Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
14. Juni 2009

Das Geheimnis des eucharistischen Herrn (Teil 2)

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten uns am vergangenen Donnerstag, dem Fronleichnamsfest, vorgenommen, über das Geheimnis unserer Altäre nachzudenken, und wir wollten unser Nachdenken unter drei Gesichtspunkte stellen. Erstens: die leibliche Gegenwart des Herrn, zweitens seine seelischen Bewegung in diesem Sakrament und drittens die äußeren Gebärden, mit denen er zu uns kommt. Die leibliche Gegenwart des Herrn ist angefochten. Es sprechen zwar viele, auch Christen, von der Realpräsenz, also von der wirklichen Gegenwart, aber sie verstehen etwas ganz anderes darunter, als was Jesus gemeint hat. Die Gesinnung Jesu ist nur aufbewahrt, wenn wir bekennen: Christus ist wirklich, wahrhaft und wesentlich, mit Leib und Seele, mit Fleisch und Blut, mit Gottheit und Menschheit im eucharistischen Opfersakrament gegenwärtig.

Wir müssen heute die inneren Bewegungen der Seele Christi in diesem Sakrament betrachten. Wenn er leiblich kommt, ist es klar, dass er auch mit seiner Seele anwesend ist und mit allem, was in seiner Seele lebt. Was lebt in seiner Seele? Was ist das Zentrum, was ist der Mittelpunkt seiner Seele? Das ist die Liebe zum Vater. „Siehe, Vater, ich komme; einen Leib hast du mir bereitet, ich will das Leben, das du mir geschenkt hast, den Leib und das Blut verströmen lassen nach deinem Willen. Siehe, Vater, ich komme.“ Er kommt also als opfernder, als sich hinschenkender, als sich verströmender Mensch, der sich vor den Vater hinwirft. Er kommt als der Knecht Gottes, als der Knecht, der sich vom Vater hingeben läßt zur Erlösung der nach Erlösung hungrigen und durstigen Welt. „So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen eingeborenen Sohn hingab für sie.“ Wenn also Gott ihn verschenken will, dann ist das auch seine Gesinnung, dann stimmt er in dieses Verschenken-Wollen ein, und er spricht zu dieser Welt: Nehmt mich hin, esset und trinket, das ist mein Leib, das ist mein Blut, das für euch hingegeben wird. Nehmt mich hin!

Wenn Christus also den Stoff ergreift und ihn in seinen Leib verwandelt, dann ist seine Seele genauso bewegt von dem Entschluß und von dem Willen: Siehe Vater, ich komme, deinen Willen zu erfüllen. Ich komme, ihn zu tun in der Hingabe meiner Seele, in völligem Gehorsam bis zum letzten Blutstropfen, in verströmender Liebe zu den Menschen. Das ist also der Herr, der sich zu uns neigt: der Knecht des Vaters. Das ist der Gewaltige, der sich Brot und Wein zu eigen macht, um es als Speise an uns hinzugeben. Das ist der Allbesitzende, der kommt, um alles zu verschenken. Das ist der Verborgene, der unter zutraulichen Gestalten sich verhüllt, um in der Verhüllung unser Liebender zu werden.

So ist dieses Gegenwärtigwerden Christi in der Eucharistie, im Sakrament des Brotes und Weines, eine Zusammenfassung seines ganzen Lebens. Er will sich verschenken, und zwar in einer doppelten Weise. Er verschenkt sich an den Vater, verströmt sich an den Vater, aber der Vater gibt ihn sogleich weiter an uns. Er steigt zum Himmel auf mit der erschütternden Stimme eines Geopferten, so wie einst das Blut Abels zum Himmel rief; freilich anders als der Ruf Abels ruft dieses Blut nicht um Rache, sondern um Versöhnung. Es lautet diese Botschaft: „Vater, verzeih ihnen, Vater, vergib ihnen. Vater, ich will, dass sie das Leben  haben und dass sie es in Fülle haben.“ Und so strömt sein Blut, sein Leib, sein Leben, seine Gegenwart, sein Herzschlag zum Vater und vom Vater zurück zur Erde und geht in die Seelen derer ein, die ihm nahe sind, die ihm nahe sein wollen. Die Opferliebe des Heilands steigt zum Vater empor, und vom Vater steigt sie wieder herab in unsere Seelen: Ich will bei euch bleiben, und dieses Bei-uns-Bleiben wird erreicht, indem er uns mitnimmt zum Vater. Meine lieben Freunde, der einzige Sinn der heiligen Messe, der ganze Sinn der heiligen Messe ist in diesem einen Wort enthalten: Nimm mich mit zum Vater! Mein Heiland, du gehst durch das Opfer zum Vater, nimm mich mit! Laß mich nicht zurück! Wer so gebetet hätte, der hätte die heilige Messe würdig und gültig und fruchtbar mitgefeiert.

Christus breitet sein Gottmenschentum aus, dass es Himmel und Erde erfüllt. Und deswegen ist das Sakrament auch so überfließend, dass es in vielen goldenen Kelchen aufgenommen wird und auf alle Kommunionbänke herabströmt auf die Erde, auf die alte, sündige, befleckte Erde, damit eine neue Erde emporgehoben werde zum Vater. Nicht bloß von einigen Stücklein Brot wird er sagen: Das ist mein Leib, sondern von allen Menschenseelen und von allen Menschenkörpern und von allen Menschentaten wird er einst sagen: Das ist nun mein Leib und mein Blut, das bin nun ich selbst geworden, die neue Menschheit, der neue Mensch, der Gottmensch.

Jede Innerlichkeit drängt zum Ausdruck. Sie will überströmen in die Sichtbarkeit hinein, und der innere Opfergang in der Seele Christi müßte nicht das Stärkste und Drangvollste in ihm sein, wenn es nicht irgendwie nach außen strömte. Aber gleichzeitig will der Herr, dass diese Gebärde sein Innerstes verhüllt, denn wenn er in sichtbarer Gestalt zu uns käme, wie mir einmal ein Arbeiter in Sachsen sagte: „Wenn er doch einmal herauskäme aus dem Tabernakel“, wie sollte das geschehen? Nein, er kann nicht herauskommen. Er muss darin bleiben; er muss verhüllt bleiben, denn wenn er nicht verhüllt wäre, dann wären wir nicht mehr auf der Erde, dann wäre der Himmel angebrochen, dann wären die Gestalten dieser Erde vergangen. Er muss verhüllt bleiben. Und so hat er eine Gebärde geschaffen, die gleichzeitig Ausdruck und Verhüllung, Offenbarung und Geheimnis bleibt. Er hat eine eigene sakramentale Gebärde erfunden, eine Gebärde, die seine opfernde Seele enthüllt und gleichzeitig seine göttliche Herrlichkeit verhüllt.

Diese Gebärde ist eine zweifache. Einmal geht sie wie die innerliche Gebärde zum Vater hinauf, also mit dem Opfergedanken und mit dem Opferwillen: Siehe, Vater, ich komme, deinen Willen zu tun, ich komme, zu trinken deinen Kelch, ich komme, hinzugeben meinen Leib und mein Blut. Und diese Opfergesinnung findet ihren Ausdruck in dem Symbol der eucharistischen Wandlung. Das leibliche Kommen des Herrn vollzieht sich in doppelter Gestalt, in der Gestalt des Brotes und in der Gestalt des Weines. Die Gestalt des Brotes soll erinnern an seinen geopferten Leib, der am Kreuze hing, bleich und doch leuchtend im Scheine des Todes. Die Gestalt des Weines soll erinnern an sein kostbares Blut, das seinem Leibe entströmte und in der Erde versickerte wie in einem Kelche. Es ist also eine symbolische Trennung von Leib und Blut eingetreten, eine symbolische Darstellung des Todes des Herrn. Das ist der Sinn der Wandlung. Durch die Trennung der Gestalten wird das Todesgeschick des Herrn unter uns dargestellt und lebendig gemacht. Und zu diesem sichtbaren Erscheinen tritt das hörbare Wort. Auch im Wort wird die Trennung angedeutet und ausgesprochen, denn über das Brot spricht der Priester: „Das ist mein Leib.“ Und über den Kelch spricht er: „Das ist mein Blut.“ Also diese Worte drücken auch aus, was die Erscheinungen sagen, nämlich Trennung, Vergießung, Sterben.

De Symbole, die das Kommen Christi heraufführen und begleiten, sind also Symbole des Todes. Wie mit einem Gewand des Todes bekleidet tritt Christus vor seinen Vater wie einer, der seinen Leib hingegeben und sein Blut bis zum letzten Tröpflein vergossen hat. Die Stille und das bleiche Dämmern des Todes umgeben sein Kommen. Darum ist es so sinnvoll, von sicherem Taktgefühl eingegeben, wenn wir in unserer, in unserer heiligen Messe bei dem Wandlungsgeschehen schweigend niedersinken, dass sich eine fast erschütternde Stille ausbreitet, wenn dieses ungeheuerliche Geschehen unter uns sich vollzieht. Wenn Christus auf den Altar niedersteigt, da schweigen nicht nur alle Engelstimmen, da schweigen auch alle Menschenstimmen, wenn selbst das ewige Wort des Vaters verstummt und nur noch in der furchtbaren Sprache seiner Opferbereitschaft bis zum Tode, in der Sprache seines Todesgewandes zum Vater redet.

Das ist die eine der beiden Gebärden Christi. Die andere entspricht der Bewegung, die er zu uns nimmt und in uns hinein macht. Vom Vater, der ihn aufhebt, wird er ja zu uns gesandt, wird er uns geschenkt, um uns zu gehören, um uns eigen zu werden. Und so läßt er sein Kommen zu uns gekleidet sein in die Gestalt des Essens und des Trinkens, in die Gestalt von Speise und Trank. Denn nichts wird so sehr unser eigen, wie was wir durch Speise und Trank aufnehmen. Und so spricht er auch innerlich in seiner Seele und äußerlich sichtbar mit der Gestalt des Brotes und des Weines: „Nehmt mich hin und esset!“ Nehmt mich in und esset von mir, zehret von mir, lebet von mir! Wir sollen buchstäblich von ihm leben, damit wir buchstäblich in ihm leben. Und er betont die Notwendigkeit dieser Aufnahme: „Wer meinen Leib und mein Blut nicht ißt und trinkt, der kann das Leben nicht in sich haben.“ Das ist die große, die ergreifende, fast zum Weinen erschütternde Gebärde, mit der Christus im Geheimnis unseres Altares kommt, die Gebärde des Schenkens, des Sich-Verströmens, des Hingebens bis zum letzten Blutstropfen, bis zur innersten Regung seiner Seele. „Nimm mich hin!“ spricht er zum Vater. „Ich habe keinen Willen als den deinen. Nimm mich hin und sende mich, und wäre es auch in den bitteren Tod. Dein Knecht bin ich und der Sohn deiner Magd.“ Und: Nehmt mich hin, spricht er zu uns und laßt mich eure Speise, euren Trank, eure Lebenskraft, eure Wegzehrung werden. Laßt mich eingehen in euer Pilgern, in euer Schaffen, in eure Leiden, in euer Sterben. Laßt mich eingehen in eure Seele, ja in euren Leib, und ich will als die große Kraft der Auferstehung eure Seele und euren Leib emporziehen in meine Auferstehung. Wie ein Geopferter, wie ein Sterbender will ich in euch eingehen, und siehe, in der Kraft meines Sterbens werden wir zusammen leben, ihr und ich, eure Seele und meine Seele, euer Leib und mein Leib.

So geht denn Christus, meine lieben Freunde, immer noch seinen Opferweg über die Erde und um die Erde. Er ist der wahre Anbeter Gottes, der mit weit ausgebreiteten Armen und geneigtem Haupt auf Gott zugeht und spricht: Vater, ich komme, deinen Willen zu erfüllen. Und er ist der große Freund der Menschen, der mit ausgebreiteten Armen und mit offenem Herzen auf uns zugeht und spricht: Seht, ich bin bei euch. Ihr sollt das Leben haben, ihr sollt von mir und mit mir leben. Immerfort steigt die Opferliebe Jesu zum Vater im Himmel empor, und immerfort vollzieht er die Gebärde des Schenkens für uns. Wie die Stunden des Tages um die Erde kreisen, so wandert auch die eucharistische Feier auf Hunderttausenden von Altären um die Erde in diesen Stunden. In jedem Augenblick, den es gibt, steht Christus irgendwo opfernd und schenkend vor dem Vater und vor der mühsalbeladenen Menschheit. Wie auch immer diese Menschheit beschaffen sein mag, wie selten noch in ihr die aufrichtige Gottweihe und die wahre Menschenliebe sein mag, einer ist doch immerfort da, der aus flammendem Herzen heraus die versöhnende Tat vollbringt, die wunderbare Gebärde, die mit allem Dunkel und allen Gräueln der Erde versöhnt, die selbst Gott immer wieder versöhnt mit der fluchbeladenen Erde. Und so ist der Himmel gerötet vom Opferfeuer einer allbezwingenden Liebe, und so erneuert sich dir flehende Stimme des Erlösers, die um Erbarmen ruft, denn bei ihm redet die Tat und nicht bloß das Wort. Und so kreist dieses Opfer und dieses Schenken um die Erde, jahrtausendelang, und eines Tages wird diese Tat den Tag der vollendeten Erlösung heraufführen. Eines Tages wird der ewige Mittag anbrechen, an dem Christus sprechen darf: Nun ist alles vollbracht. Dann wird er das Todesgewand ablegen, das ihn jetzt noch verhüllt. Und die gekreuzigte Liebe, die so lange ihre Arme ausgebreitet hielt, wird sich schließen um ihre Kinder, und das Geheimnis der Altäre wird erfüllt in der ewigen Kommunion. In dieser Kommunion, in der Gott zu den Kommunikanten sprechen wird: Nun bin ich dein, nun bist du mein, nun sind wir eins.

Amen.

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