Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  
1. November 2015

Die Seligpreisungen Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte, zur Feier des Festes AllerheiligenVersammelte!

Der Evangelist Matthäus hat in den Kapiteln 5-7 seines Evangeliums wichtige Teile der Verkündigung Jesu zusammengestellt. Man nennt sie die Bergpredigt. Unter diesen Redetexten Jesu, die Matthäus gesammelt hat, nehmen die so genannten Seligpreisungen, die wir eben im Evangelium gehört haben, eine wichtige Stelle ein. Sie sind ein Teil der eschatologischen, also der endzeitlichen Verkündigung Jesu. Sie geben die Bedingungen an für den Einlass in das Reich Gottes. Und dabei – wie wir gleich sehen werden – nehmen sie eine Umwertung aller Werte vor. „Selig die Armen im Geiste, denn ihrer ist das Himmelreich.“ Damit sind zunächst die Unbegüterten gemeint, die sozial Zurückgesetzten, die kleinen Leute, die Unterdrückten. Aber diese Armen und Elenden sind zugleich auch die Frommen, im Unterschied zu den gottlosen Unterdrückern. Und weil sie ihr bedrücktes Los zum Anlass nehmen, ausschließlich Gott sich zuzuwenden, sind sie auch die Demütigen. Es ist also gerade nicht so, wie die Kommunisten meinen, dass Armut, Unterdrückung und Elend zum Aufstand gegen Gott verleiten müssen; das Umgekehrte ist der Fall: Physisches Elend und Unterdrückung können die Grundlage religiöser Haltung werden. Nicht die satten Reichen sind seliggepriesen, sondern die hungrigen Armen. Reichtum, meine lieben Freunde, das wissen Sie alle, Reichtum verfettet, macht stumpf und träge, reizt zur Gottvergessenheit und zur Gottlosigkeit. Armut kann nach dem Willen Jesu Gott finden lassen, die Herzen aufschließen für die Übermacht des Göttlichen. Hinter den Armen seiner Zeit: den Handwerkern, den Fischern, den Beduinen Palästinas sieht Jesus zahllose Scharen Armer kommender Epochen der Geschichte, die ihr Schicksal nicht dadurch gewendet haben, dass sie Revolution machten und sich in die Paläste der Reichen setzten, sondern die ihr Los trugen in gläubigem Vertrauen auf die endliche Wende, die Gott einmal herbeiführen wird. Jesus sieht auch die geistlich Armen. Also die Männer und Frauen, die um Gottes Willen alles verlassen haben: Vater und Mutter und Heimat, und hinausgezogen sind, um das Evangelium zu verkündigen: in die Wüsten Afrikas und Amerikas, in die Steppen Asiens. Ich möchte an dieser Stelle nur erwähnen, dass es einmal bis nach Peking Dutzende von katholischen Bischofssitzen in Innerasien gab, die alle vernichtet wurden durch den Islam. „Selig die Trauernden, denn sie werden getröstet werden.“ Schon der Prophet Isaias hat den Menschen mit gebrochenem Herzen das Heil verheißen. Jesus nimmt diese Verheißung auf: „Ihr Gedrückten und aller Freude und allen Trostes Beraubten, habt Mut, euer harrt in der künftigen Welt eine Entschädigung für das, was euch hier vorenthalten wurde.“ Es muss freilich die rechte Trauer sein, damit sie seliggepriesen werden. Seliggepriesen wird die Trauer über die Macht des Bösen in der Welt. Selig sind jene, die deshalb trauern, weil sie Gottes Weltordnung gestört sehen, weil sie beobachten, wie die Menschen sich gegen Gott empören, wie sie die Gesetze Gottes missachten; diese Trauer ist gemeint. Kennen wir nicht auch, wir, die wir hier versammelt sind, kennen wir nicht auch diese Trauer? Teilen wir sie nicht? Schmerzt es uns nicht, wenn wir den unaufhörlichen Niedergang unserer Kirche erleben: die leeren Priesterseminare, den Zusammenbruch der Ordensgemeinschaften, die Unfähigkeit und Schwäche vieler Hirten? Diese völlig überflüssige Synode? Die sich an das hätte halten sollen, was immer in der Kirche galt, dann hätte es sie nicht gebraucht! Wir haben ja die Sache der Kirche zu unserer Sache gemacht. Wie könnten wir diese Selbstzerstörung der Kirche nicht mit Trauer und Schmerz beobachten? Es gibt einen von den wenigen gläubigen und mutigen Theologieprofessoren, es ist der in Heidelberg lehrende Klaus Berger. Er schildert die Verhältnisse unter den Theologen mit folgenden Worten: „Es gehört oft zum guten Ton, gegen die Kirche zu sein. Wer nicht gegen die Kirche ist, kann nichts werden.“ Und dann kommt er auf die Laien zu sprechen: „Aus den ehedem engagierten katholischen Laien hat man einen Ameisenhaufen von Möchtegern-Kirchenreformern gemacht“ – denken Sie an die Schwätzer vom Komitee der deutschen Katholiken.

„Selig die Sanftmütigen, denn sie werden das Land erben.“ Die Sanftmütigen sind jene, denen aller Übermut und alles hochfahrende Wesen fremd ist, die nicht gegen ihr Geschick aufbegehren und um Rache rufen, sondern mit Geduld das Eingreifen Gottes erwarten. Die Sanftmütigen sind dem Heiland ähnlich. Er ist ja nach der Prophezeiung des Zacharias sanftmütig, und er zieht in seine Stadt ein nicht als kriegerischer Held auf einem Rosse – das Pferd ist ein Instrument der Kriegführung –, nein, er zieht ein auf einem Esel, auf einem Arbeitstier; und das zeigt seine Sanftmut. Wer so sanftmütig ist wie der Messias, der hört die Verheißung: „Heil euch Sanftmütigen, ihr werdet das Land besitzen.“ Das Land, von dem hier die Rede ist, ist der Himmel, ist die Seligkeit, ist die Gemeinschaft mit Gott. Sie kommen nicht zu kurz, die Sanftmütigen, ihrer harrt ein Schatz im Himmel. Der Gegensatz zu den Sanftmütigen sind jene, die brutal und rücksichtslos nach Besitz, Gewinn und Macht streben in der Gesellschaft und in der Wirtschaft. Im Jahre 1904/05 veröffentlichte der evangelische Nationalökonom Max Weber, der große Soziologe, sein Werk: „Die protestantische Ethik und der Geist des Kapitalismus“. Dieses Buch erregte ungeheures Aufsehen – mit Recht. Was schreibt darin Max Weber? Die kalvinistische Religion habe den Gläubigen eingehämmert, er könne sein Heil nicht durch Sakramente erlangen. Es sei Gottes unerforschlicher Wille, wen er zum Heil auserwähle oder nicht – Prädestination nennt man das. Angesichts dieser Ungewissheit solle und könne der Mensch nichts anderes tun, als seiner Pflicht im Alltag nachzugehen. Der Erfolg in der Arbeit, der Gewinn von Reichtum sei ein Zeichen dafür, dass man zu den Erwählten gehöre. Aus dieser Gesinnung ist – nach Max Weber – der Kapitalismus entstanden mit seiner rücksichtslosen Erwerbstätigkeit, mit seiner mörderischen Ausbeutung der menschlichen Arbeitskraft, mit seinen verletzenden Ungleichheiten.

„Selig, die hungern und dürsten nach Gerechtigkeit, denn sie werden gesättigt werden.“ Die nach Gerechtigkeit verlangen, das sind jene, die sich danach sehnen, dass ihr Handeln mit dem Handeln Gottes übereinstimmen möchte. Es sind die gottliebenden Seelen, die die Sehnsucht haben, ganz im Einklang mit Gott zu leben, die Gott gleichförmig werden möchten, die den Heiland erfreuen möchten. Und doch müssen sie immer wieder feststellen, dass sie anders gewollt haben, als Gott will, dass sie die Selbstsucht überwältigt hat. Und dennoch haben sie den Hunger und den Durst nach Gerechtwerden vor Gott nicht aufgegeben. Sie haben weitergearbeitet an sich, haben sich bezwungen, haben ihre Gelüste überwunden, sind immer wieder aufgestanden in der Sehnsucht, dem Heiland nachzufolgen. Diese Menschen werden von Gott seliggepriesen. Sie sind selig, weil sie nach Gerechtigkeit gehungert und gedürstet haben. Und er wird ihnen einmal die Gerechtigkeit schenken, die sie auf Erden durch eigene Anstrengung nicht haben finden können.

„Selig die Barmherzigen, denn sie werden Barmherzigkeit erlangen.“ Barmherzigkeit ist die Liebe zur gefallenen, zur sündigen Kreatur. Barmherzigkeit ist tätiges Mitleid, Mitleid mit den Schwachen, Unbegabten, Ungeschickten, Langweiligen. Mitleid mit denen, die nichts zustande bringen, die überall im Wege stehen, die scheinbar zu nichts tauglich sind, Mitleid mit den Erfolglosen, Verzagten, Kleinmütigen, Niedergeschlagenen. Das war und ist der Ruhm des Christentums, dass es das Erbarmen mit den Benachteiligten dieser Erde in die Welt gebracht hat. Jesus hat in dem Gleichnis von dem König und dem unbarmherzigen Knecht geschildert, wie Barmherzigkeit sich zeigt. Der König lässt seinem Knecht die ungeheure Schuld von 10.000 Talenten nach. Aber der Knecht selber ist nicht bereit, seinem Mitknecht die lächerliche Schuld von 100 Denaren nachzulassen – der eine Barmherzigkeit übend, der andere Unbarmherzigkeit zeigend. Die barmherzig sind, finden Erbarmen bei Gott. Das ist ein entscheidender Gnadenakt, dass er die Menschen, die barmherzig waren, aus dem Gericht rettet.

„Selig die Herzensreinen, denn sie werden Gott schauen.“ Herzenreinheit meint hier nicht die sittliche Reinheit, also die Reinheit von der Sünde und noch weniger die Keuschheit, nein, Reinheit meint hier die volle, ungeteilte Hingabe an Gott, also die Menschen, die nichts anderes im Herzen tragen als die Sehnsucht, Gott zu dienen, und die keine Ansprüche für sich stellen, die Gott so dienen, dass ihre Person dabei gar nicht in Frage kommt. Die also nicht dienen aus Berechnung, nicht um des Nutzens willen, sondern die Gott dienen, weil er Gott ist und Anspruch hat auf unseren Dienst. Sind es viele, die Gott so dienen? Der Verfasser des Buches von der „Nachfolge Christi“ schreibt vor 500 Jahren: „Jesus hat jetzt viele Jünger, die im himmlischen Reiche mit ihm herrschen möchten, aber wenige, die sein Kreuz auf Erden tragen wollen. Viele, die mit ihm essen und trinken möchten, aber wenige, die mit ihm fasten wollen. Viele folgen Jesus nach bis zum Brotbrechen beim Abendmahle, aber wenige bis zum Trinken aus dem Leidenskelche.“ Ist es heute anders als vor 500 Jahren? Die Herzensreinen sind selig, weil sie Gott schauen werden. Schauen, nicht bloß in Träumen und Visionen wie im Alten Bunde, nein, schauen von Angesicht zu Angesicht. Sie werden Gott schauen, wie er wirklich ist.

„Selig die Friedensstifter, denn sie werden Söhne Gottes genannt werden.“ Die Übersetzung, die ich Ihnen vorhin vorgelesen habe, ist nicht genau. Darin heißt es nämlich „die Friedfertigen“, nein, die richtige Übersetzung lautet: „Selig die Friedensstifter“, also diejenigen, die nicht bloß selbst sanftmütig und duldend und verzeihend sind, sondern die zwischen Verfeindeten den Frieden wiederherstellen. Friedensstiftung braucht es in unserer friedlosen Welt an allen Ecken und Enden: in den Familien: wie viel Streit zwischen den Eltern, zwischen den Eltern und Kindern, zwischen den Kindern, wie viel Unfriede. Friedensstiftung braucht es in der Gesellschaft. Wie viele Konflikte zwischen den Arbeitskollegen, zwischen Berufsgenossen, Neid und Eifersucht zerfressen die Bande der Einigkeit. Von Bismarck stammt das traurige Wort: „Ein Kollege ist ein Wesen, vor dem man sich in Acht nehmen muss.“ Friedensstiftung braucht es zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern. Denken Sie an die Streitigkeiten, an die Streiks. Da treten Schlichter auf, die den Frieden wiederherstellen sollen, den Arbeitsfrieden. Friedensstiftung ist auch nötig in der Volksgemeinschaft und in der Völkergemeinschaft. Auch ohne bösen Willen stellen sich Konflikte zwischen den Nationen ein. Seit Jahrzehnten tobt ein nicht angekündigter Krieg in Palästina zwischen Juden und Arabern. Wo sind die Friedensstifter, die den Ausgleich und die Versöhnung herbeiführen? Die Friedensstifter erhalten die Verheißung, „sie werden Söhne Gottes heißen“. Wer ein „Sohn Gottes“ geheißen wird, der ist es auch.

„Selig, die um der Gerechtigkeit willen Verfolgten, denn ihrer ist das Himmelreich.“ Die Gerechtigkeit, die den Grund für die Verfolgung bietet, besteht in nichts anderem als in der Nachfolge Christi. Der Ungläubige ist aufgebracht über den Glauben der Christen. Er schilt sie dumm und unaufgeklärt, aber er fühlt sich beunruhigt durch diesen Glauben, denn er verurteilt seinen gottlosen Wandel. Darum greift er zur Gewalt, zur Verfolgung. Den Bösen reizen die Tugenden des Guten; er fühlt sich beschämt, herausgefordert. Und deswegen wird der Gute verdächtigt, geschmäht, verleumdet, bedroht und bedrängt. Die Verfolgungen und Schmähungen, welche die Jünger erwarten, eben deswegen, weil sie Jünger Christi sind, sollen für sie ein Grund des Jubels sein – nicht bloß trotz, sondern wegen der Verfolgung. Denn mit diesen Verfolgungen treten sie in die Nachfolge der alttestamentlichen Gottesmänner ein, der Propheten, deren Beruf sie übernehmen – Verfolgung ist immer Prophetenschicksal. Dafür erwartet sie aber im Jenseits ein überreichlicher Lohn.

Meine lieben Freunde, die Seligpreisungen nennen religiös-sittliche Haltungen, denen das Heil verheißen ist. Die Seligpreisungen geben die Bedingungen an, die für das Heil gefordert sind: jeweils die äußere Lage und dann die Antwort des Inneren auf diese Lage. Da liegt eine radikale Umwertung aller Werte vor. Die Unglücklichen werden seliggepriesen, die Glücklichen als unselig erklärt. Neben dem Gottesreich, das für die Menschen das Heil bedeutet, gibt es keinen vergleichbaren Wert auf dieser Welt. Das Heil ist endzeitlich zu verstehen. Die Verfolgten werden seliggepriesen, weil sie ein wunderbares Los im Jenseits erwartet, und das macht sie fähig, das irdische Schicksal zu ertragen. So sind die Seligpreisungen ein mächtiger Protest gegen das, was die Welt unter „Glück“ versteht, und gegen den Eudämonismus der Pharisäer und der Kalvinisten. Sie meinen, im irdischen Glück sei der Segen Gottes zu verspüren und im Unglück die Strafe Gottes, das Gottesurteil. Nein, so ist es nicht. Gerade die Armen, Trauernden und Verfolgten sind die Anwärter auf das ewige Leben, denn sie sind durch ihre Leiden gekennzeichnet. Aber Gott vergilt ihnen, was sie um seinetwillen getragen und gelitten haben.

Amen. 

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