Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
21. Oktober 2018

Die Irrlehrer in der Moraltheologie

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Aus Tiefen schrei` ich, Herr, zu dir; o Herr, erhör mein Rufen. Wenn du der Sünden nicht vergessen könntest, Herr, wer könnte dann noch bestehen? Doch du gewährst Begnadigung, Gott Israels.“ So haben wir heute im Eingangslied der heiligen Messe gebetet. Es ist das Gebet eines alttestamentlichen Frommen, der um seine Sünden weiß und dass er dafür Strafe verdient hat. Aber er hat Hoffnung, dass Gott ihm verzeihen kann, und so ruft er um sein Erbarmen. Dieses Gebet kann ihm nur nachsprechen, wer um die Sünde weiß, wer das Bewusstsein seiner eigenen Sünden hat und wer Schmerz über seine Sünden empfindet. Grundlegend für das Rufen nach Gottes Erbarmen ist das Wissen um die Sünde. Gott ist der Herr des Sittengesetzes. Er verpflichtet den Menschen, die Gebote zu beobachten, und er droht Strafen an für die Nichtbeachtung seines Willens. Sünde ist das Sich-Hinwegsetzen über Gottes Gebot. Sünde ist die mit klarer sittlicher Erkenntnis frei gewollte Übertretung des göttlichen Sittengesetzes. Wenn der Mensch sündigt, fällt er in einen Zustand, der Gott missfällt und den er aus eigener Kraft nicht beseitigen kann. Das ist der Zustand der Sündenschuld, der als wesentliche Folge die Strafschuld einschließt. Die Sünde ist eine allgemeine menschliche Erscheinung. Jeder Mensch ist ein Sünder. Jeder muss deshalb auch das Bewusstsein der eigenen Sündhaftigkeit haben. In der Selbstprüfung erkennt er, dass er den Willen Gottes übertreten hat und schuldig geworden ist. Der Mensch, der sich für sündenlos hält, ist im Irrtum und begeht eine Anmaßung. Das Wissen um die eigene Sünde ruft Schmerz hervor. Der Sünder weiß, dass die Sünde Auflehnung gegen Gott ist. Er erinnert sich, dass der Sohn Gottes um der Befreiung der Menschen von der Sündenschuld den blutigen Tod erlitten hat. „Ach, Herr, was du erduldest, ist alles meine Last. Ich habe das verschuldet, was du getragen hast.“ Diese Tatsachen lösen Schmerz beim gläubigen Christen aus. Er ist sich bewusst, dass er gegen Gott gefrevelt hat, aus eigener Schuld. Er wäre imstande gewesen, die Sünde zu meiden, aber er hat sie nicht gemieden. Der reuige Sünder wendet sich Gott zu und ruft: Wenn du der Sünden nicht vergessen könntest, Herr, wer könnte dann noch bestehen?

Die Menschen haben schon immer versucht, die Sünde wegzudiskutieren, zu leugnen, ihren Ernst und ihre Furchtbarkeit abzuschwächen. Die einen betrachten das Böse in der Welt als ein notwendiges Moment der Entwicklung des Alllebens. Danach sei das Böse für das Ganze der Entwicklung förderlich und in sich gerechtfertigt. Andere halten die Sünde für eine verzeihliche Schwäche, die Gott nicht ernst nehme. Sie bedeute sogar für viele Menschen eine heilsame Vertiefung, den Durchbruch zu wahrer Freiheit. Nach Friedrich Nietzsche ist die Sünde ein jüdisches Gefühl und eine jüdische Erfindung. Seine Forderung lautet: Schaffen wir den Begriff der Sünde aus der Welt. Sigmund Freud, der jüdische Psychoanalytiker, erklärt jedes Schuldbewusstsein für krankhaft. Es gebe keine Sünde, sondern nur krankhaftes Schuldbewusstsein; das müsse man den Menschen ausreden. Die amtliche Lehre der Kirche hat sich von solchen Verwirrungen stets freigehalten. Seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil hat sich aber die Lage dramatisch verändert. Zahlreiche katholische Theologen haben Theorien ausgebildet, mit denen sie die Sünde zum Verschwinden bringen oder ihren Ernst und ihre Häufigkeit beseitigen wollen. Ich will Ihnen zeigen, welches diese Methoden sind. Sie wurden von Papst Johannes Paul II. ausnahmslos verworfen und widerlegt. Aber die Irrlehrer auf den Lehrstühlen hören nicht auf, die falsche Lehre zu verkündigen! Ihnen sind unsere Studenten, unser Priesterkandidaten, unsere Religionslehrer ausgesetzt. Das ist die Lage!

Seit geraumer Zeit werden Wesen und Funktion des Gewissens verkehrt. Außerhalb der katholischen Kirche wird das Gewissen vielfach in das Gefühl verlegt. Materialistische Autoren sehen im Gewissen den Ausdruck sinnlicher und körperlicher Triebe oder eine Wirkung der Nerven. Friedrich Nietzsche bezeichnet das Gewissen als eine furchtbare Krankheit. Der Darwinismus führt das Gewissen auf den Einfluss der Gesellschaft und den Zwang der sozialen Sitte zurück. Die Irrlehrer unsere Tage in unserer Kirche pervertieren den Begriff des Gewissens. Sie schreiben ihm eine Funktion zu, die ihm nach Gottes Willen nicht zukommt. Dabei gehen sie wie folgt vor: Die allgemeinen Normen seien nicht in der Lage, die unwiederholbare Besonderheit aller einzelnen konkreten Handlungen der Personen in ihrer Gesamtheit zu umfassen und zu berücksichtigen. Sie könnten nicht an die Stelle der Personen treten und ihre Aufgabe übernehmen, eine persönliche Entscheidung über ihr Verhalten im Einzelfall zu treffen. Die Normen seien nicht so sehr ein bindendes objektives Kriterium für die Urteile des Gewissens als vielmehr eine allgemeine Orientierung. Das Gewissen müsse die persönlichen Aufgaben kreativ!, schöpferisch und verantwortlich übernehmen. Das Gewissen sei eine schöpferische Instanz. Das führe dazu, dass Ausnahmen von der theoretischen Regel berechtigt seien und dass man in der Praxis guten Gewissens das tun dürfe, was vom Sittengesetz als in sich schlecht eingestuft wird. Auf diese Weise entsteht ein Gegensatz zwischen der Lehre von der im allgemeinen gültigen Vorschrift und der Norm des einzelnen Gewissens, das letzten Endes über gut und böse unterscheidet. Das sieht in der Praxis so aus, wie mir gestern ein Priesterkandidat sagte, dass der Moraltheologe ihnen verkündet habe, sie könnten zweimal in der Woche Selbstbefriedigung üben. Der katholische Begriff des Gewissens ist klar. Das Gewissen ist ein Urteil der Vernunft über die Sittlichkeit des eigenen Handelns. Es ist gebunden, immer gebunden! an das Sittengesetz. Das Gewissen ist die persönliche Aneignung des Sittengesetzes. Es kommt eine Schlussfolgerung zustande, Obersatz: Dem notleidenden Menschen zu helfen, ist gut; Untersatz: Dieser Mensch ist ein Notleidender, der der Hilfe bedarf; Schlusssatz: Diesem Menschen zu helfen, ist gut und von Gott gefordert. Das Urteil des Gewissens ist ein Urteil, das anordnet, was der Mensch tun oder lassen soll oder das eine von ihm bereits gefällte Tat bewertet. Das Gewissen ist die Anwendung des Gesetzes auf den Einzelfall. Der allgemein gültige Charakter des Gesetzes wird anerkannt, indem die Vernunft dessen Anwendung in der konkreten Situation bestimmt. Das Urteil des Gewissens realisiert (verwirklicht) die Anwendung des objektiven Gesetzes auf den Einzelfall. Das Urteil des Gewissens schafft nicht das Gesetz, dem man sich unterwirft, es erkennt es an, es bestätigt seine Autorität. Das Gewissen ist keine autonome Instanz, sondern ein Akt des Gehorsams gegenüber der objektiven Norm. Das Gewissen steht nicht autonom im Sinne der Selbstherrlichkeit, sondern an Gott gebunden. Es weiß sich nicht als Gesetzgeber, sondern als Hörer und Empfänger der wahren Normen des Lebens. Die Menschen sind dahin zu führen, dass sie den Ruf Gottes, der in den allgemeinen Normen an sie ergeht, persönlich in ihrem Gewissen erfassen und bejahen. Ein Gewissensurteil, wonach es zulässig sei, ein göttliches Gebot zu übertreten, ist ein falsches Urteil! Das ist heute häufig. Als Papst Franziskus vor wenigen Tagen die Verwerflichkeit der Abtreibung ansprach, wehrte sich der katholische Verein „Frauenwürde“ mit Hinweis auf die Gewissensentscheidung einer Frau im Schwangerschaftskonflikt. Eine solche Gewissensentscheidung ist irrig. Der falsche Begriff des Gewissens hat sich weithin durchgesetzt. In seinem Namen setzt man sich über sittliche Normen hinweg. Was vor dem Konzil als Sünde angesehen wurde, das wird heute als zulässige, als zulässige! Gewissensentscheidung ausgegeben. Diese Entwicklung begann in Deutschland mit der „Königsteiner Erklärung“, und sie setzte sich fort mit der „Würzburger Synode“. Die Bischöfe haben sich schuldig gemacht an der Verkehrung des Gewissens! Es kommt vor, dass Gläubige, die sich vom Seelsorger einen Ratschlag erbitten, zur Antwort erhalten: Das müssen Sie mit Ihrem Gewissen ausmachen. Dieser Ratschlag ist nicht gut. Der Fragende kommt durch eine derartige Antwort leicht zu der Vorstellung, es gebe keine allgemein gültigen und auch für ihn zutreffenden Normen, sondern jeder müsse allein aus sich und aus seiner Situation heraus den Weg bestimmen. Das Gewissen hat keinen unmittelbaren Zugang zu Gott. Es ist an dessen Willenskundgebung in den Geboten gebunden.

Die Irrlehrer unserer Zeit, meine lieben Freunde, haben sodann die teleologische Moral aufgebracht, teleologische Moral. Diese teleologische Normbegründung leitet die sittliche Qualität – also was erlaubt oder nicht erlaubt ist – der konkreten Handlung entscheidend aus den Folgen, zu denen sie in der jeweiligen Situation führt, und deren rechter Abwägung ab. Normen, die aus dem Wesen des Menschen entspringen und in jeder Situation gelten, gibt es nach dieser Theorie nicht. Nach der teleologischen Moral werden die Kriterien zur moralischen Beurteilung einer Handlung aus der Abwägung der zu erlangenden nichtsittlichen und vorsittlichen Güter gewonnen. Das konkrete Handeln ist richtig oder falsch, je nach dem, ob es für die betreffende Situation oder Person einen besseren Zustand hervorzubringen vermag oder nicht. Bezüglich konkret bestimmter Verhaltensweisen lasse sich niemals eine absolute Verbotsnorm formulieren. Eine Handlung, die im Widerspruch zu einer allgemein gültigen Verbotsnorm steht, könne als sittlich zulässig bewertet werden, falls sich die Absicht, die Absicht! des Handelnden auf den in der gegebenen Situation für entscheidend gehaltenen Wert richtet. Entscheidungen dieser Art könnten bestimmten sittlichen Einzelverboten widersprechen; diese Letzteren seien stets relativ und unterlägen Ausnahmen. Aus dem, was die verbindliche katholische Moral als sittlich unerlaubt ansieht, wird in dieser Theorie etwas sittlich Erlaubtes. In diesem falschen Ansatz wird der Grundsatz aufgestellt: Man darf Böses tun, um Gutes zu erreichen. Der Zweck heiligt die Mittel. Wenn es Spaß macht, dürfen sich Männer miteinander vergnügen und Frauen ebenso. Der Zweck, das Vergnügen, ist entscheidend. Meine lieben Freunde, Sie werden erkennen, welche totale Verkehrung der katholischen, der gottgewollten Moral sich daraus ergibt. Die Aufstellungen dieser teleologischen Moral sind grundlegend falsch. Sie verkehren das Sittengesetz und entehren den göttlichen Gesetzgeber. Die Abwägung der Folgen bei einer Handlung ist keine brauchbare Methode, um bestimmen zu können, ob die Wahl eines Verhaltens sittlich gut oder schlecht ist. Die vorhersehbaren Folgen gehören zu den Umständen einer Handlung. Sie können ihre moralische Art nicht verändern. Wenn die Handlung in sich schlecht ist wie z.B. betriebene Homosexualität, dann kann sie durch keine gute Absicht gerechtfertigt werden. Was dem Wesen und der Zweckbestimmung der Geschlechtsanlage des Menschen widerspricht, ist in sich böse und wird durch keine angeblich gute Absicht gerechtfertigt. Aus der teleologischen Moral ergibt sich die Ansicht, es gebe keine in sich schlechten Handlungen, die immer und überall und unter allen Umständen verboten sind, es komme entscheidend auf die Absicht und auf die vorhersehbaren Folgen jener Handlungen für die betroffenen Personen an. Der Wille Gottes und die katholische Lehre sagen: Es gibt Güter, die nie einer Abwägung unterworfen werden dürfen. Es ist immer unsittlich, solche Güter anderer wegen aufzugeben. Es gibt Handlungen, die in sich und durch sich selbst, unabhängig von den Umständen und von der Absicht immer schwer wiegen, unerlaubt sind wegen ihres objektiven Inhaltes. Es ist nie erlaubt, etwas in sich Schlechtes zu tun, um daraus etwas Gutes hervorgehen zu lassen. Die Absicht oder die Umstände können niemals eine in sich durch ihr Objekt schlechte Handlung zu einer guten Handlung machen.

Eine ganz gefährliche Verirrung ist sodann die sog. Situationsethik, die von den Irrlehrern unserer Tage vertreten wird. Diese Ansicht behauptet, jede einzelne Situation sei so einmalig, dass sie nicht mit allgemeinen sittlichen Normen erfasst werden könne. Nur der Einzelne selbst als diese einmalige Person könne aus der jeweiligen Situation heraus entscheiden, wie er sie zu bewältigen habe. Der Bezug auf ein angeblich allgemein gültiges Gesetz trage ein situationsfremdes Element in die Entscheidung hinein und verfälsche sie. Aus der Einmaligkeit der Person und ihrer Situation könne sich eine Entscheidung ergeben, die dem Sittengesetz zuwider sei. So könne eine Abtreibung nicht nur erlaubt, sondern verpflichtend sein. Solches Tun sei subjektiv und objektiv gut, wenn der Einzelne es aus seiner Situation heraus als gut beurteilt. In dieser Irrlehre – das sehen Sie – wird der Mensch zum Schöpfer des Gesetzes. Er gibt sich selbst das Gesetz nach seiner Bequemlichkeit. Ziel dieser Ethik ist, allgemein gültige Normen außer Kraft zu setzen. Sie steht im krassen Gegensatz zur Lehre der Kirche, die allein dem gesetzgeberischen Willen Gottes entspricht. Das gesamte Gebiet des menschlichen Handelns steht unter dem Gesetz Gottes. Es gibt keine Situation, es ist keine Situation denkbar, die nicht seinem sittlichen Willen unterliegt. Aufgabe des Menschen ist es, die göttlichen Gebote, die im einzelnen Falle einschlägig sind, aufzufinden. Die allgemeinen überzeitlichen Normen weisen zu der jeweils menschlichen Entscheidung in der Situation den Weg. Sie sind in jeder Situation zu beachten, sie sind auch jeder Situation gewachsen. Aus den allgemeinen Geboten sind die konkreten Imperative für das sittliche Handeln ausfindig zu machen.

Eine letzte Übertreibung, eine letzte Verirrung, meine lieben Freunde, will ich nennen der heutigen Moraltheologen, nämlich die Übertreibung der Barmherzigkeit Gottes. Danach schließt die Liebe Gottes jede Strafe, die für die Sünde verdient ist, aus. Der gegenwärtige Papst hat in seinem Pontifikat in besonderer Weise die Barmherzigkeit Gottes zum Thema der Verkündigung gewählt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Er spricht aber in „Amoris laetitia“ von der bedingungslosen Barmherzigkeit Gottes. Dagegen ist Einspruch zu erheben. Die Barmherzigkeit Gottes ist nicht bedingungslos. Die Bedingung, die sie setzt, ist die Bekehrung! Es ist ein falsches Verständnis von Barmherzigkeit, zu behaupten, sie sei bedingungslos. Das Gegenteil ist richtig. Gottes Barmherzigkeit ist an die unerlässliche Bedingung geknüpft, dass der Mensch sich bekehrt. Ohne Abwendung von der Sünde und ohne wahre Reue gibt es keine Verzeihung der Sünde. Gott bietet dem Menschen Versöhnung an, aber er fordert die Abkehr von der Sünde. Lassen Sie sich, meine lieben Freunde, nicht irre machen. Sie werden verstehen, dass ich, der ich 67 Jahre Priester bin, diese Verirrungen aus tiefster Seele verabscheue und sie als ein Abbruchwerkzeug für unsere Kirche ansehe. Was hier geschieht, ist unerhört, ist in der Kirchengeschichte – meines Wissens – noch nicht da gewesen. Lassen Sie sich nicht irre machen. Wir leben in einer Zeit der Verwirrung, der Zerstörung, des Abfalls. An der Herbeiführung dieses Zustandes sind – Gott sei es geklagt – katholische Theologen beteiligt. Sie verkehren die Glaubens- und Sittenlehre der Kirche. Die katholische Moraltheologie ist auf weite Strecken zusammengebrochen! Uns ist es aufgegeben, unverbrüchlich an der Wahrheit Gottes und am Gesetz Gottes festzuhalten. Sie sind so unveränderlich wie Gott selbst. Wie sagt unser Heiland: „Willst du zum Leben eingehen, so halte die Gebote!“

Amen.

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