16. Juni 2024
Werft die Netze aus!
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Im Evangelium des heutigen Sonntags gibt der Herr seinen Jüngern einen Befehl, den sie als unverständlich, ja absurd und aussichtslos ansehen. Sie sollen sich zum Fischfang begeben am hellen Tage und in der Mitte des Sees, wo er am tiefsten ist. Petrus und seine Gefährten wissen es besser: Die Fische sammeln sich in den Untiefen, nahe am Strande, und zwar in der Dämmerung. Aber weil es der Herr ist, der es befiehlt, folgen sie dem Befehl.
Die Aufforderung Jesu, einen scheinbar aussichtslosen Fischfang zu versuchen, war nur der Anfang einer Kette von Aufträgen an die Apostel, die mit schweren Hindernissen behaftet waren. Alles, was der Herr den Jüngern befahl, wozu er sie aussandte, schien hoffnungslos. Wie der Apostel Paulus sagt (1 Kor 1,23), galt die Predigt von Christus dem Gekreuzigten „den Juden als Ärgernis, den Heiden als Torheit“. Also als Herausforderung für die gesamte Bevölkerung. Der Herr wusste, auf wen die Boten des Glaubens treffen würden. „Ich sende euch wie Schafe unter Wölfe.“ Keine Gefährdung kann stärker sein als die so beschriebene. Jesus wusste, dass die Juden erbitterte Feinde seiner Gemeinde waren. Als er den Jüngern befahl, sie zu seiner Stiftung zu führen, war ihm klar, dass er ihnen damit unversöhnliche Gegner schuf. Die Juden vergaßen nicht, dass sie vor dem Prokurator geschrien hatten: Hinweg mit ihm. Kreuzige ihn. Sie betrachteten die Christen als Abtrünnige und Verächter des mosaischen Gesetzes. Von den ungläubig gebliebenen Juden wurden die Christen seit etwa 100 n. Chr. im täglichen Synagogengebet verflucht. Die Botschaft von der leiblichen Auferstehung Jesu hielten sie für Betrug. Die Juden sahen die Anhänger des Nazareners für unpatriotisch an. Denn Christen beteiligten sich nicht an dem Jüdischen Krieg (69-70) und flüchteten ins Ostjordanland und nach Cölesyrien. Die Christen nahmen auch an dem Aufstand des Barkochba (132-135) nicht teil und erlitten deswegen schwere Bedrängnis durch die Juden. Die Juden traten an die Seite der Heiden in ihrer Ablehnung der Christen. Sie beteiligten sich durch Anzeigen und Denunziationen an den Verfolgungen der Jesusanhänger. Tertullian spricht es allgemein aus: „Die Synagogen der Juden sind die Quellen der Verfolgungen.“
Der Auftrag Jesu, die Millionen Anhänger der Götter zu bekehren, war nicht weniger erschreckend als die Weisung zur Gewinnung der Juden. Jesus eröffnete einen erbitterten Kampf, als er seinen Jüngern befahl, den Heiden seinen Glauben zu verkünden und sie aufzufordern, den häufig glänzenden und verführerischen heidnischen Religionen zu entsagen. Der Herr musste wissen, und er wusste es, was den Christen bevorstand, wenn sie sich gegen die für viele Menschen anziehenden Mysterienreligionen wandten. Im gesamten römischen Reich breiteten sich die aus Kleinasien, Griechenland und Ägypten stammenden Mysterienreligionen aus. In ihrem Mittelpunkt stand die Feier von Mysterien. In ihnen wurde die Fruchtbarkeit der Natur, ihr Werden und Vergehen, dargestellt, im Leben, Sterben und Wiederauferstehen der entsprechenden Gottheiten kultisch nachvollzogen. Darin fand die Hoffnung des Einzelnen auf Erlösung als Überwindung des Todes Ausdruck. Die Mysterienreligionen wurden von weiten Teilen der Bevölkerung als anziehend, blendend, unwiderstehlich empfunden. Die Menschen mussten die Anziehung, die Verlockung, den Zauber überwinden, der von diesen Religionen ausging, bevor sie sich dem Christentum zuwandten und wenn sie in ihm ausharrten. Man darf nicht meinen, die Anbeter von Isis und Osiris in Ägypten oder der Kybele, der Magna Mater, in Phrygien, Athen und Rom seien ihrer Religion überdrüssig gewesen und hätten nur darauf gewartet, sich zum Christentum zu bekehren. Diese Religionen hatten viele aufrichtige Verehrer, die an ihnen hingen und sich an ihrem Kult erbauten. Weit verbreitete Verehrung genoss Mithras. Mithras war der indoiranische Gott des Rechts und der staatlichen Ordnung. Er wurde als Lebensspender angerufen. Seit dem 1. Jahrhundert wurde er im römischen Reich als ein mit der Sonne verbundener Erlösergott verehrt. Der Mithraskult war eine Mysterienreligion, in deren Geheimnisse man nach schweren Prüfungen eingeführt wurde. Es gab große Mithras-Heiligtümer, die glänzend ausgestattet waren. Die Mithrasreligion zog zahlreiche Menschen in ihren Bann. Besonders beliebt war sie im römischen Heer.
Besonders gefährlich für die christlichen Missionare wurde die Situation im Römischen Reich wegen der Verbindung der Religion mit der Staatsmacht. Die christliche Religion war keine alte und nationale, wie die jüdische, sondern neu und universal gerichtet. Sie hatte Bekenner aus den verschiedensten Völkern, ja sie machte einen Anspruch darauf, die ganze Welt zu erobern und alle anderen Religionen zu verdrängen. Bei der engen Verbindung, die zwischen dem Götterglauben und dem antiken Staat bestand, glaubten viele dessen Fundamente selbst bedroht. Grund zu Befürchtungen schien umso mehr vorhanden zu sein, als die Christen den Kaiserkult verwarfen. Die göttliche Verehrung des lebenden Kaisers als der Lebensmitte des Reiches war (neben der Vergöttlichung des verstorbenen Kaisers) schon früher im Orient, unter Nero und namentlich seit Domitian auch im Abendland üblich geworden. In ihr gipfelte mehr und mehr die römische Staatsreligion; sie wurde zum Prüfstein der Loyalität und des Patriotismus; wer sie ablehnte, konnte wegen Hochverrats belangt werden. Daher wurde gerade diese Forderung für die Christen besonders gefährlich. Gegen Ende des 2. Jahrhunderts tauchte der Vorwurf auf, die Christen seien durch ihre Missachtung der vaterländischen Götter die Ursache der öffentlichen Unglücksfälle und Katastrophen wie Pest, Überschwemmung, Hungersnot, Barbareneinfall. Tertullian schreibt: „Wenn der Tiber über die Dämme tritt, wenn der Nil nicht über das Ackerland steigt, wenn der Himmel keinen Regen spendet, wenn die Erde bebt, wenn Hungersnot oder Seuche ausbricht, sofort wird gerufen: Die Christen vor die Löwen!“ Die christlichen Missionare werden sich an das Wort des Herrn erinnert haben: „Ich sende euch wie Schafe unter Wölfe.“ Der eine oder andere von ihnen wird sich gefragt haben, ob er es wagen solle, eine Aufgabe zu übernehmen, die mit großen Gefahren für Leib und Leben verbunden war. Manchen Christen werden Zweifel gekommen sein, ob sie in einer Religion ausharren sollten, die sie zum Ziel erbitterter Feindschaft von Seiten des größten Teils der Bevölkerung machte.
Die Stiftung Jesu, die katholische Kirche, hat von ihrem Meister die Angewohnheit übernommen, ihre Glieder an scheinbar oder wirklich aussichtslose Unternehmen zu setzen. Das gilt auch für unsere Zeit. Die Priester und ihre Mitarbeiter, die nach Leipzig und Chemnitz entsendet werden, wissen, in welche Umgebung sie kommen, in eine gottfremde, gottferne, gottvergessene Umgebung. Sie sollen nicht nur die kleinen, oft winzigen Gemeinden der noch vorhandenen Christen umsorgen. Nein, sie sollen als Missionare zu den Menschen gehen, die Gott nicht kennen, die ihn auch nicht vermissen, die ihn aber brauchen und von ihm gerufen werden. Sie sollen sie an den ewigen, unsterblichen himmlischen Vater erinnern, der will, dass sie zu ihm und seinem Sohne Jesus von Nazareth finden. Sie sollen die auch in der trostlosen Diaspora möglichen Gelegenheiten zur Werbung für Christus und die Kirche benutzen. Bei Taufspendungen. Bei Eheschließungen. Bei Krankenbesuchen. Bei Beerdigungen. Bei allen Auftritten, an denen ungläubige Menschen teilnehmen. Sie sollen sich die Verbreitung gläubigen Schrifttums angelegen sein lassen. Sie sollen Internet und Fernsehen benutzen, um der Religion eine Stimme zu geben. Das ist Apostolat, das ist Neuevangelisierung.
Wer für Christus brennt, dem geht sein Wort nicht aus dem Sinn: „Ich bin gekommen, Feuer auf die Erde zu bringen, und wie wünsche ich, dass es bereits emporflamme!“ Wie viele Priester und Pastoralreferenten brennen noch für Christus?
Amen.