Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Wer ist Jesus? (Teil 2)

24. Dezember 2017

Der Gottmensch Jesus Christus ist der Erlöser

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

„Heute sollt ihr wissen: der Herr wird kommen, uns zu erlösen, und morgen sollt ihr seine Herrlichkeit schauen.“ So beten wir in der heutigen Vigilmesse. Heute sollt ihr wissen: der Herr wird kommen, uns zu erlösen, morgen sollt ihr schauen sein Heil. Erlösung ist ein viel gebrauchtes Wort. Im religiösen Bereich bedeutet Erlösung Befreiung von einem Übel im Zustand der Gemeinschaft oder des einzelnen Menschen. Im christlichen Bereich besagt Erlösung die Befreiung des Menschengeschlechtes von der Erbsünde und allen anderen Sünden durch den Erlöser Jesus Christus, der die Sünden auf sich nahm und sie zum Kreuz trug, und dort den Schuldschein, der gegen uns gesprochen hat, ausgelöscht hat. Ist eine Erlösung notwendig? Meine lieben Freunde, die Menschen haben immer die Notwendigkeit der Erlösung verspürt. Sie haben deswegen gesucht, wie sie erlöst werden oder sich erlösen könnten. Warum war die Erlösung notwendig? Weil der Mensch die Zerstörung der Freundschaft mit Gott durch die Sünde nicht rückgängig machen kann. Damit eine zerstörte Freundschaft wieder aufblühen kann, muss der Verratene sagen: Es soll wieder gut sein. Er selber muss kommen, um die Freundschaft wieder zu knüpfen. Das kann der Mensch nicht. Er kann schuldig werden, aber er kann sich nicht aus der Schuld befreien. Die Schuld kann nur von Gott vergeben werden.

Und deswegen sind alle Versuche der Selbsterlösung, der Selbstbefreiung zum Scheitern verurteilt. Das haben die Menschen immer versucht, sich selbst zu erlösen. Sie haben sich als Gebilde ihrer Sehnsucht mythische Erlösergestalten geschaffen, also Götter, die zwar nicht existieren, die sie sich aber eingebildet haben: Osiris in Ägypten, Adonis in Syrien, Mithras in Iranien, Orpheus und Dionysos in Griechenland. Diese Selbsterlösungsversuche haben sich ausgezeugt in bestimmten Kulturreligionen und in philosophischen Systemen. Kulturreligionen sind bspw. der Hinduismus und der Parsismus. Die Anhänger des Islam haben sich einen Erlöser geschaffen: den Mohammed, die Inder Vishnu und Krishna. Alle diese Erlöser sind ohnmächtig. Warum? Sie sind ja Gebilde der Phantasie, sie existieren ja gar nicht in der Wirklichkeit, sie können also auch nicht erlösen, wenn man sich zu ihnen begibt und sich ihnen anvertraut; sie vermögen nicht das zu leisten, was ihnen ihre Verehrer zutrauen, nämlich Erlösung. Andere haben die Erlösung in philosophischen Systemen gesucht. Manche meinten, man könne durch Erkenntnis, durch wachsende Erkenntnis und durch Abtötung des Lebenstriebes zur Erlösung kommen; Schopenhauer, Schelling waren Vertreter dieser Ansicht. Im 19. und noch im 20. Jahrhundert haben die Sozialisten und Kommunisten gesungen: Uns erlöst kein höheres Wesen, kein Gott, kein Kaiser, noch Tribun. Uns vom Elend zu erlösen, können wir nur selber tun. Und die Antwort darauf war das System von Karl Marx. Karl Marx meinte, durch Veränderung der gesellschaftlichen Zustände und der Produktionsbedingungen könne man Erlösung schaffen. Sein System wurde aufgenommen von Engels und Lenin, und wir haben ja die 70-jährige Periode erlebt in der Sowjetunion, wie dieses System aufgebaut worden und zusammengebrochen ist. Andere stellten sich die Erlösung vor, indem sie auf ein sich selbst genügendes, schönes und kraftvolles Menschentum setzten. Das ist die Erlösungstheorie von Friedrich Nitzsche. Alle diese Versuche der Selbsterlösung stellen sich eine unerfüllbare Aufgabe. Die Sünde zu vernichten, diese Aufgabe ist ihnen unmöglich zu erfüllen. Nur im biblischen Glauben kann Erlösung durch Gott stattfinden, weil nur im biblischen Glauben Gott von der Welt verschieden ist. Die Götter der Heiden sind Symbolisierungen der Naturvorgänge. Allein der Gott des Alten und Neuen Testamentes ist der wahre, lebendige, einzige Herr Himmels und der Erde. Schuld und Sünde können nur von ihm weggenommen werden.

Und Gott hat sich erbarmt. Er hat vor Urzeiten den Erlösungsratschluss gefasst. In seiner grenzenlosen Barmherzigkeit und Güte hat er sich entschlossen, die verlorene Freundschaft mit den Menschen wieder zu begründen. Er hat in völliger Freiheit – denn die Erlösung ist ein unverdientes Geschenk – beschlossen, dass sein Sohn Mensch werden, dass er das Erlösungswerk vollbringen sollte. Gott war frei in der Weise, wie die Erlösung geschehen sollte, er hat die höchste Möglichkeit gewählt: die Erlösung durch seinen eigenen Sohn. Christus konnte erlösen, weil er der Sohn Gottes war. Er ist der LOGOS, der in der Welt erschienen ist, die Verbindung einer göttlichen Person mit einer menschlichen Natur. In der menschlichen Natur hat er die Erlösung vollbracht. Die menschliche Natur ist das Werkzeug seiner Erlösung. Gott allein ist der Heilbringer, aber er vollbringt das Heil durch geschichtliche Gestalten. Und die oberste geschichtliche Gestalt, die einzigartige ist Christus, unser Herr, weil er wahrer Gott und wahrer Mensch ist. Nur als Gott konnte er uns erlösen, nur als Mensch konnte er leiden, also musste er als Gottmensch erscheinen. Denn Gott hatte für die Sünde festgesetzt, dass sein Eingeborener leiden und sterben musste. Warum denn das? Damit die Menschen erkennen, welches Grauen die Sünde in sich trägt. In dem zerrissenen Heiland erkennen sie, welche Schrecklichkeit in der Sünde lebt. Und zum anderen damit sie erkennen, welche Liebe Gott zu den Menschen hat, dass er seinen eigenen Sohne nicht schonte, sondern ihn für uns alle dahingegeben hat.

Vor einigen Tagen fragte mich ein Malermeister, warum die Erlösung so spät erfolgt ist. Warum nicht gleich nach dem Sündenfall? Tatsächlich ist das eine bewegende Frage, denn seit dem ersten Auftreten des Menschen sind ja nicht Jahrtausende, möglicherweise – so sagt uns die Anthropologie – Millionen Jahre vergangen. Der Mensch ist viel älter, als man geglaubt hat. Immer wieder findet man Artefakte, aus denen sich ergibt, dass der Mensch viel, viel älter ist, als alle Vermutungen und Angaben der Wissenschaft bisher gemeint haben. Warum ist der Erlöser nicht eher erschienen? Darauf gibt es Antworten. Es war auch den Menschen vor Christus möglich, Gott zu erkennen, nach seinem Willen zu leben und dadurch die Gnade zu gelangen. Es gibt eine natürliche Gotteserkenntnis und es gibt ein natürliches Sittengesetz; beides ist dem Menschen zu erkennen möglich. Und wenn er dieses Sittengesetz befolgt, wenn er dem – wenn auch in Umrissen – erkannten Gott die Treue hält, dann kann er in die Gnade kommen. Also auch die Menschen vor Christus wurden erlöst, erlöst mit Rücksicht auf den verheißenen, auf den sehnsuchtsvoll erwarteten Christus. Auch sie sind nicht verloren. Die altchristlichen Apologeten sagen: Der LOGOS (also die zweite Person Gottes) war schon vor Christus bekannt. In ihrer Sehnsucht nach dem Erlöser haben die Menschen etwas geahnt, dass einmal einer kommen wird, der sie von der Schuld befreien wird, der sie mit Gott versöhnen wird. Und diese Sehnsucht war so mächtig, dass sie dadurch erlöst werden konnten. So haben z. B. Justin und andere Apologeten des 2. und 3. Jahrhunderts gesagt: Heraklit, der Weise, Pythagoras, Sokrates waren schon Christen, waren schon Christen vor Christus, weil sie an den LOGOS geglaubt haben, weil sie den LOGOS erwartet haben. Das ist also möglicherweise eine Antwort auf die Frage: Warum ist der Erlöser so spät gekommen? Aber man kann auch andere Überlegungen anstellen, nämlich die Zeit war noch nicht reif. Die Menschheit musste erst vorbereitet werden. Es war noch viel zu leisten an gedanklicher und an sittlicher Arbeit, bevor die Welt reif war, den Erlöser zu empfangen. Deswegen sagt das Neue Testament, dass der Erlöser erschien, als die Fülle der Zeit gekommen war – als die Fülle! der Zeit gekommen war, nicht vorher, nicht nachher. Die Umstände der Zeitgeschichte Jesu waren offenbar besonders günstig für die Ankunft des Erlösers. Die Heiden hatten allmählich erkannt, dass sie mit ihren menschlichen Erlösungsversuchen an eine Decke stießen. Und die Juden waren voll brennender Sehnsucht nach dem ihnen von den Propheten verheißenen Erlöser. Diese Stimmung traf zusammen mit dem Römischen Weltreich. Ein Reich beherrschte den gesamten Mittelmeerraum, nämlich das Römische Reich, und das war für die Ausbreitung des Evangeliums sehr nützlich. Überall kamen römische Soldaten hin, brachten das Evangelium, auch nach Mainz. Also wir wissen Antworten, warum der Erlöser so spät gekommen ist. Das wahre Licht leuchtete schon, bevor er gekommen ist, und die Menschen konnten es erkennen. Und sie waren imstande, ein sittliches Naturgesetz aus den eingeschaffenen Wesenheiten des Menschen zu eruieren.

Die Ausführung der Erlösung ist Christus übertragen worden. Er konnte sie leisten, weil er der Sohn Gottes war. Er hat in seinem ganzen Leben erlöserische Wirksamkeit ausgeübt. Jawohl, das ganze Leben Jesu mit allen seinen Akten macht die Gesamtheit der Erlösung aus. Er trug in Vertretung der Menschen sein Leiden als Strafe für die Sünde ans Kreuz. Gott hat die Fremderlösung durch seinen Sohn bewirkt. Das Christentum ist die einzige Religion, die eine volle und vollendete Fremderlösung lehrt, lehren kann, weil der Träger dieser Erlösung Jesus, der Sohn Gottes, ist. Er hat in seinem Leben Genugtuung geleistet, d.h. er hat das gut gemacht, was die Sünde schlimm gemacht hatte. Er hat adäquate Genugtuung geleistet; adäquat heißt: Die Genugtuung war imstande, alle Schuld zu tilgen, nein, sie war überreich. Die vollkommene Erlösung ist durch Christus geschaffen worden, durch seine Gesinnung und durch sein Leben. Seine Gesinnung war die Verherrlichung des Vaters, die Liebe zum Vater, die Liebe zum Menschen. Diese Gesinnung hat Gott bewegt, die Sünde nachzulassen und die Menschen von ihr zu befreien. An dieser Gesinnung hatte der Vater solches Wohlgefallen, dass er nicht nur die Sünde vergeben hat, sondern dass er uns in die frühere Freundschaft wiederaufgenommen hat. Das ist die Botschaft, die wir zur Weihnacht verkünden, meine lieben Freunde. Der liberale Protestantismus, der die Gottheit Christi leugnet, verwirft auch den blutigen Sühnetod. Er will von der „Blutmystik“ nichts wissen. Ja aber was ist das für eine Religion? Was ist das für ein Christentum? Für dieses Christentum kann man keinen Finger rühren. Nein, meine lieben Freunde: „Heute sollt ihr wissen: der Herr kommt, uns zu erlösen; und morgen sollt ihr schauen seine Herrlichkeit.“

Amen.  

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