Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
27. Juni 2010

Die Verbindlichkeit des sittlichen Naturgesetzes

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Der Heilige Vater hat in der letzten Zeit mehrfach auf die Bedeutung des sittlichen Naturgesetzes und des Naturrechtes hingewiesen. Das sittliche Naturgesetz und das Naturrecht ist ein unaufgebbarer Bestandteil der kirchlichen Verkündigung. Wir kennen die Gesetze der physischen Natur. Wir haben sie im Unterricht in der Schule gelernt, in naturwissenschaftlichen Unterricht. Der Schall pflanzt sich fort mit eine Geschwindigkeit von 333 Metern in der Sekunde. Gregor Mendel, der Augustinerprior, hat die sogenannten Mendel’schen Gesetze entdeckt. Sie gehören zu der Vererbung. Georg Simon Ohm hat das Ohm’sche Gesetz entdeckt, nämlich: Stromstärke = Spannung durch Widerstand. Das sind Naturgesetze, physische Naturgesetze. Aber es gibt nicht nur physische Naturgesetze, es gibt auch sittliche Naturgesetze, die sich also an den Menschen wenden, an seinen Verstand und an seinen Willen.

Was versteht man unter sittlichen Naturgesetzen? Sittliche Naturgesetze sind die Gesamtheit der sittlichen Normen, die der Mensch aus der Natur der Dinge kraft seiner natürlichen Vernunft als sittlich verbindlich erkennen kann. Natur ist hier in einem doppelten Sinne gebraucht, nämlich einmal als Erkenntnisgegenstand, als Quelle der Erkenntnis, und als Erkenntnismittel, nämlich Vernunft. Um es noch etwas einfacher zu erklären: Die Geschöpfe haben vom Schöpfer eine bestimmte Struktur, eine bestimmte Wesensart mitbekommen. Diese Natur ist verbindlich, denn der Schöpfer hat sie hineingelegt. Diese Strukturen muss der Mensch erkennen und beachten. Das ist das sittliche Naturgesetz.

Die Heilige Schrift bezeugt uns die Existenz des sittlichen Naturgesetzes. Im Römerbrief schreibt der heilige Apostel Paulus: „Indem die Heiden, die das jüdische Gesetz nicht haben, von Natur das gesetzlich Vorgeschriebene tun, sind diese, die das mosaische Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen nämlich, dass das Werk des Gesetzes in ihre Herzen geschrieben ist, indem ihr Gewissen ihnen Zeugnis gibt und ihre Gedanken sich untereinander anklagen und verteidigen.“ Auf diese grundlegende Aussage des Apostels Paulus hat sich die kirchliche Moralwissenschaft immer gestützt und infolgedessen 2000 Jahre lang die Existenz des sittlichen Naturgesetzes gelehrt. Andere sind in die Fußstapfen des Apostels Paulus getreten, z.B. der heilige Justin der Martyrer, der uns ja wertvolle Schriften hinterlassen hat. Er spricht von dem „allgemeinen, natürlichen und ewigen Gesetz“. In der Zeit der Verfolgung haben sich die Christen auf dieses Gesetz berufen. Auf die Offenbarung konnten sie sich nicht berufen, denn die Verfolger erkannten ja die Offenbarung nicht an. Aber gemeinsam mit ihnen hatten sie das sittliche Naturgesetz, und darauf haben sie sich gestützt bei ihrem Kampf für die Rechte der Christen.

Kann man beweisen, dass es ein sittliches Naturgesetz gibt? Man kann es bei allen Menschen guten Willens. Im allgemeinen sittlichen Bewußtsein zeigt sich das Vorhandensein eines Sollens. Wir alle spüren, dass wir bei bestimmten Vorhaben, Handlungen, Aktionen vor der Frage stehen: Darf ich oder darf ich nicht? Es ist dem Menschen zutiefst eingewurzelt ein Sollen, das der Vernunft aufgegeben ist, ein Gespür für das, was der Mensch tun darf oder soll oder nicht tun darf oder nicht tun soll. In diesem Gespür deutet sich das sittliche Naturgesetz an. Das Nachdenken erhärtet diese Erscheinung, die wir ja alle in uns spüren. Es vertieft diese volkstümliche Überzeugung. Mit der Vernunft erkennt der Mensch, dass es eine innere Notwendigkeit gibt, bestimmte Dinge zu tun oder zu unterlassen. Dass der Mensch mehr ist als ein Tier, weil er Vernunft und Willen besitzt, ist jedem, der denken kann, offensichtlich. Wenn er aber mehr ist als ein Tier, kann er nicht behandelt werden wie ein Tier. Man muss ihn vielmehr achten und schätzen in seiner Persönlichkeit. Wenn der Mensch mehr ist als ein Tier, kann er auch nicht leben wie ein Tier. Er muss eingedenk sein der geistigen Gaben, die ihm zuteil geworden sind, seiner Verantwortung, die er trägt für sich und für andere.

Alle Menschen, so verschieden sie sein mögen, haben das Recht, anerkannt zu werden in ihrer Existenz und in ihrem Lebensrecht. Das sittliche Naturgesetz erhebt Einspruch gegen die Einteilung der Menschen in höherwertige und minderwertige Rassen, von denen die einen zum Herrschen, die anderen zum Beherrschtwerden berufen seien. Das ist das sittliche Naturgesetz. Jedes Volk, das existiert, hat ein Recht zu leben, sich zu entfalten, sich zu vermehren. Das sittliche Naturgesetz verbietet, dass ein starkes Volk ein schwaches unterjocht oder gar ausrottet. Das ist die Sprache des sittlichen Naturgesetzes.

Der Protestantismus leugnet das sittliche Naturgesetz. Er muss es leugnen, weil er eine falsche Vorstellung von der Erbsünde hat. Nach ihm ist durch die Erbsünde der Mensch total – total! – verdorben. Natürlich, wenn der Mensch, wenn die menschliche Natur total verdorben ist, kann man daraus keine Imperative entnehmen. Wegen dieser Verderbnis ist also ein Naturrecht im Protestantismus nicht möglich.

Das sittliche Naturgesetz hat einen bestimmten Inhalt, und zwar gestaffelt nach seiner Nähe zu unserer Erkenntnis. Der erste und oberste Prinzip, welches das sittliche Naturgesetz enthält, lautet: Du sollst das Gute lieben und tun und das Böse meiden. Dieses erste und allgemeine Gesetz ist ja wohl noch den allermeisten Menschen einsichtig. Schwieriger wird es dann schon bei den ersten Anwendungen dieses Grundsatzes auf materielle Gebiete des Handelns. Was ist denn nun gut und böse, nicht wahr? Nun, das läßt sich mit dem Verstand, mit der Vernunft begründen. Wenn die Eltern den Kindern das Leben schenken, dann sind sie auch dazu berufen, ihnen das Leben zu erhalten, also sie nicht im Mutterleibe zu töten. Wenn die Eltern den Kindern das Leben schenken, dann sind sie auch verpflichtet, sie zu erziehen, also sie nicht dem Moloch Staat zu überliefern!

Die Menschen sind geschlechtlich verschieden, Mann und Frau. Die geschlechtliche Verschiedenheit ist darauf hingerichtet, dass sie zu einer Einheit verbunden wird. Man und Frau vereinigen sich und wecken dadurch neues Leben. Sie verbinden sich, so dass aus ihrer Verbindung Nachkommenschaft entstehen kann. Aber eben nur Mann und Frau, nicht Mann und Mann oder Frau und Frau! Das ist ein teuflische Verkehrung des sittlichen Naturgesetzes. Das ist ein Mißbrauch, eine himmelschreiende Sünde. Dagegen erhebt das sittliche Naturgesetz Einspruch.

Weiter entfernt liegen gewisse Folgerungen und Anwendungen des sittlichen Naturgesetzes. Denken wir an die Einpaarigkeit der Ehe. Ein Mann hat eine Frau, und eine Frau hat einen Mann, nicht wie der König in Benin, der 48 Frauen hat und 82 Kinder. Nein, die Ehe ist einpaarig. Auf diese Einpaarigkeit der Ehe weist die fast gleiche Kopfzahl der Geschlechter hin. Es ist doch merkwürdig, dass fast immer so viele Männer wie Frauen geboren werden, so dass sie sich zusammenfinden können. Und wenn in einem Kriege besonders viele Männer gefallen sind, werden merkwürdigerweise danach mehr Knaben als Mädchen geboren. Das sind Tatsachen. Auf die Einpaarigkeit der Ehe weist auch die psychologische Tatsache der Eifersucht. Der Mensch, der sich verehelicht, will den anderen ganz für sich haben, und er will ihn nicht teilen mit anderen, wenn er ein normales Empfinden hat. Die eheliche Liebe verträgt keine Aufteilung auf mehrere Männer oder auf mehrere Frauen. Sie verlangt ungeteilte Hingabe. Das ist die Sprache des sittlichen Naturgesetzes. Die Unauflöslichkeit der Ehe ergibt sich ebenfalls aus dem sittlichen Naturgesetz, denn es ist ja das Wesen der Ehe, eine Lebensgemeinschaft zu sein. Die Ehegatten sollen alles miteinander teilen, Besitz und Arbeit, Freude und Leid. Wer alles miteinander teilen soll, der soll auch immer beieinander bleiben. Die Möglichkeit der Ehescheidung zerstört die auf die Selbstzucht hinweisenden Kräfte, sie zerstört die auf die Selbstzucht hinweisenden Kräfte, und sie ermuntert die Kräfte, die auf die Selbstsucht hinweisen. Die Trennung geht, wie wir alle wissen, vor allem auf Kosten der Kinder. Also das Naturgesetz, das sittliche Naturgesetz läßt sich erkennen von dem, der guten Willens ist.

Es hat bestimmte Eigenschaften, nämlich einmal: Es gilt für alle Menschen und für alle Völker. Es ist universal in persönlicher, zeitlicher und örtlicher Hinsicht. Es ist ja innerlich vernünftig und notwendig, und deswegen ist es eine allgemeingültige Norm. Die wesentliche Pflichten sind für alle Menschen dieselben. Heute wird von manchen ein Weltethos proklamiert. Gewisse, von Menschen aufgestellte Normen sollen von allen beachtet und beobachtet werden. Das ist Menschenwerk und deswegen unverbindlich. Das sittliche Naturgesetz ist Gottes Werk und deswegen verbindlich. Das Weltethos ist schon längst da; es ist das sittliche Naturgesetz.

Nun gibt es Menschen, welche in Unkenntnis über das sittliche Naturgesetz leben. Wir erfahren es ja jeden Tag, wie die Menschen das sittliche Naturgesetz mit Füßen treten, wie sie es mißachten, wie sie es ablehnen. Woher kommt diese Unkenntnis des sittlichen Naturgesetzes? Erstens, weil sich die Menschen nicht darum bemühen. Sie fragen nicht nach dem Wesen der Geschöpfe und den Imperativen, die sich aus diesem Wesen ergeben. Sie wollen nicht wissen, was der Schöpfer mit seiner Schöpfung anzielt. Sie wollen es nicht wissen, um nicht gebunden zu sein. Man kann sich die Gottlosigkeit und die Gottferne vieler Menschen, die mit uns leben, gar nicht schlimm genug vorstellen. Aber es gibt nicht nur Unwissenheit, es gibt auch den Unwillen, das sittliche Naturgesetz zur Kenntnis zu nehmen. Dass viele Menschen sich dagegen sträuben, ist leicht zu erklären: Sie fliehen vor der sittlichen Anstrengung, die das sittliche Naturgesetz von ihnen verlangt. Sie gehen der Überwindung aus dem Weg, die man anwenden muss, wenn man sich nach dem sittlichen Naturgesetz richtet. Sie wollen ungebunden ihren Neigungen und Leidenschaften nachleben. Sie wollen sich durch das sittliche Naturgesetz nicht in ihren Vergnügungen stören lassen. Das sittliche Naturgesetz ist dauernd und unveränderlich. Weil es innerlich wahr ist, kann es nicht unwahr werden. Weil Gottes Wille unwandelbar ist, kann sich das sittliche Naturgesetz nicht wandeln. Weil das Wesen des Menschen unveränderlich ist, bleibt das sittliche Naturgesetz immer dasselbe. Es kann auch nicht zeitweilig suspendiert werden, in seiner Geltung unterbrochen werden. Das Naturgesetz kennt deswegen keine Unterbrechung, weil man den Schöpfer des Naturgesetzes nicht in Urlaub schicken kann.

Das Naturgesetz erlaubt auch keine Entschuldigung und keine Ausnahme. Wenn man auf sogenannte Ausnahmen hinweist, so ist zu erklären, dass das eigentlich Auslegungen – Auslegungen – des Naturgesetzes sind. Das Naturgesetz sagt: „Du sollst nicht töten!“ Aber das ist in dieser Formulierung zu knapp formuliert. „Du sollst nicht ungerecht töten“, müßte man sagen. Du sollst nicht morden. Die Tötung kann unter Umständen geboten sein. Also das sittliche Naturgesetz ist ausnahmslos geltend, aber man muss, man darf es auslegen.

Nun könnte man annehmen, die natürliche Ordnung ist durch die übernatürliche Ordnung, durch die Offenbarung in Christus überwunden worden. Aber da gilt das unumstößliche christliche Prinzip: Die Gnade zerstört nicht die Natur, sondern sie setzt die Natur voraus. Sie setzt die Natur voraus, und sie vollendet die Natur. Das sittliche Naturgesetz wird durch die Offenbarung nicht aus den Angeln gehoben; es bleibt gültig. Was durch die Offenbarung abgeschafft ist, das sind die mosaischen Gesetze, der Tempel, die Tempelopfer. Das ist abgeschafft, aber das sittliche Naturgesetz, das sich zum Beispiel in den Zehn Geboten vorfindet, das bleibt erhalten. Das sittliche Naturgesetz wird zum Bestandteil des neutestamentlichen Gesetzes. Die Heilige Schrift bestätigt an vielen Stellen die Weitergeltung des sittlichen Naturgesetzes. Der heilige Paulus zählt an vier Stellen seiner Briefe Sünden auf, die durch das sittliche Naturgesetz verboten sind, unter anderem vor allem gegen die geschlechtliche Sittlichkeit. Diese Aufzählungen sind nichts anderes als der Beweis dafür, dass das sittliche Naturgesetz im Neuen Testament, im Zeitalter der Kirche, weitergeht.

Freilich hat Gott zum Wächter über das Naturgesetz eine Institution geschaffen. Wir nennen sie katholische Kirche. Die Kirche wacht über den Inhalt des Naturgesetzes. Sie ist durch den Heiligen Geist befähigt, die Normen zu erkennen, die der Schöpfer in das Wesen der Geschöpfe gelegt hat. Das gilt zum Beispiel für das so heikle Thema der Empfängnisverhütung. Ich habe dem Herrn Glück in München einen Brief geschrieben. Dieser Herr Glück hatte ja bekanntlich die Frau Käßmann gelobt, weil sie die Pille als ein „Geschenk Gottes“ bezeichnet hatte. Ich habe dem Herrn Glück einen Brief geschrieben, in dem ich ihn auf das sittliche Naturgesetz hingewiesen habe. Die Kirche wacht über das sittliche Naturgesetz. Am 20. Oktober 1939 warnte Papst Pius XII. vor der Verachtung des Naturgesetzes in der Beziehung der Völker. Am 20. Oktober 1939. Das war nicht zufällig. Es war der Zeitpunkt, an dem die deutschen Eroberer ihre Schreckensherrschaft in Polen aufrichteten. Da ist der Papst aufgestanden und hat auf das sittliche Naturgesetz hingewiesen. Der Papst hat nicht geschwiegen, der Papst hat gesprochen. Der Papst sagt nämlich, was daraus folgt, wenn die von Gott gegebenen Gesetze der Völker mißachtet werden. Die Staatsgewalt maßt sich eine ungemessene Macht an, und damit wird die Rechtlosigkeit zum Prinzip erhoben. Wer das Völkerrecht vom göttlichen Recht, vom sittlichen Naturgesetz löst, der verfehlt sich gegen das göttliche Recht und gegen den göttlichen Gesetzgeber.

Wir wissen also, meine lieben Freunde, was wir zu tun haben, damit wir dem Schöpfer und Erlöser gerecht werden. Wir müssen das sittliche Naturgesetz beachten und erfüllen zum Wohlgefallen Gottes, des Schöpfers und zum Empfang der Gaben, die der Erlöser uns vermitteln will. Wer im Einklang mit dem Schöpfer und dem Erlöser handelt, der hat Frieden im Herzen, der besitzt ein gutes Gewissen, ist ein Segen für seine Umgebung und findet heim zu Gott.

Amen.

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