese Bestimmung in die Weimarer Verfassung hineingebracht hat, in der sie noch heute steht. Wir wissen, die Verpflichtung zur Sonntagsheiligung ist streng. Die Erfahrung zeigt, dass jeder, der seine Sonntagspflicht leichtfertig und dauernd vernachlässigt, einen argen Mangel religiösen Lebens verrät und einen noch ärgeren Mangel erleiden wird, bis er schließlich seinem Gott entgleitet, bis alle Stimmen der Ewigkeit in seinem Inneren verstummen. Wer es allmählich gewohnt wird, das Läuten der Sonntagsglocken zu überhören, der überhört auch bald die Stimme seines Gewissens, bis sie schweigt, bis Gott aufhört, zur Seele zu reden, nachdem er lange genug tauben Ohren zugesprochen hat. Gott zieht sich von dem Undankbaren zurück, der sich dort, wohin sein Wille ihn ruft, nicht treffen lässt, damit er ihn segnen und reich und froh machen kann. Der Sonntag ist der Tag, an dem der Herr bereit ist, seinen Getreuen zu begegnen, so wie ein Vater seinen Kindern begegnet. Bleibt das Kind fern, so ist es sein eigener Schaden.

Das ist der Sonntag: Der Tag, der die Menschen über sich selbst hinaushebt, der sie ins Unendliche taucht, der sie mit dem Göttlichen verbindet, der so das Tal dieser Welt mit dem Farbenglanz der Überwelt erhellt. Wenn Gott den Menschen sucht, dann kommt er nicht mit leeren Händen. Er gibt ihm die Wahrheit und er gibt ihm seine Lebens- und Kraftfülle. Der Alltag nimmt den Menschen für die diesseitigen Dinge in Anspruch. Alle, die wirklich verstehen zu arbeiten, wissen, wie erschöpfend die Arbeitswoche sein kann. Der Mensch überlastet seine Gedanken mit den Diensten, mit den Bildern der Umwelt, die Arbeit gestattet ihm kaum einen Blick über sich und das Irdische hinaus. Und da soll der Sonntag den Kopf freimachen, er soll für das Ewige freigemacht werden. Da soll sich der Mensch des Gottes- und des Erdendaseins erfreuen. Er soll sich des Schöpfers versichern und der Vaterliebe und seiner Freundschaft gedenken. Sie haben ihn nicht mehr gekannt, aber ich habe in meiner Jugend Gedichte des Arbeiterdichters Heinrich Lersch gelesen. Heinrich Lersch war Kesselschmied, aber er war eben nicht nur Kesselschmied, sondern auch ein Dichter, ein katholischer Dichter. Er hat in seinen Gedichten die Unerbittlichkeit des Arbeiterlebens um 1900 geschildert: die Fron der Arbeit, die 60-Stunden-Woche. In einem seiner Gedichte heißt es: „Wie hätten wir dieses Leben ertragen, wenn nicht der Sonntag die Tür weit aufgeschlagen“, die Tür zur Ruhe, zur Freude, zur Anbetung, zur heiligen Messe. „Ja“, das sagt er aus seiner Erfahrung von den strengen Vorschriften der Arbeiterwelt, wo eben ein Aufseher war und ein Chef und ein Gebieter, „an der Kommunionbank waren wir alle gleich.“ Gustav Frenssen hat einen Erziehungsroman „Jörn Uhl“ geschrieben. Da stellt er ein abgebranntes Haus vor, eine wüste Brandstätte, und vor ihr steht ein schweratmender, von der Notstunde gebeugter Mann: Jörn Uhl. Schon will der Leiterwagen ihn und seinen kleinen Sohn und ein paar gerettete Habseligkeiten davonfahren, da stellt er sich noch einmal an die rauchgeschwärzte, halb niedergebrochene Hauswand, so wie er es von Kindheit an gern getan hat und lässt seinen Blick über das schöne Kornland des Uhlhofes gleiten. Und dann wendet er sich an seinen Knecht und sagt: „Thies, ich bin nun fertig damit! Ich lasse die Uhl nun fahren, samt ihren Sorgen. Ich bin ein Mensch, ich habe in fünfzehn Jahren keinen Sonntag gehabt. Ich glaube, ich bin ein armer, unglücklicher Narr gewesen. Aber nun, wahrhaftig, nun will ich versuchen, was Du gestern sagtest. Ich will sehen, dass ich meine Seele wiederbekomme, die hier in der Uhl gesteckt hat. Her mit meiner Seele! Die gehört mir!“ So lässt Frenssen seinen Jörn Uhl sprechen. Frenssen war kein katholischer Christ, er war ein Gottsucher, ein unruhiger Gottsucher, und darum empfand er vielleicht die geheimnisvolle Sehnsucht der Seele besonders stark nach dem, was größer ist als alle Welt und was Bestand hat auch über das irdische Leben hinaus: das Heimweh des verlorenen Kindes, die Unruhe des vom Zeitensturm gerüttelten Herzens. Solche Menschen wissen das Glück zu schätzen, das der rechte Sonntag bringt, das Glück der Gottesgemeinschaft, das Glück der Geborgenheit in Gott, das Glück der lichten Frohbotschaft Christi. Die russische Sowjetrepublik hat ein interessantes Experiment durchgeführt. Bei dem ersten 5-Jahres-Plan 1929 wurde die ununterbrochene Arbeitswoche eingeführt, d.h. man führte eine fünftägige Arbeitswoche ein mit einem gleitenden Feiertag, der für jeden Betrieb und für jeden Arbeiter und für jedes Glied einer Familie verschieden war. Abgesehen von einigen kommunistischen Gedenktagen in diesem grauen Arbeitshaus der Sowjetunion standen weder Maschinen noch Menschen still zu gemeinsamer Ruhe und Feier. Immerfort sausten die Räder, kratzten die Schreibfedern, waren die Schulen und Läden geöffnet. So zerstörte man mit Absicht die Familiengemeinschaft und die Möglichkeit, einen Tag gemeinsam zu heiligen, denn jeder hatte ja einen verschiedenen Ruhetag. Staat und Partei wachten mit Argusaugen darüber, dass kein russischer Arbeiter zu Ostern oder an einem Sonntag dem Betrieb fern blieb, um dem Gottesdienst beizuwohnen. Die Arbeitspause wechselte ja von Mensch zu Mensch. Die Menschen in der Sowjetunion wurden dadurch nicht freier und glücklicher, und sie ließen sich auf die Dauer diese Umkrempelung der Ordnung Gottes nicht gefallen. Bevor noch der erste 5-Jahres-Plan auslief, wurde die ununterbrochene Arbeitswoche wieder abgeschafft.

Aus vielen goldenen Fäden webt uns der Sonntag das Feierkleid der Seele. Festtage sind in der Welt zumeist Erinnerungstage. Auch der Sonntag ist ein Erinnerungstag. Er erinnert uns an den Sieg des Herrn über Tod und Grab, er erinnert uns an den Heimgang zum Vater, er erinnert uns an die Besitzergreifung von seinem Reich. Aber er ist uns nicht fern, er hat sich nicht zurückgezogen, er will bei uns bleiben. Er wird unter uns gegenwärtig als Priester in Ewigkeit nach der Ordnung des Melchisedech. Seine beseligende Gegenwart gewährt er uns im heiligen Messopfer. Ich glaube, ich habe Ihnen schon einmal erklärt oder erzählt, wie eines Tages – ich mochte etwa 14 Jahre alt sein – der Physiklehrer zu mir sagte: „Junge, lauf nicht den Pfaffen nach! Glaub nicht an den schwarzen Schwindel! Wenn Du beten willst, geh in den Wald!“ Natürlich kann man im Walde beten. Aber im Walde findet man nicht das Messopfer, im Walde findet man nicht den gegenwärtigen Christus. Hier in der Feier des heiligen Messopfers, wo der gottmenschliche Hohepriester sein einmaliges blutiges Opfer in unblutiger Weise erneuert, hier wird uns die erhabene Wahrheit klar, dass wir Glieder an seinem Leibe sind und dass wir auch untereinander verbunden sind. Eine Geistes- und Lebensgemeinschaft sind wir, mit Christus und untereinander. Haben Sie schon einmal, meine lieben Freunde, darauf geachtet, wie sich der Priester selbst in den Texten der heiligen Messe vor Gott und den Menschen darstellt? Viermal in der heiligen Messe bekennt er sich als unwürdig, nicht wert des heiligen Dienstes, den zu vollziehen ihm aufgetragen ist – viermal. Bei der Darbringung des Brotes bekennt er sich als unwürdiger Diener. Vor dem Empfang des Leibes Christi gedenkt er des Wagnisses, das darin liegt, dass er, Unwürdiger, sich daran macht, den Leib des Herrn zu empfangen. Dann betet er wie die Gläubigen dreimal „Herr, ich bin nicht würdig“. Und am Schluss der Messe, vor dem Segen über das Volk erklärt der Priester noch einmal, dass er als Unwürdiger dieses Opfer dargebracht habe: „Ego indignus“ – ich Unwürdiger. Aus dieser Zusammenstellung mögen Sie ahnen, welche Spannung in einem Priester ist, der täglich das heilige Messopfer als höchste Aufgabe seines Berufes feiert. Er macht sich schuldig, wenn er die Feier unterlässt. Aber er wird auch schuldig, wenn er die Feier nicht in der gebotenen inneren Verfassung vollzieht. Der Priester hat einen Trost: Er bringt das Messopfer nicht allein dar. Die ganze Gemeinde opfert mit. Das ist in den Texten der heiligen Messe deutlich ausgesprochen, und niemand hat es erhellender dargestellt als Pius XII. in seiner großen Enzyklika „Mystici Corporis“. Das Messopfer ist die Gemeinschaftsfeier von Priester und Volk. Jeder Laie, jedes Kind opfert mit. Darum wendet sich der Priester, eher er sich anschickt, in den Kanon einzutreten, zum gesamten Volk mit der Aufforderung: „Betet, Brüder, dass mein und euer Opfer wohlgefällig werde bei Gott, dem allmächtigen Vater.“ Und unmittelbar nach der heiligen Wandlung hebt er die Hände bittend empor: „Wir, deine priesterlichen Diener, aber auch dein heiliges Volk erinnern uns des beseligenden Leidens deines Sohnes, unseres Herrn, seiner Auferstehung von den Toten, seiner glorreichen Himmelfahrt, und wir opfern zugleich deiner herrlichen Majestät aus deinen Gaben und Spenden eine reine Opfergabe, eine heilige Opfergabe, eine unbefleckte Opfergabe: das heilige Brot des ewigen Lebens und den Kelch des immerwährenden Heiles.“

Dem Buchstaben nach ist das Sonntagsgebot erfüllt, wenn wir der heiligen Messe mit ernster Andacht beiwohnen und uns so in die Gemeinschaft der Gläubigen einordnen. Die volle Teilnahme am heiligen Opfer ist jedoch erst dann vollzogen, wenn wir die Frucht des Opfers, die heilige Seelenspeise, vom Altar empfangen. Denn zu einem Speiseopfer gehört der Genuss der Opferspeise. Niemand schaut einem Mahle nur zu; er will mit am Tische sitzen. Lässt er sich zur heiligen Opferspeise auch noch das Brot des göttlichen Wortes in der Predigt reichen, dann fürwahr hat er seine Seele voll gesättigt mit den Gütern des Herrn am Tage des Herrn. Vor einiger Zeit war ich Zeuge, wie ein Vater seine Tochter fragte, weshalb sie der Sonntagsmesse fernbleibe. Sie antwortete: „Die Messe gibt mir nichts.“ Warum gibt ihr die heilige Messe nichts? Weil sie der heiligen Messe nichts gibt! Sie beschäftigt sich nicht mit Wesen, Inhalt und Wirkung des Messopfers. Ihr religiöses Wissen ist gleich null. Sie schaltet ihren Geist nicht ab vom werktäglichen Arbeiten und Genießen. Sie sammelt ihre Gedanken nicht, sie geht nicht ein in die unblutige Erneuerung des Kreuzesopfers Christi. Sie erweckt nicht ihre Sehnsucht nach Vereinigung mit dem, der uns geliebt und sich für uns dahingegeben hat. Die Messe gibt ihr nichts, weil sie der Messe nichts gibt. Wer sich bemüht, Gott sein Gedenken, seine Aufmerksamkeit, seine Hingabe zu schenken, der wird von Gott reich wiederbeschenkt. Wer Gott etwas gibt, dem gibt Gott reichlich zurück.

Amen.  

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