Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
18. Mai 2023

Das Evangelium der 40 Tage

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wer von der Himmelfahrt Christi sprechen will, muss ausgehen von seiner Auferstehung. Es ist der fundamentale Satz des christlichen, des katholischen Glaubens: Jesus Christus, der Gekreuzigte und Begrabene, ist am dritten Tage nach seiner Hinrichtung lebendig dem Grab entstiegen; er ist wahrhaft auferstanden vom Tode. Die Auferstehung besagt einmal die reale Wiedervereinigung von Leib und Seele. Der Herr stand sodann auf in verklärter, vergeistigter Gestalt. Er war erhaben über die Schranken von Raum und Zeit. Jesus Christus ist in seiner Auferstehung in den Himmel entrückt worden. Er hat nicht etwa für die knapp sechs Wochen noch einmal das irdische Leben aufgenommen und in dieser Zeit eine Bleibe auf Erden bezogen. Vielmehr ist er jedes Mal, wenn er sich seinen Jüngern zeigte, vom Himmel her zu ihnen gekommen.

Jesus ist den Jüngern nach seiner Auferstehung vierzig Tage lang immer wieder erschienen. Die Erscheinungen waren nicht ein flüchtiges, kurzlebiges Sichzeigen. Der erhöhte Herr kam und ging nicht blitzartig. Er verweilte vielmehr eine Zeitlang bei seinen Jüngern zu wichtiger Belehrung und Ausstattung. Sein Sichzeigen hatte Bedeutung nur für diese. Man kann den Verkehr des auferstandenen und erhöhten Herrn mit den Jüngern als Jüngerschulung und Jüngerausstattung bezeichnen. Wir nennen diese Phase der Wirksamkeit Jesu das Evangelium der 40 Tage.

Der Herr bewies in diesen Wochen erstens die Wahrheit und Wirklichkeit seiner leibhaftigen Auferstehung. Jesus ist nicht in der Phantasie oder im Kerygma der Jünger auferstanden; die Sache Jesu geht nicht deswegen weiter, weil sich seine Anhänger nicht mit dem Fiasko des Karfreitags abfinden wollten. Nein, der Tote ist lebendig geworden, zeigt sich seinen Jüngern, redet mit seinen Jüngern, isst mit seinen Jüngern, kurz, er tut alles, was ein lebendiger Mensch tun kann. Die Beweise des Herrn für sein leibliches Lebendigwerden waren so eindringlich und nachhaltig, dass die Jünger fortan kein Zweifel mehr daran überfiel. Es gibt kein Zeugnis, dass auch nur ein Jünger, der den Auferstandenen erlebt hat, an der Wahrheit und Wirklichkeit seiner Auferstehung irre geworden wäre. So war ihr Umgang mit dem verklärten Herrn die felsenfeste Basis für alle, die durch sie zum Glauben an dieses unerhörte Ereignis kommen sollten.

Die Erscheinungen des Auferstandenen dienten sodann der Belehrung der Jünger über den Zusammenhang von alttestamentlicher Vorhersage und neutestamentlicher Erfüllung (Lk 24,25-27, 44-48). Jetzt lernten die Jünger begreifen, warum und weshalb die Geschehnisse vom Ölberg und von Golgotha sich zutragen mussten. Was an Jesus geschah, war kein Unfall und kein Verhängnis, war auch nicht die Folge von Unüberlegtheit oder Ungeschicklichkeit des Herrn, sondern es war die Verwirklichung des göttlichen Heilsplanes. „Er ward geopfert, weil er selbst es wollte.“ Und er wollte es, weil es der Wille des Vaters war.

Weiter unterrichtete der Auferstandene in den knapp sechs Wochen seine Jünger autoritativ und endgültig über die Gottesherrschaft, das Reich Gottes (Apg 1,3). Mit dieser Botschaft hatte Jesus sein öffentliches Auftreten einst begonnen: „Die Zeit ist erfüllt, das Reich Gottes ist nahe“ (Mk 1,15). Das Reich Gottes, die Herrschaft Gottes blieb auch in der Folge das Hauptthema seiner Predigt (Mt 4,17). Er hatte seine Jünger gelehrt, zu Gott zu beten: „Dein Reich komme“ (Mt 9,10). Damit hatte er ihnen kundgetan, dass das Kommen des Reiches von niemand anders als vom himmlischen Vater zu erwarten sei. Seine Predigt hatte jedoch die Jünger nicht von dem Gedanken der Wiederherstellung des davidischen Reiches abbringen können. So fragten sie jetzt den Auferstandenen: „Herr, wirst du in dieser Zeit die Königsherrschaft an Israel zurückgeben?“ (Apg 1,6). Jesus wies alle Gedanken über Gottes Reich, die es als ein irdisches Gebilde, vergleichbar den Imperien der Geschichte, verstehen wollten, entschieden ab. Gottes Herrschaft ist eine transzendente und zukünftige Größe. Das Reich Gottes wird kommen, wenn Gott es erscheinen lässt. Nicht Menschen, auch nicht der Menschensohn Christus, führen es herauf, sondern die Weisheit und die Macht des Vaters im Himmel.

Der Auferstandene gab sodann den Jüngern seine Sendung weiter: Wie mich der Vater gesandt hat, so sende ich euch (Joh 20,21). Er ist der Gesandte des himmlischen Vaters, sie sollen nun seine Gesandten sein. Schon bei der Fußwaschung hatte der Herr gesagt: Wer einen aufnimmt, den ich senden werde, der nimmt mich auf. Wer aber mich aufnimmt, der nimmt den auf, der mich gesandt hat. Jetzt erging der Sendungsbefehl an die Jünger. Durch ihn erhalten sie Auftrag und Vollmacht, das ihm vom Vater übertragene Werk fortzusetzen, nämlich den Menschen die göttliche Offenbarung zu verkünden (18,37) und ihnen dadurch das Heil zu vermitteln. Das Wirken der Kirche ruht nicht auf der Absicht von Menschen. Nicht ihr Entschluss führte die Jünger bis an die Grenzen der Erde, sondern der Befehl und die Ausstattung ihres Herren.

Jesus gab schließlich den Jüngern in den 40 Tagen nach seiner Auferstehung eine bleibende Aufgabe (Apg 1,2). Sie sollen seine Zeugen sein in Jerusalem, in ganz Judäa und Samaria und bis an die Grenzen der Erde (Apg 1,8). Die Jünger werden zu Zeugen bestellt, weil sie vermitteln und weitertragen sollen, was sie im Umgang mit Jesus gehört und gesehen haben. Zeugen erstatten Bericht von Selbsterlebtem. Ihr Zeugnis umfasst die gesamte Offenbarung Christi, alles was er getan und gelehrt hat, sein Leiden und Sterben ebenso wie seine Auferstehung und sein Sichtbarwerden in den Erscheinungen. Die Zeugenschaft, zu der die Jünger bestellt werden, ist anziehend, werbend, gewinnend. Jesus befahl ihnen, alle Völker zu Jüngern zu machen. Christi Religion und Christi Gemeinschaft sind für die Gesamtheit der Menschen bestimmt. Das Christentum ist die gottbestimmte Universalreligion, die christliche Kirche ist die Universalgemeinschaft der Menschen. Andere Religionen sind völkisch oder national begrenzt. Sie können nicht mit der Christusreligion konkurrieren. Deren Verband, die Kirche, ist auch keine unsichtbare Gemeinschaft, wie die Neuerer des 16. Jahrhunderts wollten, sie ist so sichtbar wie die Republik Venedig, wie Robert Bellarmin sagte. Die Jüngerschaft wird daher begründet durch Glaube und Taufe. Zuerst sollen die Menschen in der Heilswahrheit unterwiesen werden, dann sollen sie die Taufe empfangen. Der Glaube ist das Fundament der Jüngerschaft. Er garantiert den Anschluss an Jesus. Der Glaube wird sakramental verankert im Menschen durch den Empfang der Wassertaufe. Die so umgeschaffenen Menschen gehören nicht mehr sich selbst. Sie gehören dem, der sie sich angegliedert hat. Die so zu Jüngern gemachten Menschen werden angehalten, alles zu bewahren, zu beachten, zu praktizieren, was der Herr seinen Aposteln aufgetragen hat (Mt 28,19). Die Getauften sind in ihrem ganzen Verhalten an die Gebote und Regeln gebunden, die ihnen der Herr gegeben hat. Darunter sind vor allem die Richtlinien des sittlichen Verhaltens zu verstehen. Sie dürfen nichts daran ändern, nichts ausscheiden, nichts hinzufügen von Wort und Weisung Jesu.

Der Herr entlässt seine Jünger nicht in ein ungewisses Schicksal, getrennt von ihm, vereinsamt und alleingelassen. Nein, er versichert sie seines Beistandes bei ihrer missionarischen Tätigkeit; er sollte bis zum Wirken von Wundern reichen (Mk 16,17f.). Der Herr gab den Jüngern die Gewissheit, stets, ohne Unterbrechung und ohne Aufhören, bei ihnen zu sein, solange diese Weltzeit läuft (Mt 28,20).

Der Herr verschaffte den Jüngern eine übernatürliche Ausrüstung für die Ausübung ihrer Sendung: Er übertrug ihnen den Heiligen Geist (Joh 20,22), die Kraft aus der Höhe. Wertvolleres und Höheres vermochte er nicht ihnen zu geben. Die Jünger Jesu sind, wirklich und wahrhaftig, Geistträger, Gottesboten. Vor allem übertrug er ihnen die Vollmacht, Sünden nachzulassen (Joh 20,23). Mit dieser Befähigung wird das Amt der Stellvertretung des Herrn, das Jesus in seiner Kirche begründet hat, am deutlichsten sichtbar gemacht.

Jesus hat der Kirche auch die Grundzüge einer Verfassung eingestiftet. Dazu gehört an erster Stelle der Primat. Schon zu Lebzeiten hatte Jesus die Einsetzung des Petrus in eine Vorrangstellung angekündigt. Vor der Stadt Cäsarea Philippi hatte Petrus ein Bekenntnis zur Messianität Jesu abgelegt. Als Antwort darauf sagte Jesus zu ihm: Du bist Petrus, der Fels, und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen. Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben (Mt 16,18f.). Diese Vorhersage löste der Auferstandene ein. Er bestellte den Petrus zum Oberhirten über seine gesamte Anhängerschaft (Joh 21,15-17) mit den schlichten Worten: Weide meine Lämmer, weide meine Schafe. Er soll Amt und Dienst des Hirten haben und ausüben.

Die Zeit, in welcher der auferstandene Herr seinen Jüngern erschien, ist von höchster Bedeutung. In diesen 40 Tagen erbaute er ihren Glauben, betraute sie mit ihrer Sendung und rüstete sie für ihren Heilsdienst aus. Der Herr formierte seine Gemeinde, die Kirche, und teilte ihr die Eigenschaften mit, die er für erforderlich hielt. Auferstehung und Einsetzung in die himmlische Vollmachtsstellung können begrifflich unterschieden werden, sind aber zeitlich nicht voneinander getrennt (Eph 1,20). Die sachliche Verbindung von Auferstehung und Himmelfahrt ist auch eine zeitliche. Die Heilige Schrift kennt nur einen und einzigen Vorgang der Erhöhung (Apg 2,33-35). „Erhöhung“ fasst Auferstehung und Himmelfahrt zusammen. Der den Jüngern erscheinende Jesus ist der erhöhte Auferstandene. Der Sohn Gottes hatte sich durch die Annahme der leidensunterworfenen Menschennatur der Gottgleichheit entäußert. Durch die Auferstehung ist die Entäußerung aufgehoben worden. Jesus ist durch dieses Geschehen erhöht worden. Die Erhöhung besagt das endgültige Angenommensein des menschgewordenen Sohnes Gottes in die Herrlichkeit und Macht des himmlischen Vaters. Gott hat ihn zum Herrscher und Heiland erhoben (Apg 5,31). Er sitzt jetzt zur Rechten Gottes (Mk 14,62). Nun ist er recht eigentlich als Herr und Christus eingesetzt.

Amen.

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