Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. Juli 1997

Über philosophische Angriffe gegen den Glauben

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Mittelalter war eine Zeit des Glaubens. Als aber die Neuzeit kam, ist in vielen Vertretern der neuen Zeit der Glaube zerbrochen. Der Ansturm des Unglaubens galt dem Christentum. Er galt vor allem seinem übernatürlichen Ursprung als Offenbarungsreligion. Bei diesem Ansturm sind drei Formen und Phasen zu unterscheiden. Erstens: Die Attacke auf der philosophischen Ebene, die von der Aufklärung vorgetragen wurde  und die alles Wunderbare, alles Übernatürliche schlechthin leugnete. Zweitens: Der Angriff gegen die historischen Grundlagen des Christentums in der Bibelkritik des 19. Jahrhunderts. Hier wurde das christliche Gebäude durch den Nachweis seiner angeblichen Legendenhaftigkeit zu zerstören versucht. Die dritte Phase war erreicht in der Mitte und im ausgehenden 19. Jahrhundert, als Männer wie Nietzsche aufstanden, die sich um das philosophische und historische Argument gegen das Christentum nicht kümmerten, die das Christentum einfach deswegen ablehnten, weil es ihnen zuwider war. Ich würde von diesen drei Formen und Phasen der Ablehnung des christlichen Offenbarungsanspruches nicht sprechen, wenn sie nicht unser geistiges Klima auch heute bestimmen würden. Was in diesen drei Formen und Phasen vorgetragen wurde, ist in das Volk abgesunken und prägt weiteste Kreise unseres Volkes, vor allem der sogenannten Intellektuellen.

Am heutigen Sonntage wollen wir uns dem philosophischen Angriff auf das Christentum zuwenden. Er begann mit dem französischen Denker Descartes. Nach Descartes kann nur das objektiv Wahrheitsgeltung beanspruchen, was subjektiv eingesehen werden kann. Das heißt: Der Verstand entscheidet, was Wahrheit ist. Was ich nicht begreifen kann, kann keine Wahrheit sein. Descartes selbst hat die letzten Folgerungen aus dieser Prämisse nicht gezogen; er blieb ein Gläubiger. Aber in seiner Nachfolge wurden seine Gedanken ausgezogen, zuerst in England. Männer wie Cherburg, Tindal und Toland haben alles Übernatürliche am Christentum abgelehnt. Toland schrieb ein Buch mit dem Titel „Christianity not mysterious“ (Das Christentum ist kein Geheimnis); und Tindal verfaßte ein Werk mit dem Titel „Christianity as old as creation“ (Das Christentum ist so alt wie die Schöpfung). Das heißt: Mit dem Christentum ist nichts Neues eingetreten, sondern was das Christentum an Wahrheit enthält, das ist immer schon von den Menschen erkannt worden oder wenigstens erkennbar gewesen. Daß damit das Christentum an der Wurzel getroffen wird, ist offensichtlich. Was in England vorgedacht wurde, kam bald nach Frankreich. Ein Mann wie D’ Alembert verwarf alle Dogmen der Kirchenväter und der Konzilien. Was übrig blieb von der christlichen Religion, war eine geistige Gottesverehrung und die Menschenliebe. In Deutschland begann die Entwicklung mit dem Hamburger Professor Reimarus. Er schrieb eine „Schutzschrift für die vernünftigen Verehrer Gottes“. Nach Reimarus ist es Gottes unwürdig, Wunder und Offenbarung anzunehmen. Die Welt ist vielmehr ein geschlossener Kausalnexus; es gibt nur innerweltliche Ursachen, die von Gott einmal in Gang gesetzt sind, und nichts Neues kommt hinzu. Das heißt: Eine Offenbarung ist unmöglich. Ähnlich dann ein einflußreicher Denker der Aufklärung, nämlich Gotthold Ephraim Lessing. Nach Lessing entscheidet die Vernunft, was Inhalt des Glaubens sein kann und was nicht. Und wenn das Christentum Inhalte vorträgt, die mit der Vernunft nicht zu bewältigen sind, dann muß man sie umformen, dann muß man sie symbolisch auslegen. Immanuel Kant, der Philosoph von Königsberg, hat im Anschluß an diese Gedanken die Schrift verfaßt: „Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft“. Der Titel sagt schon, worauf es ihm ankommt. Die Religion kann nur das enthalten, was vernünftig ist, was der Vernunft eingeht. Was das Christentum bringt, das ist schon in der Brust des Menschen da. Das, was wir Gewissen nennen oder moralisches Gesetz, wird durch das Christentum nur explizit ausgefaltet, ist aber an sich immer schon in der Menschenseele vorhanden. Christus hat nur Bedeutung als Lehrer. Er hat das sittliche Gesetz, das in der Brust des Menschen beschlossen ist, besonders klar und besonders eindeutig hervorgehoben. Das heißt: Keine Erlösung, kein Sühnetod, keine Offenbarung, keine Wunder. Ziel der religiösen Entwicklung ist die Auflösung des Geschichtsglaubens in reinen Vernunftglauben. Die Religion innerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft.

Diese Ansichten wurden dann auch von Theologen aufgegriffen, zunächst von protestantischen Theologen. In Berlin lehrte an der Universität Schleiermacher. Er hat im ausgehenden 18. Jahrhundert seine „Reden über die Religion“ gehalten. In diesen Reden verkündet er: Der Quellgrund der Religion ist das Gefühl. Die Religion wird vom Menschen geschaffen. Sie entsteht aus menschlichen Bedürfnissen. Die emotionalen Tiefen des Menschen bringen die Religion hervor, die sich dann Ausdruck schafft in Chiffren, die man Dogmen und Glaube nennt. Für Schleiermacher ist die Religion Gefühl, das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit angesichts des Alls. Eine andere Religion als die Herzensreligion erkennt er nicht an. „Nicht der hat Religion, der an eine Heilige Schrift glaubt“, sagt er in seinen Predigten, „sondern derjenige, der keiner Schrift bedarf und wohl selbst eine machen könnte.“ Für uns Gläubige eine Ungeheuerlichkeit: Nicht der hat Religion, der an eine Heilige Schrift glaubt, sondern der, der keiner bedarf und wohl selbst eine machen könnte. Schleiermacher ist der Kirchenvater des Protestantismus im 19. Jahrhundert geworden.

Diese Gedanken, meine lieben Freunde, sind nicht vergangen. Sie sind in unser Volk abgesunken, und sie bilden den Horizont, mit dem Sie rechnen müssen, wenn Sie heute mit einem durchschnittlichen Protestanten sprechen. Seit dem Zusammenbruch, der mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil einsetzte, sind aber solche Ideen auch in unsere Kirche übergegangen. Immer mehr Theologen holen sich Gedanken und Vorstellungen bei den eben genannten Philosophen und Theologen. Der Kampf gilt zwei Elementen, die für uns unerläßlich sind. Einmal: Das Geschichtliche ist bedeutungslos. Die geschichtliche Offenbarung Jesu Christi fällt somit als bedeutungslos für die Religion weg. Nicht Christus ist der Gottmensch, sondern die Menschheit. Die Menschheit entwickelt aus ihren Bedürfnissen und Vorstellungen die Religion, und nur die Nichteingeweihten nehmen Jesus als den wirklichen Sohn Gottes an. Die Eingeweihten wissen, daß Gott im Menschen sich selbst verwirklicht. Das ist der rationalistische Pantheismus, der heute weitgehend verbreitet ist, der alles Geschichtliche ablehnt. „Zufällige Geschichtswahrheiten“, sagt Lessing, „können nie der Erweis von notwendigen Vernunftwahrheiten werden.“ Damit ist die Offenbarung erledigt, denn für ihn ist das, was die Offenbarung von sich sagt. sind die Wunder, die darin berichtet sind, zufällige Geschichtswahrheiten. Und Fichte erklärt: Nur das Metaphysische, nicht das Geschichtliche macht selig; das Historische macht bloß verständig. Auf diese Weise wird nur das, was notwendig ist, was zeitlos gültig ist, was immer dagewesen ist, was immer zu erkennen war, als Inhalt einer möglichen Religion ausgegeben. Alles, was das Christentum gebracht hat, was es Neues und darüber Hinausgehendes gebracht hat, ist wertlos und sinnlos.

Der Hauptangriff gilt dem Wunderbaren. Das Wunderbare wird als anstößig ausgegeben. Und so sucht man die in den Evangelien berichteten Wunder umzudeuten. Entweder erklärt man sie als nebensächlich oder man sagt: Die Evangelisten haben sich den Vorstellungen ihrer Zeit angepaßt. Oder man treibt eine gewaltsame Exegese. Man sagt: Jawohl, was im Neuen Testament berichtet ist, ist historisch, aber es ist nicht wunderbar. Man muß es nur richtig verstehen. Die Evangelisten haben die Nebenumstände beiseite gelassen und Zwischenglieder übersprungen; und so scheinen manche Begebnisse im Neuen Testament wunderbar zu sein. In Wirklichkeit sind sie natürlich zu erklären. Also z.B. die wunderbare Brotvermehrung. Selbstverständlich sind 5000 Menschen in der Wüste gespeist worden, aber nicht dadurch, daß Jesus aus wenigen Broten viele hervorgebracht habe, sondern die Leute haben ihre Vorräte ausgepackt, und so haben sie andere, die nichts mithatten, beschenkt. Oder beim letzten Abendmahl hat Jesus nicht etwa sein Fleisch und sein Blut unter den Gestalten von Brot und Wein seinen Jüngern gegeben, sondern er hat sein letztes Gleichnis vorgeführt. Indem er ihnen Brot und Wein gab und sagte: „Das ist mein Leib, das ist mein Blut“, wollte er hinweisen auf das, was bald mit ihm geschehen würde, nämlich sein Leiden und Sterben; er hat also eine symbolische Gleichnishandlung vorgenommen.

Sie verstehen, meine lieben Freunde, daß hier das Christentum in der Wurzel getroffen wird. Wer die Positionen, die ich Ihnen eben vorgeführt habe und die Sie in Hunderten von Büchern nachlesen können, teilt, der hat sich vom Christentum verabschiedet. Wir sind in unserem Glauben davon überzeugt, daß es eine wirkliche, übernatürliche Offenbarung gibt, daß Gott durch seinen Sohn Jesus Christus zu uns gesprochen hat, daß er wahrhaftig Wunder gewirkt hat und daß er nicht nur durch seine Lehre und sein Beispiel, sondern auch und zuerst durch sein Leiden und Sterben und Auferstehen uns von Sünde, Schuld, Tod und Teufel erlöst hat.

Wir wollen uns durch die falschen philosophischen Aufstellungen der genannten Männer nicht irremachen lassen, sondern mit den Aposteln zum Herrn flehen: O Herr, stelle uns Glauben hinzu!

Amen.

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