Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. Januar 2008

Freude über die Vorsehung Gottes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier der Erscheinung des Herrn Versammelte!

Das Fest der heiligen drei Könige, wie wir es nennen, hat sich tief in unsere Herzen eingegraben. Schon als Kinder standen wir gern vor der Krippe und beobachteten, wie die Könige, wie die Weisen mit ihren orientalischen Tieren in das Gelände einziehen, wo das Kind mit seiner Mutter zu finden war. Die heiligen drei Könige sind unsere Freunde von Jugend auf. Uns zieht aber nicht nur das Äußere an, sondern auch das Geheimnisvolle. Sie kommen, aber man weiß nicht, woher; sie gehen, aber man weiß nicht, wohin; sie folgen einem Stern, aber der Stern entzieht sich wieder unseren Blicken. Doch sie werden geführt. Ein Stern ruft sie aus ihrer Heimat, ein Stern, der zunächst verschwindet, aber sich dann wieder zeigt und ihnen den Weg weist zu dem Kinde. Es ist verständlich, wenn es in der Heiligen Schrift heißt: „Als sie den Stern sahen, hatten sie eine überaus große Freude.“

Meine lieben Freunde, wir brauchen nicht dem anglikanischen Erzbischof von Canterbury zu folgen, der die Weihnachtsgeschichte als Legende erklärt. Wir halten uns lieber an die großen Astronomen wie Tycho de Brahe und Johannes Kepler, die fest überzeugt waren, dass ein solcher Stern die Weisen zur Krippe geführt hat.

Der Stern kann uns zu der Überlegung führen, daß auch über uns eine höhere Macht steht und unser Leben leitet. Wir wollen heute nur einem einzigen Gedanken folgen, nämlich der Freude über die Vorsehung Gottes, die uns führt. Der Katechismus sagt: Gott erhält und regiert die Welt. Gott erhält und regiert alles, was da besteht. Manche Menschen haben halb unbewußt die Meinung, die Welt ist ein großes Uhrwerk, der Herrgott hat es geschaffen, aber jetzt überlässt er dieses Uhrwerk seinem eigenen Gesetz. Es läuft ab, ohne dass sich Gott darum kümmert. Diese Meinung wurde seit dem 18. Jahrhundert vom Deismus vertreten, einer Irrlehre. Nein, Gott wirkt und schafft dauernd in der Welt. Er ist kein unparteiischer Zuschauer. Wenn Gott nur einen einzigen Augenblick seine Kraft entziehen würde, dann würde das All in das Nichts zurückfallen, dann wäre das die Vernichtung alles Geschaffenen.

Die Theologie hat über diese Wahrheit nachgedacht und uns manches Erhellenswertes beschert. Sie spricht vom „concursus generalis und universalis“, d.h. von der allgemeinen Mitwirkung Gottes mit allem, was an geschöpflichem Tun geschieht. Gott gibt nicht nur die Fähigkeit zum Tun, nein, er tut bei jedem menschlichen Tun mit, er wirkt bei jeder menschlichen Tätigkeit mit. Gott wirkt alles, aber er wirkt es nicht allein, und der Mensch wirkt mit, aber er wirkt es in der Kraft Gottes. Das ganze Tun, das wir verrichten – und wenn ich hier am Ambo stehe – das ganze Tun, das wir verrichten, ist von Gott getragen. Gott wirkt alles, und wir wirken alles, aber in jeweils verschiedener Weise, er nämlich in übergeordneter und wir in untergeordneter Weise.

Da höre ich den Einwand: Ja, sind es nicht die Naturgesetze, die alles Geschehen in der Welt bestimmen? Wo bleibt da noch Platz für die Vorsehung? Naturgesetze, meine lieben Freunde, sind Geschöpfe Gottes. Er hat sie geschaffen, und die Naturgesetze sprechen seine Sprache. Das ist es ja, dass alles, was auf Erden sich bewegt und was auf Erden geschieht in der Macht der Naturgesetze, auf Gottes Willen zurückzuführen ist. Er hält die Welt im Dasein, er lässt die Sterne kreisen, und wenn er einmal aufhören wird, sie kreisen zu lassen, dann fallen die Sterne vom Himmel, wie es Jesus vorausgesagt hat. Der Gott, der die Welt und alles, was in ihr ist, geschaffen hat, ist auch der Herr der Naturgesetze; sie sind der Ausdruck seiner Weisheit und seiner Macht.

Da höre ich einen anderen Einwand: Ja, aber wie ist es mit dem Zufall? Wo ist denn die Vorsehung bei den Zufälligkeiten meines Lebens und deines Lebens? Zufälle, die so eigenartig, so schmerzlich, aber auch manchmal beglückend in unser Leben eingreifen? Da löst sich oben am Berge durch ein flüchtiges Tier ein Steinchen, es rollt zu Tale, der Schnee ballt sich um das Steinchen zusammen und ein furchtbare Lawine verschüttet ganze Dörfer und Straßen und zerstört, was ihr in den Weg kommt. Zufall? Zufall gibt es nicht. Die Macht der Naturgesetze ist auch hier wirksam, und die Macht der Naturgesetze ist die Sprache Gottes, daran ist nicht zu rütteln. Und auch die Naturgesetze müssen Gott gehorchen. Auch sie müssen seiner Vorsehung dienen. Nichts geschieht von ungefähr, alles kommt vom Höchsten her.

Vor Jahrtausenden schon, ach, was sage ich, vor Anbeginn der Zeit hat der Herr gewusst, wie es kommen wird und hat es doch nach seinem unerforschlichen Willen zugelassen, dass die Kräfte zusammenwirken, und in der Stunde oder in der Sekunde, da er es wollte, löste sich das Steinchen, und die Lawine donnerte ins Tal. Ich gebe zu, wir stehen vor Rätseln, wir können es nicht begreifen. Aber in all den dunklen Geheimnissen gibt es doch den Trost: Gott weiß alles, er weiß auch, warum das geschehen musste. Der Zufall ist nichts anderes als die in Schleier gehüllte Notwendigkeit. Nichts geschieht von ungefähr, alles kommt vom Höchsten her.

Und so hat er auch vor Anbeginn der Zeit unser Leben geplant. Er hat einen Entwurf gemacht für unser Leben, und diesem Entwurf wird es folgen, was immer auch geschieht. Kein Künstler kann ein Kunstwerk mit solcher Liebe schaffen, wie Gott unser Leben geplant hat. Auch unser Leben ist ein Kunstwerk, ein Kunstwerk in der Hand Gottes. Und wir müssten dankbar sein, dass Gottes Vorsehung über uns waltet.

Doch gibt es noch einen letzten Einwand, nämlich: Wie steht es mit dem freien Willen des Menschen? Gibt es überhaupt einen freien Willen? Das ist der Gipfelpunkt der Vorsehung Gottes, dass die Vorsehung sogar den freien Willen des Menschen einbegreift in ihre Pläne. Gott lässt dem Menschen seinen Willen, aber dennoch lässt er seine Pläne nicht durchkreuzen. Er hat alle, auch unsere freien Handlungen in seine Pläne einbezogen. All unsere Gebete, all unsere Leiden, all unsere Tätigkeiten sind in seine Vorsehung aufgenommen. Er lässt dem Menschen nicht nur die Freiheit, er wirkt sie sogar. Wir sind nur frei, weil Gott uns frei macht. Gott zwingt den Menschen nicht, er lässt ihm seinen Willen. Das war der Irrtum der Jansenisten, dass sie meinten, die Gnade sei unwiderstehlich. Nein, die Gnade ist nicht unwiderstehlich, es gibt eine abgelehnte Gnade, für die wir Rechenschaft legen müssen. Der menschliche Wille bleibt auch unter dem Einfluß der Gnade frei. Die Gnade ist nicht unwiderstehlich. Wie freilich der menschliche Wille und die Vorsehung Gottes zusammenwirken, das bleibt ein undurchdringliches Geheimnis.

Sie kennen die Geschichte vom ägyptischen Josef. Die Brüder haben ihn verkauft an Händler, die nach Ägypten zogen. Sie wollten ihn unschädlich machen; er war ihnen lästig, weil ihn der Vater besonders liebte und weil er merkwürdige Träume hatte, die ihm eine führende Stellung einräumten. Sie haben ihn also verkauft und dachten: Jetzt haben wir ihn losgebracht. Aber was geschah? In Ägypten stieg er zum Vizekönig des Pharao auf. Gerade diese Missetat benutzte Gott, um seine Pläne mit Josef durchzuführen. Ja, alle Geschöpfe müssen ihm dienen, ob belebt oder unbelebt, ob mit oder ohne ihren Willen. „Ich bin der Herr, dein Gott!“

Und wir dürfen uns das Wort des heiligen Apostels Paulus zu eigen machen: „Denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Besten.“ O meine lieben Freunde, ein furchtbares Wort! Denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Besten, auch die Leiden und die Qualen, auch die Misserfolge und die Enttäuschungen, auch der Betrug und die Verleumdung, die wider uns aufstehen. Denen, die Gott lieben, gereicht alles zum Besten, ohne Ausnahme. Auch das Leid, auch die schweren Stunden haben ihren Platz im Plane Gottes, meine lieben Freunde. Es wird wenige unter uns geben, die nicht schon manchmal gedacht haben: Ich kann nicht mehr, es geht nicht mehr, es ist zu viel, ich bin am Ende meiner Kraft. Und dann ist es doch wieder gegangen, dann hat doch wieder die Kraft Gottes uns gestützt, und dann sind wir doch weitergegangen. Es ist in Wahrheit so: Der Herrgott schickt uns soviel Leid, wie wir brauchen, um nicht in die Irre zu gehen. Er schickt uns soviel Leid, wie wir brauchen, um nicht in die Irre zu gehen.

Als ich im Priesterseminar war 1950, erschien unser Bischof und hielt uns einen Vortrag. Der Vortrag hatte zum Thema: „Es ist gut für mich, dass du mich gedemütigt hast.“ Das ist ein Wort aus dem 118. Psalm. „Es ist gut für mich, dass du mich gedemütigt hast.“ Es ist gut für mich, dass du mich geschlagen hast. Es ist gut für mich, dass du mir das Leid geschickt hast. Es ist gut für mich, das heißt, es ist nützlich für die Ewigkeit.

Wir sollten also unser Vertrauen zur Vorsehung Gottes erneuern am Beispiel der Könige, der Weisen, die aus dem Morgenlande zum Krippenkinde kamen. Nichts geschieht von ungefähr, alles kommt vom Höchsten her. Ein Student besuchte einmal einen frommen Pfarrer, und ein böses Wetter überraschte ihn. Als er beim Pfarrer ankam, da schimpfte er über das Wetter nach Kräften. Der Pfarrer hörte ihm zu, und nach einer Pause sagte er: „Junge, was schimpfst du denn? Es ist Gottes Wetter!“ Das ist wie ein Blitz in seine Seele eingezogen: Es ist Gottes Wetter. Ja, das Wetter ist Gottes, und unser Leben ist Gottes, und unsere Arbeit ist Gottes, und unsere Freude ist Gottes, unser Erfolg ist Gottes, und unser Misserfolg ist Gottes, und unser Leid ist Gottes. Alles ist Gottes. Gott ist weiser, er sieht weiter, er schaut tiefer, als wir es vermögen. Er regiert die Welt, und er hat am Anfang gesprochen. Als Gott sah, was er gemacht hatte, da erkannte er: Es war alles gut. Und wenn die Welt zu Ende geht, wird er wieder sagen: Er erkannte, was er gemacht hatte mit seiner Vorsehung, und es war alles gut.

Der große englische Theologe und Kardinal Newman hat einmal ein schönes Gebet verfaßt, das ich schon seit vielen Jahrzehnten auswendig kann. Dieses schöne Gebet lautet: „Führe, du mildes Licht, im Dunkel, das mich umgibt, führe du mich hinan! Die Nacht ist finster, und ich bin fern der Heimat, führe du mich hinan! Leite du meinen Fuß, sehe ich auch nicht weiter, wenn ich nur sehe jeden Schritt. Einst war ich weit zu beten, dass du mich führest, selbst wollt ich wählen, selbst mir Licht trotzend dem Abgrund dachte ich meinen Weg zu bestimmen, setzte mir stolz das eigene Ziel. Aber jetzt laß es vergessen sein. Du hast mich so lang behütet, wirst mich auch weiter führen über sumpfiges Moor, über Ströme und lauernde Klippen, bis vorüber die Nacht und im Morgenlicht Engel mir winken. Ach, ich habe sie längst geliebt, nur vergessen für kurze Zeit.“

Amen.

 

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt