Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Begleiter der Passion (Teil 4)

22. Februar 2015

Pilatus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten uns am Sonntag Septuagesima vorgenommen, an diesem Sonntag und den folgenden Sonntagen die Passionsteilnehmer zu betrachten. Am vergangenen Sonntag haben wir uns mit Kaiphas, dem Hohenpriester in Jerusalem, befasst. Heute kommen wir zu Pilatus, dem römischen Landpfleger in Judäa. Wir wissen einiges von ihm durch Schriftsteller der alten Zeit. Pilatus hatte das „nomen gentile“, also den Familien-, den Geschlechternamen Pontius. Den Vornamen kennen wir nicht; Pontius ist nicht sein Vorname, das ist sein Geschlechtername, sein Familienname, und er deutet auf Samnium, eine Landschaft in den Apenninen. Pilatus ist der Beiname und bedeutet wohl der Speertragende. Pilatus gehörte zu den Rittern im römischen Reich. Die Ritter waren der zweite Stand neben den Senatoren. Aus ihnen wurden die hohen Beamten, die Offiziere und die Diplomaten entnommen. Auf Empfehlung von Seianus hat Kaiser Tiberius Pilatus im Jahre 26 zum Praefectus – zum Praefectus – in Judäa gemacht. Als Praefectus war er verantwortlich für die Verwaltung in der Provinz und für die Gerichtsbarkeit. Er hatte die Infrastruktur zu betreuen, das Finanzwesen, die öffentliche Sicherheit und Ordnung. Philo von Alexandrien fällt ein sehr ungünstiges Urteil über Pilatus. Er sagt, er sei grausam, herrschsüchtig und judenfeindlich gewesen. Flavius Josephus urteilt vorsichtiger. Nach ihm setzte Pilatus bei den immer wieder aufflammenden Unruhen in Palästina seine politischen und militärischen Kräfte sorgsam und mit Umsicht ein. Lukas erwähnt in seinem Evangelium die Niedermetzelung galiläischer Pilger auf Befehl des Pilatus. Er wollte vermutlich einen möglichen Unruheherd ersticken. Als die Übertragung römischer Feldzeichen – also der Adler – nach Jerusalem bei den Juden Empörung auslöste, da gab Pilatus nach, hat sie wieder entfernt. Er scheute sich aber nicht, aus dem Tempelschatz Geld für den Bau einer Wasserleitung zu entnehmen. Als er eine Ansammlung aufständischer Juden am Berge Garizim blutig zerstreuen ließ, wurde er abberufen. Er musste sich für seine Amtsführung verantworten. Aber als er nach Rom kam, war der Kaiser Tiberius schon tot. Pilatus dürfte ein wacher, entscheidungsfreudiger Beamter gewesen sein. Dass er zehn Jahre in seinem Amte verbleiben durfte, spricht dafür, dass er seine Aufgabe im Sinne Roms – also zur Aufrechterhaltung der Ordnung – erfüllt hat. Tacitus schreibt über die Regierung des Tiberius: „Sub Tiberio quies“ – unter Tiberius hat im römischen Reich Ruhe geherrscht. Sein weiteres Schicksal liegt im Dunkeln. Vermutlich hat er unter Kaiser Caligula in Vienna Selbstmord verübt. In der Koptischen Kirche wird Pilatus als Heiliger verehrt.

Zu ihm bringen die Juden am Freitag in der Leidenswoche Jesus, zu ihm ins Prätorium. Der Prokurator residierte gewöhnlich in Caesarea am Meere, aber zu den hohen Festtagen kam er nach Jerusalem mit einer Truppe, um sofort eingreifen zu können, falls sich Unruhen ereignen sollten. Die Juden stellen Jesus als Übeltäter vor. Pilatus möchte den Fall abwimmeln: „Richtet ihn nach eurem Gesetz.“ Jetzt müssen sie mit der Sprache herausrücken. Sie begehren seinen Tod, und die Todesstrafe vollstrecken können sie nicht, also müssen sie sich an den römischen Praefectus halten. Nun fordert Pilatus sie auf, genauer ihre Anklage zu begründen. Die Anklage, die sie erheben, umfasst drei Punkte:

1. Sie bezeichnen Jesu öffentliche Wirksamkeit als Volksaufwiegelung.

2. Sie werfen ihm vor, dass er die Leistung der dem Kaiser geschuldeten Kopfsteuer verweigere.

3. Sie erheben die Anklage, er mache sich zum König, d.h. zum Rebell gegen die Herrschaft der Römer im Lande Juda.

Von diesen Anklagepunkten ist der zweite eine vollständige Verleumdung und Verkehrung der Tatsachen. Die beiden anderen sind Verfälschungen des rein religiösen Messiasanspruches und der Lehrtätigkeit Jesu. Und deswegen geht Pilatus auch nur auf den dritten und wichtigsten Punkt der Anklage ein: „Du bist der König der Juden?“ Diese Frage setzt voraus, dass die Juden die Anklage erhoben haben, Jesus strebe nach der Königsherrschaft. König der Juden ist die politische Umsetzung des religiösen Begriffes König von Israel. Der römische Beamte kennt natürlich nur den politischen Begriff des Königs und deswegen muss er auf diese Anklage eingehen. Pilatus ist davon unberührt, dass Jesus ihm sagt: „Ich bin es.“ Er hält ihn für einen harmlosen Schwärmer. Darum erklärt er zum ersten Mal: „Ich finde keine Schuld an ihm.“ Die Hohenpriester und die Volksmenge bestehen umso nachdrücklicher auf ihrer Anklage: „Er bringt das ganze Land in Unruhe durch seine Lehrtätigkeit, von Galiläa angefangen bis hierher“ – also bis in den Bereich der römischen Herrschaft. Darauf muss Pilatus eingehen. Es entwickelt sich ein kurzes Gespräch zwischen dem Richter und dem Angeklagten, nämlich über das Königtum Jesu. Und zwar beschreibt Jesus das Königtum zuerst negativ und dann positiv, was es nicht ist und was es ist. „Mein Königtum ist nicht von dieser Welt. Wenn mein Königtum von dieser Welt wäre, hätten meine Diener gekämpft, dass ich nicht den Juden ausgeliefert werde. Nun aber ist mein Königtum nicht von hier.“ Er bestätigt also: Er besitzt ein Königtum. Aber es ist nicht irdischer Art. Es existiert zwar in der Welt, aber es gehört nicht zu der Welt. Jesus – und das ist das entscheidende – bejaht den Anspruch, ein König zu sein. Das erkennt Pilatus und deshalb fragt er: „Also bist du doch ein König?“ Jesus stimmt ihm zu: „Du sagst es. Ich bin ein König.“ Und jetzt erklärt er positiv, was sein Königtum beinhaltet. „Ich bin geboren und dazu in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit zeuge. Jeder, der aus der Wahrheit ist, hört auf meine Stimme.“ Als wirklicher König erhebt er einen Herrschaftsanspruch. Aber dieser vollzieht sich dadurch, dass er für die Wahrheit zeugt, also für die Offenbarung Gottes, für die göttliche Wahrheit, für die göttliche Offenbarung, und dass er die Welt zur Stellungnahme für oder gegen sie aufruft. Alle, die aus der Wahrheit sind, d.h. die sich von der Offenbarung Gottes bestimmen lassen, hören auf ihn und seine Verkündigung und erkennen ihn als den Gesandten Gottes an. Sie sind Glieder seines Reiches. Er hat also tatsächlich Untertanen, die, die seine Wahrheit hören. Für ein solches Königtum hat Pilatus kein Verständnis. Geringschätzig und skeptisch fragt er: „Was ist Wahrheit?“

Dieses Wort, meine lieben Freunde, haben viele dem Pilatus nachgesprochen. Wahrheit ist für zahllose Menschen ein Fremdwort. Sie wissen, was Arbeit und Genuss, was Nutzen und Schaden ist, was Leben und Überleben und Ausleben ist, das wissen sie, aber sie wissen nicht – und wollen auch nicht wissen – was Wahrheit ist. Denn die Wahrheit ist unbequem. Die Wahrheit ist den meisten Menschen das Gleichgültigste. Darum ist auch das Wirken des christlichen Verkündigers so schwer. Er möchte den Menschen die Wahrheit Gottes, die Offenbarung Gottes bringen, möchte sie zu Christus, dem wahren Christus führen, aber was die Menschen wollen, das ist etwas ganz anderes: Erleichterung des Lebens, Enthebung von den Pflichten der Moral, eine billige Religion, eine bequeme Sittenlehre. Das ist der Grund, warum Religionen, die es den Menschen leicht machen, immer im Vorteil sind gegenüber dem katholischen Glauben. Das dürftige Glaubensbekenntnis des Islam zieht heute Menschen aus den traditionell katholischen oder christlichen Ländern an. Es gibt in Deutschland eine Abfallbewegung zum Islam. Die billige Sittenlehre des Protestantismus verleitet katholische Christen zum Abfall zu der Religion Luthers. Es liegt den Menschen nichts am Glauben, es liegt ihnen am bequemen Leben. Und doch, meine lieben Freunde, ist die Wahrheit, das Ringen um die Wahrheit, der Besitz der Wahrheit und das Festhalten an der Wahrheit der Sinn und Zweck unseres Lebens. Wenn wir nicht die Wahrheit haben, laufen wir in die Irre. Wir sind und bleiben katholische Christen, weil wir an der Wahrheit festhalten.

Pilatus versuchte vergeblich, den Fall Jesus an Herodes abzuschieben; dieser tat ihm den Gefallen nicht. Nun muss er den Prozess weiterführen. Er erklärt zum zweiten Mal den Hohenpriestern, den Obersten, dem Volke: „Ich habe diesen Menschen in eurer Gegenwart verhört, aber ich habe keine Schuld in den Dingen gefunden, deren ihr ihn anklagt, aber auch Herodes nicht; es ist wirklich nichts Todeswürdiges von ihm begangen worden. So will ich ihn züchtigen lassen und freigeben.“ Pilatus stellt fest: Ein todeswürdiges Verbrechen ist in keinem Falle von Jesus begangen worden. Er will aber trotzdem – merkwürdiger Weise – Jesus verurteilen. Warum denn? Er sucht eine Kompromisslösung; er will den Juden entgegenkommen. Er will dem Hass der Juden wenigstens ein halbes Opfer bringen, indem er ihn der grausamen Auspeitschung unterwirft. Aber damit sind die Juden nicht zufrieden zu stellen; sie wollen den Tod des Nazareners. Diese Forderung erscheint dem Pilatus unbillig; deswegen unternimmt er einen zweiten Anlauf, um Jesus freizubekommen. Er versucht Jesus durch die Osteramnestie zu retten. Zu Ostern musste er, nach alter Sitte, einen Gefangenen freigeben. Und er dachte: Jesus ist beliebt, das Volk wird ihn begehren. Aber nein, die Hohenpriester hatten das Volk präpariert: „Nicht diesen, sondern Barabbas gib uns frei!“ Pilatus hat einen schweren taktischen Fehler begangen. Er hält Jesus für schuldlos, hätte ihn also kraft seiner richterlichen Vollmacht in Freiheit setzen müssen, stattdessen schlägt er vor, Jesus wie einen wirklichen Verbrecher auf dem Gnadenweg freizulassen. Dieser Fehler rächt sich auf der Stelle. „Kreuzige, kreuzige ihn!“ Die Gerichtsverhandlung wird zur Volksversammlung. Es wird nicht mehr Recht gesprochen, sondern die Leidenschaften haben das Wort. Der römische Richter verhandelt mit dem Pöbel von Jerusalem. „Was soll ich denn mit dem tun, den ihr den König der Juden nennt?“ „Kreuzige ihn!“ Noch einmal, zum letzten Mal, fragt Pilatus: „Was hat er denn Böses getan?“ Dieser Versuch wirkt matt, ja hilflos. Das jüdische Volk bekommt die Entscheidung über Jesus in die Hand. Pilatus führt Jesus hinaus als Spottkönig, angetan mit der Dornenkrone und dem Purpurmantel. „Da ist der Mensch“, damit will er den Juden die Harmlosigkeit Jesu, die Ungefährlichkeit dieses Judenkönigs vor Augen führen. Er hofft, dass sie sich damit zufrieden geben und die Anklage zurücknehmen werden. Aber er hat sich auch diesmal verrechnet. Statt Mitleid empfängt er Hohngelächter. „Kreuzige ihn! Ans Kreuz, ans Kreuz mit ihm!“

„Wir haben ein Gesetz, und nach diesem Gesetz muss er sterben; denn er hat sich selbst zum Sohne Gottes gemacht.“ Jetzt wählen die Juden eine neue Begründung für ihre Anklage, nämlich die Gotteslästerung, die sie bisher verschwiegen haben. Sie wollen Jesus als Gotteslästerer zum Tode verurteilt wissen. Aber diese neue Anklage übt auf Pilatus eine andere Wirkung aus, als die Juden erwartet hatten. Er kann sie nur im heidnischen Sinne verstehen, nämlich dass Jesus den Anspruch erhebt, ein übermenschliches, ein göttliches Wesen zu sein. Die Heiden hatten den Glauben, dass es Göttersöhne gebe, Göttersöhne, göttliche Menschen, die ihren Ursprung in der jenseitigen Welt haben und die mit göttlichen Kräften ausgerüstet sind und die deshalb den Sterblichen gefährlich werden können, die sich an ihnen vergreifen. So erfasst den Prokurator eine geheime Angst vor Jesus, eine Furcht. „Da fürchtete sich Pilatus noch mehr“, schreibt der Evangelist Johannes. Er stellt an Jesus die Frage: „Wer bist du?“ Er will erfahren, ob er wirklich von einem Gott abstammt, also ein göttliches, ein überirdisches Wesen ist. Jesus gibt ihm keine Antwort. Warum nicht? Weil sein göttliches Geheimnis nur dem Glauben zugänglich ist; Pilatus aber glaubt nicht.

Als die Juden die immer noch bestehende Entschlossenheit des Pilatus spüren, Jesus freizulassen, da spielen sie ihren letzten und stärksten Trumpf aus: „Wenn du diesen freilässt, bist du kein Freund des Kaisers mehr; jeder, der sich zum König macht, widersetzt sich dem Kaiser.“ Die Juden drohen Pilatus mit der Anzeige beim Kaiser, dass er einen Rebellen begünstigt. Wenn er den Nazarener laufen lässt, vernachlässigt er die Pflichten seines Amtes. „Freund des Kaisers“ war damals ein offizieller Titel, der Statthaltern verliehen wurde – offenbar hatte ihn Pilatus erlangt. Die massive Drohung der Juden geht also dahin, ihn in Rom wegen Herabsetzung des Kaisers anzuklagen: Majestas minuta nennt das das römische Recht – Majestas minuta, verminderte Majestät. Der Kaiser Tiberius ist ein misstrauischer Mann. Er wird der Sache nachgehen und die unangebrachte Milde seines Prokurators ahnden. Und diese Drohung setzt sich durch. Vor ihr zuckt Pilatus zusammen; das Spiel ist verloren. Größer als die Furcht vor dem ihm unheimlichen Jesus ist die Sorge um sein politisches Ansehen und um seine Stellung. Er lässt Jesus noch einmal hinausführen, diese jammervolle Gestalt: „Da ist euer König!“ Das ist wahrscheinlich als Spott gemeint. Die Drohung der Juden hat ihn verletzt, und jetzt lässt er seinen Ärger an ihnen aus. Als sie ihre Forderung, Jesus kreuzigen zu lassen, erneuern, da fragt er ironisch: „Euren König soll ich kreuzigen?“ Aber der Hass der Juden ist so abgrundtief, dass sie dem Statthalter kurzerhand erklären: „Wir haben keinen König als den Kaiser!“ Das heißt: Sie geben ihre eigene Messiashoffnung auf und beugen sich willig unter die römische Herrschaft.

Als Pilatus sah, dass er nichts ausrichte, dass der Tumult nur größer wurde, nahm er Wasser, wusch sich vor dem Volke die Hände und sprach: „Ich bin unschuldig an diesem Blut. Das ist eure Sache.“ Pilatus bekundet durch diese symbolische Handlung, dass er Jesus nicht für schuldig erklären kann und nur dem Druck der Juden nachgibt. Die eigentliche Schuld am Tode Jesu trägt sein eigenes Volk. Pilatus will aus abergläubischer Scheu vor etwaigen Folgen seine Tat von sich abwälzen. Die Juden riefen: „Sein Blut komme über uns und unsere Kinder!“ Ob sie ahnten, was sie damit heraufbeschworen haben? Der Evangelist Lukas schließt den Abschnitt mit den Worten: „Jesus aber gab er ihrem Willen frei.“ Pilatus kapituliert vor dem Willen der Menge, um sie zur Ruhe zu bringen. Obwohl das Evangelium es nicht erwähnt, dürfte Pilatus ein formelles Todesurteil gesprochen haben und die Hinrichtung Jesu angeordnet haben. Der Inhalt des Todesurteils ist enthalten auf der Tafel, die über dem Kreuz Jesu befestigt wurde: „Der König der Juden“. Diesen Kreuzestitel hat Pilatus selbst verfasst.

In hunderttausenden katholischen Kirchen, meine lieben Freunde, wird täglich gebetet: „Gelitten unter Pontius Pilatus“. Sein Andenken kann nicht untergehen. Wo immer vom Tode Jesu die Rede ist, wird der Name seines Richters genannt werden. Wir Christen – wir gläubigen Christen – gedenken des Pilatus nicht ohne Sympathie. Wir danken ihm für die Feststellung der Unschuld Jesu und für sein Bemühen, ihn freizulassen. Aber wir können nicht übersehen, dass er nicht gerecht gerichtet und gegen seine Überzeugung gehandelt hat. Pilatus war Richter. Höchste Grundsätze der Rechtsprechung sind Gerechtigkeit und Unabhängigkeit. Die Gerechtigkeit verlangt, dass jedem das Seine geschieht; die Unabhängigkeit fordert, dass sich der Richter nicht von Gunst oder Ungunst anderer beeinflussen lässt. Pilatus war um Gerechtigkeit gegen Jesus bemüht, aber nur bis dahin, wo sein eigener Nutzen auf dem Spiele stand. Er wollte sich die Unabhängigkeit gegenüber den Juden bewahren, aber nicht mehr, als seine eigene Stellung bedroht war. Ein Richter, der bei einer Entscheidung vorsätzlich zum Nachteil einer Partei handelt, macht sich der Rechtsbeugung schuldig. Pilatus gab seine Überzeugung preis, um seine Stellung zu behaupten. Überzeugung ist die Einsicht in die Wahrheit und die Gerechtigkeit einer Anschauung, einer Maxime, einer Erkenntnis. Eine Überzeugung bindet und verpflichtet, wenn der Mensch vor sich selbst – und natürlich auch vor Gott und anderen – bestehen will. Dann muss er seiner Überzeugung treu bleiben. In meiner Heimat befand sich ein Buchladen, den ich oft besuchte. Der Besitzer dieses Buchladens hatte in seinem Geschäft einen Spruch hängen, der lautete: „Die über Nacht sich umgestellt, die sich zu jedem Staat bekennen, das sind die Praktiker der Welt, man könnte sie auch Lumpen nennen.“ Da ging es um eine politische Überzeugung, hier aber geht es um die religiöse Überzeugung, also um die Treue zum Glauben. Viele Menschen ziehen wie Pilatus den Nutzen der Überzeugung vor. Am Anfang des 19. Jahrhunderts sollte der französische Marschall Bernadotte König von Schweden werden. Bedingung war, dass er zum Luthertum übertrete. Bernadotte vollzog den Abfall vom katholischen Glauben. Die jetzige Königin von Dänemark Margrethe lernte als junge Frau einen französischen Grafen kennen und lieben; sie heirateten. Der Graf bezahlte den Preis, Prinzgemahl von Dänemark zu werden: Er gab den katholischen Glauben auf. Die Treue zur Überzeugung, meine lieben Freunde, muss immer bezahlt werden auf dieser Erde. Es gibt auch Gegenbeispiele. Paul von Eltz-Rübenach war im Deutschen Reich Postminister unter Papen, Schleicher und Hitler. Im Jahre 1937 überreichte Hitler allen seinen Ministern das goldene Parteiabzeichen, womit die Mitgliedschaft in der NSDAP (der Nazipartei) verbunden war. Als er es Paul von Eltz-Rübenach überreichen wollte, wehrte dieser ab. Er wolle das Abzeichen nicht, solange die Partei gegen die katholische Kirche kämpfe. Natürlich verlor er sein Ministeramt. Ich habe nach dem Kriege folgenden Fall erlebt: Eine katholische Familie aus Schlesien kam nach Mecklenburg. Einer der Söhne verdingte sich als Knecht bei einem großen Bauern. Er war anständig, geschickt, fleißig, zuverlässig. Nach einigen Jahren sagte der Bauer, der keine Kinder hatte, zu ihm: „Du sollst den Hof haben. Aber etwas musst du noch ändern: Hier ist alles evangelisch, du musst auch evangelisch werden.“ Der Bauernsohn aus Schlesien ist nicht evangelisch geworden; er hat den Hof fahren lassen. Eine Überzeugung haben und behalten und vertreten, das braucht Mut, das fordert Opfer, das bringt Nachteile. Für seine Überzeugung muss man zahlen. Und womit zahlen wir? Geringschätzung, Verachtung, Beschimpfung, Ausgrenzung, Benachteiligung, Zurücksetzung. Heute werden die geschmäht und verachtet, die am ganzen und unverfälschten Glauben der Kirche und ihrem Jahrhunderte alten Gottesdienst festhalten. Sie gelten als rückständig. Unsere Feinde sagen: Was Ihr bekennt, ist überholt. Ich frage, meine lieben Freunde: Seit wann hört die Wahrheit auf, wahr zu sein?! Unsere Feinde sagen: Der Gottesdienst, den Ihr feiert, ist veraltet. Ich frage: Seit wann veraltet, was zeitlos ist?! Es ist mir heute, als hörte ich die Offenbarung des Herrn an den Apokalyptiker Johannes: „Ich weiß um deine Drangsal und um die Schmähungen, die du zu ertragen hast. Fürchte dich nicht vor dem, was du zu leiden hast. Der Teufel wird welche von euch ins Gefängnis werfen, damit ihr erprobt werdet. Aber sei getreu bis zum Tode, dann will ich dir den Kranz des Lebens geben.“

                                                                                                                               

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