Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
17. Mai 2020

Die Unfehlbarkeit des Papstes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am dritten Sonntag nach Ostern hatten wir bedacht, was die Kirche von der ihr eignenden Unfehlbarkeit in der Lehre und Verkündigung sagt. Wir wollen heute zu bedenken versuchen, wem in der Kirche diese Unfehlbarkeit zukommt. Träger der aktiven kirchlichen Unfehlbarkeit, also der unfehlbaren kirchlichen Verkündigung, sind die Gesamtheit der Glaubensprediger bei ihrer täglichen Verkündigung, die Gesamtheit der Bischöfe bei feierlichen Glaubensentscheidungen und zuhöchst der Papst; die ersten existieren nur in ihrer Verbindung mit dem Papst. Denn in der Gesamtheit der Bischöfe in ihrer Einheit mit dem Papst stellt sich die Kirche selbst dar. Der Papst besitzt als Einzelner und Einziger (nur er allein) die Unfehlbarkeit, die der ganzen Kirche zu eigen ist. Im Ersten Vatikanischen Konzil wird dem Papst die gleiche Unfehlbarkeit zugesprochen, die der Gesamtkirche zukommt. Im Papst ist die kirchliche Unfehlbarkeit unzerstörbar verankert. Er verdankt seine Unfehlbarkeit nicht der Kirche, sondern Christus. Sie ist ihm von Christus um der Kirche willen verliehen. In seinen Lehrentscheidungen kommt die Unfehlbarkeit der Kirche am sichtbarsten zur Erscheinung, in ihnen ist sie am sichersten verbürgt. Der Grund dafür ist seine Bedeutung für die Gesamtkirche. Ihm kommt die Höchstgewalt und die Vollgewalt in der Kirche zu. In ihm stellt sich also die ganze Kirche dar. Es wäre aber die ganze Kirche vom Glaubensirrtum bedroht, wenn der Papst als Repräsentant der Gesamtkirche dem Glaubensirrtum anheimfallen könnte. Die päpstliche Unfehlbarkeit kommt nur dem rechtmäßigen Papst als dem Nachfolger des Apostels Petrus (nicht aber päpstlichen Behörden) zu. Sie ist unübertragbar. Der Papst kann keinen Vizepapst bestellen oder seine Vollmacht einem Gremium abtreten.

Die päpstliche Unfehlbarkeit ergibt sich aus dem Charakter des Papstes als des Trägers der kirchlichen Höchstgewalt und Vollgewalt. Diese begreift die Lehrgewalt in sich, d.h. die Gewalt, alle Angehörigen des Gottesvolkes auf die Lehrverkündigung des Papstes zu verpflichten, und zwar mit der Wirkung, dass der Ungehorsam gegen die päpstliche Lehrverkündigung den Ausschluss aus der kirchlichen Glaubensgemeinschaft nach sich zieht. Derartiges wäre widersinnig, wenn der Papst in einem solchen alle verpflichtenden Tun nicht unfehlbar wäre, wenn also damit gerechnet werden könnte, dass er auf einen Irrtum verpflichten kann. Seine Höchstgewalt ist im Felde der Glaubensverkündigung nur sinnvoll, wenn Garantie dafür besteht, dass er im Vollzug der Lehrgewalt die Glieder des Leibes Christi auf die Offenbarung und nicht auf eine ihr widersprechende Lehre verpflichtet. So ergibt sich die Unfehlbarkeit aus dem Sinngehalt der päpstlichen Höchstgewalt. Als Nachfolger des Petrus hat der Papst Vollmacht und Pflicht, die Aufgaben des Petrus zu vollziehen. Diese Aufgaben sind die Ausübung der Binde- und Lösegewalt, der Auftrag, die Herde zu weiden, und der Befehl, die Brüder des Glaubens zu stärken. Darin eingeschlossen sind die Ermächtigung, die Wahrheit festzustellen, und die Verpflichtung, der Kirche die Wahrheit zu verkündigen sowie ein Halt im Glauben zu sein. Dies kann er nicht sein, wenn er selbst im Glauben unsicher ist. Ein als Glaubenslehrer in der Kirche irrender Papst wäre nicht ihr „Fundament“, wäre von den „Pforten der Hölle“ überwunden, verwaltete nicht nach Christi Willen die Schlüssel des Himmelreiches, das ein Reich der Wahrheit sein soll; in ihm hätte das Gebet Christi, das ihn zum sicheren Beschützer des Glaubens der Brüder machen soll, versagt; er würde als oberster Hirt, dem alle Glieder der Herde, auch die Bischöfe, durch die Bestimmung Christi unterstellt sind, die Herde Christi nicht auf gute Weide führen, sondern nähren mit dem Gift des Irrtums. Oberster Hirt der ganzen Herde kann nur sein, wer keinen Irrtum anzubefehlen imstande ist.

Dem Papst ist die Wirksamkeit des Heiligen Geistes in besonderem Maße zu eigen. Sie bezieht sich darauf, dass der Träger des Lehramtes vor einer falschen Lehrentscheidung bewahrt und zu einer rechten Lehrentscheidung geführt wird. Er besitzt die Assistenz des Heiligen Geistes. Diese Wirksamkeit des Heiligen Geistes entbindet ihn jedoch nicht davon, mit den uns zur Verfügung stehenden Mitteln (Wissen, Philologie, Exegese, Geschichte) den Sinn der Heiligen Schrift festzustellen. Der Gläubige kann gewiss sein, dass eine endgültige kirchliche Lehrentscheidung richtig, nützlich und notwendig ist. Die Menschen, die von einer unfehlbaren Entscheidung erreicht und verpflichtet werden, sind aufgerufen, sich stärker als bisher an die gottgegebene Wahrheit und an Christus, der die Wahrheit selbst ist (weil er die aufgedeckte Wirklichkeit Gottes ist), hinzugeben.

Die Vollmacht kommt dem Papst nur zu, wenn er als Papst spricht, d.h. wenn er als Hirt und Lehrer des ganzen Gottesvolkes eine Glaubenswahrheit verkündet, und zwar mit der Absicht, hierbei eine endgültige Glaubensentscheidung zu treffen. Nicht also trifft die Unfehlbarkeit zu für Predigten oder sonstige mündliche oder schriftliche Äußerungen, für private oder amtliche Kundgebungen, in denen der Papst nicht eine endgültige Glaubensentscheidung geben will, für Maßnahmen der Kirchenzucht und der Kirchenverwaltung, und schon gar nicht für die Plaudereien mit Journalisten im Flugzeug. Seit dem Ersten Vatikanischen Konzil sind nur wenige unfehlbare Entscheidungen erfolgt. An erster Stelle die Definition der leiblichen Verklärung Mariens. Sodann das Eintreten Pauls VI. für das unbedingte Festhalten von Wort, Begriff und Sache der Transsubstantiation. Kein Element dieses Gegenstandes darf aufgegeben werden. Weiter die Hervorhebung der Endgültigkeit der Tatsache, dass die Weihe dem männlichen Geschlecht vorbehalten ist. Schließlich die Lehre vom Gebrauch der Ehe, wie sie Paul VI. in der Enzyklika „Humanae vitae“ dargelegt hat.

Die häufigste Weise, in welcher der Papst seine Lehrgewalt ausübt, sind die Enzykliken, Rundschreiben mit wechselnder Adressatenschaft. Die Enzykliken sind meistens keine Form der unfehlbaren Lehrverkündigung. Es ist das ordentliche Lehramt, das in den Enzykliken der Päpste spricht. Aber meistens gehören die Gegenstände, die in den Enzykliken gesagt oder eingeschärft werden, bereits zur sicheren katholischen Lehre. Ihr Inhalt ist meist bereits in großem Umfang Teil der unfehlbaren Lehrverkündigung, der nur von neuem vorgelegt wird. Wenn die Päpste in ihren amtlichen Kundgebungen zu einer strittigen Frage mit Absicht Stellung nehmen, so ist allen klar, dass diese Sache nach dem Willen der Päpste nicht mehr als Gegenstand freier Meinungsäußerung betrachtet werden kann.

Dogmatische Erklärungen zeitigen gewichtige Folgen in der Kirche. Erstens. Durch die unfehlbare Erklärung wird die Offenbarung festgestellt und gegen Irrtümer geschützt. Die unfehlbaren (päpstlichen) Lehrentscheidungen sind unwiderruflich. Sie bedürfen nicht der Bestätigung der Bischöfe oder eines Konzils oder einer sonstigen Autorität (D 1325). Sie tragen den Grund ihrer Richtigkeit in sich selbst. Ihre Wahrheit gewinnt Evidenz aus ihrer Tatsächlichkeit. In der Faktizität einer kirchlichen Lehrentscheidung liegt ihre Legitimität. Unfehlbare Entscheidungen können nicht in dem Sinne bewiesen werden, dass die Zustimmung zu ihnen von dem Gelingen eines Beweises abhängig gemacht wird. Doch ist es möglich aufzuzeigen, in welcher Ausdrucksgestalt die unfehlbar verkündete Offenbarungswahrheit in Schrift und Tradition enthalten ist, sei es ausdrücklich, sei es einschließlich, und wie diese sich zur kirchlichen Verkündigung entfaltet hat. Der so genannte dogmatische Beweis dient also nicht dazu, eine Wahrheit derart zu rechtfertigen, dass sie ohne Rechtfertigung ungewiss bliebe, sondern er eröffnet neue Perspektiven und Ausblicke. Er erklärt den Beitrag, den der vorgelegte Glaubenssatz für das Verständnis der Offenbarung in ihrer Fülle leistet. Zweitens. Eine weitere Folge der Unfehlbarkeit der kirchlichen Glaubensverkündigung ist die Verpflichtung aller Glieder des Leibes Christi auf die verkündete Offenbarungswahrheit. Die unfehlbare Glaubensverkündigung hat den Charakter eines Glaubensgesetzes. Sie ist also rechtlichen Charakters. Sie ist eine Verpflichtung zum Gehorsam gegen die Offenbarung. Wer sich dem Gehorsam entzieht, scheidet aus der Gemeinschaft aus, die sich durch den Glauben an Christus konstituiert. Es bedarf hierzu keines förmlichen Ausschlusses. Wenn den kirchlichen Lehrentscheidungen (früher!) regelmäßig ein Anathema hinzugefügt ist, so stellt dieses nur fest, was der den Glauben Verweigernde durch seinen Glaubensungehorsam selbst vollzogen hat. Die Verpflichtung, die von einer kirchlichen Lehrentscheidung ausgeht, ist keine willkürliche Bindung, sondern die Bindung durch die Wahrheit selbst. Es ist eine heilswirksame Bindung. In ihr wird der Mensch mit Gott selbst verbunden und an Gott gebunden. Indem er sich einer kirchlichen Lehrentscheidung unterwirft, wird er frei vom Irrtum und kommt zur Erfüllung seines Daseins, das auf die Wahrheit angelegt ist. Der Irrtum bringt eine Erblindung des menschlichen Geistes mit sich. Die Wahrheit macht ihn von der Blindheit frei. Drittens. Die kirchliche Lehrentscheidung und deren Verkündigung vermittelt Gnade. Denn hier wirkt der Heilige Geist. In der kirchlichen Lehrentscheidung spricht nicht nur ein von Gott aufgestellter Mensch ein entscheidendes Wort. Hier wendet sich der Heilige Geist dem Hörenden zu und ergreift ihn mit seiner Gnade. In dem Impuls, den das menschliche Wort gibt, wirkt der Impuls des Himmels.

Es stellt sich noch die Frage, wie Unfehlbarkeit des Papstes und Unfehlbarkeit der Kirche sich zueinander verhalten. Die Unfehlbarkeit der Kirche ist auch verankert in der Unfehlbarkeit der Gesamtheit der Bischöfe, soweit sie in Verbindung mit dem Papst stehen. In ihnen stellt sich die gesamte Kirche dar. Ein Irrtum der Gesamtheit der Bischöfe würde daher einen Irrtum der ganzen Kirche bedeuten. Die Bischöfe vollziehen ihre Lehrgewalt auf zweifache Weise: in den allgemeinen Kirchenversammlungen (Synoden) und in der täglichen Lehrverkündigung. Diese nehmen sie vor entweder selbst – durch Predigten und Hirtenschreiben – oder durch ihre Gehilfen, Geistliche und Laien. Der einzelne Bischof ist nicht unfehlbar. Dennoch ist er der maßgebende Verkündiger und Erklärer des Glaubens in seiner Diözese. Dem Gesamtepiskopat eignet die Unfehlbarkeit nicht ohne Zusammenhang mit dem Papst, denn nur im Zusammenhang mit dem Papst stellen sie die ganze Kirche dar. Der Papst bedeutet die Zusammenfassung der Gesamtkirche. Jeder, der nicht mit ihm in Verbindung steht, stellt sich in Widerspruch zur Gesamtkirche. Eine Versammlung von noch so vielen Bischöfen ohne den Papst kann niemals Autorität oder gar Unfehlbarkeit in Anspruch nehmen. Ein Allgemeines Konzil kann es nur in Verbindung mit dem Papst geben. Ohne ihn ist eine Bischofskonferenz kein Allgemeines Konzil. Die Einzelbischöfe besitzen nicht das Vorrecht der Unfehlbarkeit. Wenn sie jedoch, über den Erdkreis verstreut, in Wahrung des Gemeinschaftsbandes untereinander und mit dem Nachfolger Petri authentisch in Glaubens- und Sittensachen lehren und eine bestimmte Sentenz übereinstimmend als definiert verpflichtend vortragen, so verkündigen sie auf unfehlbare Weise die Lehre Christi. Noch offenkundiger verkündigen die Bischöfe auf unfehlbare Weise die Lehre Christi, wenn sie auf einem Konzil vereint mit und unter dem Papst für die ganze Kirche Lehrer und Richter des Glaubens und der Sitten sind. Dann ist ihren Definitionen mit Glaubensgehorsam anzuhangen. Das Zweite Vatikanische Konzil LG 25 erklärt, dass das Bischofskollegium mit dem Papst als seinem Haupt in Sachen des Glaubens und der Sitten unfehlbare Lehrentscheidungen treffen kann. Also noch einmal: Die Vorlage einer unfehlbaren Wahrheit kann durch feierliches Urteil auf einem Allgemeinen Konzil oder durch das ordentliche und allgemeine Lehramt erfolgen. Die päpstlichen Entscheidungen sind aus sich, d.h. aufgrund ihres Vollzugs, nicht aber infolge der Zustimmung der Kirche unwiderruflich. Wenn die Päpste vor der jeweiligen Entscheidung die Bischöfe um ihr Glaubensurteil gefragt haben, so hatte dieses Vorgehen nicht den Sinn, der päpstlichen Entscheidung innere Gewissheit und Unwiderruflichkeit zu sichern, sondern festzustellen, was der Glaube der Kirche ist. Die Unfehlbarkeit der Kirche ist keine menschliche Anmaßung. Sie ist eine göttliche Einrichtung. Die Träger der Unfehlbarkeit sind Hörer des Wortes Gottes unter Führung des Heiligen Geistes. In einer Unfehlbarkeitsentscheidung leistet der Papst Gehorsam gegen Gott, dessen Offenbarung in der Schrift und in der Überlieferung bezeugt ist. Wir dürfen uns auf die Lehre der Kirche, auch auf die Lehre über ihre (und des Papstes) Unfehlbarkeit verlassen. Gott selbst hat seine Kirche mit dieser Gabe ausgestattet, damit die Wahrheit der Offenbarung, die Verkündigung des Gottessohnes nicht untergehe, sondern erhalten bleibe, bis das Glauben der Kirchenglieder in das Schauen übergeht.

Amen. 

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