Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
25. Oktober 1992

Der Leibeskult

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das Christentum ist eine Religion des Übernatürlichen. Durch Christus ist ja die Wahrheit und die Gnade in die Welt gekommen. Das nennen wir das Übernatürliche, weil es eben nicht in der Natur vorfindlich ist. Aber gerade weil das Christentum das Reich des Übernatürlichen ist, vermag es das Natürliche in seine Würde und in seinen Wert einzusetzen. Diese Regel zeigt sich beim Leib und beim Leibesleben; denn dem Christentum ist der Leib das Organ der Seele. Die christliche Lehre betrachtet Leib und Leibesleben unter dem Blick der Ewigkeit. Aber gerade deswegen vermag das Christentum dem Leib und dem Leibesleben auf Erden Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Wenn der Leib das Organ, also das Werkzeug, das Mittel der Seele ist, dann ist damit abgewiesen der platonische und manichäische Pessimismus bezüglich des Leibes. Die Dualisten sagen: Der Leib ist der Kerker der Seele, die Seele ist gefangen im Leibe. Nein, die Seele ist das Organ des Leibes. Mit dem Leibe wirkt der Mensch, und durch den Leib wirkt die Seele. Aber damit nicht genug: Wenn der Leib das Organ der Seele ist, ist auch abgewiesen die Lehre vom Leibeskult, die sich etwa in dem Worte von Friedrich Nietzsche ausdrückt: „Leib bin ich ganz und gar, und die Seele ist nur etwas an meinem Leibe.“ Nein, umgekehrt, der Leib steht zur Verfügung der Seele. Und es ist ganz falsch, einem Leibeskult zu huldigen, allein den Leib und nur den Leib zu sehen und alles zu tun in übertriebener Leibespflege, in übertriebener Körperpflege, lediglich nur den Leib zu hegen und zu pflegen und darüber die Seele zu vergessen, wie es Menschen in millionenfacher Weise tun.

Der Leib ist das Organ der Seele, aber er ist auch erhoben in wunderbarer Weise. „Wißt ihr nicht“, sagt der Apostel Paulus, „wißt ihr nicht“ – natürlich wissen sie es, er hat es ihnen ja gesagt –, „daß eure Leiber Tempel des Heiligen Geistes sind?“ Wenn wir in der Gnade leben, wenn das göttliche Leben in uns ist, das wir die heiligmachende Gnade nennen, dann ist es auch im Leibe. Auch der Leib ist erhoben, wunderbar erhoben durch das gnadenhafte Leben. „Wißt ihr nicht, daß eure Leiber Glieder Christi sind?“ So eng ist die Verbindung unseres Leibes zu Christus, daß wir gleichsam Glieder seines Leibes sind. „Verherrlicht Gott in eurem Leibe!“ ist dann die Mahnung, mit der der Apostel diese Ausführungen abschließt. Wenn es so ist, daß der Leib nicht nur Organ der Seele ist, sondern daß er wunderbar begnadet ist, daß er ein Tempel des Heiligen Geistes ist, dann müßt ihr auch euren Leib benutzen, um damit Gott zu verherrlichen. Ihr müßt ihn also ausbilden, daß er ein taugliches Werkzeug der Gnade, des von Gott erfüllten Geistes wird.

Das Leibesleben ist eine Vorbereitungszeit. Wir wissen, daß unser letztes Ziel nicht auf Erden liegt. Unser letztes Ziel ist der Himmel. In jeder heiligen Messe ruft der Priester den Gläubigen zu: „Empor die Herzen!“ Ja, wohin denn? Nun, zum Himmel. Empor zum Himmel, da, wo unsere Heimat ist, da, wo wir immer sein sollen. Das ist das Ziel, und das Ziel muß feststehen. Und wenn das Ziel nicht feststeht, dann laufen die Menschen umsonst, dann verlaufen sie sich und dann führen sie Luftstreiche und versäumen darüber ihre Lebensaufgabe. Das Leben ist Vorbereitungszeit. Diese Wahrheit darf nicht vergessen werden. Und weil es Vorbereitungszeit ist, müssen wir die Zeit ausnutzen. „Kaufet die Zeit aus“, mahnt der Apostel, „denn die Tage sind böse.“ Oder an einer anderen Stelle: „Lasset uns Gutes tun, solange wir Zeit haben!“ In dem wunderbaren Büchlein von der Nachfolge Christi ist oft die Rede von dem Wert der Zeit. „Jeder Augenblick ist kostbar“, so heißt es da, „es kann die Zeit kommen, wo du einen einzigen Tag oder nur eine Stunde haben möchtest, um dich zu bekehren. Aber ich weiß nicht, ob du sie erlangen wirst.“ Die Verdammten würden, wenn sie Zeit hätten, eine einzige Minute benutzen, um sich zu bekehren. Aber sie haben diese Minute nicht mehr. Hätten sie nur eine einzige Minute zur Verfügung, dann würde die Hölle entvölkert werden.

Einmal umstanden die Angehörigen das Lager eines Sterbenden. Aus dem Munde des Sterbenden kam der Ausruf: „Ruft sie zurück! Ruft sie zurück!“ Die Umstehenden fragten ihn: „Wen denn?“ Da kam es erlöschend aus dem Munde des Sterbenden: „Die Zeit, die Zeit!“ Die Zeit ist kostbar, und wir sollen sie benutzen, um diese Vorbereitungsfrist auf Erden nach Gottes Willen zu verbringen. Das ist aber nur möglich, meine lieben Freunde, wenn wir den Körper zu einem tauglichen Werkzeug der Seele machen. Und wir wissen, daß das nicht geht ohne Selbstüberwindung, ohne Selbstverleugnung. Was bedeutet Selbstverleugnung, ein Wort, das man heute gar nicht mehr hört? Selbstverleugnung bedeutet, daß man Handlungen oder Unterlassungen aus sittlich-religiösen Motiven setzt, die dem natürlichen Streben entgegengesetzt sind. Zur Selbstverleugnung kann man auch sagen Selbstüberwindung, Verzicht, Losschälung, Abtötung. Nicht das Gesunde soll abgetötet werden, sondern das Kranke. Man soll sich losschälen nicht vom Guten, sondern vom Bösen, vom Gefährlichen. Denn wir wissen alle, meine lieben Freunde, daß in unserer Brust entgegengesetzte Tendenzen obwalten. Da ist ein ständiger Kampf zwischen guten und bösen Strebungen. Diesen Kampf kann man nur bestehen, wenn man sich bewußt übt in Überwindung und in Losschälung.

Das beginnt mit ganz einfachen Dingen und endigt bei dem entschiedenen Kampf gegen die Versuchungen zur schweren Sünde. Der heilige Vinzenz von Paul schreibt einmal: „Die Beherrschung der Eßlust ist das ABC des geistlichen Lebens. Wer sich hierin nicht überwinden kann, der wird auch die anderen Laster nicht besiegen können.“ Die Überwindung der Gaumenlust, die Beherrschung der Eßlust ist das ABC des geistlichen Lebens. Also das sind die Anfangsgründe, womit man im geistlichen Leben beginnen muß. Wer fortschreiten will und das ABC nicht buchstabieren kann, der ist hoffnungslos zum Scheitern verurteilt. Man muß sich beherrschen, man muß sich überwinden, man muß Hartes auf sich nehmen, man muß Angenehmes fahren lassen. Das ist unerläßlich auf Erden, und nur so können wir diese Vorbereitungsfrist bestehen.

Der Leib ist das Organ der Seele. Die Kirche und das Christentum will durchaus den gesunden, schönen, starken, geschickten Leib. Das ist ein legitimes Ziel. Aber das Christentum lehnt einen Leibeskult ab, welcher der Schamhaftigkeit, der Sittsamkeit und der Gesundheit zu nahe tritt. Wir wissen, daß es eine Leibespflege gibt, die eine Gefahr für die Seele bedeutet. Ich habe manchmal den Eindruck, daß Menschen, die übermäßige Aufmerksamkeit auf den Leib verwenden, damit etwas kompensieren wollen, daß sie nämlich der Seele zu wenig Aufmerksamkeit schenken. Ein übertriebenes Reinlichkeitsbedürfnis kann ein Zeichen dafür sein, daß man sich um die Sauberkeit der Seele gar nicht kümmert. Ein Mann wie Adolf Hitler hatte einen Reinlichkeitswahn, aber um die Reinheit seiner Seele hat er sich wenig geschert.

Weil der Leib Organ der Seele ist, müssen wir ihn rein halten, rein im körperlichen Sinne, aber rein auch im übertragenen Sinne. Die größte Gefahr ist hier die Unkeuschheit. „Der Leib ist für den Herrn, und der Herr ist für den Leib. Fliehet darum Unkeuschheit!“ So mahnt der Apostel Paulus. Wir wissen, wieviel auf diesem Gebiete gesündigt wird, wie der Leib und das Leibesleben und die Leibeskräfte mißbraucht werden. Meine lieben Freunde, wir wollen keine Pharisäer sein. Wir wissen, daß wir alle mit den Regungen, die von außen auf uns eindringen oder im Inneren aufsteigen, zu kämpfen haben. Aber das ändert nichts daran, daß wir entschiedene Gegner jeder irgendwie gearteten Unkeuschheit sein müssen. Die Unkeuschheit ist eine furchtbare Sünde, weil sie seelisch verheerende Auswirkungen hat. Die Unkeuschheit führt zu zahllosen Versuchungen. Die Unkeuschheit ist der sicherste Weg, um sich von Religion und Kirche zu entfernen.

Soeben ist das Buch eines verunglückten österreichischen Priesters erschienen, Holl. Dieser Mann hat den Glauben und die Religion verloren. Aber alles hat begonnen mit Unkeuschheit. In der heutigen Zeit ist die Zügellosigkeit gewissermaßen auf die Tagesordnung gesetzt. Vielleicht haben Sie in der vergangenen Woche den Leserbrief von 15- und 16-jährigen Knaben gelesen, die sich dafür aussprechen, daß in den Schulen Empfängnisverhütungsmittel verteilt werden. So schlimm war es nicht einmal in der Nazizeit. Eine solche sittliche Perversion, ein solcher sittlicher Niedergang, wie er heute zu beobachten ist, ist meines Wissens in unserem Volke noch nicht dagewesen. Die Libido, also die Begierde, die geschlechtliche Begierde, ist über alle Ränder geschlagen, hat alle Schranken durchbrochen. So früh wie möglich, so oft wie möglich, so lange wie möglich! Dazu kommt das Laster der gleichgeschlechtlichen Betätigung. Neulich übergab mir jemand eine Zeitschrift des katholischen Jugendamtes Frankfurt. In dieser Zeitschrift des katholischen Jugendamtes Frankfurt rufen mehrere junge Männer zur Gründung einer Schwulengruppe auf, einer katholischen Schwulengruppe. Ich weiß nicht, ob es noch weiter bergab gehen kann, denn wir sind ja schon fast am Ende.

Das soll uns nicht entmutigen, meine lieben Freunde, in uns und um uns den Kampf um Reinheit aufzunehmen. Wir wollen uns selbst bemühen, den Geboten Gottes nachzuleben, denn wir wissen, diese Gebote sind ein Segen, diese Gebote sind ein Schutz, diese Gebote führen uns zum Himmel. Wir wollen unseren Leib pflegen, soweit das notwendig ist, um ihn kräftig und gesund zu erhalten, aber wir wollen unseren Leib auch benutzen, um in ihm und mit ihm Gutes zu wirken, solange wir Zeit haben. Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann. Verherrlicht Gott mit eurem Leibe! „Achte auf deinen Leib“, sagt der heilige Cyrill von Alexandrien, „denn er ist dein Eigentum, und du mußt Rechenschaft darüber ablegen, was du mit ihm angefangen hast!“

Amen.

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