14. Juni 2001
Fronleichnam - die Nähe unseres Gottes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Verehrung des heiligen Fronleichnam Versammelte!
„Es gibt kein Volk, und es hat nie eines gegeben, das Götter hat, die ihm so nahe sind wie unser Gott.“ Diesen Satz hat der heilige Thomas von Aquin, dem wir die Texte des heutigen Fronleichnamsfestes verdanken, in einem seiner Werke geschrieben. „Es gibt kein Volk, und es hat nie eines gegeben, das Götter hat, die ihm so nahe kommen, wie uns nahe ist unser Gott.“ Fronleichnam ist das Fest, die Feier der Nähe Gottes.
Die übrigen Völker haben Götter, aber diese Götter sind Nichtse, d. h. sie besitzen keine Existenz, und weil sie nicht existieren, können sie weder nahe noch fern sein. Unser Gott ist ein naher und ein ferner Gott in je verschiedener Hinsicht. Er ist fern, weil er der weltüberlegene, transzendente Herrscher Himmels und der Erde ist. Er ist nahe, weil er in Christus uns nahegekommen ist. „Das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gezeltet.“ Er ist zu uns gekommen, und er ist unter uns geblieben. Er hat seine heilbringende Gegenwart in einer über menschliches Begreifen hinausgehenden Weise fortsetzen wollen. „Es gibt kein Volk, und es hat nie eines gegeben, das Götter hat, die ihm so nahe kommen, wie uns nahe ist unser Gott.“
Am Fronleichnam dringt die dankbare Freude über die Nähe unseres Gottes und Heilandes über die Kirchengebäude hinaus auf die Straßen und Plätze der Dörfer und Städte. Dankbar bekennt das gläubige Volk: Wir haben einen Gott, der nicht nur fern ist in seiner göttlichen Majestät, sondern der uns nahe ist durch seinen Christus, den er zu uns gesandt hat und der bei uns geblieben ist in einer unaussprechlichen Weise. Am Fronleichnam dringt diese Freude nach außen, aber wo ist sie denn im übrigen Jahr? Wie kommt es, daß das ganze Jahr über so wenige Beter vor dem Tabernakel sich einfinden und daß die heiligen Messen am Sonntag und am Werktag immer schlechter besucht werden? Wie kommt es dazu? Wenn ich im Dom zu Mainz in der Sakramentskapelle zu stiller Andacht knie, da höre ich, wie laufend Menschen in den Dom strömen, ganze Massen, aber höchst selten findet einmal einer den Weg zu der Sakramentskapelle, um den zu ehren, für den doch der Dom gebaut ist, unseren Herrn Jesus Christus. Welches sind die Gründe, warum die Christen so wenig dankbar sind für die Nähe unseres Gottes? Ich will Ihnen drei Gründe nennen.
Erstens: Durch die Veränderungen der letzten Jahrzehnte ist die zentrale Bedeutung der Gegenwart unseres Herrn und Heilandes, der uns nahe ist, abgeschwächt worden. Gehen Sie einmal in die Kirche St. Ignaz in Mainz. Da finden Sie über dem Tabernakel einen herrlichen Baldachin. Da wird alles aufgeboten an Architektur und Kunst, um den auszuzeichnen, der zu uns gekommen ist und bei uns geblieben ist, um die Nähe unseres Heilandes den Menschen nahezubringen. Aber in den Kirchenbauten, die nach und seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil entstanden sind, hat man den Herrn und Heiland auf die Seite gestellt, oder er ist in eine Kapelle verbannt worden. Ist das der Nähe unseres Gottes angemessen? Können wir den an die Seite schieben, der Inhalt und Kraft und Seligkeit unseres Lebens ist? Dürfen wir so mit der Nähe unseres Gottes und Heilandes umgehen? Irrlichternde Theologen haben den Glauben an die Eucharistie erschüttert, teilweise zerstört, und die Praktiken, die seit geraumer Zeit im Kirchenraum eingerissen sind, sind nicht angemessen und sind nicht geeignet, uns die Nähe unseres Gottes und Heilandes deutlich vor Augen zu führen. Das ist meines Erachtens der erste Grund, warum die Christen nicht mehr so dankbar und freudig die Nähe unseres Gottes preisen. Es ist in vielen Menschen der Glaube an diese Nähe erschüttert oder unsicher gemacht worden.
Im vorigen Jahrhundert und noch zu Anfang des 20. Jahrhunderts lebte in Wien ein bedeutender Komponist, Gustav Mahler. Er war vom Judentum zum Christentum konvertiert, aber nicht nur äußerlich, sondern auch innerlich; er war ein gläubiger katholischer Christ geworden. Gustav Mahler versäumte niemals, wenn er an einer katholischen Kirche vorüberging, einzutreten und stille Anbetung zu halten. Er wußte um die Nähe unseres Gottes.
Ein zweiter Grund, warum man von dieser Freude und Dankbarkeit nicht mehr spürt, liegt darin, daß die Nähe Gottes uns zu selbstverständlich geworden ist. Das Alltägliche verliert an Schätzung, das leicht Erreichbare büßt an Wert ein, das Gewohnte wird gewöhnlich. Und so ist es auch mit der Gegenwart unseres Gottes und Heilandes geworden. Wir haben ihn ja immer bei uns, und was man immer hat, das gerät in Gefahr, nicht gebührend gewertet zu werden. Wenn auf der ganzen Welt nur ein einziger Tabernakel existierte, mit welcher Sehnsucht würden die Menschen dahin eilen! Wie würden sie denen, die in der Lage sind, diesen Tabernakel zu besuchen, ihre Wünsche, ihre Bitten, ihre Anliegen mitgeben! Und wie würden sie fragen: Wie ist es denn gewesen in der Nähe Christi? Nun haben wir so viele Tabernakel, aber das gläubige Volk schätzt diese Tabernakel zu wenig. Zu selten sieht man Menschen vor dem Tabernakel knien und innige Zwiesprache halten mit dem, der uns nahe sein will. Wo ist denn ein Volk, das Götter hat, die ihm so nahe sind, wie uns nahe ist unser Gott?
Ein dritter Grund für die Undankbarkeit der Christen über die Nähe Gottes liegt darin, daß sie entwöhnt sind, stille zu werden. Vor unserem Gott und Heiland muß man stille werden, muß man die geschwätzigen Stimmen von außen und von innen zum Schweigen bringen. Man muß aus der Hast und Unruhe zur Sammlung und zur Konzentration finden. Nur dann vernimmt man die leise Sprache des Herrn im Tabernakel. Aber wer sich dazu zwingt, ruhig zu werden, vor dem Tabernakel auszuharren, nicht nur ein dürftiges Vaterunser zu beten, sondern längere Zeit vor dem Tabernakel zu bleiben, der spürt den Segen der Nähe Gottes. Dem ist es, als ob sich ihm eine kühle Hand auf die heiße Stirne legte, und er erfährt, was zu erfahren ist: Wer zu Gott heimfindet, der findet auch zu sich selbst heim.
Das sind nach meiner Überzeugung die Gründe, weswegen die Gegenwart unseres Gottes und Heilandes, die Nähe unseres Herrn zu wenig geschätzt wird: Ankränkelung des Glaubens, Gewöhnung an das selbstverständlich Scheinende und Unrast des Herzens. Sie verleiten uns, an den Altären des Schenkens und an den Tabernakeln der Nähe Gottes vorüberzugehen. Möchte doch, meine lieben Freunde, der heilige Fronleichnam, der Leib unseres Herrn, möchte das Fest des heiligen Fronleichnam uns an die Nähe Gottes erinnern! Möchte es uns auffordern, häufiger als bisher in eine Kirche einzutreten, vor dem Tabernakel zu knien, wortlos oder mit Worten zu ihm zu beten, ihn anzuschauen, auf ihn zu hören, seine Nähe zu verkosten und das Glück seiner Gegenwart in sich zu erfahren.
Amen.