Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Handlungen mit doppelter Wirkung (Teil 2)

18. Oktober 2020

Mitwirkung zu fremder Sünde

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben am vergangenen Sonntag über das Kompensationsprinzip beim sittlichen Handeln nachgedacht. Es hat seine Anwendung einmal bei den Handlungen mit doppelter Wirkung. Wenn eine Handlung eine gute und eine schlechte Wirkung hat, muss man überlegen, ob man sie setzen darf. Man darf sie setzen, wenn ein entsprechender Grund dafür vorliegt, der die schlechte Wirkung kompensiert, ausgleicht.

Noch viel häufiger, ja beinahe alltäglich ist eine andere Anwendung des Kompensationsprinzips, nämlich die Mitwirkung zu fremder Sünde. Mitwirkung zu fremder Sünde ist die Beihilfe zu der vom anderen bereits gewollten Sünde.

Der entscheidende Unterschied bei der Art der Mitwirkung zur Sünde anderer ist der zwischen materieller und formeller Mitwirkung. Wird die an sich einwandfreie Mitwirkung vom anderen zur Sünde missbraucht, redet man von materieller Mitwirkung. Die in sich oder der Absicht nach sündhafte Mitwirkung heißt formelle. Es besteht ein Wesensunterschied zwischen formeller und materieller Mitwirkung. Formelle Mitwirkung liegt vor, wenn in ihr die Sünde anderer als solche gewollt ist. Materielle Mitwirkung ist gegeben, wenn nur tatsächliche Hilfe zu jener Sünde gewährt, diese selbst aber nicht gewollt wird.

Die formelle Mitwirkung kann sein eine ausdrückliche, wenn sie als solche beabsichtigt wird, oder eine einschließliche, wenn die Handlung schon ihrer Natur oder den Umständen nach notwendig die Sünde des anderen mitsetzt. Wer den Götzen opfert, nimmt teil am Götzendienst, auch wenn er diesen innerlich verabscheut. Wer die Kindestötung im Mutterleib mit ausführt, begeht die Sünde des Kindesmordes, auch wenn er diesen innerlich ablehnt. Die formelle Mitwirkung, sei sie eine ausdrückliche oder einschließliche, ist stets sittlich unerlaubt. Ihre Sündhaftigkeit richtet sich nach den allgemeinen Regeln, d.h. nach der Tat selbst, vor allem nach ihrem Objekt, sowie nach der Weise und dem Grad, wie die Tat die Tugend, gegen die sie gerichtet ist, verletzt. Bei der materiellen Mitwirkung ist die Handlung weder in sich selbst, d.h. ihrer inneren Beschaffenheit nach, noch durch die Absicht des Handelnden auf die Sünde des anderen ausgerichtet. Die Handlung wird vielmehr gegen den Willen des materiell Mitwirkenden und oft sogar ohne sein Wissen als rein physisches Tun vom Sünder ausgenutzt. Beispiel. Ein Waffenhändler verkauft ein Jagdgewehr. Er nimmt an, dass es zur Jagd auf Wildtiere benutzt wird. Aber der Käufer verwendet es zum Mord. Die Gegenwart bietet viele Fälle materieller Mitwirkung zu bösem Tun. Aber die Besserwisser und Scheingerechten von heute bezichtigen häufig Personen der Vergangenheit der Schuld, die richtig betrachtet, nicht schuldig geworden sind. Die Eisenbahner, die Züge mit Juden nach Auschwitz gefahren haben, taten ihren Dienst als Angestellte der Reichsbahn. Sie fuhren die Züge, wie es ihr Dienstplan vorsah: an einem Tage als Personenzüge, an einem anderen als Güterzüge, an einem dritten Tage mit Juden, die, wie es hieß, evakuiert wurden. Sie brachten die Juden dorthin, wo ihnen Böses angetan wurde. Sie mochten ahnungslos sein oder sie mochten es wissen – sie selbst hatten an dem schrecklichen Geschick, dem die Juden entgegengingen, keinen irgendwie gearteten Anteil. Sie verrichteten lediglich den Dienst, der sich aus ihrem Beruf ergab. Wenn sie ihn verweigert hätten, hätten sie ihre Anstellung verloren und wären schwer bestraft worden. Die Eisenbahner durften zu Recht das Kompensationsprinzip für ihren traurigen Dienst anrufen. Sie hatten einen gewichtigen Grund, ihren Beruf auszuüben, der von anderen, diesmal sogar von der Obrigkeit, missbraucht wurde.

Die materielle Mitwirkung kann sein eine unmittelbare oder mittelbare. Unmittelbare Mitwirkung: Hier nimmt man an der Sünde des anderen direkt teil (ohne sie jedoch selbst mitauszuführen). Mittelbare Mitwirkung: Hier nimmt man an der Sünde nur mittelbar teil, indem man dem Sünder irgendwelche Mittel, Werkzeuge zur Tat liefert. Unmittelbar wirkt einer zum Diebstahl mit, wenn er die Leiter zum Ort des Diebstahls hinträgt oder dort hält. Mittelbar, wenn er dem Dieb die Leiter verkauft, ohne zu wissen, wozu sie erworben wird.

Die materielle Mitwirkung kann sein eine nächste oder eine entferntere oder eine entfernte, je nach ihrer Nähe zur Sünde des anderen. Das Halten der Diebesleiter wäre eine nächste, das Hintragen derselben zum Ort des Diebstahls eine entferntere, ihr Verkauf eine entfernte Mitwirkung. Für die entfernte Mitwirkung genügt ein plausibler Grund. Die nähere Mitwirkung fordert einen bedeutenden Grund, setzt außerordentliche Schädigung voraus, z.B. die Gefahr, brotlos zu werden. Die nächste Gelegenheit verlangt einen außerordentlich wichtigen Grund, z.B. Lebensgefahr.

Die bloß materielle Mitwirkung kann erlaubt sein, wenn auf sie die Regeln über das individuell Gewollte oder über die Zulassung böser Folgen einer sittlich erlaubten Handlung zutreffen. Es muss aber geprüft werden, ob alle dort genannten Bedingungen vorliegen; denn nur, wenn sie alle gegeben sind, darf man zu fremden Sünden materiell mitwirken. Da aber hier die böse Folge der Handlung in der Unterstützung einer fremden Sünde besteht, so muss ein besonders wichtiger Grund für die eine(wenn auch nur materiell) Sünde begünstigende Handlung vorliegen. Wer einer Krankenkasse angehört, die Abtreibungen finanziert, leistet mit seinen Beiträgen Mitwirkung für die Durchführung der Kindestötungen. Aber seine Mitwirkung ist eine sehr geringe und entfernte. Sie ist auch notwendig und kaum zu umgehen, denn Versicherung gegen Krankheit gehört zu der notwendigen Sorge für das eigene Leben, kann also wohl verantwortet werden. Die Abwägung der beabsichtigten guten Folge und der zugelassenen schlechten Folge (= die Förderung der Sünde des anderen) sind folgende Gesichtspunkte zu beachten: Der Grund für die Mitwirkungshandlung muss um so gewichtiger sein, erstens je größer die Sünde ist, zu der mitgewirkt wird, zweitens je wahrscheinlicher es ist, dass der andere ohne die Mitwirkung nicht sündigt, oder je sicherer die Sünde geschieht, drittens je näher die Mitwirkung die Sündenhandlung des anderen berührt, viertens je weniger man ein Recht zu seinem Tun hat, fünftens je mehr die Sünde der Gerechtigkeit und damit Rechten Dritter widerstreitet. Stets entscheidet das Kompensationsprinzip: Je größer und wahrscheinlicher bei Mitwirkung und je unwahrscheinlicher bei nicht erfolgender Mitwirkung die drohende Sünde ist; je intensiver der geübte Einfluss ist; je weniger der andere zu seiner Handlung berechtigt ist; je größer die Verletzung der Nächstenliebe ist, desto dringender muss der kompensierende gute Zweck sein.

Das Gas Zyklon B wurde neben anderer, bis heute anhaltender vielfältiger Verwendung auch zur Vergasung von Personen benutzt. Die an der Herstellung des Gases beteiligten Personen leisteten eine ganz entfernte mittelbare Mitwirkung zu den Verbrechen, die mit dem Gas verübt wurden; an den Verbrechen selbst waren sie in keiner Weise beteiligt. Das Kompensationsprinzip gab ihnen für ihre Arbeit in der Produktion ein gutes Gewissen. Sie konnten, falls sie überhaupt wussten, was mit diesem Gas in Auschwitz geschah, sich sagen, dass sie an dieser Verwendung keinerlei Anteil hatten. Hätten sie sich geweigert, weiter in der Fabrik zu arbeiten, die Zyklon B herstellte, hätten sie ihren Arbeitsplatz verloren und wären womöglich bestraft worden. Nach dem Kirchenrecht, das bis 1983 in Geltung stand, waren öffentlich (also bekanntermaßen) Unwürdige von dem Empfang der Kommunion abzuhalten. Geheime (also nicht öffentlich bekannte) Sünder, die geheim um die Kommunion bitten, waren zurückzuweisen. Anders, wenn sie sich öffentlich zum Empfang der Kommunion einstellten. Nach dem Kompensationsprinzip durfte dem nicht-öffentlichen Sünder die Kommunion gereicht werden, wenn er öffentlich danach verlangt. Die Verantwortung für den unwürdigen Kommunionempfang liegt bei dem Gläubigen. Der die Kommunion austeilende Priester wirkt zu diesem Sakrileg materiell mit. Der Grund, warum er es ohne Schuld tun kann, ist der Schutz des in Frage kommenden Gläubigen vor öffentlicher Bloßstellung. Er rechtfertigt die materielle Beteiligung an dem Vergehen des unwürdigen Kommunionempfangs. Notgedrungene amtliche Anwendung und Ausführung ungerechter Gesetze (z.B. Scheidung gültiger Ehen) ist erlaubt, wenn das, was erzwungen werden soll, nicht in sich verwerflich ist oder wenn nicht ein bestimmter Befehl, eine wirksame Veranlassung, sondern ein bloßes Geschehenlassen in Frage steht (cooperatio materialis). Weiß man, dass der andere die Sünde ohnehin beginge, genügt zur Mitwirkung ein geringer Grund: z.B. Getränke an einen Trunkenbold.

Darf man sich an einem ungerechten Krieg beteiligen? Es gab im Zweiten Weltkrieg Männer, die den Dienst in der Wehrmacht (und damit auch die Eidesleistung auf das Staatsoberhaupt) verweigerten. Sie haben diese zweifellos mutige Tat mit dem Tode bezahlt. Es waren nur einige wenige, die sich so verhalten haben. Die meisten katholischen Männer haben den Wehrdienst ebenso wie den Kriegsdienst geleistet. Haben sie unrecht gehandelt?

Nun war der Krieg zweifellos von dem unter der Herrschaft Hitlers stehenden Deutschen Reich begonnen worden. Die Ausweitung zum europäischen und schließlich zum Weltkrieg geschah durch Eintritt der großen Demokratien in die Auseinandersetzung. Den meisten Menschen in Deutschland war es schwer oder gar nicht möglich, über die Gerechtigkeit oder die Ungerechtigkeit des Krieges ein begründetes Urteil zu fällen. Wohl die Mehrzahl der Deutschen hielt den Waffengang für notwendig und berechtigt. Eine Minderzahl sah in ihm einen ungerechten Krieg.

Nun war es nach allgemeiner Überzeugung sittliche Pflicht, dem Ruf zu den Waffen zu folgen, wenn das Vaterland ihn ergehen lässt. Man wird denen keinen Vorwurf machen können, die sich dazu entschieden, der Einberufung zur Wehrmacht zu folgen. Aber wie ist das Verhalten desjenigen zu beurteilen, der in dem Krieg Unrecht sah, sich aber dennoch in die Reihen der Soldaten einordnete? Ist er schuldig geworden? Hätte er aufstehen und erklären müssen: Ich verweigere den Wehrdienst? Zur Beantwortung der Frage ist folgendes zu bedenken.

Deutschland hat im Zweiten Weltkrieg 14 Millionen Männer zu den Waffen gerufen. Nur ein Bruchteil von ihnen war an den Kämpfen unmittelbar beteiligt, hat also selbst geschossen und somit unter Umständen getötet. Die Mehrzahl war an Stellen und Orten eingesetzt, wo weder getötet noch verletzt wurde. Die Soldaten der Sanitätstruppe waren beispielsweise dazu da, verletzte Kameraden zu bergen und ihnen das Leben zu erhalten. Das Bodenpersonal der Luftwaffe nahm kein Gewehr in die Hand. Wer zur Wehrmacht einberufen wurde, konnte sich mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit sagen, er werde nicht in die Lage versetzt werden, anderen das Leben oder die Gesundheit zu nehmen. Von daher mochte er sich entlastet fühlen, wenn er die Uniform anzog und den Fahneneid leistete.

Aber einmal abgesehen von dieser Überlegung: Der einzelne Soldat, der in den Kampf geschickt wurde, war ein winziges Rädchen in der Kriegsmaschinerie; sein Einfluss auf das militärische Geschehen war minimal. Der Beitrag, den er zu dem von ihm als ungerecht beurteilten Krieg leistete, fiel nicht ins Gewicht. Er hatte den Krieg nicht gewollt, er konnte ihn aber auch nicht beenden, selbst wenn er seine Beteiligung verweigert oder zurückgezogen hätte.

Andererseits hatte er Grund, sich zu erhalten, für seine Angehörigen, für die Heimat, für das Vaterland. Er konnte sich jedoch nur erhalten, wenn er dem Einberufungsbefehl Folge leistete. Auf Wehrdienstverweigerung stand die Todesstrafe. So hat er diese Pflicht auf sich genommen. Der angegebene Grund war kein unberechtigter. Der Wehrpflichtige konnte sich darauf vor Gott und seinem Gewissen berufen, wenn er sich in der Kaserne einfand. Die vielen gläubigen Männer, die in der Zeit des Dritten Reiches den Wehrdienst ableisteten und in den Krieg zogen, haben kein Unrecht getan. Sie haben nach den Grundsätzen der katholischen Sittenlehre gehandelt. Was sie taten, war eine entfernte, ganz entfernte zu einem bösen Tun. Sie wurde kompensiert durch das Motiv, sich seiner Familie und dem Volk zu erhalten.

Eine irgendwie geartete materielle Mitwirkung zu bösem Tun ist heute fast unvermeidlich. Die Menschen sind in Arbeit und Leben eng miteinander verflochten. Damit ist verbunden die erhöhte, oft unvermeidliche Fernwirkung des einzelmenschlichen Handelns und die Verstrickung in soziologische Handlungszusammenhänge. Daher ist die Vermeidung jeder materiellen Mitwirkung zur Sünde, vor allem der entfernten, für den Menschen unmöglich. Dennoch kann auch unter normalen Verhältnissen die Frage aufstehen, ob man sich am Tun oder Lassen eines anderen, einer Gemeinschaft, eines Betriebs oder Unternehmens beteiligen darf. Der Inhaber einer Leihbücherei, der Bücher oder Platten verleiht, in denen Schmutz und Schund dargestellt wird, ist materiell an dem seelischen Schaden beteiligt, der durch solche Produkte angerichtet wird. Er wird nicht leicht einen hinreichenden Grund finden, der diese Mitwirkung kompensiert, also erlaubt macht. Die Erwartung und die Absicht der Benützer der Leihbücherei kann auch sittlich verderbliche Bücher oder Platten umfassen. Wenn er sie nicht bedient, kann er Kunden verlieren. Aber solange dieser Schwund nicht existenzbedrohend ist, wird man dem Leiter der Leihbücherei zumuten können, dass er verderbliche Werke nicht führt. Der Techniker, der pornographische Texte ins Internet stellt, begeht materielle Mitwirkung zur Sünde. Er hat keinen Anteil an der möglichen schlechten Wirkung dieser Texte. Er leistet allein einen technischen Dienst. Der Setzer, der religionsfeindliche Texte der Journalisten in die Zeitung einrückt, ist materiell an der Sünde beteiligt. Beide werden sich fragen müssen, ob sie einen gewichtigen Grund haben, der ihr Tun ausgleicht, zulässig macht.

Wer einer zum Suizid entschlossenen Person die Mittel verschafft, mit der sie sich selbst töten kann, betreibt materielle Mitwirkung zu fremder Sünde. Es ist schwer denkbar, dass er dieses Tun durch einen rechtfertigenden Grund zu einem erlaubten machen kann. Es kann auch unter Fachleuten strittig sein, ob eine materielle Mitwirkung erlaubt ist. In Deutschland ist eine Abtreibung straffrei und somit zulässig, wenn sich die abtreibungswillige Person einem Gespräch unterzogen hat, in dem sie über Verfahren und Folgen der Abtreibung unterrichtet wurde. Sie erhält einen Schein, dass sie die Beratung absolviert hat, und damit geht sie zum Abtreibungsarzt und lässt ihr Kind töten. Bischof Dyba nannte dieses Papier eine „Tötungslizenz“ und erklärte diese Praxis der materiellen Mitwirkung zur Sünde anderer als sittlich unzulässig. Papst Johannes Paul II. folgte dieser Sicht. Anders die deutschen Bischöfe. Sie wollten an der Ausstellung derselben festhalten. Heute gibt es Bestrebungen linker politischer Parteien, die Bereitschaft, an Abtreibungen teilzunehmen oder sie selbst vorzunehmen, zur Voraussetzung zu machen für die Einstellung in den Gesundheitsdienst. In einigen europäischen Ländern wurden Krankenschwestern entlassen, weil sie sich weigerten, an Abtreibungen mitzuwirken. Wir nähern uns den Vorhersagen des Apokalyptikers Johannes, wonach vom öffentlichen Leben ausgeschlossen wird, wer nicht das Zeichen des Satans an sich trägt. Hier ist das richtig gebildete Gewissen gefragt. Es muss die Sünde anderer als solche erkennen. Es ist falsch, nur den eigenen Vorteil als Grund für die materielle Mitwirkung zur Sünde anderer zu beachten. Es ist auch keine Entschuldigung, zu sagen, dass, wenn man selbst die betreffende Handlung nicht tut, andere sich dazu bereitfänden. Die Wahrscheinlichkeit oder Gewissheit, dass andere eine verbotene materielle Mitwirkung leisten werden, entlastet das eigene Gewissen nicht. Der Apotheker, der die Pille danach verkauft, kann sich nicht darauf berufen, dass sein Kollege es tun wird, wenn er es unterlässt. Nach dem früher Ausgeführten mag es Fälle geben, wo man zu einem bösen Tun materiell, d.h. ohne die Billigung der Sünde, aus hinreichendem Grunde mitwirken darf. Ich war 1944 in einer Rüstungsfabrik zwangsverpflichtet. Neben mir arbeiteten zahlreiche jüdische Frauen. Sie hatten teil an der Kriegsproduktion der Macht, die sie ihrer Freiheit beraubt und zu dieser Arbeit gezwungen hatte. Sie leisteten also Beihilfe zur Weiterführung des schrecklichen Krieges. Aber ihre Beihilfe war eine rein materielle und ganz entfernte. Außerdem wurden sie dazu gezwungen. Sie konnten sich ihr nicht entziehen ohne Gefahr für ihr Leben. Sie hatten einen gültigen Grund für ihre Mitwirkung. Der Taxifahrer, der einen Freier zum Bordell fährt, wirkt materiell zur Sünde der Unzucht mit. Für Taxi besteht eine Beförderungspflicht. Er wird sich dem Wunsch des Freiers nicht entziehen können. Was er tut, ist mittelbare entfernte Mitwirkung zur Sünde, für die es einen plausiblen Grund gibt. Der Hotelbesitzer, der seine Zimmer auch an Paare vermietet, die miteinander Unzucht treiben, ist materiell an diesem Geschehen beteiligt. Er wird kaum auswählen können, wen er aufnimmt und wem er die Aufnahme versagt. Hotels vermieten für jedermann.

Ich möchte nicht der Laxheit bei der Beurteilung, ob eine materielle Mitwirkung zu unerlaubtem Tun eines anderen sittlich zulässig ist, das Wort reden. Für die Religion und um des Gewissens willen muss man bereit sein, Opfer zu bringen. Wer sich unter Berufung auf das Urteil seines Gewissens einer Handlung, einer Stellung, einem Beruf entzieht, wo die materielle Mitwirkung zum bösen Tun anderer gewiss oder möglich ist, gibt ein Zeugnis für die Achtung des Willens Gottes selbst unter Inkaufnahme eigener Nachteile.

Amen.  

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