Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
8. Juni 1987

Ein­wir­kende Gna­den

Im Namen des Vaters und des Soh­nes und des Hei­li­gen Geis­tes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Hei­lige Geist teilt die Gna­den aus, die Chris­tus am Kreuze ver­dient hat. So hat­ten wir ges­tern, am 1. Pfingst­fei­er­tage, erkannt. Die Gna­den, die der Hei­lige Geist aus­teilt, sind vier­fa­cher Art:

1. Er gibt allen Men­schen die ein­wir­ken­den Gna­den.

2. Er teilt vie­len die hei­lig­ma­chende Gnade mit.

3. Er schenkt gewöhn­lich die sie­ben Gaben, manch­mal auch außer­or­dent­li­che Gaben.

4. Er erhält und lenkt die Kir­che.

Am heu­tige 2. Pfingst­fei­er­tage wol­len wir die ers­ten Gna­den betrach­ten, die der Hei­lige Geist aus­teilt. Er schenkt die ein­wir­ken­den Gna­den. Er erleuch­tet damit den Ver­stand, und er erwärmt den Wil­len. Er ist mit der Sonne zu ver­glei­chen. Die Sonne macht hell und warm. Ähn­lich der Hei­lige Geist. Er macht es hell im Ver­stand, und er erwärmt, er durch­glüht den Wil­len.

So geschah es am ers­ten Pfingst­fest. Vor dem Her­ab­kom­men des Hei­li­gen Geis­tes waren die Apos­tel schwer von Begriff. Der Herr tadelte sie wegen ihres lang­sa­men Begrei­fens. Als der Hei­lige Geist gekom­men war, wuß­ten sie über alles Bescheid. Vor der Her­ab­kunft des Hei­li­gen Geis­tes waren sie furcht­sam und ver­bar­gen sich. Als der Hei­lige Geist sie erfüllt hatte, da gin­gen sie hin­aus aus dem Zim­mer, in dem sie ver­sam­melt waren, und waren uner­schro­cken und ver­kün­dig­ten Chris­tus, den Auf­er­stan­de­nen. Die Gele­gen­hei­ten, bei denen Gott die ein­wir­ken­den Gna­den dem Men­schen gibt, sind viel­fäl­tig. Bei­spiels­weise die Pre­digt, das Lesen guter Bücher, das gute Bei­spiel ande­rer, Krank­hei­ten, Todes­fälle, das alles kön­nen Gele­gen­hei­ten sein, bei denen Gott seine ein­wir­ken­den Gna­den mit­teilt.

Diese ein­wir­kende Gnade wird auch bezeich­net als Gnade des Bei­stan­des, weil sie uns eben hilft zur Erlan­gung der ewi­gen Selig­keit, als Wirk­gnade, als aktu­elle Gnade, als Ein­spre­chung Got­tes. Alle diese Aus­drü­cke hal­ten etwas von dem Wesen die­ser ein­wir­ken­den Gnade fest. Der hei­lige Anto­nius der Ein­sied­ler wurde von ihr gepackt, als er das Evan­ge­lium vom rei­chen Jüng­ling hörte; der hei­lige Franz von Assisi, als er auf dem Kran­ken­la­ger lag; der hei­lige Igna­tius, als er die Geschichte Christi und der Hei­li­gen ken­nen­lernte.

Die ein­wir­kende Gnade ist manch­mal hör­bar und sicht­bar. Als der Herr getauft wurde, da kam der Hei­lige Geist wie etwas Tau­be­n­ähn­li­ches auf ihn herab, und es erscholl eine Him­mels­stimme. Als die Apos­tel im Saal in Jeru­sa­lem ver­sam­melt waren, da erhob sich ein gewal­ti­ges Brau­sen, und Feu­er­flam­men kamen wie Zun­gen über sie herab.

Die ein­wir­ken­den Gna­den zwin­gen uns nicht. Sie las­sen uns die voll­stän­dige Frei­heit, sie anzu­neh­men oder sie abzu­wei­sen. Die ein­wir­kende Gnade ist wie ein Füh­rer, man kann ihm fol­gen, aber man kann ihm auch die Gefolg­schaft ver­sa­gen. Die ein­wir­kende Gnade ist wie ein Licht. Das Licht leuch­tet, aber man kann die Augen vor ihm ver­schlie­ßen. Man­che neh­men die ein­wir­ken­den Gna­den an, andere wei­sen sie ab. Hero­des hat die ein­wir­kende Gnade, die in der Gestalt der drei Magier vor ihm stand, abge­wie­sen. Der rei­che Jüng­ling, dem der Herr emp­fahl, alles, was er besaß, preis­zu­ge­ben, hat sich der ein­wir­ken­den Gnade ver­wei­gert. Sau­lus dage­gen hat mit der ein­wir­ken­den Gnade mit­ge­wirkt und wurde der hei­lige Apos­tel Pau­lus.

Wer stän­dig die ein­wir­kende Gnade abweist, der begeht eine Sünde wider den Hei­li­gen Geist. Der Wider­stand gegen das Ein­wir­ken des Geis­tes ist die Sünde gegen den Hei­li­gen Geist, und diese Sünde führt zur Ver­damm­nis. Die ein­wir­ken­den Gna­den haben die meis­ten Juden abge­lehnt, und des­we­gen kam es im Jahre 70 zur Kata­stro­phe, als das römi­sche Heer die Stadt ein­nahm und ver­brannte.

Die ein­wir­ken­den Gna­den wer­den einem jeden Men­schen gege­ben, denn das Licht leuch­tet in der Fins­ter­nis, und es leuch­tet so, daß es jeden Men­schen erhellt, der in die Welt kommt. So heißt es im Johan­nes-Pro­log, im Ein­gang des Johan­nes­evan­ge­li­ums. Und auch in Pau­lus­brie­fen wird bezeugt, daß Gott will, daß alle Men­schen selig wer­den. Da sie aber ohne Gna­den nicht selig wer­den kön­nen, müs­sen sie alle Gna­den emp­fan­gen. Also: Ein­wir­kende Gna­den emp­fan­gen nicht nur die Katho­li­ken, son­dern auch die ande­ren Getauf­ten, ja auch die Unge­tauf­ten. Ein­wir­kende Gna­den wer­den nicht nur heute aus­ge­teilt, son­dern auch frü­her, ja sie wur­den schon vor Chris­tus den Men­schen gege­ben. Das läßt sich leicht ver­ste­hen, meine lie­ben Freunde. Bevor die Sonne am Fir­ma­ment steht, wirft sie schon Strah­len vor­aus, so daß es hell wird auf der Erde. Oder ein ande­res Bei­spiel: Wenn jemand eine bestimmte Summe Gel­des zu bekom­men hat, so kann er sich auch einen Vor­schuß erbit­ten. Ähn­lich ist es mit der Aus­tei­lung des Hei­li­gen Geis­tes. Die volle Ernte geschah mit dem Pfingst­fest. Seit dem Pfingst­fest ist Hei­li­ger Geist in Fülle unter den Men­schen. Aber schon vor dem Pfingst­fest wurde der Hei­lige Geist aus­ge­teilt. Bei­spiels­weise in Baby­lon, als die Juden in der Gefan­gen­schaft waren, wirkte der Hei­lige Geist die gro­ßen Wun­der an den Jüng­lin­gen im Feu­er­o­fen, an Daniel in der Löwen­grube, ja auch unter den Hei­den. Es ist nicht ohne Wir­ken des Hei­li­gen Geis­tes mög­lich, daß der große Heide Sokra­tes den Ein-Gott-Glau­ben bekannte und für die­sen Ein-Gott-Glau­ben in den Tod gehen mußte.

Wir erlan­gen die ein­wir­ken­den Gna­den, indem wir gute Werke ver­rich­ten und die Gna­den­mit­tel der Kir­che gebrau­chen. Indem wir gute Werke ver­rich­ten: Beten, Fas­ten, Almo­sen; indem wir die Gna­den­mit­tel der Kir­che gebrau­chen, also Emp­fang der hei­li­gen Sakra­mente, Besuch der hei­li­gen Messe, Anhö­rung der Pre­digt.

Die Gna­den kön­nen selbst­ver­ständ­lich nicht her­bei­ge­zwun­gen wer­den. Das würde dem Wesen der Gnade wider­spre­chen; denn Gnade ist eben eine Wohl­tat, die jeman­dem gege­ben wird, ohne daß sie geschul­det wird. Aber das besagt nicht, daß der Mensch am Emp­fang der Gnade unbe­tei­ligt ist. Gott teilt die Gna­den aus, wie er will, aber er will sie denen aus­tei­len, die vor­be­rei­tet, die dis­po­niert sind, die ihr Herz zuge­rüs­tet haben. Nie­mand kann sagen, es habe jemand ein Recht auf eine Gabe, wenn er die Hand aus­streckt. Aber er muß die Hand aus­stre­cken, damit man die Gabe hin­ein­le­gen kann. Und genauso ist es beim Emp­fang der Gaben, der Gna­den des Hei­li­gen Geis­tes. Der Mensch muß sich dis­po­nie­ren, er muß sich vor­be­rei­ten, er muß emp­fäng­lich sein für die Gna­den. Der uns ohne unser Zutun geschaf­fen hat, der will uns nicht ohne unser Zutun selig machen.

Beson­ders geeig­net für den Emp­fang der Gna­den ist das Gebet, das Gebet an ers­ter Stelle zum Hei­li­gen Geist. Wir soll­ten es uns zu einer hei­li­gen Gewohn­heit machen, jeden Tag zum Hei­li­gen Geist zu beten. Wenn man das eine Zeit lang getan hat, kann man die Gebete aus­wen­dig, dann spricht man die Hym­nen mit gro­ßer Begeis­te­rung. Man kann auch ganz ein­fach zum Hei­li­gen Geist rufen: „Komm, Hei­li­ger Geist!“ Das ist das ein­fachste Gebet, das es gibt, aber auch ein ganz rich­ti­ges. „Komm, Hei­li­ger Geist!“ Ihn oft anru­fen, in all unse­ren Geschäf­ten und Auf­ga­ben: „Komm, Hei­li­ger Geist!“ Es hat auch Sinn, die Mut­ter­got­tes anzu­ru­fen, denn sie ist die Braut des Hei­li­gen Geis­tes. Sie ist voll der Gna­den, und des­we­gen ist es sehr sinn­voll, um die ein­wir­ken­den Gna­den zu erlan­gen, die Mut­ter­got­tes anzu­ru­fen.

Tun wir das, wir­ken wir mit den Gna­den mit! Erbe­ten wir sie ande­ren, damit die ein­wir­kende Gnade sich als wahre Gnade des Bei­stands erweise, des Bei­stands, um die Selig­keit zu gewin­nen.

Amen.

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