Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Begleiter der Passion (Teil 1)

1. Februar 2015

Petrus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Petrus ist der Beiname des Simon oder Simeon. Sein Vater ist Jonas oder Johannes. Er war von Beruf Fischer und lebte in Bethsaida am See Genesareth. Es war verheiratet, wie wir aus dem Evangelium wissen. Wir wollen heute Fall und Auferstehung Petri bedenken. Seinen Fall, also seine Trennung von Jesus, und seine Auferstehung, also sein Wiederfinden zu Jesus. Noch keine Seele, meine lieben Freunde, ist von Gott abgefallen, die nicht vorher das Gebet vernachlässigt hätte. Das Gebet erhält den Kontakt mit Gott aufrecht und erschließt die Hilfsquellen des Himmels. Wenn wir beten, wird uns die Versuchung nie ganz überwältigen können. Für den Durchschnittsmenschen ist der erste Schritt abwärts die Aufgabe des Gebetes, die Behauptung, dass der Mensch sich selbst genüge. In der Nacht, in der unser Herr verraten wurde, im Garten von Gethsemane, wandte er sich an seine vertrauten Jünger und sagte: „Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet! Der Geist ist zwar willig, aber das Fleisch ist schwach.“ Er ging hin, zu beten, und er wollte seine vertrautesten Jünger bei sich haben: Petrus, Jakobus und Johannes. „Bleibet hier und wachet mit mir.“ In dieser Stunde des Ringens um die Ergebung in den Willen des Vaters wollte er sie in seiner Nähe haben. Diese Nähe war für ihn ein Trost, und er wollte, dass sie wach bleiben. Aber als er das erste Mal nach seinem Gebetskampf zu ihnen kam, fand er sie schlafend. Doch er spricht nur zu einem von ihnen: „Simon, du schläfst? Konntest du nicht eine Stunde mit mir wachen?“ Petrus hatte aufgehört, zu wachen und zu beten; er schlief. Aber einer schlief nicht: Judas Iskariot; er war unterwegs. Und so wird es in der Geschichte der Kirche oft sein: Die Kinder Gottes ruhen sich aus, aber die Feinde Gottes sind in Bewegung. Die Hirten der Kirche beruhigen sich gegenseitig: Die Kirchensteuer geht ja (noch) ein. Aber die ungläubigen Theologen unterminieren die Kirche. Der große österreichische Prediger Abraham a Santa Clara hat einmal das bedenkenswerte Wort gesprochen: „Während die Hirten schlafen, stiehlt man die Wolle den Schafen.“ Noch zweimal nimmt der Herr seinen Gebetskampf auf, und noch zweimal kehrt er zu seinen vertrauten Jüngern zurück und findet sie schlafend. „Ihre Augen“, so heißt es entschuldigend, „waren ihnen schwer geworden.“ Es klingt wie ein Vorwurf, und es ist auch ein Vorwurf, als der Herr zu ihnen sagt: „So habt ihr nicht eine Stunde mit mir wachen können.“

Die nächste Etappe in dem Falle Petri war der Ersatz des Betens durch Handeln. Die meisten Menschen, die noch das Bedürfnis haben, mit Gott und der Kirche in Verbindung zu bleiben, wenden sich der beruhigenden Wirkung des Tätigkeitseins zu. Wenn sie sich bewegen, wenn sie tätig sind, meinen sie, können sie den Mangel an Gebet ersetzen. Gemeinden gelten als lebendig, wenn äußere Betriebsamkeit entfacht wird, viele Kreise ihre Tätigkeit verrichten, Sitzungen des Pfarrgemeinderates angesetzt werden, Fastnachtsveranstaltungen vor sich gehen. Aber wenn zur Anbetung ins Gotteshaus gerufen wird, da bleibt das Gotteshaus leer. Wenn das Leiden und Sterben des Heilandes im Rosenkranz bedacht wird, da sind die Vorbeter allein. Die Beichtstühle verstauben, und die Wiegen bleiben leer. Petrus macht hier keine Ausnahme. Auch er sucht sein Versäumnis beim Wachen durch Tätigkeit zu ersetzen. Er zieht ein Schwert, das er bei sich hat, und schlägt auf die Häscher ein. Er trifft einen Knecht des Hohenpriesters und nicht einen Soldaten – er war offenbar ein besserer Fischer als ein Mann des Schwertes. Der Herr ruft ihm zu: „Stecke dein Schwert ein! Denn alle, die das Schwert ergreifen, werden durch das Schwert umkommen.“ Christus braucht keine irdische Hilfe. Der Papst hat keine Divisionen. Keine derartige Tätigkeit kann das Gebet ersetzen. Gebet ist unersetzbar.

Die Erfahrung lehrt, dass religiöse Betätigung schnell in Gleichgültigkeit umschlägt, wenn kein Gebet dabei ist. Die Menschen werden gleichgültig und fürchten, zu fromm zu werden und zu eifrig. Und so spricht auch das Evangelium: „Petrus aber folgte ihm von ferne.“ Er hatte zuerst aufgehört zu beten und dann zu handeln, und jetzt hält er sich fern. Wenn es gefährlich für uns wird, dann suchen wir unsere Zugehörigkeit zu Christus, zur Kirche, zum Papste zu verbergen, damit wir nicht in die Verachtung und in den Hass, den sie treffen, hineingezogen werden. Die Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer, erklärte, sie sei katholisch, aber nicht römisch-katholisch. Ja, meine lieben Freunde, wie kann man denn katholisch sein, ohne römisch-katholisch zu sein?

Sobald das Religiöse aus dem Leben schwindet, beginnt das Materielle überhand zu nehmen. Im nächsten Stadium seines Falles befriedigte Petrus Bedürfnisse seines Leibes. Er geht nicht in den Gerichtssaal hinein, er bleibt draußen im Hof des Hohenpriesters. Hier, denkt er, kann er sich ohne Gefahr aufhalten. Warum geht er in den Hof? Um das Ende abzuwarten. Er ist neugierig, wie es mit Jesus weitergehen wird. Man will doch erleben, was da geschieht. Als sie in der Mitte des Hofes ein Feuer anzündeten, setzte sich Petrus unter sie. Weiter geht es bergab. Nie zuvor hat ein Mann an einem Feuer so gefroren wie Petrus!

Das letzte Stadium im religiösen Abgleiten ist die Furcht vor den Menschen. Wir verleugnen unseren Glauben und schämen uns seiner, weil wir verspottet und verachtet werden. Als der Schein des Feuers den Petrus beleuchtete, konnten die Umstehenden in sein Gesicht schauen. Und im selben Augenblick, da der Heiland seine Gottheit beschwor, schwor auch Petrus. Aber nicht um die Gottheit zu bestätigen, sondern um sich von ihm zu trennen. Eine der Mägde erkannte ihn: „Auch du warst bei Jesus, dem Galiläer.“ Petrus leugnete: „Ich weiß nicht, was du sagst“, d.h. er tut so, als ob ihm das vollkommen unverständlich sei, was ihm da vorgeworfen wird. Aber es wird ihm bange. Er steht auf und verlässt den Hof und geht in den Vorhof, doch seine Vergangenheit holt ihn ein. Eine andere Magd sah ihn: „Auch du bist einer von ihnen“ – von ihnen, das sind seine Jünger, seine Anhänger, seine Gefolgschaft. Jetzt beginnt die Sache gefährlich zu werden. Vielleicht erinnert sich Petrus an die alte Rechtsregel: Mitgegangen, mitgefangen, mitgehangen. Petrus hält nichts davon, dass sie auf ihn Anwendung findet. Er will den Kopf aus der Schlinge ziehen: „Mensch, ich kenne den Menschen nicht.“ Er will den nicht kennen, meine lieben Freunde, der ihn zum Fischeramt berufen hat, der seine Schwiegermutter geheilt hat, der ihm den Würdename „Kephas“ (Fels) gegeben hat – den will er nicht kennen. Mit dieser Lüge sucht er sich Verschonung von der Verfolgung zu erkaufen. Aber es gelingt nicht. Ein wenig später sagt ein anderer: „Du bist wirklich einer von ihnen; du bist auch ein Galiläer; deine Sprache verrät dich.“ Jetzt wird Petrus zornig. Jetzt erinnert er sich an die Flüche seines Fischerlebens: „Ich kennen diesen Menschen nicht, von dem ihr redet.“ Meine lieben Freunde, das ist der Fall des Petrus. Das ist sein Absturz von der Höhe des treuen Jüngers Jesu zu einem Apostaten.

Wie kann er sich wieder erheben? Der Stolz ist die Hauptsünde, und daraus folgt: Die erste Bedingung der Bekehrung ist die Demut. Die Demut entsteht aus der tiefen Erkenntnis, dass die Sünde nicht lohnt, dass sie enttäuscht, dass sie nicht hält, was sie verspricht, dass sie Unglück bringt. Und das ist im Falle Petri das Eintreffen einer Voraussage seines Herrn. Der Herr hat ihn ja gewarnt. Als Petrus im Abendmahlsaal beteuerte: „Ich will mein Leben für dich hingeben“, da hat der Herr nüchtern geantwortet: „Dein Leben willst du hingeben? Wahrlich, ich sage dir: Ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.“ Tatsächlich, wenige Stunden später, gerade als Petrus fluchte und schwor, dass er Jesus nicht kenne, drang deutlich das unverkennbare Krähen eines Hahnes durch die äußeren Räume des Hofes. Selbst die Natur ist aufseiten Gottes. Das Krähen des Hahnes ist eine lächerliche Begebenheit, aber Gott kann die unscheinbarsten Dinge benutzen, um Großes zu bewirken, als Kanäle seiner Gnade. Eine Seele kann durch die merkwürdigsten Dinge zu Gott geführt werden. Nach der Weckung des Gewissens durch die Enttäuschung der Sünde erfolgt der nächste Schritt zu Gott von Gott selbst her. Sobald wir leer und enttäuscht sind, kommt er und füllt die Leere. Im Evangelium ausgedrückt mit den Worten des heiligen Lukas: „Da wandte sich der Herr um und blickte Petrus an.“ Auch Jesus hatte den Hahnenschrei gehört. Es war eingetroffen, was er vorausgesagt hatte. Aber das ist kein Anlass zum Triumph für ihn. Er spricht kein Wort zu Petrus, er sieht ihn nur an. Diesen Blick wird Petrus nie vergessen. Er wird ihn begleiten bei seiner Pfingstpredigt, auf dem Apostelkonzil, in das Martyrium zu Rom. Es waren die Augen eines verwundeten Freundes, die ihn angeschaut haben. Jesus blickte ihn an. In diesem Blick lag alles: die Erinnerung an die selige Stunde der Berufung, die Erinnerung an das Bekenntnis vor Caesarea Philippi, der Gedanke an die Tischgemeinschaft im Abendmahlsaal. Die Sünde beginnt mit dem Verzicht auf die Selbstzucht; die Rückkehr bedingt die Bekehrung zur Selbstzucht. Man muss die Gelegenheit zur Sünde meiden, wenn man die Sünde meiden will. Die Personen, die Umstände, die Orte, wo man fallen kann, muss man verlassen. Und deswegen fallen Menschen immer wieder in die Sünde, weil sie die Gelegenheit nicht meiden. Petri Bekehrung wäre nicht vollständig, wenn er nicht seine Umgebung verlassen hätte, und das tut er. „Und er ging hinaus“, so steht im Evangelium. Er geht hinaus, er verlässt die Verstrickungen der Sünde und geht hinaus.

Das Vermeiden der Gelegenheit ist aber nicht genügend, es muss die Reue hinzutreten – die Reue, die wahre Reue. Manche finden die Sünde abstoßend und meiden sie deswegen. Es gibt aber keine wirkliche Bekehrung, solange die Sünde nicht als Beleidigung der Person Gottes empfunden wird. „Ich habe gegen dich gesündigt“, sagt der „verlorene Sohn“. Man kann bereuen aus Eigennutz, weil man sich selbst geschadet hat, weil man Verluste erlitten hat, weil man sich die Karriere verbaut hat. Das ist nicht die Reue, die das Christentum verlangt. Sie richtet sich auf Gott, den Allherrscher, den Allgütigen. Allein die Reue, die Gott zum Ziele hat, bringt die Vergebung. Das war die Reue des Petrus. „Er ging hinaus und weinte bitterlich.“ Sein Herz war zerrissen, seine Augen, die in die Augen Christi geblickt hatten, flossen über wie Brunnen. Moses klopfte mit seinem Stab an den Felsen, und es kam Wasser heraus; Christus blickt seinen „Felsen“ an, und es strömten Tränen aus seinen Augen. Tränen der Reue, meine lieben Freunde, sind kostbare Tränen. Der heilige Pfarrer von Ars hat einmal, als er eine Beichte hörte, im Beichtstuhl zu weinen angefangen. Da fragte ihn sein Pönitent: „Warum weinen Sie?“ Johannes Vianney gab ihm zu Antwort: „Ich weine, weil Sie nicht weinen.“ Diese Tränen sind kostbar vor Gottes Augen, und sie brachten Petrus zur Besinnung und zur Bekehrung. Über diesen Tränen scheint das Antlitz des Lichtes der Welt, durch sie bricht der Regenbogen der Hoffnung und bringt die Gewissheit, dass nie mehr ein Herz durch die Sünde vernichtet werden kann, wenn es Reue erweist. Hier endet die Geschichte des menschlichsten aller Menschen: Petri.

Wer von uns hat nicht schon einander widerstrebende Konflikte in der eigenen Brust erlebt: das Gesetz, das Gute zu wollen, und das Böse zu tun. Petrus ist das klassische Beispiel für die Warnung des Evangeliums: „Wer steht, der sehe zu, dass er nicht falle.“ Weil uns Petrus in seinen Kämpfen so gleicht, ist er auch unsere größte Hoffnung. Die Apostel haben vielfach geschrieben: Jakobus, Paulus, Johannes, aber die Briefe des heiligen Petrus sind eine Zusammenfassung seiner Erfahrung. Und man könnte sie einmal „Epistel des Mutes“ nennen, denn in jeder Zeile, in jedem Wort dieser Briefe erkennen wir, wie Petrus zur Erneuerung des Lebens emporsteigt. Im 1. Brief schreibt er: „In der Kraft Gottes werdet ihr bewahrt durch den Glauben für das Heil, das euch bereitet ist. Freuet euch, wenn ihr durch mancherlei Anfechtungen bedrückt werdet. Euer Glaube soll dadurch als echt erwiesen werden.“ An einer anderen Stelle schreibt er: „Wer kann euch schaden, wenn ihr nach dem Glauben trachtet? Ja, wenn ihr um der Gerechtigkeit willen leiden müsst, sollt ihr selig sein! Fürchtet euch nicht vor denen, die euch in Unruhe bringen. Haltet nur den Herrn Jesus Christus heilig in eurem Herzen.“ Meine lieben Freunde, es ist kein Wunder, dass unser Heiland, der ja alle Seelen bis in die Tiefen durchschaut, nicht Johannes zum Haupt seiner Kirche auserwählte, der ihn nie verleugnet hat, der auf dem Kalvarienberg anwesend war, sondern Petrus, der fiel und sich wieder erhob, der sündigte und dem vergeben wurde. Warum hat er das getan, unser Herr? Vielleicht deswegen, damit seine Kirche die menschliche Schwäche und Sündhaftigkeit verstehe und Millionen anvertrauter Seelen das Evangelium der Hoffnung und der Barmherzigkeit verkünden.

Amen.

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