Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
26. August 2018

Werke des Fleisches und Frucht des Geistes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Botschaft, die der Apostel Paulus im Brief an die Gemeinde in Galatien formuliert, lautet: Das Christentum ist die Religion der Freiheit. Die Christen sind zur Freiheit berufen. Sie haben das Joch des alttestamentlichen Gesetzes abgeschüttelt. Aber die christliche Freiheit darf nicht als sittliche Zügellosigkeit missverstanden werden. Das hieße, sich in die Sklaverei des „Fleisches“ zurückbegeben. Die vom Gesetz frei Gewordenen sind vielmehr einem neuen Herrn dienstbar geworden: Jesus Christus. Er ist in ihnen mächtig durch seinen Geist. Seitdem lässt sich die christliche Ethik auf die einfache Formel bringen: Wandelt im Heiligen Geist! Das ist das Grundgebot des neuen Gesetzes Christi. Die in Glauben und Taufe mit dem Heiligen Geist Verbundenen müssen sich alle Tage durch die Tat zu der neuen Wirklichkeit bekennen. Sie müssen dem Drang des „Fleisches“ widerstehen. Auch im Christen ringen Fleisch und Geist noch miteinander; allerdings gehört jetzt nicht mehr – wie im unerlösten Menschen – der Sieg dem Fleische. Wer im Geiste lebt, ist der Fessel des Fleisches entkommen. Der Gegensatz von Fleisch und Geist ist für die Christen in Galatien identisch mit dem Kontrast sündhafter Vergangenheit und geheiligter Gegenwart. Der Apostel schildert diesen Gegensatz, indem er den Werken des Fleisches (des unerlösten Menschen) die Frucht des Geistes (des erlösten Menschen) gegenüberstellt.

Unter den Werken des Fleisches nennt der Apostel an erster Stelle die Vergehen gegen die gottgesetzte Ordnung im Bereich des Geschlechtlichen. Vermutlich deswegen, weil sie am häufigsten waren. Die geschlechtlichen Verfehlungen sind mit Lust verbunden; deswegen liegen sie so nahe und gehen leicht ein. Sie sind das Kennzeichen des Heidentums. Hand in Hand mit dem Verfall der Religion ging bei den Heiden, vor allem in den höheren Schichten und in den größeren Städten, eine furchtbare sittliche Verwilderung einher. Paulus zeichnet ihr düsteres Bild im Brief an die Römer mit scharfen Strichen. „Die Frauen haben den naturgemäßen Verkehr mit widernatürlichem vertauscht, und ebenso haben die Männer den natürlichen Verkehr mit der Frau verlassen und sind in ihrer Gier widereinander entbrannt. Männer trieben mit Männern Schmachvolles.“ Sein Urteil wird von heidnischen Schriftstellern wie Seneca, Tacitus und Juvenal bestätigt. Die griechischen Worte, die Paulus gebraucht, besagen die geschlechtliche Ausschweifung im umfassenden Sinne, jede Art illegitimen Geschlechtsverkehrs, Homosexualität eingeschlossen. Es sind Laster, die den Menschen von innen her verderben. Der römische Staat erkannte eine Quelle der sittlichen Verderbnis: die obszönen Schriften. Kaiser Augustus sah in den erotischen Elegien des Ovid eine Ursache des sittlichen Tiefstands der Gesellschaft; er schickte ihn in die Verbannung.

Von dem dunklen Hintergrund einer Welt voller Laster heben sich die Sittenstrenge und die Reinheit der frühen Christen leuchtend ab. Sie glänzten durch voreheliche Keuschheit, Einehe und eheliche Treue. Sie verurteilten die im Heidentum verbreitete Unsitte, Kinder im Mutterschoß zu töten oder nach der Geburt auszusetzen.

An zweiter Stelle nennt Paulus als Werke des Fleisches Götzendienst und Zauberei. Die alten polytheistischen Volksreligionen und Staatskulte hatten ehedem manches Herz mit Ehrfurcht vor dem Göttlichen erfüllt. Jetzt waren sie zersetzt und in weiten Kreisen um ihren Kredit gekommen. Unter dem arbeitenden Volke lebte zwar noch Gottesglaube, aber unter den Gebildeten war Atheismus nicht selten. Sie beriefen sich auf die Naturlehre Epikurs, der das All aus dem Mechanismus der Atome erklärte, das Eingreifen der Götter und die Unsterblichkeit der Seele leugnete und zum Genuss des Daseins aufrief. Daneben übten die orientalischen Religionen eine starke Anziehungskraft auf die Massen aus. Sie entfalteten einen sinnenfrohen Kult und versprachen dem geängstigten Gewissen Entsühnung und Gotteinigung. Außerdem blühte jede Art religiösen Aberglaubens: Magie, Astrologie, Theurgie und Nekromantie. Sulla, vor dem Italien zitterte, hing mit abergläubischer Furcht an Vorzeichen aller Art.

Es folgen die Sünden gegen die Liebe. Die Verehrung der Götter war unfähig, uneigennützige Liebe zu erzeugen. So brachen die dunklen Fluten der Abneigung und des Eigennutzes aus dem unerlösten Menschen hervor. Die folgenden Worte bezeichnen Gesinnungen, Verhaltensweisen und Gemütsbewegungen, die das Gegenteil selbstloser Liebe darstellen: Feindschaften, Hader, Eifersucht, Zornausbrüche, Streitereien, Zwistigkeiten, Spaltungen, Neid.

Zum Schluss nennt Paulus die Sünden gegen die Mäßigkeit. Die Masse der Heiden wollte von Maßhalten und Bescheidung im Essen und Trinken nichts wissen. In den Kreisen, die es sich leisten konnten, waren Genuss und Orgien, Prasserei und Schwelgerei verbreitet.

Damit schließt Paulus seine Beschreibung der Werke des Fleisches ab. Er will keine vollständige Aufzählung bieten, gibt aber zu verstehen, dass noch viele andere genannt werden könnten. Denen, die sie tun, kündigt er an: Sie werden Gottes Reich nicht erben, sie werden verloren gehen.

Den Werken des Fleisches stellt Paulus die „Frucht des Geistes“ gegenüber. Mit dem Begriff „Frucht“ verbindet sich der Gedanke der empfangenen Gabe. Die guten Handlungen erwachsen aus dem in den Christen wohnenden Heiligen Geist. Sie sind Gnade und Gabe von oben. Der Singular „Frucht des Geistes“ soll die Einheit des neuen Lebens gegenüber dem zersplitterten Vielerlei des Fleischeslebens hervorheben. Die Tugenden stehen in einem inneren Zusammenhang; die eine bedingt die andere.

Die Reihe der Tugenden wird mit der Liebe eröffnet. Sie ist der Quellpunkt und der Inbegriff aller Gaben und Tugenden. Wiederholt hat Paulus erklärt, dass im Gebot der Nächstenliebe „das ganze Gesetz“ seine Erfüllung findet, denn die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Die Christen verstanden die Liebe als tätiges Verhalten. Ihr Leben war für die heidnische Umgebung eine ergreifende Predigt. Ihre Bruderliebe und ihre bewunderungswürdige Liebestätigkeit führten der Kirche viele neue Mitglieder zu. Der Liebe folgt die Freude. Die Geburt des Messias leitet nach der Engelbotschaft von Bethlehem die große Freudenzeit ein. Bei Paulus ist die Freude der Ausdruck der Hoffnung und des Erfülltseins mit dem Heiligen Geist. Die Freude ist eine Grundgestimmtheit der christlichen Gemeinde. Von den Urchristen heißt es in der Apostelgeschichte: Sie nahmen die Speise mit Jubel und Herzenseinfalt, sie waren ein Herz und eine Seele. An die Freude als Frucht des Geistes schließt sich der Friede an. Nach den Propheten wird Gott in der Heilszukunft einen Bund des Friedens mit dem geläuterten Volk eingehen. Friede ist der Inbegriff des Heils und des Glücks. Herbeiführen wird diesen Zustand der Fürst des Friedens, der Messias. Seine Ankunft ist schon ein Sichzeigen des eschatologischen Friedens. Die Heilsgabe des Friedens ruft die christliche Gemeinde zu der Gesinnung des Friedens. Sie muss selbst eine Stätte des Friedens sein.

Paulus nennt dann als Frucht des Geistes Tugenden, die für das Zusammenleben in Familie und Gesellschaft unentbehrlich sind. An erster Stelle die Langmut. Gott selbst ist ein Gott der Langmut. „Jahwe ist ein barmherziger und gnädiger Gott, langmütig und reich an Huld und Treue.“ Weil Gott langmütig ist, deshalb muss es auch der Mensch sein. Die Langmut besteht im Ertragen der Fehler und Schwächen anderer, verbunden mit der Erwartung ihrer Besserung und Bekehrung. Langmut ist eine typische Eigenschaft des Christen; sie bringt die Beherrschung des leicht aufwallenden Zornes. Die dauernde „Güte“ als nächste Tugend bekundet sich im Wohlwollen und Wohltun gegenüber dem anderen; sie hat Verständnis und übt Nachsicht angesichts von Fehlern und Verstößen. Ihr Vorbild ist die Güte, die Jesus zeigt in seinem Verhalten gegenüber „Zöllnern und Sündern“. Der Güte benachbart ist die „Rechtschaffenheit“; sie macht makellos und untadelig. An sie schließt sich die „Sanftmut“, die Gelassenheit, das überwindende Harren auf Gott. Jesus hat die Sanftmut überzeugend vorgelebt; er hat sie in seine Seligpreisungen aufgenommen. Durch die Sanftmut werden Überheblichkeit, Ungeduld und Zorn vermieden. Der „Glaube“, als Treue und Zutrauen verstanden, bestimmt die Existenz des Christen und begründet den neuen Wandel.

Die Aufzählung der Früchte des Geistes endet mit der Tugend der Enthaltsamkeit. Sie bezieht sich auf alle Begierden des Menschen, auf Essen und Trinken, auf Geschlechtlichkeit und Reden. Sie besagt Selbstbeherrschung und Zucht, ihr Gegenteil ist die Zügellosigkeit und Unbeherrschtheit. Wenige Haltungen der Christen der Urzeit setzten ihre Zeitgenossen so in Verwunderung wie ihre Beherrschung der Sinnlichkeit. Der Apologet Theophilus konnte damals schreiben: „Bei den Christen findet sich weise Selbstbeherrschung, wird die Enthaltsamkeit geübt, die Keuschheit bewahrt, die Ungerechtigkeit ausgemerzt.“ Die Christen beschämten mit ihren Tugenden ihre Umgebung. Sie zeigten ihnen, was Menschen fertig bringen können, die Gemeinschaft mit Christus erlangt haben und im Heiligen Geiste leben.

Wo in einem Menschen der Heilige Geist sich auswirken kann, da wachsen als herrliche Frucht die christlichen Tugenden. Da ist der Mensch den gottfeindlichen Mächten entronnen. Da ist er gerettet. Die Christen sind neue Menschen, neu durch die Gemeinschaft mit Christus, neu durch den Besitz des Heiligen Geistes. Es bleibt die Schlussmahnung: Wenn wir im Geiste leben, so lasst uns auch im Geiste wandeln.

Amen.

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