Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. Juni 2010

Irrlehren und Irrlehrer – früher und heute

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In unserer Zeit bieten sich auf dem Markt der Weltanschauungen viele Religionen, Religionsgemeinschaften und Sekten an. Vielleicht haben Sie auch schon erlebt, wie Mormonen, tadellos gekleidet, mit guten Umgangsformen in Ihr Haus treten und Sie zu dem Glauben der Mormonen bekehren wollen. Auch die Adventisten betreiben Mission, die Zeugen Jehovas, mit großem Eifer. Dazu kommt das Angebot der nichtchristlichen Religionen. Der Islam zieht immer mehr Menschen an in unserem Lande. Wir haben jedes Jahr den Verlust von Tausenden von Christen, die zum  Islam übertreten. Auch der Buddhismus findet seine Anhänger. Dazu kommt ein Phänomen, das vor 50 Jahren nicht zu beobachten war, dass nämlich im Schoß der Kirche Wahrheiten, unaufgebbare Wahrheiten des Glaubens bestritten, verleugnet, umgedeutet werden. Es sind vor allem drei Glaubensgegenstände, die unter diesen Leugnungen und Umdeutungen zu leiden haben: der dreifaltige Gott, die Person Jesu Christi und das eucharistische Opfersakrament.

Um diese irrigen Bewegungen zu verstehen, ist es nützlich, einen Blick auf die junge Kirche der ersten Jahrhunderte zu werfen. Wie sah es damals aus? Welche Strömungen gab es damals, deren die Kirche sich erwehren mußte, und wie hat sie es getan, um mit diesen Abweichungen vom wahren katholischen Glauben fertig zu werden?

Verhältnismäßig harmlos waren die Spaltungen, von denen der Apostel Paulus im 1. Brief an die Korinther spricht. Da sagen die einen: „Ich bin Anhänger des Paulus“, die anderen: „Ich bin Anhänger des Apollos.“ Wieder ein anderer: „Ich bin Anhänger des Petrus.“ Und ein letzter: „Ich bin ein Anhänger Christi.“ Da gerät Paulus in Zorn und weist diese Parteiungen entschieden zurück. „Ist denn Christus geteilt? Ist Paulus für euch gekreuzigt worden?“ Die Berufung auf einzelne Lehrer ist töricht. Wenn die Lehrer richtig arbeiten, arbeiten sie alle in einem Sinne: sie verkünden alle den einen Herrn Jesus Christus. Sie sind eine Einheit durch Gott in Christus.

Nun waren diese Parteiungen noch verhältnismäßig harmlos, denn sie wollten sich ja nicht von Christus und seiner Kirche trennen. Aber es gab auch gefährlichere Strömungen. Da waren vor allem die Judaisten, das waren Judenchristen, die behaupteten, man müsse weiter das mosaische Gesetz beobachten, ja man müsse das mosaische Gesetz auch den Heiden, die zum Christentum kommen, auferlegen. Diese Leute betrachteten das mosaische Gesetz als weiterhin gültig. Sie wurden durch das Apostelkonzil abgewiesen. Und Paulus, wieder mit seiner Leidenschaft, schreibt an die Galater: „O ihr unverständigen Galater! Habt ihr den Geist aufgrund des Gesetzes oder aufgrund des Glaubens empfangen? Im Geist habt ihr begonnen und wollt jetzt im Fleische vollenden?“ Seit dem Ende des 1. Jahrhunderts sind die sogenannten Ebioniten bekannt. Sie erklärten Christus zu einem bloßen Menschen. Sie verwarfen den Apostel Paulus als einen Apostaten und Feind des mosaischen Gesetzes. Sie hatten ein eigenes Evangelium, das sie aus dem Matthäusevangelium heraus entwickelt hatten. Dieses Pseudo-Evangelium wird von den Kirchenvätern das „Hebräerevangelium“ genannt. Mindestens so gefährlich wie die Judaisten waren die Heidenchristen, die das Christentum mit der Philosophie des Pythagoras und mit vorderasiatischen Religionen zu vermengen trachteten. Man nannte sie die Gnostiker. Das Wort kommt von dem griechischen Wort „Gnosis“, das heißt Erkenntnis. Sie wollten eine höhere Erkenntnis des Christentums bewirken, indem sie es mit pythagoreischen Vorstellungen und mit Bestandteilen vorderasiatischer Religionen aufputzten. Ihr System kam der Erlösungssehnsucht der Heiden entgegen. Sie gaben vor, das Christentum mit der Kultur der Zeit zu versöhnen. Das kommt uns sehr modern vor! Tatsächlich untergruben sie den Bau des Glaubens und zerstörten die christliche Lehre von Gott und von der Schöpfung. Sie nahmen einen bösen, zornigen Gott des Alten Testamentes an, nämlich Jahwe, und sie nahmen einen gütigen und gnädigen Gott an, den Jesus geoffenbart habe. Der Erlöser tritt nach ihnen in einem Scheinleib auf. Jesus wird bei der Taufe von Christus überkleidet, und dieser Christus verweilt in ihm bis zu seinem Leiden; dann verläßt er ihn.

Jedermann erkennt, dass das eine totale Verkehrung des christlichen Glaubens ist. Aber diese Irrlehrer gewannen große Scharen von Anhängern, und sie haben sich jahrhundertelang behauptet. Der Apostel Paulus scheint ähnliche Leute im Auge zu haben, wenn er im Kolosserbrief gegen solche Religionsmischer sich wendet, die erklären: Die Schöpfung ist nicht durch Gott, sondern durch Zwischenwesen, durch Engelwesen, durch einen Demiurgen bewirkt worden. Dagegen nimmt er entschieden Stellung: „in ihm (in Christus) ist alles erschaffen im Himmel und auf Erden, das Sichtbare und das Unsichtbare, die Throne, Herrschaften, Mächte, Gewalten. Alles ist durch ihn und auf ihn hin erschaffen. Er ist vor allem, und alles hat in ihm seinen Bestand.“ So weist er diese Irrlehrer zurück.

Am Ausgang des 1. Jahrhunderts lebte in Kleinasien, also in der heutigen Türkei, ein Mann namens Cerinth. Er war ein schroffer Judaist und vertrat gnostische Lehren. Als Weltschöpfer galt ihm ein Engelwesen. Jesus ist nach ihm ein bloßer Mensch. Bei der Taufe sei der göttliche Christus in Taubengestalt auf ihn herabgekommen, um den unbekannten Vater den Menschen zu verkünden. In der Kraft dieses Christus habe Jesus Wunder gewirkt, aber vor dem Leiden habe er ihn wieder verlassen. Der Kirchenschriftsteller Hieronymus berichtet uns, dass gegen diesen Cerinth der Apostel Johannes sein Evangelium geschrieben hat. Er nimmt ja dort Stellung gegen solche, welche die Messianität und die Gottessohnschaft Jesu leugnen. Jesus ist nicht nur der Messias, sondern als Messias ist er der Gottessohn. Und vor allem in seinen Briefen nimmt Johannes gegen diesen Cerinth Stellung. „Wer anders ist der Lügner als der, welcher leugnet, dass Jesus der Christus ist? Das ist der Antichrist, der den Vater und den Sohn leugnet. Wer den Sohn leugnet, hat auch den Vater nicht.“ „Viele Verführer“, schreibt er in seinem zweiten Brief, „ sind in der Welt erschienen, die nicht bekennen, dass Jesus Christus im Fleische erschienen ist! So einer ist der Verführer und der Antichrist.“

Die Christen glaubten an die baldige Wiederkunft Christi. Sie rechneten zunächst nicht mit langen Zeiträumen, in denen die Kirche Bestand haben würde. Allmählich begriffen sie, dass das Kommen Christi nicht unmittelbar bevorstand, sondern dass man sich einrichten müsse auf eine längere Weile. Und manche wollten von diesen Anschauungen nicht lassen: die Schwärmer. Gegen sie nimmt der Apostel Paulus in seinem 1. Brief an die Thessalonicher Stellung: „Laßt euch doch nicht verwirren durch solche, die sagen, die Ankunft Christi stehe unmittelbar bevor. Zuvor muss noch der Abfall kommen und der Mensch der Sünde offenbart werden, der Sohn des Verderbens, der Widersacher. Dann erst kommt der Herr wieder.“

Am Ende jeder heiligen Messe beten wir den Anfang, den Prolog, des Johannesevangeliums. Vielleicht ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass es darin heißt: „Der Täufer (Johannes der Täufer), er war nicht das Licht. Er sollte nur Zeugnis geben vom Lichte.“ Warum diese Abweisung? Als das Johannesevangelium entstand, muss es noch Täuferjünger und Täuferverehrer, ja eine Täufergemeinde und eine Täufersekte gegeben haben. Diese Kreise sahen in Johannes dem Täufer das Licht, also den Messias. Und eine frühchristliche Schrift sagt uns ausdrücklich, dass der Täufer von seinen Jüngern als Messias, als der Heilbringer, betrachtet wurde. Dieser Überschätzung gegenüber betont Johannes mit Nachdruck, dass der Täufer nur die Aufgabe hatte, für das Licht, das heißt für das fleischgewordene Wort Gottes, Zeugnis abzulegen. „Er war nicht das Licht, er sollte nur Zeugnis geben vom Lichte.“

Das sind die hauptsächlichen Irrlehren und Irrlehrer, deren sich die junge Kirche erwehren mußte. Wie hat sie es getan? Welche Mittel hat sie angewendet, um sich gegen diese falschen Lehren zu behaupten? Erstens durch Wissenschaft, durch apologetisch-literarische Tätigkeit der Kirchenschriftsteller der ersten Jahrhunderte: Justin, Irenäus, Tertullian. Hippolyt. Sie haben die gesunde Lehre gegen die Behauptungen der Irrlehrer vorgetragen. Sie haben gewußt, der Glaube hat bessere Argumente als die Irrlehre. Die halbe Wahrheit mag bei den Irrlehrern sein, die ganze Wahrheit ist in der Kirche. Zweitens hat sich die Kirche erwehrt durch engeren Zusammenschluß der Gesamtkirche und durch die Ausrichtung auf die römische Kirche. Die Christen waren von Anfang an überzeugt, dass Rom durch eine besondere Fähigkeit, die Wahrheit zu bekennen, festzuhalten und festzustellen, ausgezeichnet ist. Diese Eigenschaft sahen sie konzentriert im Bischof von Rom. Sie erinnerten sich an das Wort, das im Lukasevangelium steht: „Simon – so sagt der Herr zu Petrus – Simon, der Satan hat verlangt, euch zu sieben, wie man den Weizen siebt. Ich aber habe für dich gebetet, dass dein Glaube nicht wanke. Und wenn du dich dereinst zurückgefunden hast, so stärke deine Brüder!“ Das hat der Petrus in Rom seit 2000 Jahren getan, und das tut er bis heute. Drittens hat die junge Kirche das Bischofsamt gekräftigt. Sie hat den sogenannten monarchischen Episkopat ausgebaut. Wenn eine Vielzahl von Personen, ein Gremium, ein Rat, eine Synode, über den Glauben befinden soll, dann ist klar, dass die Meinungen durcheinander gehen, dann kann es zu keiner Einigung kommen. Und da man keine Einigung findet, läßt man die unterschiedlichen Meinungen bestehen. Die gegensätzlichen Ansichten heben sich aber gegenseitig auf. Wenn dagegen einer berufen und befähigt ist, den Glauben autoritativ vorzutragen und Lehrstreitigkeiten durch ein Machtwort zu beenden, dann kann die Einheitlichkeit des Glaubens und die Treue zum Glauben besser und sicherer gewahrt werden. Das vierte Mittel, welches die junge Kirche angewendet hat, um sich der Irrlehren zu erwehren, war die Aufstellung eines festen Kanons, eines Verzeichnisses der inspirierten heiligen Schriften des Neuen Testamentes. In den ersten Jahrhunderten liefen viele Schriften um, die in Anspruch nahmen, über Jesus, sein Leben und Wirken, seine Worte und seine Lehre zu unterrichten. Diese Schriften waren teilweise rechtgläubig, teilweise aber mit irrigen Lehren vermengt. Ganz besonders gefährlich waren die Schriften, die behaupteten, dass sie von den Aposteln stammten, die also mit apostolischer Autorität auftraten. Da nahm die Kirche eine Untersuchung vor. Sie schied die Schriften, die apostolischen Ursprungs sind, von jenen, die es nicht sind. Mit der Ablehnung der unechten Schriften wurde der Glaube gesichert.

Schließlich hat die Kirche noch ein letztes, fünftes Mittel angewendet, um die Glaubenslehre zu schützen, nämlich sie hat das Glaubensbekenntnis erweitert. Am Anfang genügte es zu sagen: „Ich glaube, dass Jesus der Christus ist.“ Auf dieses Glaubensbekenntnis hin wurde der Äthiopier von Philippus getauft. Das genügte damals: Jesus ist der Christus, der Messias. Aber bald stellte man fest, dass das nicht genügt. Man mußte erklären: Was ist denn der Messias? Man mußte sich auch fragen: Welches Verhältnis hat er denn zu Gott? Man mußte die wesentlichen Tatsachen des Lebens, Sterbens und Auferstehens Christi festhalten. So entstanden immer umfangreichere Glaubensbekenntnisse. Ich wünschte, meine lieben Freunde, Sie könnten einmal in den Urkunden der Lehrverkündigung diese teilweise sehr ausführlichen Glaubensbekenntnisse, welche die Konzilien aufgestellt haben, lesen; vor allem die Konzilien von Toledo in Spanien haben wunderbare, lichtvolle Glaubensbekenntnisse formuliert. Aus ihnen kann man wahrhaftig den Glauben der Kirche entnehmen.

Und noch eine letzte Frage: Was können wir denn tun, heute, um den Glauben zu erkennen, zu bewahren und zu vertiefen? Wir können uns an das halten, was die junge Kirche getan hat. So wie sie sich gegenüber den Irrlehrern verhalten hat, so können wir es auch tun, vor allem für eine solide Begründung und Vertiefung des Glaubens sorgen. Nicht bloß Rosenkranz auf Rosenkranz häufen, sondern auch denken, nachdenken, sich Wissen verschaffen. Zu dem Anschluß an das Verhalten der alten oder vielmehr der jungen Kirche möchte ich drei Ratschläge geben.

1. Sich fernhalten von unbelehrbaren Sektierern. Man kann mit solchen Leuten sprechen, wenn man das genügende Wissen hat. Wer es nicht hat, der halte sich fern. „Führt doch nicht Streit um Worte“, mahnt der Apostel Paulus, „denn es nützt nichts, es bringt nur dem Verderben, der es hört.“ Und der heilige Johannes ist ganz energisch: „Wenn einer zu euch kommt und diese Lehre (die Lehre des Evangeliums) nicht bringt, so nehmt ihn nicht ins Haus auf und entbietet ihm nicht den Gruß. Denn wer ihm den Gruß entbietet, der nimmt teil an seinen bösen Werken.“ Ich halte es für völlig verfehlt, mit Angehörigen nichtkatholischer Religionsgemeinschaften ökumenische Kirchentage zu veranstalten. Ich sehe darin den Versuch, das Christentum auf die Ebene des Protestantismus herabzusenken.

2. Unbelehrbare, Häretiker, Sektierer müssen aus der Kirche ausgeschlossen werden. Es muss eine Scheidung zwischen Glauben und Unglauben, zwischen Gläubigen und Ungläubigen erfolgen. Die autoritative Feststellung von Irrlehren und der Ausschluß von Irrlehrern ist in erster Linie Pflicht der kirchlichen Autoritäten. Aber wenn diese ihre Pflicht nicht erfüllen, dann müssen wir diese undankbare Aufgabe übernehmen, indem wir mutig auf das Abgehen vom Glauben hinweisen. Ich werde nicht müde werden, den Herrn in Tübingen als einen Apostaten zu bezeichnen. „Von uns sind sie ausgegangen“, schreibt der Apostel Johannes, „aber sie waren nicht von uns, denn wären sie von uns gewesen, dann wären sie bei uns geblieben.“

3. Der dritte Rat, den ich gebe, heißt Anschluß an die Tradition. Wenn die Theologen schwanken, wenn die Bischöfe unsicher sind, müssen wir uns den Weg der Wahrheit selber suchen. Diese Suche kann nur zum Anschluß an die kirchliche Tradition führen. So rät es der Apostel Paulus. Im 15. Kapitel des 1. Korintherbriefes schreibt er: „Ich mache euch aufmerksam auf die Heilsbotschaft, die ich euch verkündet habe. Ihr habt sie angenommen, ihr steht darin fest, durch sie werdet ihr gerettet, wenn ihr sie genauso festhaltet, wie ich sie euch verkündet habe. Sonst hättet ihr vergebens geglaubt.“ Der Apostel Johannes hat dieselbe Lehre uns vermittelt. Er fordert ebenfalls den Anschluß an die Tradition. „Das bleibe in euch, was ihr von Anfang an gehört habt. Wenn das in euch bleibt, was ihr von Anfang an gehört habt, so werdet ihr auch im Sohne und im Vater bleiben.“

Die Wahrheit, meine lieben Freunde, erringt man nur durch viele Kämpfe. Der Irrtum kostet nichts.

Amen.

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