24. Dezember 2000
Über Christus als den Sieger über die Welt
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Eine Frage bewegt uns seit geraumer Zeit, nämlich: Was dünkt euch von Christus? Wessen Sohn ist er? Wir müssen wissen, wer Jesus ist, wenn wir uns auf ihn einlassen wollen. Wir können nicht mit der Stange im Nebel herumfuchteln und irgendwelche dunklen, unverständlichen und den Unglauben verbergenden Äußerungen über ihn machen. Nein, wir müssen genau wissen, wer Christus ist, dem wir unser Leben geweiht haben, auf den wir bauen im Leben und im Sterben.
Wir hatten die Botschaft vernommen: Christus ist der Sieger über Sünde, Tod und Teufel. Es bleibt uns heute eine letzte Überwindung Jesu zu nennen, die ihn als Sieger ausweist, nämlich die Überwindung der Welt. Er ist auch der Sieger über die Welt. Wie ist das zu verstehen? Der Ausdruck „Welt“ wird in der Heiligen Schrift in mehrfachem Sinne gebraucht, einmal als die Schöpfung Gottes, als den Aufenthaltsort der Menschen, zum anderen als die der Sünde verfallene Welt und die dadurch der Nichtigkeit überantwortete Welt. Sieger über die Welt ist Christus in dem zuletzt genannten Sinne. Er hat die der Sünde verfallene und der Nichtigkeit übergebene Welt überwunden. Darüber liegen eindeutige Aussagen vor. In seinen Abschiedsreden an die Apostel erklärt der Herr: „Ich habe ihnen dein Wort gegeben, und die Welt hat sie gehaßt. Ich komme zu dir und spreche dies in der Welt. Ich habe die Welt überwunden.“ „In der Welt habt ihr Drangsal, doch seid getrost: Ich habe die Welt überwunden.“ Und das wiederholt der Apostel Johannes in seinem ersten Briefe. Christus ist der Sieger über die sündige und durch die Sünde der Nichtigkeit überantwortete Welt:: „Was aus Gott geboren ist, besiegt die Welt, und das ist der Sieg, der die Welt überwindet: unser Glaube. Wer ist es, der die Welt überwindet, wenn nicht der, welcher glaubt, daß Jesus der Sohn Gottes ist?“ Diese Überwindung der Welt zeigt sich im Menschen darin, daß er der Nichtigkeit der Welt, der Verführbarkeit der Welt entnommen ist. Paulus drückt das so aus: „Ich bin der Welt gekreuzigt“, d. h. er ist der Welt abgestorben. Die Welt insofern sie sündig ist, zur Sünde verführt, existiert für mich nicht mehr, weil ich für die Welt tot bin. Ich bin mit Christus der Welt gekreuzigt, und damit ist die Welt als Ort der Verführung und der Sünde für mich erledigt. So ist es zu verstehen, wenn Christus sagt: „Ich habe die Welt überwunden“ und wenn er denen, die an ihn glauben, Anteil geben will an diesem Siege über die Welt.
Der Christ ist der Hörigkeit an Sünde, Tod, Teufel und sündige Welt entnommen. Er hat durch den Sieg Christi Anteil gewonnen an der Vergebung der Sünden, wie es Paulus im Epheserbrief schreibt: „Durch sein Blut haben wir die Vergebung der Sünden, die Erlösung.“ Das ist das Wort, das vielleicht am gebräuchlichsten geworden ist für das, was der Sieger Christus an uns bewirkt hat, nämlich Erlösung. Er hat uns losgemacht, er hat uns losgekauft, er hat uns befreit von der Sündenmacht, und das bezeichnen wir gewöhnlich mit dem deutschen Worte Erlösung. Dieses Geheimnis der Erlösung ist durch das ganze Leben Jesu bewirkt worden, natürlich in besonderer und einzigartiger Weise durch sein Kreuz. Das Kreuz ist die Kraft der Erlösung. Vom Kreuze schreibt der Apostel Paulus in seinem ersten Briefe an die Korinther: „Die Juden fordern Wunderzeichen, und die Griechen suchen Weisheit. Wir aber verkünden Christus, den Gekreuzigten, der den Juden ein Ärgernis und den Heiden eine Torheit ist. Jenen aber, die berufen sind, predigen wir Christus als Gottes Kraft und Gottes Weisheit.“ Die Erlösung ist teuer gewesen. Sie ist nicht geschehen wie Lösungen anderer Art, z. B. Loskauf von Gefangenen (Ludwig von Frankreich wurde ja aus der Gefangenschaft losgekauft), nein, sie ist nicht geschehen durch Gold und Silber, sondern durch das kostbare Blut unseres Herrn und Heilandes. „Ihr wisset ja“, schreibt der Apostel Petrus, „daß ihr nicht mit vergänglichen Gütern, mit Silber oder Gold von eurem törichten Wandel losgekauft seid, sondern durch das kostbare Blut Christi, dieses makellosen und unbefleckten Lammes.“
Das also war der Preis, den Gott bezahlt hat, damit wir losgekauft werden – das Blut des unbefleckten und kostbaren Lammes Jesus Christus. Jetzt haben wir die Versöhnung. Jetzt sind wir mit Gott versöhnt, jetzt sind wir mit Gott im Einvernehmen. Durch den Tod seines Sohnes hat uns Gott versöhnt, und zwar zu einem Zeitpunkt, als wir noch Feinde waren. Ja, was können wir dann, so sagt Paulus im Römerbrief, was können wir dann von Gott hoffen, wenn wir jetzt, da wir seine geliebten Brüder sind, wenn wir jetzt auf Christus hoffen? „Gott erweist seine Liebe zu uns dadurch, daß Christus für uns gestorben ist, da wir noch Sünder waren. Um so viel mehr also werden wir jetzt, da wir in seinem Blute gerechtfertigt sind, durch ihn vor dem Zorne bewahrt werden. Wurden wir, solange wir Feinde waren, versöhnt mit Gott durch den Tod seines Sohnes, so werden wir um so mehr als Versöhnte errettet werden durch sein Leben.“ Da kann unsere Hoffnung durch keine Gewalt der Erde mehr erschüttert werden.
Christus ist unsere Versöhnung. Christus ist auch unser Friede. An zahllosen Stellen spricht der Apostel Paulus davon, daß Christus den Frieden gebracht hat, den Frieden mit Gott, den Frieden, den die Welt nicht geben kann, den sie aber auch nicht nehmen kann. Inmitten der bittersten Feindschaft und der schlimmsten Unruhe vermag der Christ den Frieden zu bewahren, weil er den Frieden Gottes besitzt. Dieser Friede besteht darin, daß wir geheiligt, abgewaschen, gereinigt sind, daß wir angenommen sind als Kinder. Wir sind angenommene Kinder Gottes. Im Galaterbrief hat Paulus uns diese Wahrheit verkündet: „Als aber die Fülle der Zeit gekommen war, sandte Gott seinen Sohn, der aus dem Weibe geboren und dem Gesetz unterworfen war. Er sollte die unter dem Gesetz Stehenden erlösen, damit wir die Annahme an Kindes Statt empfingen. Durch Christus sind wir seine Brüder geworden, Söhne des himmlischen Vaters.“ Die von Christus Erlösten, die in Christus gläubig Gewordenen werden vom Vater in den Kindesstand eingesetzt. Der volle Genuß der Kindschaft freilich, der volle Genuß des Erbes steht noch aus, aber wir haben schon ein Angeld, d. h. eine Anzahlung für das volle Erbe, und diese Anzahlung ist der Heilige Geist, der uns gegeben ist. Er ist in unsere Herzen gesandt, und er äußert sich; er spricht in unseren Herzen zum Vater im Himmel: „Abba – unser Vater.“ Wir werden also seiner Gegenwart inne, indem wir eben mit dem Heiligen Geist und im Heiligen Geist rufen: „Abba – Vater.“ In dieses Kindschaftsverhältnis wird jeder hineingezogen, der an Christus glaubt. Ja, Paulus sagt sogar noch mehr. Er sagt: Es ist eine neue Schöpfung geworden. Die alte Schöpfung ist versunken, die neue Schöpfung ist heraufgekommen. Die Vergänglichkeit dieser Welt ist im Grunde überwunden, und die Unvergänglichkeit ist im Grunde schon keimhaft im Menschen vorhanden, und deswegen kann man sagen: Jetzt gilt nicht mehr Beschnittensein oder Unbeschnittensein, sondern jetzt gilt in Christus Jesus nur noch die neue Schöpfung. Sie ist wunderbarer als die erste Schöpfung. Ihr Erstgeborener ist Christus. Sie ist gekennzeichnet durch Gerechtigkeit, Heiligkeit, Licht und Leben.
Und noch eines muß man sagen, was uns die Erlösung gebracht hat, nämlich den Neuen Bund. Gott hatte ja mit der Menschheit oder besser noch mit seinem auserwählten Volk als Vertreter der Menschheit einen Alten Bund geschlossen. Das war am Berge Sinai. Dort wurde das Bundesbuch dem Moses übergeben, und Moses las es dem Volke vor. Dann befahl er jungen Männern, daß sie Stiere schlachten und sie als Brandopfer darbringen. Moses nahm das Blut der Tiere und besprengte damit den Altar und das Volk und sagte: “Das ist das Blut des Bundes, den der Herr mit euch geschlossen hat.“ Der Alte Bund ist versunken, der Neue Bund ist heraufgekommen. Auch der Neue Bund ist im Blute geschlossen worden, ist mit Blut besiegelt worden. Aber es ist nicht das Blut von Böcken und Stieren, sondern es ist das Blut des unbefleckten Lammes Jesus Christus. „Ich habe vom Herrn empfangen, was ich euch überliefert habe. In der Nacht, in welcher er verraten wurde, nahm der Herr Brot, dankte, brach es und sprach: Nehmet hin und esset, das ist mein Leib, der für euch hingegeben wird. Auf gleiche Weise nahm er nach dem Mahl den Kelch und sprach: Dieser Kelch ist der Neue Bund in meinem Blute.“ An diesem Neuen Bunde gewinnt jeder Anteil, der sich in Glaube und Sakrament Christus zuwendet. Wir werden Glieder des Neuen Bundes, wenn wir uns an Christus klammern, wenn wir ihn bitten: Nimm mich mit zu deinem Vater. Nimm mich mit, du Geopferter, du durch dein Blut uns Erlösender, nimm mich mit zu deinem Vater. Wenn wir auf das Blut Christi vertrauen, auf seine Sprache, die besser redet als das Blut des Abel, dann finden wir Zugang zum Neuen Bund.
Es kommt alles darauf an, meine lieben Freunde, daß wir das, was objektiv geschehen ist, uns subjektiv zu eigen machen, daß wir in den Neuen Bund eingehen mit Sehnsucht, Anteil zu gewinnen an der Erlösung, an der Heiligung, an dem Loskauf, an der Befreiung, daß wir das schöne Gebet oft und oft sprechen: „Deine Gnad‘ und Jesu Blut macht ja allen Schaden gut.“ Von dieser Mitgliedschaft im Bunde Jesu hängt unser Heil ab. „Jesus ist der universale Weg zur Erlösung der Seelen“, schreibt einmal der heilige Augustinus. Niemals ist jemand gerettet worden, ohne diesen Weg zu beschreiten. „Abseits von diesem Wege ist keiner je gerettet worden, wird keiner gerettet und wird auch künftig keiner gerettet werden.“
Wahrhaftig, jetzt begreifen wir, was der morgige Festtag für uns bedeutet. Wäre der Menschensohn nicht gekommen, dann wäre der Mensch verkommen.
Amen.