Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
6. Juni 1996

Laßt uns tief gebeugt verehren

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Verehrung des eucharistischen Heilandes Versammelte!

Vor einer Reihe von Jahren besuchte ich das Taunusstädtchen Cronberg. In Cronberg steht eine alte, aus dem 13. bis 15. Jahrhundert stammende, dem heiligen Johannes dem Täufer geweihte Kirche. Sie ist in protestantischen Händen. Die Kirche ist eine herrliche Dokumentation des Glaubens unserer katholischen Vorfahren; eine schmuckvolle Holzdecke, ein ergreifender Flügelaltar, ein herrliches Kruzifix. Neben dem Altar, in die Wand eingelassen, befindet sich das Sakramentshäuschen. In diesem Sakramentshäuschen haben unsere katholischen Vorfahren den eucharistischen Herrn aufbewahrt. Heute ist das Sakramentshäuschen leer; oder vielmehr, es standen Büchsen und Vasen darin.

Dieses Erlebnis ist ein Bild für die protestantische Auffassung vom Abendmahl. Luther hat ja in seinem Leben viele Schwankungen durchgemacht. Im Sakramentsstreit mit Karlstadt und Zwingli hielt er an der Dauer der Gegenwart des Herrn im Sakrament fest. Aber im Jahre 1536 ließ er sich durch Bucer und Melanchthon verleiten, die dauernde Gegenwart, die Permanenz – wie man das nennt – der Gegenwart preiszugeben. Christus sei nur gegenwärtig in usu (im Genusse), nicht ante (vor) und nicht post (nach) usum, nicht nach dem Gebrauch. Und so steht es heute, für alle Protestanten verbindlich, in der Konkordienformel vom Jahre 1577: „Christum extra usum non adesse“ – Christus ist außerhalb des Gebrauches (also außerhalb dessen, was wir Kommunion nennen) nicht gegenwärtig. Da haben Sie die unüberbrückbare Kluft zwischen katholischer Eucharistielehre und protestantischer Abendmahlsauffassung.

Die Lehre der Kirche ist eindeutig. Unmittelbar nach der Wandlung ist die Gegenwart des Herrn unter den Gestalten von Brot und Wein gegeben und bleibt bestehen. So klein auch das Zeitintervall sein mag zwischen Wandlung und Kommunion: der Leib des Herrn und sein Blut sind vorhanden, bevor der Mensch ißt, und sie bleiben vorhanden, wenn der Mensch genossen hat, nämlich in den übriggebliebenen Gestalten, die im Tabernakel aufbewahrt werden. So hat es das Konzil von Trient entschieden: „Wer sagt, im wunderbaren Sakrament der Eucharistie sei nach vollzogener Konsekration nicht der Leib und das Blut unseres Herrn Jesus Christus, sondern nur beim Gebrauch, wenn es genossen wird, nicht aber vorher oder nachher, und in den geweihten Hostien oder Brotteilchen, die nach der Kommunion aufbewahrt werden oder übrigbleiben, bleibe nicht der wahre Leib des Herrn zurück, der sei ausgeschlossen.“ Diese Lehre des Konzils von Trient ist nichts anderes als der Widerhall dessen, was unser Herr und Heiland selbst gesagt hat. In seiner Verheißungsrede im 6. Kapitel des Johannesevangeliums, die wir soeben in Bruchstücken im Evangelium gehört haben, erklärt der Herr, daß er sein wahres Fleisch und sein wahres Blut den Menschen zur Speise und zum Trank geben wolle. Speise und Trank sind etwas Permanentes, etwas Dauerndes. Sie besagen nicht eine bloß geistige, irgendwie geartete, vielleicht bloß in der Erinnerung bestehende Gegenwart, sondern eine leibhaftige Gegenwart, wie sie – in verklärter Weise selbstverständlich – vom auferstandenen Herrn ausgesagt wurde. Dasselbe lehrt uns der Einsetzungsbericht. Da sagt nämlich der Herr: „Nehmet hin und esset, das ist mein Leib.“ Er sagt nicht: Das wird mein Leib, nämlich wenn ihr davon esset, sondern er sagt: Das ist mein Leib. Weil es sein Leib ist, deswegen sollen sie essen. Und noch deutlicher ist es beim Wort über den Kelch: „Nehmet und trinket alle daraus, denn dies ist mein Blut.“ Weil es sein Blut ist, nicht weil es sein Blut werden wird, sollen die Jünger aus dem Kelche trinken. Die wirkliche Gegenwart des Herrn geht dem Essen und dem Trinken voran; sie besteht unabhängig vom Essen und Trinken.

So hat es die Kirche immer gelehrt, so ist es von den Kirchenvätern schon in frühester Zeit ausgesagt worden. Selbst Calvin hat einmal erklärt: „Die so tun (wie die Katholiken), haben das Zeugnis der alten Kirche für sich.“ Wahrhaftig, sie haben es für sich. Ich zitiere nur einen Text von dem Bischof Cyrill von Alexandrien aus dem Jahre 444: „Ich höre, daß es andere gibt, die sagen, die Eulogie (das sind die Konsekrationsworte) nütze zur Heiligung nichts, wenn etwas davon für den folgenden Tag übrigbleibt. Aber sie reden Torheit, die also sprechen, denn weder wird Christus alteriert noch sein heiliger Leib verändert, sondern die Kraft der Segnung sowie die lebendigmachende Gnade bleibt dauernd in ihm.“

Die dauernde Gegenwart des Herrn im eucharistischen Opfersakrament ist für uns ein großer Trost, aber auch eine Verpflichtung. Wenn der Herr gegenwärtig bleibt, wenn der eucharistische Heiland identisch ist mit dem himmlischen Herrn, dann obliegt uns die Pflicht, ihn anzubeten; denn Gott gebührt die Anbetung. Wenn Gott gegenwärtig ist, muß er angebetet werden. Daran ändert nichts die Tatsache, daß das eucharistische Opfersakrament zur Speise gegeben wird. Der da zur Speise gegeben wird, ist eben anbetungswürdig. Machen wir uns nichts vor, meine lieben Freunde: Wer die eucharistische Opferspeise nicht mehr anbetet, der wird auch bald kein Gewicht mehr darauf legen, sie zu empfangen. Wenn das, was wir hier empfangen, nicht der anbetungswürdige Herr und Heiland ist, dann wird auf die Dauer auch die Kommunion zu einem nebensächlichen Ereignis werden, wie sie es im Protestantismus schon längst geworden ist. Der Anbetungskult schützt den Opferkult. Die Anbetung des Herrn im eucharistischen Opfersakrament verbürgt uns, daß wir in der heiligen Kommunion nicht ein Sättigungsmahl vor uns haben, sondern daß wir hier den empfangen, der im Himmel in verklärter Weise lebt.

Lavater, der Freund Goethes, hat einmal gesagt: „Wenn ich (er war ja Zwinglianer) an die Gegenwart Christi im Sakrament glauben könnte, würde ich mich vor Anbetung nicht mehr von den Knien erheben.“ Dieser Mann hat erkannt, daß man anbeten muß, wenn man den Glauben an die Gegenwart des Herrn im eucharistischen Opfersakrament hat. Und das ist der Tag, den der Herr gemacht, der Tag der Anbetung, das Fronleichnamsfest. Hier wird das eucharistische Opfersakrament nicht in erster Linie als Opfer gefeiert, sondern hier wird uns das eucharistische Opfersakrament als bleibende Gegenwart vorgestellt. Und wir wissen, daß eines zusammengehört mit dem anderen. Pius XII. hat einmal das bedeutsame Wort gesprochen: „Altar und Tabernakel gehören zusammen.“ Und er hat es abgelehnt, den Tabernakel vom Altare zu trennen. Pius XII. wußte, wovon er sprach.

Wir wollen den heutigen Tag benutzen, meine lieben Freunde, um unseren Glauben an die wahre, wirkliche und wesenhafte Gegenwart unseres Herrn im Zeichen, in der Gestalt des Brotes und des Weines zu erneuern und zu bekräftigen.

       Laßt uns tief gebeut verehren

       ein so heil'ges Sakrament!

       Und der Glaube soll uns lehren,

       was das Auge nicht erkennt.

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt