Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
15. Dezember 1991

Die Jungfrauschaft Mariens

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

An den vergangenen Sonntagen haben wir klargemacht, was es bedeutet, wenn wir bekennen: Maria ist immerwährende Jungfrau. Wir haben gesehen, daß ihre Jungfrauschaft drei Elemente umfaßt, nämlich die körperliche Unversehrtheit, die Bewahrung von jeder Sünde gegen die Keuschheit und die Freiheit von der ungeordneten Begierlichkeit. Es bleiben einige Fragen und Einwände zu beantworten.

Zunächst geht es um das Wesen der leiblichen Unversehrtheit Mariens. Diese Frage können wir nur mit einen „non liquet“ beantworten. Sie ist ein Geheimnis, die leibliche Unversehrtheit, so wie es die ganze Offenbarung ist. Sie ist ein Wunder der göttlichen Allmacht, und man kann versuchen, durch Vergleiche in das Geheimnis einzudringen.

Die Kirchenväter sagen, die körperliche Unversehrtheit Mariens könne man vergleichen mit dem Durchgang eines Lichtstrahls durch ein Prisma, durch ein Glas. Man kann die leibliche Unversehrtheit auch in Parallele setzen zu dem Auferstehungsvorgang, als der Herr durch Felsen und Fesseln hindurchbrach. Man kann die leibliche Unversehrtheit zu verstehen suchen, indem man sich an das Gehen des Auferstandenen durch verschlossene Türen erinnert. Und letztlich kann man sie vergleichen mit dem Entstehen eines Gedankens im Geiste.

Aber das alles sind spärliche Hinweise, und wenn wir sie überziehen, würden wir die Wirklichkeit der Empfängnis und die Wirklichkeit der Geburt Christi gefährden.

Eine zweite Frage ist: Warum ist der Logos, die zweite Person Gottes, nicht in einer Familie wie andere geboren worden, warum hat er nicht einen irdischen Vater wie alle anderen einen irdischen Vater haben? Darauf gibt es zwei falsche und vier richtige Antworten. Die erste falsche Antwort lautet, es sei mit der Würde der Gottesmutter unverträglich gewesen, daß ihr Sohn ins Leben trat, wie andere Menschen ins Leben treten. Eine solche Meinung verkennt die Würde der Ehe. Die Ehe ist eine Einrichtung Gottes, die Ehe ist in das Heilsmysterium Gottes hineingenommen, sie ist zur Würde eines Sakramentes erhoben, und deswegen ist es ausgeschlossen, daß eine Empfängnis Jesu in der Weise, wie andere Menschen empfangen werden, wegen der Würde der Empfangenden ausgeschlossen gewesen wäre.

Die zweite falsche Antwort lautet, es wäre ein irdischer Vater in Konkurrenz mit dem himmlischen Vater getreten. Nein, das ist ausgeschlossen. Eine solche Konkurrenz wäre nur möglich, wenn der himmlische Vater bei der Entstehung Jesu mitgewirkt hätte, wie es die Götterlegenden, wie es die Mythen verkünden. Dort naht sich in phantastischer Weise der Gott einer irdischen Frau und tritt mit ihr in irdischen Verkehr. Solche Vorstellungen sind vom Gott des Neuen Testamentes völlig fernzuhalten. Er ist über jede Geschlechtlichkeit erhaben, seine Einwirkung auf Maria ist in keiner Weise zu vergleichen mit dem Tun eines irdischen Vaters in einer normalen irdischen Familie. Das sind falsche Antworten, die wir abweisen, sie sind mit der Würde des Schöpfergottes und mit der Würde des Erlösergottes unvereinbar.

Aber welches sind dann die Gründe, warum Maria jungfräulich empfing, warum Jesus also ohne irdischen Vater entstanden ist, warum er keinen biologischen Vater, wie man heute sagt, hat?

Der erste Grund ist darin gelegen, daß die völlige Gnadenhaftigkeit der Erlösung dadurch angedeutet werden soll. Die Erlösung ist allein dem Erbarmen Gottes zu verdanken. Der Mensch kann nichts anderes tun, als im Aufnehmen die Hände auszubreiten und das Herz zu öffnen. Die Erlösung ist nicht dem Tatwillen eines Mannes zu verdanken, sie ist nicht aus der Initiative eines Menschen entsprungen, sondern die Erlösung ist allein Gott zu verdanken, und das ist angedeutet in der jungfräulichen Empfängnis Mariens. „Der Heilige Geist wird über dich kommen, und die Kraft des Allerhöchsten wird dich überschatten.“ Die Erlösung ist ein Vorgang vom Jenseits und nicht vom Diesseits.

Der zweite Grund wird darin gelegen sein, daß durch diese Weise der Empfängnis die Einzigartigkeit des Empfangenen angedeutet werden soll. Jesus geht nicht auf im menschlichen Bereich, er ist nicht zu fassen allein mit irdischen Kategorien, er kommt aus einem jenseitsmenschlichen Bereich, aus einem überirdischen Bereich, er kommt aus der überweltlichen Wirklichkeit Gottes. Und diese Einzigartigkeit seines Wesens wird angedeutet durch die Einzigartigkeit seiner Entstehung. Es ist also die Jungfräulichkeit, die jungfräuliche Empfängnis Mariens ein Hinweis auf die überragende Würde des Empfangenen.

Ein dritter Grund kann darin gelegen sein, daß in dieser Empfängnis der Endzustand abgebildet wird. Welches ist der Endzustand, dem die Welt entgegengeht? Der Endzustand ist der neue Himmel und die neue Erde. Und wie ist er beschaffen? Er ist so beschaffen, daß der Herr sagt: Das ist ein Zustand, wo sie nicht mehr heiraten und nicht mehr verheiratet werden, wo also die irdischen Geschlechtsverhältnisse aufgehoben sind. Und diesen Zustand scheint die jungfräuliche Empfängnis Mariens abzubilden. Das ist sehr sinnvoll, denn es ist der in ihrem Schoß entstanden, der den Endzustand heraufführt. Es ist der Keim des Erlösers in sie gelegt, der den neuen Himmel und die neue Erde herbeiführen wird. Deswegen ist es höchst geziemend und angemessen, daß er in einer Weise empfangen wurde, die eben ein Hinweis auf diesen Endzustand ist.

Der vierte Grund wird darin gelegen sein, daß in der jungfräulichen Empfängnis die Vorbehaltlosigkeit der Hingabe angedeutet ist. Maria war ein Mensch, der wie kein anderer unter den Sterblichen in einer unbedingten Weise sich Gott überantwortet hat. Sie war gewissermaßen ein leeres Blatt, auf das Gott hineinschreiben konnte, was er wollte. „Ich bin die Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort!“ Das ist die vorbehaltlose Hingabe. Und diese restlose Übereignung wird in dem Vorgang der jungfräulichen Geburt angedeutet, weil jetzt Gott sich auf eine ganz andere Weise mit dem Menschen einläßt als vorher, indem er selbst auf Erden erscheint.

Nun werden aber, meine lieben Freunde, eine Reihe von Einwendungen vorgetragen, Einwände, die sich teilweise auf die Bibel stützen. Wir wissen ja, daß es Bibelchristen gibt, die mit der Bibel in der Hand als Kampfbuch gegen die katholische Kirche arbeiten. Und so sagt man: Aber in den Evangelien ist doch die Rede von den Brüdern Jesu, also scheint doch Maria noch weitere Kinder gehabt zu haben. Es ist auch von Schwestern die Rede. Jesus scheint also in einer kinderreichen Familie aufgewachsen zu sein. Wo bleibt da die Jungfräulichkeit Mariens? Das ist tatsächlich die Meinung vieler Protestanten. Diese Meinung ist falsch, und diese Falschheit läßt sich beweisen. Im Markusevangelium ist im 7. Kapitel, 3. Vers die Rede von „Brüdern Jesu.“ „Ist das nicht der Zimmermannssohn, ein Bruder des Jakobus, Joses, Judas und Simon?“ Hier werden also Brüder, angebliche Brüder Jesu genannt, Jakobus und Joses. Aber diese selben Brüder werden ein paar Kapitel weiter in Markus 15, Vers 40 als Söhne einer anderen Maria bezeichnet, also nicht der Maria, der Mutter Gottes, sondern einer zweiten Maria. „Unter dem Kreuze standen Maria Magdalena, Maria, die Mutter des Jakobus und des Joses.“ Also sind Jakobus und Joses, obwohl sie als Brüder des Herrn bezeichnet werden, Söhne einer anderen Mutter.

Und das Johannesevangelium sagt uns sogar, wer der Vater ist. Denn in Johannes 19 Vers 25 wird gesagt, daß unter dem Kreuze standen „seine Mutter, die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Kleophas“. Die Frau des Kleophas! Sie ist also von der Muttergottes verschieden, sie hat einen anderen Mann, und der heißt Kleophas. Da sehen wir, daß es sich also bei den Brüdern nicht um Söhne derselben Mutter und desselben Vaters handeln kann, sondern um Verwandte, um nahe Verwandte.

Ein solcher Sprachgebrauch ist schon im Alten Testament bezeugt. Das Alte Testament ist ja ursprünglich in hebräischer Sprache geschrieben, und die hebräische Sprache hat kein Wort für „Vetter“. Wenn wir das Wort „Vetter“ gebrauchen, dann sagt das Alte Testament „Bruder“. Es gibt kein hebräisches, es gibt kein aramäisches Wort für Vetter oder Cousin. Ein Beispiel: Es wird berichtet, daß Abraham aus Ägypten kam und daß auch Lot bei ihm war. Sie besaßen viele Herden, und das Weideland war knapp. Da sagte Abraham zu Lot: „Es soll keine Zwietracht geben zwischen mir und dir, zwischen meinen und deinen Hirten, denn wir sind ja Brüder!“ Aber Lot ist gar nicht der Bruder Abrahams. Ein paar Zeilen vorher wird gesagt, daß er der Brudersohn Abrahams ist, also sein Neffe. Er wird aber als Bruder bezeichnet. Das ist ein Beispiel dafür, daß eben die Bibel nahe Verwandte, die nicht von demselben Vater und nicht von derselben Mutter abstammen, als Brüder oder auch als Schwestern bezeichnet.

Außerdem wäre es rätselhaft, wenn Jesus Brüder, leibliche Brüder gehabt hätte, warum er dann sterbend am Kreuze seine Mutter einem Fremden anvertraut hat. Es ist doch ganz normal, daß er gesagt hätte: Meine Brüder werden sich um dich kümmern, Mutter. Nein, er bestellt Johannes zum Pfleger, zum Hüter seiner Mutter. „Siehe da, dein Sohn, siehe da, deine Mutter!“

Aber da wird noch ein anderer Einwand gemacht. Im Matthäusevangelium heißt es: „Sie gebar ihren erstgeborenen Sohn.“ Wenn ein Erstgeborener da ist, so argumentiert man, dann werden auch Zeit- und Drittgeborene vorhanden sein. Auch diese Argumentation geht fehl. Immer und in jedem Falle heißt der erste Sohn einer Familie Erstgeborener, ohne Rücksicht darauf, ob noch zweite oder dritte Söhne kommen. Wenn jemand als Erstgeborener bezeichnet wird, dann ist damit in keiner Weise ausgesagt, daß er Geschwister hat, sondern es wird damit nur betont: Alle Rechte, die dem Erstgeborenen zukommen, liegen bei ihm.

So ist also auch in dieser Redeweise nichts gegen die Jungfräulichkeit, gegen die immerwährende Jungfräulichkeit Mariens ausgesagt. Da tritt noch eine letzte Frage auf: Ja, warum hat dann Maria überhaupt geheiratet, wenn sie eben nicht mit ihrem Manne in Gemeinschaft leben wollte, wie es sonst der Fall ist? Die Antwort darauf muß lauten: Sie hat geheiratet, damit das göttliche Kind vor Elend und Schande bewahrt blieb. Wäre das Kind nämlich in einem nichtehelichen Verhältnis zur Welt gekommen, wäre Maria nicht verheiratet gewesen, dann wäre Not und Schmach die Folge für Mutter und Kind gewesen. Um vor Elend und Schande bewahrt zu bleiben, hat Gott die Anordnung getroffen, daß sein Sohn in einer normalen Familie zur Welt kommen sollte.

Man fragt, was die Worte bedeuten: „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ Sie können in zweifacher Weise gedeutet werden: Jetzt stehe ich nicht in ehelicher Gemeinschaft mit einem Manne. Ich bin zwar verlobt mit Josef, aber wir stehen nicht in Verbindung miteinander; wir haben keine Gemeinschaft, weil die Heimführung in das Haus Josefs noch nicht erfolgt ist.

Die zweite Deutung sagt: Die Worte „Wie soll das geschehen, da ich keinen Mann erkenne?“ bedeuten, daß Maria überhaupt nicht, niemals und zu keiner Zeit einem Manne angehören wollte. So sagt Augustinus, sie habe ein Gelübde der Jungfräulichkeit gemacht. Augustinus ist kein Träger der Offenbarung, aber er ist ein großer Theologe. Deswegen sollte man meinen, daß seine Äußerung Gewicht hat.

Wie immer es sein mag, eines ist sicher: Maria hat das getan, was Gott von ihr verlangt hat, und er hat eben von ihr verlangt, daß sie die selige Pforte des himmlischen Wortes sein solle, daß sie den gebären solle, der zwar einen himmlischen Vater hat, aber keinen irdischen Vater. Und Josef hat sich in dieses Verhältnis gefügt. Es ist ihm durch göttliche Offenbarung gewiß geworden, daß er Maria hüten und schützen, aber nicht besitzen sollte und daß er der Pfleger und Hüter des in ihr entstandenen Sohnes sein sollte.

Das alles liegt in dem Worte: „Siehe, ich bin eine Magd des Herrn, mir geschehe nach deinem Wort!“ Die Kraft der Liebe und die Kraft der Hingabe ist entscheidend. Und als Maria erkannt hat, was Gott von ihr wollte, da hat sie nichts anderes getan; sie hat sich gefügt und untergeordnet. „Ich bin eine Magd des Herrn.“ Schreibe auf dieses Blatt Papier, so hat sie gleichsam zu Gott gesprochen, was du willst. Ich bin ergeben, ich bin dir vorbehaltlos ausgeliefert. Mir geschehe nach deinem Wort!

Amen.

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