5. März 1995
Der Zweck der ehelichen Vereinigung
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Es gibt göttliche Ordnungen, denen sich der Mensch einzufügen hat. Eine solche Ordnung ist die Ehe. Sie ist durch Gottes Schöpferwillen geordnet, und diesem Ordnungsgefüge hat der Mensch sich einzupassen. Die Ehe ist von Gott zu einem doppelten Zweck eingesetzt, damit die Gatten sich gegenseitig ergänzen und helfen und damit aus ihrer liebenden Vereinigung Bürger der Erde und Kinder Gottes erwachsen. Die doppelte Sinnhaftigkeit der Ehe teilt sich dem Geschehen mit, in dem die Gatten ein Fleisch werden. Nach Gottes Willen hat die eheliche Einigung den doppelten Zweck, die Liebe der Gatten auszudrücken und offen zu sein für die Fortpflanzung des Menschengeschlechtes.
In beiden Zwecken dieses Geschehens kann man sich verfehlen. Es gibt einen Gebrauch, und es gibt einen Mißbrauch der Ehe. Man kann sich erstens verfehlen, indem man dieses von Gott den Menschen überlassene Geschehen in eigennütziger und selbstsüchtiger Weise vollzieht. Ein technisch völlig einwandfrei vollzogenes ehelicher Akt, der aus Selbstsucht und Gier geschieht, ist ein Mißbrauch der Ehe. Ein dem Gatten aufgenötigter Verkehr, der nicht Rücksicht nimmt auf ihn, sondern wo nur das Begehren des eigenen Fleisches die Antriebskraft ist, ein solcher ehelicher Verkehr ist sündhaft. Die meisten Menschen beachten diese wunderbare Ordnung nicht genügend. Auch im Klerus bestehen vielfach falsche Ansichten. Mir sagte einmal ein Mainzer Pfarrer: „Die Gatten müssen immer und jederzeit miteinander dieses Geschehen vollziehen können, um ihre Liebe zu bezeigen.“ Meine lieben Freunde, um die Liebe zu bezeigen, gibt es viele Ausdrucksmöglichkeiten, und die eheliche Einung ist nur eine von ihnen. Man kann dem Gatten die Liebe bezeigen, indem man Anteil nimmt an seinen Arbeiten, indem man sich einfügt in seine Sorgen, indem man ihm gegenüber aufmerksam ist, indem man ihm Arbeit abnimmt, indem man ihm Geschenke überreicht. Das alles sind Weisen, die Liebe zu bezeigen, und die eheliche Einung ist nur eine davon, nicht die einzige. Außerdem kann die Liebe gebieten, sie gerade nicht zu vollziehen. Es kann ein Akt der Liebe, ein Gebot der Liebe sein, auf dieses Geschehen zu verzichten. Also es ist ganz falsch, was dieser Pfarrer mir in seiner Einseitigkeit sagte.
Die Ehegatten wissen am allerbesten, wann diese wunderbare Vereinigung Ausdruck echter Liebe ist, wann sie dem Wohl, dem recht verstandenen Wohl des Gatten wirklich dient und wo sie nur vom Hämmern des Blutes und vom Kochen des Fleisches eingegeben ist. Warum haben wir denn jetzt, meine lieben Freunde, diese Diskussion um Vergewaltigung in der Ehe? Wir haben sie doch deswegen, weil eben dieses Geschehen allzu oft mißbraucht wird, nicht Ausdruck der Liebe, sondern allein Ausdruck des Begehrens ist.
Die zweite Weise, wie man sich gegen den Doppelsinn dieses Geschehens verfehlen kann, besteht darin, daß man den Zweck der Fortpflanzung willkürlich vereitelt. Die Menschen haben zu diesem Zweck viele, viele Verfahren ersonnen. Ich brauche sie hier nicht zu nennen, sie stehen alle in der Liste der Frauenärzte und der Kliniken. Es ist, wenn man willkürlich den ehelichen Akt seiner Fruchtbarkeit beraubt, ähnlich wie mit einem Motor, den man auf höchsten Touren laufen läßt, aber im Leerlauf. Dazu ist der Motor nicht geschaffen. Der Motor ist ein lebloses Ding, von Menschen erfunden. Hier geht es um mehr, hier geht es um ein göttliches Werk, von Gott erdacht und von Gott in eine Ordnung hineingestellt. Es sind sechs Mängel, welche dieser Mißbrauch der Ehe nach sich zieht.
1. Den Gatten fehlt das tiefe Glück der vollen ehelichen Einigung. Der eheliche Akt wird verstümmelt; er wird willkürlich seiner Zielrichtung beraubt. Es kann deswegen unter gesunden, unverbildeten Eheleuten nicht die volle Erfüllung eintreten, die nach Gottes Willen diesem Akt eigen sein soll. Ein jeder weiß, hier fehlt etwas. Die Ärzte sagen uns, daß die Trennung der Sexualität von der Fortpflanzung vor allem bei der Frau zur Libidoabnahme führt, daß also hier ein Gespür dafür vorhanden ist, wenn man intentionell diesen Zweck ausschließt, daß das Unterbewußte sich regt und sich dagegen wehrt. Das volle Glück der ehelichen Einung wird dadurch mit Sicherheit nicht erreicht. Der Mensch vergeht sich nicht umsonst gegen Gottes Schöpfungsordnung.
2. Es besteht die große Gefahr, daß die Würde des Mannes und der Frau Schaden leidet. Denn es ist eben die Würde des Mannes und es ist die Würde der Frau, daß er Zeugender und daß sie Empfangende ist. Wenn jetzt dieser wunderbare Vorgang in Gang gesetzt wird, um allein der Lust zu dienen, wird die Würde der Frau, wird die Würde des Mannes verletzt. Es besteht die große Gefahr, daß die Achtung des Mannes vor der Frau und die Achtung der Frau vor dem Manne Schaden nimmt. Diese Gesetzlichkeit ist bekannt und wird uns von vielen Fachleuten auf diesem Gebiete bestätigt.
3. Es ist in der Gegenwart zum ersten Mal in einem gewaltigen Umfang möglich, Sexualität und Fortpflanzung zu trennen. Wir haben ein Riesenexperiment mit Millionen und Abermillionen von Fällen. Und dieses Unternehmen zeitigt auch die von einsichtigen Ärzten vorausgesagten Wirkungen, nämlich an erster Stelle Schäden an der Gesundheit, Schäden an der Gesundheit, die, soweit es möglich ist, von den Erzeugerfirmen der entsprechenden Mittel heruntergespielt werden, die aber, wie uns kenntnisreiche Ärzte versichern, beinahe unvermeidlich sind. Ein deutscher Frauenarzt schreibt: „Dreiviertel aller Krankheiten der Frau hängen mit dem Mißbrauch der Ehe zusammen.“ Ein französischer Chirurg bemerkt: „Fünf Prozent meiner Patienten waren kinderreiche Frauen, fünfundneunzig Prozent kinderlose und kinderarme.“ Vor einigen Wochen sprach mich eine Budenheimer Frau an, die an Brustkrebs leidet. Sie erklärte mir, daß von 14 Frauen, mit denen sie in die Sauna geht, 6 Brustkrebs haben. Diese Fälle, diese Bemerkungen geben zu denken. Man mag noch so geschickt die Natur zu überlisten versuchen, die Natur schlägt gegen ihren Mißbrauch zurück. Das Riesenexperiment, die Natur zu überwinden mit Gummi oder Chemie, ist mißlungen.
4. Es stellen sich auch seelische Schäden ein. Auch die seelische Gesundheit leidet. Fachleute sagen uns, daß die Affektivität, also die Ansprechbarkeit, die Antriebskraft, durch fortwährenden Ehemißbrauch vor allem bei den Frauen leidet; daß die zwischenmenschlichen Beziehungen gestört sind; daß sich depressive Störungen einstellen, die bis zu Depressionen führen können. Die seelische Gesundheit muß unter diesem Geschehen Schaden nehmen.
5. Die Eheleute sind durch das Eheband miteinander verbunden, und das Eheband ist eine heilige Wirklichkeit, die sie miteinander verknüpft zu dem vom Schöpfer gewollten Zweck. Die Trennung von Sexualität und Fortpflanzung gestattet die Vermehrung des Geschlechtsverkehrs. Sie gestattet die fast unbegrenzte Häufung. Dadurch kann es leicht zu sexueller Ausbeutung kommen. Und die Folgen sexueller Ausbeutung sind Zerwürfnisse in der Ehe, aber auch Frigidität und Brutalität. Der Trieb braucht immer stärkere Dosen, um sich zu befriedigen. Das Eheband leidet Schaden. Es ist jetzt auch scheinbar ganz leicht möglich, eheliche Untreue zu begehen; es ist scheinbar ohne Folgen, wenn man sich der rechten Mittel bedient. Aber nur scheinbar. In der Tiefe der Seele, da spricht das Gewissen: Was hast du getan!
6. Auch das Ehesakrament nimmt Schaden. Es kann seine Wirkung nur entfalten, wenn die Eheleute disponiert, d.h. also vorbereitet sind auf die Wirkungen, die es hat. Das Ehesakrament soll den Eheleuten Gnaden verleihen, um das Eheleben zu bewältigen, das wahrhaftig schwer genug ist. Aber wie können sie Gnaden empfangen, wenn sie dafür nicht bereit sind, wenn sie sich dem Segen des Ehesakramentes nicht öffnen, sondern dem Sinn und Zweck der Ehe zuwider handeln?
Das sind, meine lieben Freunde, die sechs bösen Wirkungen des Auseinanderreißens der beiden Sinngehalte, die dem ehelichen Akt zu eigen sind. Aber es ist mit diesem Mißbrauch wie mit einem Krebs. Der Krebs hat einen Primärherd, aber dann streut er; dann bilden sich Metastasen an anderen Gliedern, und schließlich wird der ganze Körper verbrannt.
Ähnlich ist es auch mit diesem Geschehen. Es hat Streuwirkung. Die erste Streuwirkung ist das permanent schlechte Gewissen. Es mögen noch so viele Falschlehrer auftreten in der Welt draußen und – Gott sei es geklagt – auch in unserer Kirche; der Protestantismus mag sich beugen, soviel er will, er beugt sich immer vor den Begierden der Menschen, er läßt immer seine Nachgiebigkeit erkennen, weil er keine von Gott gestiftete Religion ist: In den Herzen der Menschen wird sich irgendwie dumpf und ahnungsvoll ein Wissen erhalten: Das ist nicht recht, was wir tun. Man mag – und ich bin der letzte, der dafür kein Verständnis hat – man mag auf die Schwäche der Menschen verweisen. Wir sind alle schwach, selbstverständlich. Aber die Normen müssen bestehen bleiben. Wir müssen uns eben vor den Normen schuldig bekennen. Und dann haben wir den Weg, davon frei zu werden. Aber wir dürfen nicht die Normen wegen unserer Schwächen umstoßen.
Das ist also die erste Wirkung, das permanent schlechte Gewissen. Die zweite Wirkung: Es läßt das religiöse Leben nach. Die Menschen, die sich gewohnheitsmäßig gegen Gottes Willen verfehlen, verstecken sich vor Gott wie Adam und Eva im Paradies. Wenn sich noch eine gewisse Religiosität erhält, dann ist sie flach und horizontal. Das erleben wir ja fortwährend, wie verflacht in unseren Gemeinden das ganze betriebsame Geschehen ist. Die eigentlichen Dinge werden überhaupt nicht angefaßt; mit Nebensachen und Nippsachen beschäftigt man sich. Das ist die Folge, daß hier weitgehend Leute den Ton angeben, die eben nicht mehr auf Gottes Stimme in der Ehe hören. Fortwährende Verhütung und inniges religiöses Leben sind miteinander völlig unverträglich.
Schließlich noch eine dritte Streuung: Opferkraft und Selbstbeherrschung schwinden, und damit verliert der Mensch die Achtung vor sich selbst. Die Enthaltsamkeit braucht Willenskraft, und wer diese Willenskraft aufbringt, der erlebt den Triumph seiner Vernunft über die Begierde. Und damit gewinnt er Achtung vor sich selbst. Wer dagegen vor der Begierde kapituliert, wer dem Begehren des Fleisches nachgibt, wer die Türen für den Mißbrauch öffnet, der kann auf die Dauer die Achtung vor sich selbst nicht behalten. Er verliert sie. Das sind die Streuungen dieses Mißbrauchs.
Meine lieben Freunde, es gibt wenige Themen, über die zu sprechen mir so schwer fällt wie dieses. Aber es muß um Gottes und der Menschen willen geschehen. Gott entläßt uns nicht von der Pflicht, die Wahrheit über die Ehe, über den Gebrauch der Ehe, den Menschen zu verkünden. Ein Gesetz wird dadurch nicht falsch, daß es den, der es auf Anruf verkündet, nicht trifft. Wir zölibatären Priester haben mit anderen Problemen zu ringen, und uns sind andere Aufgaben gestellt. Ich weiß nicht, ob sie leichter sind. In jedem Falle noch einmal: Es ist kein Einwand gegen die Richtigkeit eines Gesetzes, wenn derjenige, der es auf Anruf verkündet, von dem Gesetz selbst nicht getroffen wird. Wir müssen die Richtpfähle stehen lassen. Wir dürfen Gottes Willen nicht verfälschen. Die katholische Kirche ist die einzige Institution auf der ganzen Erde, die insgesamt und in ihren besten Vertretern immer noch diese Wahrheit verkündet. Das darf uns stolz und dankbar machen. Wir gehören dem einzigen, von Gott gestifteten Verband an, der Gottes Wahrheit, gelegen oder ungelegen, den Menschen vorträgt. Das ist unser Glück, das ist unsere Ehre, und das ist auch unsere stolze und dankbare Erkenntnis.
„Brüder, enthaltet euch der Unzucht! Ein jeder wisse seine Frau in Zucht und Ehrfurcht zu besitzen, nicht in leidenschaftlicher Begierde wie die Heiden, die Gott nicht kennen.“ Ein Wort des Apostels Paulus aus dem 1. Korintherbrief.
Amen.