Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
11. November 2012

Zwei Naturen in Christus, unvermischt und unverwandelt

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Sie haben wohl alle in der Zeitung gelesen oder im Rundfunk gehört, dass die Kopten, die christlichen Kopten, in Ägypten, einen neuen Patriarchen gewählt haben. Aus einem Dreiervorschlag hat ein Knabe, dem man die Augen verbunden hatte, einen Zettel herauszogen, und der Name, der auf dem Zettel stand, war der des neuen Patriarchen. Die Kopten in Ägypten, etwa 8 Millionen, sind die größte christliche Religionsgemeinschaft im Nahen Osten. Aber sie sind nicht in der katholischen Kirche. Sie haben eine Sonderexistenz, sie sind Schismatiker und sie sind auch Häretiker. Ich werde Ihnen am heutigen Sonntag erklären, wie es zu dieser Entwicklung kam.

Die Nestorianer, von denen wir am vergangenen Sonntag gesprochen haben, die Nestorianer nahmen in Christus zwei Personen an, ein unmögliches Vorgehen. Sie wurden auf der Synode von Ephesus im Jahre 431 eines Besseren belehrt und aus der Kirche ausgeschlossen. Gegen die Nestorianer erhoben sich die Alexandriner, also die christlichen Bewohner von Alexandrien in Ägypten. Sie vermischten die beiden Naturen in Jesus. Sie betonten das Göttliche so sehr, dass sie eine Verwandlung der menschlichen Natur in die göttliche annehmen. Christus, sagten sie, ist zwar aus zwei Naturen, aber nicht in zwei Naturen. Nach der Menschwerdung könne nur noch von einer Natur die Rede sein. Der Leib Christi ist also nicht dem unseren wesensgleich, er ist vergottet. Diese Lehre, Monophysitismus genannt, Ein-Naturen-Lehre, diese Lehre wurde vor allem von dem Archimandriten Eutyches in Konstantinopel vertreten. Eutyches war ein alter Mann, ein frommer Mann, aber ein unbelehrbarer Mann. Und deswegen wurde er im Jahre 448 vom Patriarchen in Konstantinopel aus der Kirche ausgeschlossen. Aber das war erst der Anfang, das war nur das Vorspiel zu großen Kämpfen. Er beklagte sich über das Unrecht und es gelang ihm, den Kaiserhof für sich zu gewinnen. Es wurde eine neue Synode einberufen und auf dieser Synode wurde Eutyches als rechtgläubig erklärt und die Vertreter der Zwei-Naturen-Lehren wurden als häretisch bezeichnet. Also gerade das Gegenteil von der kirchlichen Lehre. Der Papst, es war damals der große Leo I, hatte einen einleuchtenden und durchschlagenden Brief an die Synode geschrieben. Aber er kam gar nicht zur Verlesung. Die Synode ist einfach über das Wort des Römischen Bischofs hinweggegangen, als ob es nicht existierte. Die Synode hat sich mit Gewalt durchgesetzt. Militärischer Druck und der Einsatz von fanatischen Mönchen waren wirksam, und so wurde auf dieser "Räuber-Synode", wie man sie nannte, so wurde auf dieser Räubersynode die kirchliche Lehre verworfen und die nichtkirchliche anerkannt. Die rechtgläubigen Katholiken haben sich mit dieser Entscheidung nicht zufrieden gegeben. Inzwischen war ein anderer Kaiser an die Regierung gekommen. Auf Theodosius folgte der Kaiser Marzian, und er berief eine neue Synode ein, also eine dritte, und zwar nach Chalcedon. Chalcedon liegt gegenüber von Istanbul. Diese Synode war mit 600 Bischöfen beschickt. Im Jahre 451 wurde dort die kirchliche Lehre zum Siege geführt. Die "Epistola dogmatica“, also der Glaubensbrief des Heiligen Vaters Leo, wurde verlesen und fand begeisterte Zustimmung. "Christus hat durch Leo gesprochen.“ So wurde auf dieser Synode die christliche, die katholische, die einzig richtige Lehre zum Siege geführt. Es wurde ein neues Glaubensbekenntnis aufgestellt, in Anlehnung an den Brief Leos, und da heißt es: "Wir lehren und bekennen einen und denselben Christus in zwei Naturen. Unvermischt und unverwandelt, ungetrennt und ungesondert. Durch die Einigung verlieren die beiden Naturen nicht ihre Eigentümlichkeit. Beide Naturen sind in einer Person vereinigt." Jetzt standen sich also monophysitische Lehre und katholische Lehre gegenüber. Die Monophysiten nahmen zwar auch, und das war richtig, in Christus nur eine Person an, aber auch nur eine einzige Natur. Christus sei zwar aus zwei Naturen, aber nicht in zwei Naturen. Die Art und Weise, wie sich Gottheit und Menschheit zu einer einzigen Natur vereinigen, wurde verschieden erklärt. Die einen nahmen eine Verwandlung der menschlichen Natur in die göttliche Natur oder eine Aufsaugung der menschlichen Natur in die göttliche an. Die anderen lehrten eine Verschmelzung oder Vermischung der beiden Naturen zu einer neuen dritten Natur. Eine weitere Partei vertrat eine Zusammensetzung der beiden Naturen, so wie sich Leib und Seele im Menschen vereinigen. Das Konzil von Chalcedon hat die kirchliche, die richtige Lehre folgendermaßen zusammengefaßt: "Christus ist gemäß dem Konzil von Nicäa gleichwesentlich dem Vater." Das war unumstritten. Aber er ist auch uns gleichwesentlich. Er ist auch uns, den Menschen, gleichwesentlich, weil vollkommen in der Gottheit und vollkommen in der Menschheit. Ein und derselbe Herr ist in zwei Naturen. Ohne Wandlung, ohne Mischung, ohne Teilung, ohne Trennung. Durch die Vereinigung der beiden Naturen ist der Unterschied zwischen den Naturen nicht aufgehoben, sondern das Eigentümliche einer jeden Natur, also der menschlichen wie der göttlichen, bleibt bestehen. Sie sind nur in einer Person verbunden. Es gibt nicht einen in zwei Personen geteilten, sondern nur einen einzigen eingeborenen Sohn, den göttlichen LOGOS, den Herrn Jesus Christus.

Die Unhaltbarkeit der Position der Monophysiten wurde schon früh von den Kirchenvätern dargetan. Sie wiesen auf die innere Unmöglichkeit der monophysitischen Lehre hin. Warum unmöglich? Sie widerspricht der absoluten Unveränderlichkeit und unendlichen Vollkommenheit Gottes. Eine Verbindung in der Natur, also gedacht als Vermischung der Naturen, eine Verbindung in der Natur bringt aber eine Veränderung in Gott hinein. Das ist unmöglich, denn Gott ist unveränderlich. Gott kann weder durch Wandlung noch durch Vermischung noch durch Zusammensetzung mit einem Geschöpf zur Einheit der Natur sich zusammenschließen. Dem widerstrebt seine Unveränderlichkeit und absolute Einfachheit. Nach dem Zeugnis der Heiligen Schrift ist Christus wahrer Gott und wahrer Mensch, das heißt Inhaber der unversehrten göttlichen Natur und Inhaber einer unversehrten menschlichen Natur. So schreibt Johannes zu Beginn seines Evangeliums: "Und das Wort", der LOGOS, die zweite Person in Gott, "und das Wort ist Fleisch geworden", das heißt, ist Mensch geworden, "und hat unter uns gewohnt. Und wir haben seine Herrlichkeit gesehen, die Herrlichkeit des Eingeborenen vom Vater, voll der Gnade und Wahrheit." Der göttliche LOGOS hat sich das Fleisch, das heißt eine unversehrte Menschennatur, angeeignet.

Sie fragen mich vielleicht, sind denn diese Unterschiede so wesentlich? Muß man sich deswegen streiten? Muß man sich deswegen gegenseitig ausschließen? Ja, wegen der großen Konsequenzen, die die falsche Lehre hat! Ich will Ihnen diese Konsequenzen vorführen.

Erstens: Die Monophysiten lassen das Menschliche in Christus vom Göttlichen verschlungen sein, so daß es in ihm nur eine einzige Natur gibt: die göttliche. Dieser Irrtum ist ein Kind der hellenistischen Verachtung des Leibes und übersteigerter Geistigkeit. Seine philosophische Heimat ist der Platonismus. Die Platoniker sprachen das eigentliche Sein den Ideen zu, während die Einzeldinge nur ein Schattendasein haben. Diese Vorstellung wandten die Monophysiten auf die zwei Naturen in Christus an. Sie dachten sich die Auflösung der menschlichen Natur in die göttliche als eine Konversion, eine Umwandlung, oder eine Komposition, eine Zusammensetzung. Diese Ansicht führt mit der Aufhebung der wahren Menschheit Christi zur Zerstörung des Erlösungswerkes. Denn Christus hat uns erlöst in seinem menschlichen Leibe, durch sein Leben, Leiden und Sterben hat er uns erlöst. Wer die menschliche Natur Christi abbaut, der zerstört das Erlösungswerk.  

Zweitens: Nicht der Aufstieg des Menschen zu Gott, sondern das Herabsteigen Gottes zu den Menschen ist das Entscheidende in Christus. "Und das Wort ist Fleisch geworden!" Nicht in der Gottwerdung des Menschen, sondern in der Menschwerdung Gottes liegt das Wesentliche in Christus. Dagegen verfehlten sich die Monophysiten. Sie leugneten die Wesensgleichheit Christi mit uns Menschen. "Er ist ein Mensch geworden, im Äußeren erfunden wie ein Mensch", schreibt Paulus im Philipperbrief.

Drittens: Wenn die menschliche Natur Christi nicht mehr ernst genommen wird, oder im gläubigen Bewußtsein zugunsten der Gottheit zurückgedrängt wird, dann entfällt die Voraussetzung für sein Mittlertum. Der Sohn Gottes ist Mittler geworden durch die Menschwerdung. Da wurde er die Mitte zwischen Gott und den Menschen. In der menschlichen Natur ist er Hoherpriester, der für uns opfert, der Weg, auf dem wir zum Vater gelangen. Durch ihn, den Menschgewordenen, haben wir Friede und Versöhnung mit Gott. Der Ort des christlichen Interesses in dieser Weltzeit ist nicht der präexistente LOGOS für sich allein, sondern dieser Mensch Jesus ist durch seine Wesensverbundenheit mit der Gottheit und in der Kraft dieser Wesensverbundenheit durch sein Leben, Leiden und Sterben unser Mittler geworden bei Gott. Deswegen beten wir in der Heiligen Messe so oft: "Durch unsern Herrn Jesus Christus." Damit ist die Mittlerschaft Jesu angesprochen. Durch sie nämlich er trägt unsere Gebete, unser Opfer zu Gott.

Viertens: In der Frömmigkeit wirkt sich der monophysitische Irrtum so aus, dass nicht mehr durch den menschgewordenen Sohn zum Vater gebetet wird, sondern dass, was freilich auch möglich ist, vor allem er selbst angebetet wird. Wir beten, wie ich es schon gesagt, in der Heiligen Messe durch Christus zum Vater. Wer aber die menschliche Natur Jesu geringschätzt oder verschwinden lässt, der betet nur noch zu Christus. Da ist Jesus nicht mehr der Repräsentant der Menschen, nicht mehr der Anwalt der Menschen, nicht mehr der Erstgeborene unter den Brüdern, sondern er strahlt dann nur noch im unnahbaren Licht der Gottheit. Er ist in Unendlichkeiten von den Menschen entfernt. Und als solch Erhabener erbringt er das Opfer des Altares.

Fünftens: Wenn der Glaube an Jesu heiligste Menschheit zurücktritt, dann schafft man sich Ersatz. Wodurch? Durch die Heiligen. Als der Glaube an Jesu heilige Menschheit zurücktrat, nahm die Verehrung der Heiligen zu, teilweise unangemessen zu. Die Heiligen lösten sich gewissermaßen vom Mittlertum Christi los und verselbständigten sich. Mit der Schwächung des lebendigen Glaubens an die heiligste Menschheit Christi war der Raum zwischen Gott und den Menschen gewissermaßen leer geworden. Und er wurde ausgefüllt und aufgefüllt mit den Heiligen. Deswegen in den Liturgien der von uns getrennten Christen das Übermaß der Anrufung der Heiligen.

Gegen diesen fünffachen Irrtum hat das Konzil von Chalcedon gelehrt: „Ein und derselbe Christus, der Sohn, der Herr, der Eingeborene, ist in zwei Naturen unvermischt und unverwandelt.“ Das ist gegen den Monophysitismus gesagt: „Unvermischt und unverwandelt!“  „Ungeteilt und ungetrennt“, das ist gegen den Nestorianismus gesagt. Der Unterschied der Naturen wurde infolge der Einigung niemals aufgehoben, sondern die Eigentümlichkeit beider Naturen blieb erhalten.

Es wurden in der folgenden Zeit große Anstrengungen unternommen, um die Monophysiten zu bekehren, aber es gelang nicht. Ganze Länder, ganze Nationalkirchen blieben beim Monophysitismus: Armenien, Syrien, Mesopotamien, Ägypten, Abessinien. Alle diese Nationalkirchen hängen noch heute dem Monophysitismus an. Leider ist auf eine Einigung mit der heiligen katholischen Kirche nicht zu hoffen. Wir haben keine Animositäten gegen die getrennten Christen. Wir lieben die Kopten und wir helfen ihnen, soweit es uns möglich ist. Aber die Kopten haben eine Animosität gegen die katholische Kirche. Der verstorbene Patriarch von Ägypten, Schenuda III., der jetzt ersetzt worden ist, dieser verstorbene Patriarch hat seine Kopten gelehrt: „Wenn Sie schon einen Nicht-Kopten  heiraten, dann lieber einen Mohammedaner als einen Katholiken.“ Da können  Sie die ganze Feindseligkeit sehen. Sie sollen lieber einen Mohammedaner heiraten als einen katholischen Christen.

Der monophysitische Streit zeigt, wie notwendig, ja unentbehrlich die Entfaltung des Primats des Römischen Bischofs war. Wären schon damals die beiden Dogmen vom Universalepiskopat und von der Unfehlbarkeit des Römischen  Bischofs bekannt gewesen, hätten sich die Entfernung ganzer Landeskirchen von der gesunden Lehre und die Trennung von der katholischen Einheit entweder nicht entwickelt oder nicht behaupten können. So aber bildeten und bilden die häretischen Nationalkirchen bis heute von der katholischen Kirche getrennte Gemeinschaften. Wenn es, meine lieben Freunde, kein letztes unfehlbares und unverbrüchliches Wort in der Kirche gibt,  sind Spaltungen und Trennungen unvermeidlich und unaufhebbar. Die Rechthaberei, die Besserwisserei, der gekränkte Stolz, die mangelnde Demut verhindern, dass sich die Menschen zusammenfinden in der Wahrheit. Wie dankbar dürften wir sein, dass das Erste Vatikanische Konzil die beiden Dogmen vom Universalepiskopat und von der Unfehlbarkeit des Papstes definiert hat.

Mögen noch so viele Falschlehrer auftreten, mögen sie eine noch so zahlreiche Anhängerschaft finden: Wir wissen und wir bekennen, dass wir dank der Verbindung mit dem Römischen Bischof in der Wahrheit und in der Einheit der einen heiligen katholischen Kirche sind. In dieser Kirche erfüllt sich das Wort, das Christus zu Petrus gesprochen hat: "Der Satan hat verlangt euch zu sieben, wie man den Weizen siebt. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht wanke. Wenn du einst bekehrt bist, stärke deine Brüder!" Dieses Wort hat Petrus internalisiert. Seit zweitausend Jahren stärkt er seine Brüder. Und zu ihm und dem von ihm bekannten Glauben wollen wir uns halten, bis zum Ende unseres Lebens.

Amen.

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