Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
21. Februar 2010

Dem Versucher mit Gottes Hilfe widerstehen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Bußzeit ist eine Hoch-Zeit der Berge. Zunächst begegnen wir dem Berg der Versuchung, dann dem Berg der Verklärung, dann geht es weiter zum Ölberg und zum Golgotha-Hügel. Vier Berge, vier Offenbarungen unseres Herrn in der Bußzeit. Heute erscheint vor unseren Augen der Berg der Versuchung. Der Versucher trat an ihn heran. Wer ist der Versucher? Es ist der Satan, der Teufel, der Widersacher. Er weiß, wer Jesus von Nazareth ist. Er ist ganz anderer Meinung als unsere modernen Theologen, die ihn für einen harmlosen Wanderprediger ausgeben. Satan weiß: Er ist der auf Erden erschienene Gottessohn, der gekommen ist, die Bollwerke des Teufels zu zerstören. Von dieser Absicht und von dieser Aufgabe möchte er ihn abbringen.

Er setzt an beim Hunger. Hunger tut weh. Um den Hunger rasch und nachhaltig zu stillen, soll Jesus seine Wundermacht einsetzen. Er soll also die Kraft, die Gott ihm gegeben hat, um das Reich Gottes aufzubauen, für seine persönlichen Bedürfnisse verwenden. Darin liegt die Versuchung. Und das ist eine Versuchung geblieben bis heute, meine lieben Freunde, dass man die Religion für seinen eigenen Nutzen verwenden will, dass der Staat die Religion einspannt, um ihm zu dienen, wie es die beiden Herren Putin und Medwedjew in Rußland machen: die orthodoxe Kirche als ideologischer Kitt ihres Systems. Nicht der Religion dienen, sondern sich der Religion bedienen, das wollen diejenigen, die der teuflischen Versuchung unterliegen. „Bist du Gottes Sohn, so befiehl, dass diese Steine Brot werden!“ Der Versucher weiß, wo man den Menschen packen kann, nämlich an seiner Sinnenhaftigkeit, an seiner Sinnlichkeit. Der Leib macht sich bemerkbar in vielfacher Weise. Er hat ein Anrecht, denn wir bedürfen seiner, aber der sinnenhafte Bezirk von uns verlangt immer mehr, als er haben darf. Die Sinnlichkeit führt immer weiter, als sie nach Gottes Willen führen darf.

Die Macht der Sinnlichkeit ist verheerend und zerstörend wie Feuer. Von daher kommen auch unsere Versuchungen: aus unseren bösen Neigungen. Ein jeder wird von seiner Begierlichkeit versucht, die ihn anzieht und lockt. Der Apostel Paulus sagt es auf seine Weise: „Das Fleisch begehrt wider den Geist.“ So war es schon im Paradiese. Als die Schlange der Frau – eine bildliche Erzählung für einfache Menschen – die Schönheit der Frucht am verbotenen Baume zeigte, da sah die Frau diese Frucht auf einmal mit ganz anderen Augen. Sie war von ihr fasziniert. Da sah die Frau, dass es köstlich sei, von dem verbotenen Baume zu essen, dass der Baum eine Augenweide sei und dass er dazu verlockte, von ihm zu genießen.

Schon die Heiden wußten um die Macht des Triebes, der Begierden, der Sinnlichkeit. Von dem heidnischen Weisen Diogenes wird berichtet, dass er am hellichten Tage mit einer brennenden Laterne auf dem Marktplatz in Athen erschien und herumging, als ob er etwas suche. Man fragte ihn: „Was suchst du denn?“ Er antwortete: „Ich suche einen Menschen.“ „Der ganze Marktplatz ist voll von Menschen. Was suchst du da?“ „Das sind keine Menschen“, sagte er, „sondern Tiere. Sie leben nicht wie Menschen, sondern wie Tiere, denn sie lassen sich von ihren tierischen Begierden leiten.“

Jesus ist dem Versucher nicht erlegen. Er weist ihn ab: „Es steht geschrieben: Nicht vom Brot allein lebt der Mensch, sondern von jedem Wort, das aus dem Munde Gottes kommt.“ Der Mensch ist nicht nur Leib, der Mensch ist auch Geist. Er besitzt seinen Geist, seine Vernunft, mit der er Maß nehmen kann, mit der er sich an die Gebote Gottes halten kann, mit der er auch die Triebe besiegen kann. Wir wissen dank unseres Geistes, was Gott von uns will, und wir haben kraft unseres Geistes Macht, dem Trieb zu widerstehen. Und so müssen auch wir den Kampf gegen die Versuchungen der Sinnlichkeit auf uns nehmen. Dazu ist die Bußzeit da. Wir müssen verzichten, wir müssen uns einschränken, wir müssen überwinden. Wenn wir die bösen Neigungen nicht bekämpfen, dann beherrschen sie uns, dann werden sie zur Ursache vieler Sünden.

Sie haben vielleicht eine Erinnerung daran, wie Sie in der Schule über den großen punischen Feldherrn Hannibal unterrichtet wurden. Hannibal war ein großer Feldherr, aber sein Gegner, der römische Feldherr Scipio Africanus, war ihm gewachsen, ja er war ihm überlegen. Scipio Africanus hat ihn besiegt, in der Schlacht bei Zama. Aber er hat auch Feldzüge unternommen nach Spanien. Auf seinem Grabstein stand die Inschrift: „Sein größter Sieg war die besiegte Lust.“ Sein größter Sieg war die besiegte Lust. Warum? Im Spanienfeldzug hatte er eben die Stadt Cartagena eingenommen. Da brachten ihm seine Soldaten eine wunderschöne Frau, eine Spanierin, damit er sie sich zu eigen mache. Was tat Scipio? Augenblicklich sandte er die Frau ihrem Vater und ihrem Verlobten zurück. Die Legionäre waren ja keine Kinderschwestern; sie waren raue Kerle. Aber vor einer solchen Überwindung bekamen sie Respekt.

Der Satan läßt es bei einer einmaligen Versuchung nicht bewenden. Er setzt von neuem an. Er nahm Jesus in die heilige Stadt, also nach Jerusalem, und stellte ihn auf die Zinne, also auf die Mauern des Tempels, und sprach: „Bist du Gottes Sohn, so stürze dich hinab! Du weißt doch die Verheißung Gottes: Die Engel werden dich auf ihren Händen tragen, dass dein Fuß nicht stoße an einen Stein.“ Satan mutet Jesus ein Schauwunder zu. Er weiß, Jesus besitzt die Wundermacht. Er weiß es besser als die modernen Theologen, welche die Wunder Jesu leugnen. Satan kennt seine Wundermacht. Er weiß aber auch, wozu der himmlische Vater ihm die Wundermacht gegeben hat: um das Reich Gottes aufzurichten, um die Menschen vom Einfluss der Dämonen zu befreien, um das Leid der Erde zu lindern, um ihnen eine Ahnung von der Herrlichkeit Gottes zu geben. Der Satan aber mutet Jesus jetzt zu, die ihm verliehene Wundermacht zu seiner eigenen Erhöhung, zur Überwältigung der staunenden Menschen zu gebrauchen, also sie zu mißbrauchen. Man stelle sich einmal vor, was geschehen wäre, wenn Jesus sich hinabgestürzt hätte. Eine Sensation! Das war noch nie da. Den machen wir zum König. Das ist unser Mann. So hätten die Volksmassen gesagt. Er hätte die Menschen gewonnen, aber auf andere Weise, als der Vater im Himmel es vorgesehen hatte. Nicht durch Belehrung und Überzeugung, sondern durch Überwältigung, durch ein Schauwunder.

Meine lieben Freunde, diese Versuchung ist bis heute geblieben. Der schottische Schriftsteller Bruce Marhall erzählt in einem seiner Romane folgendes. Der Erzbischof von Paris hatte einen Traum. Er träumte, ein Amerikaner sei Papst geworden. Seine erste Kundgebung war verblüffend. Vom Stuhle Petri verkündete der neue Papst der Stadt Rom und dem Erdkreis, alle seine Vorgänger hätten sich in einer wichtigen theologischen Lehrmeinung geirrt. Die freie Liebe sei keine Todsünde, die freie Liebe sei eine unsterbliche Tugend. Als Ergebnis dieser Erklärung war die Einheit der Christenheit sofort wiederhergestellt worden. Ketzer und Abgefallene hatten ihren Irrtümern abgeschworen, die Türken hatten sich wie ein Mann bekehrt, Rußland hatte den Kommunismus aufgegeben, das fromme Argentinien hatte drei Kreuzer und ein Schlachtschiff an die Tibermündung geschickt, die dort Salut schossen, und die Stadt Port Said hatte sich ein Feuerwerk abgerungen. Das ist selbstverständlich dichterische Freiheit, was ich hier berichte. Aber Bruce Marshall hat eines richtig gesehen: Man sinnt der Kirche fortwährend an, ihre Lehre zu ändern, um es den Menschen bequem und angenehm zu machen. Sie soll ihre Lehre nach dem Geschmack der Menschen modeln. Das ist die teuflischste Versuchung der Kirche. Ihr wird vor allem fortwährend zugemutet, die Gebote Gottes über der geschlechtlichen Sittlichkeit zu erleichtern. Das ist eben das Punctum Puncti: Der Mensch soll im geschlechtlichen Bereich tun können, was er will, was ihm einkommt. Aber auch natürlich die Anforderungen an die Priester, wir kennen ja diese lächerlichen Postulate. In der Untergrundbahn von Paris unterhielten sich – nach demselben Schriftsteller – ein Schaffner und ein Priester. Der Schaffner sagte: „Die Religion müßte wie die Politik sein. In der Politik wechseln die Grundsätze ununterbrochen. Der Papst soll erklären: Jeder kann leben, wie er will.“ So ist es. Wenn die Kirche das täte, wäre ihr Beifall sicher, aber dann hätte sie aufgehört, vollmächtiges Organ Gottes zu sein. Dann wäre sie eine Sekte wie alle anderen. Eines ist sicher, meine lieben Freunde: Es kann sein, dass die Kirche mit ihrer Wahrheit bei vielen nicht ankommt. Aber wenn sie mit der Wahrheit nicht ankommt, braucht sie überhaupt nicht anzukommen.

Noch einmal setzte der Teufel an, zum dritten Mal. Er nahm Jesus auf einen hohen Berg und zeigte ihm alle Reiche der Welt. „Das alles will ich dir geben, wenn du niederfällst und mich anbetest.“ Diese Versuchung ist uns nur allzu vertraut, meine lieben Freunde. Augenlust, Fleischeslust, Hoffart des Lebens. Haben, Haben, Besitzen, Besitzen, Genießen, Genießen, Schwelgen, Schlemmen, das tönt uns fortwährend an die Ohren. „Mach dirs auf der Erde schön. Kein Jenseits gibt’s, kein Wiedersehn.“ Dem Heiland wird Macht angeboten, aber irdische Macht. Er ist ein Herrscher, aber seine Herrschaft ist von besonderer Art. Als Pilatus ihn fragte, ob er ein König sei, sagte er: „Ich bin ein König. Ich bin der König der Wahrheit.“ Er ist ein König, ein Herrscher im Reiche der Wahrheit, der Güte und der Reinheit. Wenn er auf das Angebot Satans eingeht, dann verkehrt er seine Sendung in das Gegenteil. Denn welchen Preis soll er dafür zahlen, dass er Macht bekommt? Den Satan anbeten, ihm sich unterwerfen. Eine schlimmere Verkehrung kann es nicht geben.

Die Versuchung ist heute so aktuell wie gestern. Oft und oft tritt an uns die Versuchung heran, entgegen den Geboten Gottes uns einen Vorteil, eine Gunst, einen Genuß zu verschaffen. Auf dieser Erde scheint häufig der besser voranzukommen, der sich nicht an Gottes Gebote hält, sondern rücksichtslos und unbedenklich seinen Nutzen sucht. Leben, das Leben genießen, alles Beschwerliche abstreifen, alles Lästige vermeiden. Es gibt viele Menschen in unserem Lande, die sagen: Ich kann mir alles leisten, ein Traumhaus, ein schnelles Auto, eine kostspielige Schiffsreise, ich kann mir alles leisten. So spricht der Versucher. Wenn wir auf seiten Jesu stehen, dann entgegnen wir: Aber ich will mir nicht alles leisten. Ich will bescheiden, ich will einfach leben. Ich erinnere an das, was im Buche von der Nachfolge Christi steht: „Siehe, du kannst nun einmal nicht doppelte Freude haben, hier auf Erden dich ergötzen und drüben mit Christus herrschen.“

Jesus weist den Versucher kurz und hart von sich: „Es steht geschrieben: Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.“ Gott muss unser Herr und Gebieter bleiben. Ihm sind wir eigen, ihm müssen wir auch dienen. Gott ist ein eifersüchtiger Gott; er duldet keine fremden Götter neben sich. Jesus hat den Versucher abgewiesen – für diesmal. Denn damit ist es nicht getan gewesen. Der Evangelist Lukas schreibt nämlich: „Nachdem der Teufel mit seinen Versuchungen zu Ende war, ließ er von ihm ab bis zu gelegener Zeit.“ Er hat also nie aufgehört, Jesus zu versuchen. Vielleicht am Ölberg, vielleicht bei der Brotvermehrung. Aber Jesus ist niemals dem Versucher zu Willen gewesen. Er hat ihn stets abgewiesen.

Ich will zum Schluß versuchen, meine lieben Freunde, vier Regeln für die Versuchungen aufzustellen, die uns anfallen können. Erstens: Versucht werden heißt jemanden auf die Probe stellen, um herauszubekommen, ob das, worauf es bei ihm ankommt, auf Wahrheit beruht. Wir werden also versucht, damit Gott und die Menschen wissen, dass wir zu Gott gehören, ob wir zu Gott gehören. Zweitens: Versuchungen sind unvermeidlich. „Kein Stand ist so heilig, kein Ort ist so abgeschieden, wo es nicht Versuchungen und Widerstände und Widerwärtigkeiten gibt“, schreibt das Buch von der Nachfolge Christi. Drittens: Versuchungen müssen über uns kommen. Wir wollen doch gekrönt werden. Gekrönt wird nur, wer gesiegt hat, siegen kann nur, wer gekämpft hat, kämpfen kann nur, wer versucht wird. Nur jene läßt der Teufel unbehelligt von Anfechtungen, die er schon als sein Eigentum hat. Der heilige Pfarrer von Ars hat das furchtbare Wort gesprochen: „Der Teufel läßt jene in Frieden, die er schon besitzt. Nicht versucht zu werden ist der Zustand jener, die er für die Hölle bereitet.“ Viertens:  Es gibt bestimmte Regeln des Kampfes. Erste Regel: Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet! Wachen, nicht schlafen; wachen, nicht dösen; wachen, nicht träumen; wachen, nicht ruhen. Soviel Ruhe, wie für den Körper unbedingt notwendig ist, aber nicht mehr. Und beten, nicht schwätzen, nicht Zeitung lesen, nicht Fernseher anschalten. Nur durch Gebet kann man die Macht des bösen Feindes überwinden. Eine zweite Regel: Den Teufel überwinden nicht die Schlauen, sondern die Entschiedenen. An Schlauheit kann es der Teufel mit uns aufnehmen, aber vor dem entschiedenen, vor dem guten Willen flieht er. Eine weitere Regel: Mit der Abwehr nicht warten, sondern sogleich damit beginnen. „Principiis obsta, sero medicina paratur“, so hat ein heidnischer Dichter geschrieben. „Widerstehe den Anfängen, zu spät wird das Mittel, wird die Medizin bereitet.“ Und schließlich eine letzte Regel: Nicht zurückschrecken vor harten  Entschlüssen. „Wenn du dir nicht Gewalt antust, wirst du die Sünde nicht besiegen“, schreibt wieder einmal der Verfasser der Nachfolge Christi. Wenn du dir nicht Gewalt antust, wirst du die Sünde nicht besiegen.

So ist es also, meine lieben Freunde. Wir wollen uns zum Schluß ein Wort des heiligen Apostels Paulus zu eigen machen: „Wer zu stehen glaubt, der sehe zu, dass er nicht falle!“

Amen.

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