25. Juli 1993
Der christliche Trost im Leiden
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Von unserem Heiland wird berichtet, daß er zweimal geweint habe. Einmal vergoß er Tränen über die Verstocktheit der Juden, das andere Mal am Grabe seines Freundes Lazarus.
Auch in unserem Leben gibt es Lagen, in denen uns Tränen ausgepreßt werden. Und demjenigen, der keine Tränen zu vergießen vermag, kann es oft noch weher ums Herz sein als jenem, der sich durch Weinen Luft verschaffen kann. Wir wollen heute zwei Fragen stellen, nämlich
1. Bei welchen Gelegenheiten vergießen wir Tränen? Welches sind die Gründe und Anlässe dafür?
2. Wie können wir die Tränen trocknen? Wie können wir jene, denen das Leid Tränen auspreßt, trösten?
Wenn ein Kind zur Welt kommt, fängt es an zu weinen, und das Kind hat recht; denn es ahnt, daß diese Welt ein Jammertal, ein Tränental ist, daß viele Widerwärtigkeiten, Mühen und Plagen auf es warten und daß es eigentlich für eine andere Welt bestimmt wäre, nämlich für jene Welt des Friedens und der Freude, die die Stammeltern verloren haben.
Aber auch starke Persönlichkeiten, furchtlose Männer und beherzte Frauen können zu Tränen bewegt sein ob des Leides, das über sie kommt. Das Leid ist zweifacher Art, entweder körperlich oder geistig. Wenn wir am Grabe lieber Menschen stehen, dann wissen wir, daß der Tod grausam, hart und unerbittlich ist. Die Krankheiten kündigen den Tod an, und wer Tränen erleben will, der muß auf Schlachtfelder gehen oder in Spitäler. Selbst am häuslichen Krankenbett finden wir Menschen in Tränen aufgelöst.
Der Trost, der den Kranken zu verschaffen möglich ist, ist ein zweifacher. Wir lenken einmal ihren Blick auf den gekreuzigten Heiland. Deswegen ist es so nützlich und – ich muß in der Vergangenheit sprechen – war es so nützlich, in den Krankenzimmern der Kliniken ein Kruzifix an die Wand zu hängen, damit die Leidenden aufblicken konnten zu unserem Herrn. Wenn sie sehen, was er gelitten hat und wie er gelitten hat, dann sind sie getröstet. Er hat es ihnen vorgelebt, nicht nur vorgesagt, wie man im Leiden sich verhalten muß. Er hat mehr gelitten als jeder andere; nicht deswegen, weil vielleicht seine äußeren Leiden nicht übertroffen werden konnten, sondern weil er der Unschuldigste von allen war, weil er der Reinste war, weil er derjenige war, der Leiden nur für andere getragen hat, und weil seine Seele die feinste, die vornehmste, die edelste war. Deswegen hat er mehr gelitten als jeder andere Mensch. Der Aufblick zu seinem Leiden vermag die Leidenden dieser Erde zu trösten.
Es war einmal ein Kind, das eine Medizin einnehmen sollte. Aber es mochte die Medizin nicht einnehmen, weil sie nicht wohlschmeckend war. Da holte die Mutter ein Bild, auf dem der Heiland zu sehen war am Ölberg und ein Engel, der ihm den Leidenskelch reichte, und die Mutter sagte zu dem Kind: „Sieh, der Heiland hat den Leidenskelch um deinetwillen getrunken, und du willst nicht einmal die Medizin um deiner selbst willen einnehmen?“ Das leuchtete dem Kind ein und es sagte: „Um Jesu willen werde ich die Medizin nehmen.“
Durch sein Beispiel hat uns der Herr getröstet im Leiden, aber auch durch die Verheißung, daß die recht getragenen Leiden einmal ihren himmlischen Lohn finden werden. Jedes Leiden wird ein Edelstein in der himmlischen Krone sein. Gott hat beschlossen, die geduldig getragenen Leiden, die um seinetwillen getragenen Leiden zu belohnen.
Ein berühmter Prediger sprach einmal davon, daß, wenn auf einem Berge eine Menge Kreuze aus Holz zu finden wäre und die Menschen aufgefordert würden, sich ein solches Kreuz aus Holz zu nehmen, wohl niemand den Berg besteigen würde, um sich ein solches Kreuz zu holen. Wenn aber bekannt würde, daß die Kreuze innen hohl und mit Gold gefüllt wären, dann würden die Menschen auf den Berg strömen, um sich die Kreuze zu holen, und jeder wollte das schwerste haben. Ähnlich-unähnlich, meine lieben Freunde, ist es mit den Leiden auf dieser Erde. Je größer die Leiden sind und je geduldiger sie getragen werden, um so größer ist der Lohn im Jenseits. Aus dieser Gesinnung heraus haben die Heiligen nach dem Wahlspruch der heiligen Theresia gelebt: „Herr, entweder leiden oder sterben!“ Sie haben die Leiden begrüßt, sie sahen darin Wohltaten Gottes.
Noch schlimmer als die körperlichen Leiden können die seelischen Leiden sein. Als dem alten Patriarchen Jakob die Nachricht übermittelt wurde, daß sein Sohn, sein Lieblingssohn Josef von einem wilden Tier zerrissen worden sei, da fing er an zu klagen und zu weinen: „Ich möchte hinabsteigen zu meinem Sohne ins Totenreich.“ Und das hat sich ja nun millionenfach wiederholt. Immer, wenn Kinder am Grabe eines geliebten Vaters, einer geliebten Mutter stehen, immer, wenn Eltern ihren Liebling beweinen, immer dann pressen die Leidensqualen ihnen Tränen aus den Augen. Der Tod ist ein harter Geselle. Aber auch angesichts des Todes von geliebten Menschen gibt es Trost, meine Freunde. Der Trost ist ein zweifacher, nämlich der Lehrsatz von der Unsterblichkeit der Seele und der Lehrsatz von der Auferstehung der Toten.
Als ein frommer Mann einmal sterben mußte und seine Familie ihn weinend und klagend umstand, da sagte er: „Warum weint ihr? Die Trennung, die euch bevorsteht, ist nur von kurzer Zeit. Ich gehe euch nur voran, und wir werden uns wiedersehen.“ Diese Erwartung, diese Hoffnung, diese Gewißheit, die uns der Glaube gibt, ist ein Trost im Sterben. Wir brauchen uns nur, wenn wir an den Gräbern unserer Lieben stehen, den gekreuzigten Heiland vorzustellen, wie er zu dem Schächer zu seiner Rechten gesagt hat: „Heute noch wirst du mit mir im Paradiese sein.“ Eines der tröstlichsten Worte des ganzen Evangeliums. Es verschafft uns die Gewißheit, daß der, der in der Gnade Gottes stirbt, in Ewigkeit nicht untergehen wird, daß seine Seele weiterlebt und daß er die Hoffnung auch auf die Auferstehung des Leibes in sich trägt. „Ich bin die Auferstehung und das Leben!“
Neben dem Tode des Leibes ist auch der Tod der Seele ein großer Schmerz. Wir sprechen vom Tode des Leibes, wenn der Körper zerfällt. Aber wir reden auch vom Tode der Seele, wenn die Gnade aus einem Herzen flieht, und das ist ein schlimmer Tod, vielleicht der schlimmere Tod als der erstgenannte. Die vielen Menschen, die in der Gnadenlosigkeit leben, sind tief zu bedauern, und derjenige, der Glauben hat, trägt schwer an dem Gedanken, daß einer oder auch vielleicht viele der Seinigen in der Gnadenlosigkeit leben, daß sie in der schweren Sünde verharren, daß sie kein Zeichen der Buße geben. Wie viele mißratene Söhne, wie viele mißratene Töchter sind in den Familien zu beklagen!
Wir erinnern uns angesichts dieser Tatsache an das Paar Augustinus und Monika. Augustinus führte ein ausschweifendes Leben. Alle Bitten, alle Tränen seiner Mutter waren vergebens. In ihrer Not wandte sie sich an den Bischof, und er sagte ihr: „Tröste dich, Mutter, ein Kind so vieler Tränen kann nicht verloren gehen.“ Und weil sie dieses Trostwort hörte, fuhr sie fort zu beten, Jahr um Jahr. Sie hat es nicht gemacht wie wir, die wir fordernd sagen: Jetzt muß Gott eingreifen! Er greift ein, wann er will und nicht, wenn wir meinen, daß er muß. Und so hat sie 18 Jahre – 18 Jahre! – gebetet, bis sich Augustinus bekehrte. Und dann ist er einer der größten Heiligen der Kirche geworden.
Gibt es nicht auch heute viele Kinder wie Augustinus, die vom rechten Wege abgekommen sind? Ja natürlich, die Familienchroniken wissen davon zu berichten. Und gibt es auch viele, die wie Augustinus sich bekehren? O nein, sehr wenige. Ja warum denn? Weil es nicht genügend Mütter gibt, die beten wie Monika, Jahr um Jahr, und vertrauen auf Gottes Erbarmen und warten auf Gottes Eingreifen.
Die schönsten Tränen sind zweifellos die Tränen der Büßer. Sie sind wie eine neue Taufe, denn sie waschen den Sünder durch ihre sündentilgende Kraft. Wenn wir in Sünden gefallen sind, wenn wir andere in Sünden leben sehen, dann gibt es doch noch einen Trost, und das ist der Aufblick zur Barmherzigkeit Gottes. „Wenn euere Sünden rot wären wie Scharlach, weiß sollen sie werden wie Schnee. Und wenn sie rot wären wie Purpur, weiß sollen sie werden wie Wolle. Gott will den Tod des Sünders nicht, sondern daß er sich bekehre und lebe.“
Und wir haben so wunderbare Beispiele der Bekehrung im Evangelium. Als der Herr zu Tische lag bei Simon dem Pharisäer, da kam ein Weib, ein stadtbekanntes Weib, und netzte mit ihren Tränen seine Füße. Tränen der Reue, kostbare Tränen, meine lieben Freunde! Und der Heiland hat ihr die Sünden vergeben, weil sie viel gelitten hat ob ihrer Sünden.
Wir wissen, daß Petrus den Herrn in seiner Angst und Aufregung verleugnet hat, aber wie bald er wieder zu sich kam und hinausging und bitterlich weinte. Diese Tränen haben ihm die Verzeihung verdient, denn als der Herr auferstanden war, da erschien er ihm zuerst, vor allen anderen, um ihm zu zeigen, daß er wieder in Gnaden angenommen sei.
Viele leben mit ihren Sünden dahin, ohne sich zu bekehren, aber wir sollen ihnen die Gnade der Bekehrung erbitten. Wir sollen nicht nachlassen, für die Sünder zu rufen. Vor einiger Zeit besuchte einmal ein Mann, der schon viele Jahre lang keine Kirche mehr von innen gesehen hatte, ein Gotteshaus. Er musterte die Gottesdienstbesucher, er sah sich alle Gegenstände der Kirche an. Da fiel sein Blick auf ein Bild. Auf diesem Bilde war der König David dargestellt. Er lag auf den Knien und weinte über seinen Ehebruch und über den Mord, den er an dem Gatten der Ehebrecherin begangen hatte. Aber ein Engel mit einer goldenen Schale fing die Tränen auf und trug sie zu Gott. Unter dem Bilde stand geschrieben: „David hat einmal gesündigt und immer geweint, und du sündigst immer und weinst niemals!“ Da ward der Mann ergriffen, da ging er in sich, da nahm er sich vor, sein Leben zu bessern, und vergoß kostbare Tränen der Reue.
Es gibt, meine lieben Freunde, Tränen des Schmerzes; es gibt auch Tränen der Freude. Manchmal sind wir vor Freude über die Erhörung eines Gebetes, über eine unerwartete Wohltat so ergriffen, daß uns Tränen aus den Augen strömen. Auch das sind kostbare Tränen. Wenn man im Himmel weinen könnte, dann wären es Tränen der Freude. Aber im Himmel gibt es keine Tränen mehr, da erfüllt sich, was der Apokalyptiker Johannes geschaut hat: „Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen, und der Tod wird fürder nicht mehr sein noch Trauer, noch Klage, noch Schmerz, denn das Frühere ist vergangen.“ Dann erfüllt sich das Wort des Psalmes: „Die in Tränen säen, werden mit Freuden ernten!“ Dann erfüllt sich das Wort des Heilandes: „Euere Trauer wird in Freude verwandelt werden. Selig, die jetzt weinen, denn sie werden sich eine Ewigkeit lang freuen dürfen.“
Amen.