Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Juni 1995

Das Amtsverständnis in der Kirche

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Seit seiner Himmelfahrt ist Christus unsichtbar. Solange er auf Erden weilte, konnte er die Menschen um sich sammeln, und sie vermochten ihn zu finden. Wir wissen, wie sie ihm zuströmten, wie sie ihm „nachjagten“, so heißt es einmal im Evangelium, um ihn zu hören und von ihm geheilt zu werden. Seit seiner Auffahrt in die Herrlichkeit des Vaters ist er nicht mehr sichtbar unter uns. Aber er wollte, daß die Menschen ihn auch weiterhin finden. So hat er seinen Leib, die Kirche, zu einer sichtbaren Körperschaft und Anstalt gemacht. Er hat seine Kirche so ausgestattet, daß sie bestimmte Merkmale hat, an denen man sie erkennen kann als seine Stiftung. Die Kirche ist eine sichtbare Größe, mit Attributen versehen, die den Menschen die Möglichkeit geben, sie als die von Christus gewollte Heilsgemeinschaft und Heilsanstalt zu finden.

Ein ganz wichtiges Element der Sichtbarkeit ist das Amt und die mit dem Amt verbundene hoheitliche Gewalt. Ämter gibt es auch in anderen religiösen Gemeinschaften, die nicht die Kirche Christi sind. Aber es sind keine Ämter, die von Christus gestiftet sind. Es sind keine Ämter, die mit hoheitlicher Gewalt ausgestattet sind. Es sind keine Ämter, denen man um des Heiles willen Gehorsam leisten muß. Der Protestantismus hat auch seine Ämter, aber es sind eben Ämter, wie sie in einer Gesellschaft, meinetwegen in einer Aktiengesellschaft oder in einem Verein, etwa in einem Sportverein, bestehen. Auch sie müssen einen Vorstand haben, eine Mitgliederversammlung, damit eine gewisse Ordnung gewahrt wird. Aber das ist nicht die Sichtbarkeit, die Christus seiner Kirche gegeben hat. Diese ist eine Sichtbarkeit in dem gottgestifteten Amte, das mit einer gottgestifteten Vollmacht ausgestattet ist und der man um Gottes willen Gehorsam leisten muß. – Wir wollen dieses Amt heute unter einem dreifachen Gesichtspunkt betrachten, nämlich

1. als Amt und Stellvertretung,

2. als Amt und Dienst,

3. als Amt und Geist.

Das erste, was wir vom Amte aussagen wollen, ist: Es ist eine Repräsentation. Was heißt repräsentieren? Repräsentieren heißt ein unsichtbares Sein sichtbar machen. Wenn der Bundespräsident in ein fremdes Land fährt, dann macht er in seiner Person Deutschland in diesem fremden Land sichtbar, denn er ist sein Repräsentant, er ist sein Stellvertreter. Ähnlich ist es auch mit dem Amt in der Kirche. Die Amtsträger sind Repräsentanten Christi. Sie machen den seit seiner Himmelfahrt unsichtbaren Christus sichtbar. Sie sind sein Mund, und sie sind seine Hand. Die Repräsentanten sind Stellvertreter Christi; sie haben in seinem Auftrag das Wort zu verkünden und die Heilszeichen zu setzen. Nicht jeder an ihn Glaubende ist dazu befähigt, sondern unter den Anhängern Jesu gibt es Amtsträger und Nicht-Amtsträger; es gibt den Unterschied zwischen Geweihten und Nicht-Geweihten, zwischen Priestern und Laien. Und dieser Unterschied ist der Kirche wesentlich. In anderen Religionsgemeinschaften, wie im Protestantismus, gibt es den Unterschied nicht. Diejenigen, die dort als Amtsträger bezeichnet werden, sind dem Sein nach genau solche Laien wie die anderen, die keine Amtsträger sind. In der katholischen Kirche ist dieser Unterschied grundlegend, weil er im Sein besteht. Die Amtsträger sind in ihrem Sein bei der Weihe, die sie empfingen, umgestaltet worden. Und deswegen sind sie wahre Repräsentanten Christi. Sie sind mit hoheitlicher Gewalt ausgestattet, und an dieser hoheitlichen Gewalt kann man die Kirche Christi erkennen. Daß es eine religiöse Gemeinschaft gibt, deren Amtsträger mit einer gottgestifteten Hoheitsgewalt versehen sind, das ist das Kennzeichen der wahren Kirche Christi.

Die Amtsträger in der Kirche sind nicht von den anderen Gläubigen isoliert, sondern sie sind mit ihnen verbunden. Aber sie haben einen Auftrag ihnen gegenüber, der sie heraushebt und der sie in Pflicht nimmt. Sie müssen diesen Auftrag erfüllen, wenn sie dem Rufe Christi getreu bleiben wollen.

Amt und Stellvertretung ist das erste, was wir aussagen wollen. Zweitens: Amt und Dienst. Die Hoheitsgewalt ist den Amtsträgern nicht zu ihrem eigenen Nutzen um der Macht willen gegeben. Sie haben die Hoheitsgewalt empfangen, um einen Dienst zu leisten. Sie haben einen Dienst am Heil zu leisten, denn sie haben diejenigen, die ihnen anvertraut sind, zum Heil zu führen, sie haben ihnen das Christusleben einzugestalten, sie haben für die Ordnung in der Kirche Sorge zu tragen. Je höher ein Amtsträger steht, um so intensiver ist er in Pflicht genommen. Der höchste Amtsträger der Kirche ist der Papst. Er nennt sich servus servorum dei – Diener der Diener Christi. Das ist so gemeint: Es gibt viele Diener Christi in der Kirche, aber der oberste Diener, der erste Diener, ist der Papst. Diener der Diener Christi ist die Bezeichnung des obersten Amtsträgers in der Kirche.

Die Dienste, welche die Amtsträger den Gläubigen leisten, schränken diese in gewisser Weise ein. Aber die Einschränkung dient der wahren Freiheit. Die Gläubigen werden eingeschränkt, damit sie aus der Enge und Dürftigkeit ihres natürlichen Wesens herauskommen und zum übernatürlichen Leben finden. Es soll ihnen durch den Dienst der Amtsträger der Vollzug der wahren Freiheit gewährleistet werden. Um ein Beispiel zu erwähnen: das Sonntagsgebot. Ohne das Sonntagsgebot, welches die Amtsträger der Kirche erlassen haben, wüßten wir nicht, wie oft und wie regelmäßig wir am Meßopfer teilnehmen müssen. Wir würden uns vermutlich der Trägheit überlassen, wie es ja bei anderen Religionsgemeinschaften zu beobachten ist. Wir würden etwa meinen, es genüge, wenn wir alle vier Wochen einmal den Gottesdienst besuchen. Nein, die von Gott bestellten Amtsträger leisten uns den unverzichtbaren Dienst, daß wir wissen: Wir müssen an jedem Sonntag und an jedem gebotenen Feiertag dem heiligen Meßopfer beiwohnen, wenn wir in einer lebendigen Verbindung mit Christus bleiben wollen.

Amtsträger und Gläubige sind nicht getrennt; sie bilden zusammen die Kirche. Man kann nicht sagen, die katholische Kirche ist eine (bloße) Bischofskirche oder eine (reine) Papstkirche, sondern die katholische Kirche ist die Einheit von Amtsträgern und solchen, die ihnen anvertraut sind. Die Amtsträger haben einen Dienst zu leisten, aber es ist ein Dienst in Vollmacht. Es ist ein Dienst, der ihnen von Christus überkommen ist und der die Menschen zum Heile führen soll.

Amt und Dienst war der zweite Punkt, den wir betrachten wollten. Und der dritte: Amt und Geist. Es sind im Laufe der Kirchengeschichte immer wieder Leute aufgestanden, welche die Geistkirche gegen die Amtskirche, die Liebeskirche gegen die Rechtskirche ausspielen wollten. Kein anderer als Pius XII. hat solche Versuche in seiner Enzyklika „Mystici Corporis“ entschieden zurückgewiesen. Sie sind absurd, denn wir werden gleich sehen, daß Amt und Geist, Liebe und Recht keine Gegensätze sind, sondern komplementäre Wirklichkeiten, also Wirklichkeiten, die sich ergänzen. Der Geist ist nämlich im Amt anwesend. Das Amt ist der Ort des Geistes. Im Amt verbinden sich Institution und Geist. Ja, das Amt wird überhaupt erst begründet durch den Geist. Indem nämlich Amtsträger in der heiligen Weihe mit dem Geiste beschenkt werden, treten sie ein in das Amt und dessen Befugnis. Der Geist schafft also gewissermaßen das Amt. Natürlich hat sich der Geist nicht exklusiv an das Amt gebunden, er wirkt auch außerhalb des Amtes, Gott sei es gedankt! Aber im Amte haben wir die Gewißheit, daß der Geist wirksam ist, und zwar in Vollmacht. Wenn der Amtsträger im Heiligen Geiste seines Amtes waltet, wenn er sich willig dem Wirken des Geistes ausliefert, dann ist in seiner Verkündigung, dann ist in seinem Gottesdienst, dann ist in seiner Sakramentenspendung der Geist anwesend mit völliger und tadelfreier Sicherheit.

Der Geist, der im Amte wirksam ist, stellt Anforderungen an den Amtsträger. Er muß ein williges Werkzeug des Geistes werden. Das ist vielleicht das flehentlichste Gebet, das ein jeder Priester täglich zu Gott richten muß, nämlich ein taugliches, ein brauchbares Werkzeug für das Wirken des Geistes zu sein. Das Persönliche tritt hinter dem Geistwirken zurück. In der katholischen Kirche kommt es beim Amt nicht zuerst auf geniale Persönlichkeiten und persönliche Vorzüge an. In der katholischen Kirche ist für den Nutzen des Amtes die Ergebenheit des Amtsträgers gegenüber dem Heiligen Geist entscheidend. Er muß sich mit seinem Herzen und mit seinem Verstand willig dem Geiste ausliefern. Es gibt hier Minima und Maxima. Das Minimum besteht darin, daß er in seinem Predigen, in seinem Regieren, in seinem Gottesdienst das tut, was die Kirche tun will, daß er also die Heilszeichen setzt, die die Kirche als die ihren anerkennt, daß er die Minimalintention mit sich bringt, nämlich denen den Geist zu vermitteln, die seiner bedürftig sind. Das Maximum besteht darin, daß er mit verzehrender Liebe seinen Beruf ausfüllt, daß er nichts anderes kennt, als ein brauchbares, taugliches, nützliches Werkzeug seines Gottes und Herrn zu werden. Derjenige Amtsträger, der Mißbrauch treibt mit seinem Amte, verspielt sein persönliches Heil. Wenn es heute Amtsträger gibt, die dürftige private Meinungen an die Stelle der amtlichen Lehre setzen, die Gottesdienste verunstalten, indem sie Gags einbauen und sich betragen, als ob man sich in einer Disco befände, dann gefährden sie ihr Heil. Sie gefährden aber auch das Heil der ihnen Anvertrauten, weil sie nämlich die Kirche zu ihrem Teil der Sichtbarkeit berauben. In solchen Gottesdiensten und in solchen Predigten ist die Kirche nicht mehr erkennbar. Sie ist dann irgendeine religiöse Gemeinschaft, aber sie ist nicht mehr der Leib Christi, die wahre, von Christus gestiftete Heilsanstalt.

Der Gehorsam, den wir den Amtsträgern leisten, ist wiederum nur im Heiligen Geiste möglich. Er gilt ja nicht eigentlich Menschen, er gilt eigentlich Gott. Denn wir dürfen den Amtsträgern nur gehorchen, wenn sie gerecht gebieten, wenn sie sich den Weisungen Christi einfügen, wenn sie das Volk wahrhaft zum Heile führen. Da, wo die Amtsträger Unrecht tun, da, wo sie versagen und ihrer heiligen Aufgabe untreu werden, dürfen wir ihnen nicht gehorchen, da müssen wir uns auflehnen um Christi willen.

Der Heilige Geist geht in das Wirken der Amtsträger ein, aber er lebt auch in denen, die den Amtsträgern anvertraut sind. Die Amtsträger haben eine Aufgabe für die Gläubigen, aber die Gläubigen haben auch eine Aufgabe für die Amtsträger. Die Gläubigen haben, wenn immer die Amtsträger gerecht gebieten, die Pflicht zum Gehorsam. Auch der Amtsträger muß ja gehorsam sein. Er gehorcht seinem Herrn, er gehorcht den Weisungen der höheren Oberen, er hört auf das Evangelium, ja, er ist für sein persönliches Heil auf das Wirken anderer Amtsträger angewiesen. Wir Priester müssen unsere Sünden einem anderen Priester bekennen; und wenn es mit uns zum Sterben kommt, dann empfangen wir aus der Hand eines anderen Priesters die Letzte Ölung. Auch wir sind heilsbedürftig und Heilsempfänger und können nur hoffen, daß wir gültige und getreu dem Willen des Herrn gespendete Sakrament empfangen. Also Gehorsam auf der ganzen Linie, sowohl von Gläubigen als auch von Amtsträgern.

Die Gläubigen dienen den Amtsträgern auch mit ihrer Heiligkeit. Es gibt kein größeres Glück für einen Priester, als unter seinen Gläubigen Heilige zu treffen. Sie sind ein Ansporn für ihn, sie sind eine Beschämung für ihn. Sie sind auch freilich ein Lohn für sein Wirken, und deswegen ist er so glücklich, wenn er unter seinen ihm Anvertrauten Menschen findet, die zur Heiligkeit streben und die ein heiligmäßiges Leben führen. Die Gläubigen sollen auch den Amtsträgern ihre Dankbarkeit bezeigen, indem sie für sie beten. Wir Amtsträger beten jeden Tag für die Gläubigen. Wir beten viel, wir beten stundenlang jeden Tag. Die Gläubigen sollten ihrerseits zu ihrem Teil eine gewisse Menge von Gebeten für die Amtsträger verrichten, die dessen dringend bedürftig sind. Auch ein Wort der Anerkennung für einen, der es verdient, kann nicht schaden. Der Mensch ist nun einmal so, daß er auch der Anerkennung der Menschen bedürftig ist und daß er mehr Mut und Trost und Kraft findet, wenn ihm einmal aus ehrlichem Herzen und bei verdienter Leistung ein Wort der Anerkennung gesagt wird.

Aber es gibt noch eine weitere und letzte Pflicht, welche die Gläubigen gegenüber den Amtsträgern haben. Sie müssen nämlich deren Tun und Reden am Amte, an den Amtsbefugnissen, an den Amtsaufgaben messen. Wir haben einen Maßstab, meine lieben Freunde, an dem wir Tun und Unterlassen der Amtsträger messen können. Diesen Maßstab hat uns die Kirche selbst gegeben. Wir sind nicht überheblich, wir überschreiten nicht unsere Grenzen, wenn wir diesen Maßstab anlegen. Wir tun unsere Pflicht! Wir haben die Pflicht, diesen Maßstab anzulegen, und leisten damit den Amtsträgern einen Dienst. Wir nehmen meinetwegen das Direktorium für die Bischöfe her, das vom Heiligen Vater erlassen ist, und lesen auf den vielen Seiten, die es umfaßt, welches die Pflichten der Bischöfe sind. Wenn wir feststellen, daß ein Bischof mit Sicherheit ihnen nicht nachkommt, dann sind wir gehalten, ihn darauf aufmerksam zu machen. Dann sollen wir ihm schreiben oder zu ihm gehen, um ihm zu sagen: Bischof, wir haben Achtung vor deinem Amt, aber wir bitten dich auch, es auszufüllen. Wir haben also die Pflicht zu mahnen, zu warnen, zu rügen und zu tadeln. Jawohl, auch das ist ein Dienst, den wir den Amtsträgern schulden.

Wir wissen, meine lieben Freunde, daß heute viele Amtsträger versagen. Die Kirche ist in einer Krise, wie sie meines Wissens seit dem 16. Jahrhundert nicht mehr vorgekommen ist. Aber in dieser Krise darf unsere Treue zur Kirche nicht wanken, müssen wir an unserer Stelle alles tun, um die Sichtbarkeit der Kirche zu erhalten als eine Anstalt und Körperschaft, die sichtbar ist im Glauben, im Bekenntnis des Glaubens, die sichtbar ist im Gottesdienst, in der Spendung der Sakramente, die sichtbar ist auch im Amte, in den Amtsträgern, die mit hoheitlicher Gewalt das Volk Gottes zu weiden und zum Heile zu führen haben.

Amen.

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