22. Juni 2000
Die Fronleichnamsprozession
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte, zur Feier des heiligen Fronleichnam Versammelte!
Im Kranz des Kirchenjahres begehen wir viele Feste, aber nur eines dieser Feste ist ausgezeichnet mit einer theophorischen Prozession. Theophorisch heißt eine Prozession, in der Gott mitgetragen wird, in der Gott mit uns geht. Das ist das Fest des heiligen Fronleichnam, des Herrenleibes. Wir wollen darüber nachdenken, was die Fronleichnamsprozession nicht bedeutet und was sie bedeutet.
Erstens: Was bedeutet die Fronleichnamsprozession nicht? Sie ist keine Demonstration. Demonstrationen können auch von Kirchengliedern für nötig gehalten werden, etwa um gegen gotteslästerliche Theaterstücke zu protestieren, oder um für die Freiheit der Kirche und der Schule einzutreten. Aber die Fronleichnamsprozession ist keine Demonstration. Wir können den Leib des Herrn nicht verzwecken, wir dürfen ihn nicht als Mittel gebrauchen, um jemandem irgend etwas unter die Nase zu reiben.
Die Fronleichnamsprozession ist auch kein aggressiver Akt gegen Andersgläubige. Sie ist entstanden, als die Glaubensspaltung noch gar nicht eingetreten war, und deswegen hat sie auch gar keine irgendwie geartete aggressive Note gegen diejenigen, die nicht unseres Glaubens sind.
Die Fronleichnamsprozession ist auch nicht eine Entfaltung kirchlicher Macht. Ach, meine lieben Freunde, die Kirche hat keine Macht. Die Kirche ist machtlos, sie ist ohnmächtig. Die Kirche ist selbst bei der Prozession auf den Schutz der Polizei angewiesen. Wir entfalten bei der Fronleichnamsprozession keine Macht.
Es ist auch keine Darstellung kirchlichen Pompes und Aufwandes. Die Fastnachtszüge vermögen viel mehr aufzubieten als dir Fronleichnamsprozession. Hier schreiten singende und betende Menschen unter dem Schutz des göttlichen Heilandes, der im Traghimmel unter uns weilt durch die Straßen und beten und flehen für die Menschheit.
Schließlich ist die Fronleichnamsprozession auch nicht eine Entfaltung menschlicher Eitelkeit. Wer will heute noch bewundert werden, wenn er mit der Fronleichnamsprozession geht? Eher treffen ihn scheele Blicke und feindselige Worte. Der ehemalige Bundeskanzler Kohl weigerte sich, mit der Fronleichnamsprozession zu gehen. Er war nicht imstande, diesen Akt der Frömmigkeit und der Demut und des Glaubens zu setzen.
Was ist nun die Fronleichnamsprozession, wenn sie das alles nicht ist, was wir eben gesagt haben? Nun, sie ist erstens ein Bekenntnis des Glaubens. Wenn wir mit dem Allerheiligsten durch die Straßen gehen, dann bekennen wir uns zu der wirklichen, wahrhaftigen und wesentlichen Gegenwart unseres Gottes und Heilandes. Nun könnte jemand sagen: Ja, warum bleibt ihr dann nicht in der Kirche? Warum geht ihr auf die Straße? Genügt es nicht, wenn man sich in der Kirche zu Gott bekennt? Nein, es genügt nicht! Es genügt deswegen nicht, weil wir unseren Glauben nicht verschüchtert und dumpf und gedrückt nur in einem geschlossenen Raum bekennen dürfen, sondern weil wir ihn vor den Menschen bezeugen müssen. „Wer mich vor den Menschen bekennt, den werde ich vor meinem Vater im Himmel bekennen.“ Wir müssen bekennen, weil der Herr es will. Und wir müssen bekennen das tiefste Geheimnis, das zentrale Geheimnis unseres katholischen Christentums, nämlich daß unser Gott und Heiland wahrhaft, wirklich und wesentlich unter den Gestalten von Brot und Wein zugegen ist. Die Fronleichnamsprozession ist ein Bekenntnis des Glaubens, das wir auch den Andersgläubigen schulden. Wir wollen ihnen zeigen, was wir glauben. Wir wollen es nicht ökumenisch verdünnen und verschwommen machen, was wir glauben, sondern wir wollen ihnen zeigen: Wir glauben daran, daß Jesus nicht nur in usu, im Gebrauch, beim Essen, sondern auch extra usum, auch außerhalb des Gebrauches, auch außerhalb des Essens wirklich zugegen ist. Wir glauben an die bleibende Gegenwart unseres Herrn und Heilandes in unseren Tabernakeln, in unserer Monstranz und auch dann, wenn wir ihn unter dem Traghimmel mit uns führen.
Die Fronleichnamsprozession ist zweitens ein Zeichen der Einheit. Der Glaube, den wir bekennen, ist derselbe für Gebildete und Ungebildete, für Gelehrte und Ungelehrte, für Theologen und Nichttheologen. Es gibt keinen Pluralismus des Glaubens. In der Fronleichnamsprozession aber bekennen sich alle, die da mitgehen, zu diesem einen und einzigen Glauben. Hier sind wir wahrhaft eine Glaubensgemeinschaft. Die Gemeinschaft stärkt ja auch unseren Glauben. Wenn wir viele sind, fühlen wir uns gehoben und ermutigt, den Glauben deutlich und wahrheitsgetreu zu bekennen. Die Fronleichnamsprozession ist wahrhaftig ein Zeichen der Einheit, und solange die Menschen gläubig und vertrauensvoll hinter dem Allerheiligsten schreiten, ist die Glaubenseinheit, so gefährdet sie heute scheinen mag, doch noch in irgendeiner Weise gegeben. Die Fronleichnamsprozession ist ein Zeichen der Einheit im Glauben. Hier finden wir uns zusammen in Gemeinschaft und gehen mit dem Herrn durch die Straßen unserer Gemeinde.
Die Fronleichnamsprozession ist drittens eine Huldigung der Liebe. Wir wollen dem Herrn sagen, und wir wollen es ihm zeigen, daß wir dankbar sind für sein Kommen, daß wir dankbar sind für sein Bleiben. Er ist in diese Welt gekommen, und das ist das Wunder über alle Wunder, das Weihnachtswunder, daß der Unsichtbare sichtbar wurde, daß der Schöpfer die Gestalt eines Geschöpfes annahm. Aber das ist eben nicht nur ein einmaliges Ereignis gewesen, sondern in sakramentaler Gestalt wiederholt es sich immer wieder, wird er immer wieder gegenwärtig, nämlich auf unseren Altären und in der heiligen Hostie, die wir durch die Straßen der Stadt tragen. Und wir huldigen ihm, wir danken ihm. Wir sagen ihm: Herr, wir danken dir, daß du gekommen bist, daß du bei uns geblieben bist. Wir danken dir, daß du unser Trost und unsere Kraft und unsere Wegzehrung auf dem Wege zum Himmel bist. Wir danken dir dafür, und wir wollen dir unseren Dank bezeugen, indem wir Pfarrhaus und Rathaus, Kirche und Fabrik, Straßen und Brücken, alles deinem Segen unterbreiten, indem wir deinen Segen herabflehen über unsere ganze Gemeinde, indem wir in diesem theophorischen Umgang deine Segensgewalt über uns anrufen.
„Laßt uns tief gebeugt verehren dieses heil’ge Sakrament!
Dieser Bund soll ewig währen, und der alte hat ein End.
Unser Glaube soll uns lehren, was das Auge nicht erkennt.“
Amen.