Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
30. Juli 1995

Über Einigkeit und Einheitlichkeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Kirche hat bestimmte Wesenseigenschaften, die nach außen als Merkmale in Erscheinung treten. Wir hatten deren am vergangenen Sonntag vier genannt, nämlich Einheit, Heiligkeit. Katholizität und Apostolizität. Die erste Eigenschaft war die Einheit, und diese Einheit ist in einem doppelten Sinne zu verstehen, nämlich zunächst einmal als Einzigkeit. Christus hat nur eine einzige Kirche gestiftet und ihr alle Heilmittel und die ganze Heilsaufgabe anvertraut. Diese Sicht der Einheit haben wir am vergangenen Sonntag betrachtet. Aber Einheit besagt noch etwas anderes. Es besagt auch Einigkeit und Einheitlichkeit. Und diese Seite der Eigenschaft wollen wir am heutigen Tage miteinander bedenken.

Was besagt es, wenn wir von der Kirche sagen, sie sei einig? Es gibt Einheitsfaktoren, welche diese Einigkeit bewirken. Eine Gruppe ist pneumatisch-personal, eine andere Gruppe ist hierarchisch-amtlich. An erster Stelle wollen wir auf die pneumatisch-personalen Einheitsfaktoren eingehen. Welches sind es? An oberster Stelle natürlich das Wirken Gottes. Er hat ja die Kirche gestiftet, er hat sie ins Leben gerufen, und er erhält sie. Er hat Christus zum Haupt der Kirche gemacht. Die Kirche ist sein Leib. Der Heilige Geist ist die Seele und das Herz der Kirche. Das ist die grundlegende Einheit der Kirche: in Gott, in Christus, im Heiligen Geiste. Weil alle, die zur Kirche kommen, ein und denselben Vater haben, sind sie untereinander Brüder und Schwestern. Sie haben die Christusstruktur, sie sind christusförmig geworden in der Taufe und in der Firmung. Sie haben die heiligmachende Gnade, sie leben in der Freundschaft, in der Harmonie, in der Liebe Gottes. Das sind die grundlegenden, aber natürlich innerlichen und bis zu einem gewissen Grade verborgenen Einheitsfaktoren, von Gott her betrachtet.

Zu den personalen Einheitsfaktoren gehören aber auch die Haltungen, welche die Christen mitbringen müssen, um die Einheit zu verwirklichen. Es sind die drei göttlichen Tugenden Glaube, Hoffnung und Liebe. Daß der Glaube ein mächtiger und wirksamer Einheitsfaktor ist, ist leicht zu begreifen. Im Glauben übergibt sich der Mensch Gott. Und wenn sich alle Gott übergeben, dann sind sie eine Einheit als diejenigen, die sich Gott überantwortet haben. Also schon der subjektive Vollzug des Glaubens begründet eine Einheit zwischen denen, die eben den Glaubensakt leisten. Aber auch der Inhalt ihres Glaubens ist natürlich ein eminenter Einheitsfaktor. Es glauben ja alle dasselbe. Es glaubt nicht jeder etwas Eigenes, sondern alle bejahen denselben Glaubensinhalt, wie er in den Glaubensbekenntnissen der Kirche formuliert ist. Die Gläubigkeit und der Glaubensinhalt hängen aber beide ab von dem formalen Glaubensprinzip, und das ist die Offenbarung, wie sie die Kirche vorlegt. Die Verkündigung der Kirche, die lebendige Stimme der Kirche schafft in uns kraft der Gnade den Glauben. Wenn deswegen auch gewisse Elemente des katholischen Glaubens mit jenen anderer Religionsgemeinschaften identisch sein mögen, durch das Glaubensprinzip, durch das formale Glaubensprinzip, nämlich die Verkündigung der Kirche, unterscheidet sich der Glaube des Katholiken vom Glauben eines jeden anderen, der sich auf den Namen Christi beruft. Die Verkündigung der Kirche bringt uns die Offenbarung nahe, und nur durch die lebendige Stimme der Kirche begreifen wir, was Gott geoffenbart wissen will. Denn die Kirche ist die Hüterin der Heiligen Schrift. Der Heilige Geist hat die Schrift geschaffen, indem er die Autoren inspiriert hat. Aber der Heilige Geist läßt die Schrift nicht allein. Das Christentum ist keine Buchreligion, sondern das Christentum ist eine Religion des lebendigen Zeugnisses, und dieses lebendige Zeugnis kommt von der Kirche her. Sie schließt den Sinn der Schrift auf, sie erklärt uns die dunklen Stellen, sie beweist uns, daß es eine Einheit der Schrift gibt.

Wo die Stimme der Kirche nicht gehört wird, meine lieben Freunde, da wird die Einheit der Schrift aufgelöst. Im protestantischen Bereich gibt es nicht wenige Theologen, die sagen, die Schrift sei widersprüchlich. Was in der einen Schriftstelle ausgesagt wird, das werde in einer anderen widerlegt. Infolgedessen kann es keine Einheit des Glaubens geben, wenn in der Schrift Widersprüche zu finden sind. Es gibt, so sagt man z.B., Gemeinden, die hatten eine Eucharistiefeier, und es gibt andere, die hatten keine. Ja, was ist denn nun richtig? Wenn man so an die Schrift herangeht, wenn man die Schrift so auslegt, dann wird sie nicht zur Quelle der Einheit, sondern zum Prinzip der Trennung. Deswegen noch einmal: Es ist ganz entscheidend, daß wir die Kirche als formales Glaubensprinzip annehmen. Wir empfangen den Glauben aus der Hand der Kirche, aus der Hand ihres Lehramtes. Und darum ist die Kirche eins im Glauben.

Auch die Inhalte des Glaubens müssen natürlich bei allen dieselben sein. In den nichtkatholischen Religionsgemeinschaften hat man sich bemüht, fundamentale Artikel von nicht fundamentalen zu unterscheiden. Man sagt, es komme nur darauf an, daß man in den Fundamentalartikeln übereinstimmt. Diese Lösung, dieser Versuch zu einer Einheit im Glauben zu kommen, ist aus zwei Gründen zum Scheitern verurteilt. Einmal sind die nichtkatholischen Religionsgemeinschaften nicht einig, was zu den Fundamentalartikeln gehört. Jeder bestimmt die Fundamentalartikel anders. Infolgedessen erkennt der eine als Fundamentalartikel an, was für den anderen kein Fundamentalartikel ist. Zweitens, es besteht zwischen den nichtkatholischen Religionsgemeinschaften ein Gegensatz auch in grundwesentlichen Wahrheiten. Sie betreffen die Gottheit Christi genauso wie sein Erlösungswerk. Es ist also ausgeschlossen, auf dieser Basis, auf diesem schwankenden Boden eine Einheit gewinnen zu wollen.

Die Christgläubigen bilden weiter eine Einheit durch dieselbe Hoffnung. Wir sind ja Hoffnungsträger, meine lieben Freunde, denn wir hoffen auf die Verzeihung unserer Sünden, die ewige Seligkeit in der Freude des Himmels, die Auferstehung der Toten, die Wiederkunft Christi. Wir sind eine Hoffnungsgemeinschaft. Und in dieser Hoffnung pilgern wir der Ewigkeit entgegen. Uns bewegt dieselbe Hoffnung. Wir wären nicht in diesem Gotteshaus versammelt, wenn wir nicht von derselben Hoffnung getragen und erfüllt wären.

Die Christgläubigen sind sodann verbunden durch die Liebe. Die Liebe, die hier gemeint ist, ist die göttliche Liebe, die Liebe, die der Heilige Geist in den Seelen erweckt. Der Heilige Geist ist ja die Liebe zwischen Vater und Sohn, er ist der Ausdruck und das Band der innergöttlichen Liebe. Aber er ist auch derjenige, der die göttliche Liebe in uns erzeugt, also die Liebe zu Gott und zu himmlischen Dingen, die Liebe, die in jedem anderen den Bruder Christi und die Schwester Christi sieht. Diese Liebe hat eine kultische und eine ethische Dimension. Kultisch erfahren wir die Liebe vor allem in der Feier des heiligen Meßopfers. Hier schenkt uns ja der ewige Vater seinen Sohn. Hier setzt Christus sein Erlösungswerk gegenwärtig und übergibt sich uns im Zustand des Sich-Opferns. „Eine größere Liebe hat niemand als wer sein Leben hingibt für seine Brüder.“ Und eben dieses Ereignis wird hier auf den Altären der katholischen Messe wiederum lebendig. Das Kreuzesopfer erscheint in sakramentaler Gestalt unter uns. Das ist Ausdruck der höchsten, nämlich der sich opfernden Liebe. Und wir nehmen dieses Opfer an, wir gehen in dieses Opfer ein und schenken uns mit dem Opfer Gott zurück. Das ist Ausdruck unserer Liebe. Wir wollen, soweit es uns möglich ist, auf diesem Opferaltar unsere Leidenschaften schlachten, unsere Fehler und Verstrickungen ablegen, um rein und unbefleckt in das reine und unbefleckte, in das makellose Opfer unseres Heilandes einzugehen. Das ist unsere Liebe, unsere kultische Liebe.

Selbstverständlich muß sich die Liebe auch im ethischen Bereich entfalten. Diejenigen, die zusammen das Opfer darbringen, sollen auch im Alltag eine Liebesgemeinschaft sein. „Seht, wie sie einander lieben“, so hat man von den ersten Christen gesagt. So soll man auch von uns sagen. Wir sollen die Abneigungen, die Antipathien, die unvermeidlich in uns hochkommen, überwinden. Wir sollen wenigstens das Minimum der Feindesliebe in uns tragen, nämlich dem Feind zu helfen, wenn er es nötig hat. Diese Liebe soll das Kennzeichen der zu Christus Gehörigen sein. Damit tragen wir wirksam zur Einheit der Kirche bei.

Das waren die pneumatisch-personalen Einheitsfaktoren. Aber es gibt auch hierarchisch-amtliche Einheitsfaktoren. Es ist nicht schwer zu verstehen, was damit gemeint ist. An der Spitze der Kirche steht der Papst. Und immer wieder muß man die Weisheit Gottes und die Fügungen seiner Vorsehung bewundern, daß er die Kirche nicht auf eine Vielheit von Menschen gebaut hat, sondern auf den Felsen des Papsttums. Es muß letztlich einer und nur einer entscheiden. Denn wenn man die Einheit auf die Bischöfe bauen wollte, dann würde man die Erfahrung machen, daß sich die Bischöfe sehr oft uneinig sind. Altar hat schon oft gegen Altar gestanden, Bischofsstuhl gegen Bischofsstuhl. Deswegen muß ein singuläres Einheitsprinzip da sein, das die ganze Kirche zusammenfaßt, und das ist der Papst. Er ist der Hüter, der Bürge, das Prinzip und der Grund der Einheit. In ihm erscheint das Haupt, das Christus ist. Christus hat, daran ist kein Zweifel, die Hauptesfunktion in der Kirche. Er ist das caput principale, das ursprüngliche und das hauptsächliche Haupt. Aber es gibt auch ein caput secundarium, ein zweitrangiges Haupt, und das ist der Papst. In diesem zweitrangigen Haupt kommt das erstrangige Haupt, Christus, zur Erscheinung. Der Papst ist gewissermaßen der in der Gesamtkirche erscheinende Christus, mit all den Einschränkungen, die von einer menschlichen Person gemacht werden müssen. In ihren Teilgemeinschaften sind selbstverständlich auch die Bischöfe Einheitsprinzip. Sie sind Grund, Bürge und Hüter der Einheit in ihren Diözesen. Sie haben die Aufgabe, das eine Evangelium überall getreu ausrichten zu lassen. Sie erzeugen das übernatürliche Leben, indem sie Weihen spenden und damit diejenigen Männer schaffen, die wiederum das göttliche Leben in ihren Gemeinden entzünden. Die Bischöfe sind Einheitsprinzip in ihrer Teilkirche.

Aber damit noch nicht genug. Auch in der Ortsgemeinde gibt es ein solches Einheitsprinzip. Das ist der Pfarrer. Der Pfarrer ist das Prinzip der Einheit in seiner örtlichen Gemeinde. Er ist der Vater, weil er das übernatürliche Leben in den ihm Anvertrauten hervorbringt in der Taufe, in der Firmung oder es erneuert im Bußsakrament, in der Krankensalbung. Er ist auch der Verkünder des Wortes. Es gibt ja einen doppelten Tisch in unserer Kirche, den Tisch des Wortes und den Tisch der Eucharistie. Beides ist dem Pfarrer überantwortet, damit er das übernatürliche Leben hervorbringe, nähre und erneuere in den Menschen. Damit, daß man sich einfügt in die Pfarrei, ist man wiederum eingegliedert in die größere Einheit der Diözese und über diese in die Einheit der Gesamtkirche.

Zwei Gruppen von Einheitsfaktoren haben wir bedacht, meine lieben Freunde, pneumatisch-personale und hierarchisch-amtliche. Sie stehen nicht unverbunden nebeneinander, sondern sie gehören zusammen. Die Hierarchie, der Papst, der Bischof, die Priester haben das übernatürliche geistliche Leben hervorzubringen, es vor Verlust und Verderb zu bewahren. Aber ihr Tun bliebe ein Leerlauf, wenn sie nicht göttliche Kräfte zu verwalten hätten, wenn ihnen nicht göttliche Gaben anvertraut wären.

Das ist also die Einheit, die Einigkeit und die Einheitlichkeit der Kirche. Sie ist der Trost und das Glück des katholischen Christen. Meine lieben Freunde, im 16. Jahrhundert war schon einmal ein großer Teil von Japan dem Christentum gewonnen. Doch dann kamen grausame Verfolgungen, und in diesen haben die meisten Christen ihren Glauben verloren. Aber nicht alle. Als sich im vorigen Jahrhundert Japan öffnete, kamen wieder Missionare ins Land. In einer ganz entlegenen Gegend, wo man keine Christen vermutete, stellten sich eines Abends bei dem Missionar mehrere Männer ein. Einer zog aus seinem Rock ein halbzerbrochenes Kreuz hervor und fragte den Missionar: „Kennst du den?“ „Ja“, sagte der Missionar, „das ist unser Heiland Jesus Christus, der für uns am Kreuz gestorben ist.“ Da sahen sich die Männer bedeutungsvoll an. Ein anderer zog ein vergilbtes Marienbild aus der Tasche und fragte wiederum den Missionar: „Kennst du diese Frau?“ „Das ist die gebenedeite Mutter unseres Erlösers.“ Und er führte das Bild zu seinem Munde und küßte es. Da ging ein Leuchten über das Gesicht der Männer und schließlich sagte der Anführer: „In einer fernen Stadt wohnt ein Bischof, dem der ganze Erdkreis gehorchen muß, weil er der Nachfolger des Petrus ist. Weißt du von dem?“ „Ja, das ist unser Heiliger Vater in Rom, der mich zu euch gesandt hat, um das Evangelium zu verkünden und euch die Erlösungskräfte zu vermitteln.“ Da stürzten die Tränen aus den Augen dieser Männer. Sie umarmten den Missionar und sagten: „Wir haben einen Glauben und ein Herz!“

Amen.

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