Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die sieben letzen Worte Jesu am Kreuz (Teil 4)

9. März 2014

Das dritte Kreuzeswort

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir hatten uns vorgenommen, die sieben letzten Worte des Herrn am Kreuze zu betrachten. Heute steht das dritte Kreuzeswort zur Überlegung an. Es ist an die Mutter Jesu und an den Lieblingsjünger Johannes gerichtet. Die Mutter Jesu trägt bei den drei ersten Evangelisten den Namen Maria. Johannes nennt die Mutter Jesu nie mit ihrem Namen. Er spricht immer nur von der „Mutter Jesu“. So bei der Hochzeit zu Kana und so auch unter dem Kreuze. Der Unglaube verwirft auch das dritte Wort Jesu am Kreuze. Der evangelische Theologe Emanuel Hirsch sagt: „Das Wort ist ein Zusatz der kirchlichen Redaktion.“ Und der evangelische Theologe Bultmann erklärt: „Das Wort ist eine Eigenbildung des Johannes, unhistorisch und symbolisch gemeint.“ Damit Sie wissen, dass ich mich mit dem Unglauben befasst habe, deswegen erwähne ich diese Zeugnisse. Es besteht kein Grund, an der Geschichtlichkeit des dritten Kreuzeswortes zu zweifeln. Umsonst wird die Religionsgeschichte zu Hilfe gerufen. Zu der geschichtlichen Situation Jesu am Kreuze und Maria und Johannes unter dem Kreuze, zu dieser geschichtlichen Situation gibt es keine einzige religionsgeschichtliche Parallele.

Die Ausleger der Heiligen Schrift gehen auseinander bei der Frage, wie viele Frauen unter dem Kreuze standen. Waren es drei oder waren es vier? Ich neige zu der Erklärung: es waren vier: Maria, Jesu Mutter, die Schwester seiner Mutter, Maria, die Frau des Kleophas und Maria Magdalena. Wenn wir uns vorstellen, dass der ans Kreuz Geheftete der Sohn Gottes ist, und dass er da mit unendlicher Weisheit und Macht ausgerüstet ist, dann fragen wir uns: Warum hat er seiner Mutter die Nöte auf Golgotha nicht erspart? Warum bewahrt er ihre Augen, die für das Paradies geschaffen waren, nicht vor dem Anblick des Kreuzes? Müssen Mütter mit ihren Söhnen zum Galgen gehen? Müssen Unschuldige die bitteren Früchte ernten, die die Sünder gesät haben? Das sind Fragen, wie die falsche menschliche Weisheit sie stellt. Der Herr wollte ihre Gegenwart unter dem Kreuze. So wie er als neuer Adam die Sünde des alten Adam auslöschen wollte, so sollte Maria als neue Eva den Ruhm der Weiblichkeit dem erlösten Menschengeschlecht verkünden. Wie Maria in Kana an der Seite ihres Sohnes war, als er den Anfang seiner Wunder machte, so ist sie jetzt an seiner Seite, da er in seiner tiefsten Erniedrigung das Heil der Welt bewirkt. Jetzt erfüllt sich das Wort des greisen Simeon: „Deine Seele wird ein Schwert durchdringen.“ Das Schwert der Leiden ist jetzt durch die Seele Mariens gedrungen.

Aber, so kann man fragen: Wo waren denn die Männer am Kalvarienberg? Wo waren die, die er geheilt hat? Weder Petrus war da noch Jakobus, noch Andreas, nur ein einziger Apostel: Johannes. Er ist Augenzeuge des Berichtes der Kreuzigung. Während die Männer versagten, haben sich die Frauen bewährt. Beim ganzen Prozesse Jesu hat kein Mann für ihn Stellung genommen, aber eine Frau, Claudia, die Gattin des Pontius Pilatus. „Habe nichts zu schaffen mit diesem Gerechten“, hat sie ihrem Mann gesagt. Auf dem schrecklichen Weg zum Kalvarienberg, da waren es keine Männer, die den Herrn getröstet haben, sondern Frauen, die weinenden Frauen von Jerusalem. Und jetzt auf Golgotha sind es wieder Frauen, die ohne Furcht sind. Sie stehen am Fuße des Kreuzes. Maria Magdalena, wie immer natürlich dabei, ganz ihrem Schmerz hingegeben, wie sie uns Matthias Grünewald auf seinem Altarbild gezeichnet hat. Doch eine ist unter ihnen, deren Mut und Verehrung so groß sind, dass der Evangelist eigens erwähnt, dass sie stand. Es war die Mutter des dritten unter den Gekreuzigten.                                                                                                                                 Das dritte Kreuzeswort ist ein Doppelwort: Ein Wort an Maria, die Mutter Jesu: „Frau, siehe da deinen Sohn“, und ein Wort an den Lieblingsjünger Johannes: „Siehe da deine Mutter.“ Jesus redet Maria mit „Frau“ an, ebenso wie bei der Hochzeit zu Kana. Diese Rede ist weder unehrerbietig noch geringschätzig. Im Gegenteil, mit dieser Rede drückte man im Altertum Achtung und Ehrfurcht aus. Marias Erscheinen auf Golgotha ist ein Akt des Bekenntnisses. Sie bekennt sich zu der Gemeinde des Verfluchten, denn wer am Kreuze hing, galt als verflucht. Das bedeutete für die Frau im antiken Palästina Rechtlosigkeit, Schutzlosigkeit und Heimatlosigkeit. Den Mann hatte sie schon verloren, jetzt verlor sie auch noch den Sohn. Ein Gekreuzigter hatte nach altjüdischem Recht die Befugnis, vom Kreuze aus noch eine letztwillige Verfügung zu treffen. Jesus macht von diesem Recht Gebrauch. Er stellt die Mutter in der amtlichen Formelsprache des altjüdischen Familienrechtes unter den Schutz des Apostels Johannes. Dann weist er mit einer Geste seines Hauptes auf seinen Lieblingsjünger: „Sieh’ deine Mutter.“ Der Johannes soll als geistlicher, gleichsam als Adoptivsohn Maria zugehören. Mit der Formel wird der Zustand des Eintretens, den man anzeigen will, als bereits bestehend verkünden. Johannes wird als Adoptivsohn Mariens verkündet. Von diesem Zeitpunkt an soll er für die Zukunft ihr Adoptivsohn sein und bleiben. Das Wort ist schöpferisch; es schafft ein neues Verhältnis. Die Mutterschaft Mariens hört mit dem Tod ihres Sohnes nicht auf. Maria bleibt nicht verlassen zurück, sondern als Adoptivmutter eines Adoptivsohnes.

So hat, meine lieben Freunde, Jesus am Kreuze zwei Menschen getröstet, die keinen Trost mehr hatten. Da stand seine Mutter neben dem Kreuz; in Todesqualen hing er daran, hilflos. Auch sie kann ihm nicht helfen. Das ist das Ende der schönsten aller Mutterschaften, die es je gab. Wer kann beschreiben, was er ihr gewesen und was sie ihm gewesen ist. Das Wort Mutter allein sagt es nicht. Um einen Abschiedsschmerz, eine Trennung zu ermessen, müsste man wissen, wie nahe zwei Seelen, wie nahe zwei Herzen einander gewesen sind. Woran misst man die Nähe zweier Menschen? Die misst man nicht mit Namen: Vater oder Mutter, Sohn oder Bruder oder Schwester, sondern die Nähe zweier Menschen misst man an der Größe und Reinheit, an der Tugend, an der Kraft und an der Güte dieser Menschen. Je größer, je reiner, je gütiger, je vollkommener sie sind, desto näher können sie sich kommen, unbeschreiblich nahe. Umso furchtbarer ist dann auch der Schmerz der Trennung bei Menschen, die sich so nahe waren. Wo zwei Menschen einander fremd sind, einander nichts bedeuten, ist die sichtbare Gegenwart ebenso bedeutungslos, ja sie kann sogar noch einen neuen Abgrund zwischen ihnen auftun lassen. Je näher sie sich körperlich sind, umso weiter können sie seelisch getrennt sein. Wo aber zwei Menschenseelen sich nahe sind, da ist auch die sichtbare Gegenwart ein Wunder. Und was bedeutete die sichtbare Gegenwart Jesu für Maria? Der Engel hat es ihr gesagt: „Der Herr ist mit dir.“ Solange sie Jesus sah, haben ihre Augen, ihre Hände, ihre Gefühle ihr gesagt: „Ja wahrhaftig, der Herr ist bei mir.“ Nun ist es zu Ende, nun ist der Herr nicht mehr bei ihr. Da stand auch Johannes, der Lieblingsjünger. Er hat in dieser Stunde mehr verloren als die übrigen Apostel. Denn er hat an der Brust des Herrn geruht. Seine junge liebebedürftige Seele hat im Heiland ihre Heimat, ihr Zuhause, ihre Geborgenheit, ihren Ausgang und ihren Eingang gefunden. Und nun sollte er den Meister verlieren. Wahrhaftig, diese beiden Seelen hatten nichts mehr, keinen Trost, wenn Jesus von ihnen ging. Er hat sie aber getröstet. Und wie? Nicht, indem er ihnen die Trennung zu ersparen versuchte. Er hat nicht einmal um seiner Mutter willen einen Finger gerührt, um sein Schicksal abzuwenden. Er hat gewusst, dass jede Liebe, auch die Liebe einer Mutter, auch die Liebe eines Herzens immer wieder wund gerissen werden muss durch Abschiednehmen. Aber er hat sie doch getröstet, indem er zu ihnen sprach, zu jedem ein kleines Wörtchen. Das war schon ein Trost, dass er sie überhaupt noch anredete. Uns so hörte sie das Wort: „ Frau, siehe da deinen Sohn“, und zu Johannes gewandt: „Siehe dort deine Mutter.“

Was bedeuten diese Worte, meine lieben Freunde? Sie bedeuten zunächst nicht, dass er diesen beiden Seelen einen Ersatz für ihr bisheriges Glück geben wollte. Nein, das Glück, das sie bisher besessen hatten, das ist zu Ende, und dafür gibt es keinen Ersatz, er ist unmöglich. Solch ein Sohn kann ja nicht ersetzt werden, durch keinen Tausch. Und der Heilige Bernhard von Clairvaux hat ganz recht, wenn er diese Mutter bedauert wegen dieses Tausches. „Für Jesus“, so schreibt er, „erhielt sie Johannes; für den Herrn bekam sie den Knecht; für den Meister den Jünger; für den Sohn Gottes den Sohn des Zebedäus; für den wahren Gott einen bloßen Menschen.“ Das ist kein Tausch, das ist kein Ersatz. Und auch für Johannes war es kein Glücksersatz. Gewiss, er bekam die gütigste aller Mütter zu seiner Mutter. Aber wer einmal an der Brust Jesu geruht hat, kann nirgends mehr sonst seine Ruhe finden, in keiner Mutterliebe, in keiner Menschenliebe mehr. Was bedeuten also diese Worte? Nicht einen Ersatz, sondern eine neue Richtung, ein neues Leben, einen neuen Inhalt, einen neuen Anfang, eine neue Aufgabe. „Siehe deinen Sohn“, sagt er zu seiner Mutter. Das sollte heißen: Mutter, ich weiß, was du mir gewesen bist; ich weiß, wie du mich gepflegt hast; ich weiß, wie du mich gesucht hast; ich weiß, was du mir noch alles Liebes antun möchtest, wie du mich herabnehmen möchtest vom Kreuze, wie du meine Schmerzen besänftigen möchtest. Ich weiß, wie reich deine Mutterliebe ist, unbegrenzt und unermesslich, das weiß ich, und darum siehe, gebe ich dir wieder einen Sohn. Was du mir hast tun wollen, tue es ihm. Was du mir noch tun möchtest, in alle Zukunft, tue es ihm. Er sei dein Sohn. Darin lag der Trost, den er Maria geboten hat. Und das ist der Trost, den er noch vielen bieten wird. Den Menschen, die es am besten mit ihm meinen, denen wird er allen so etwas sagen. Er wird ihnen sagen: „Ich weiß, Seele, Christenseele, dass du gut bist. Ich weiß, dass du mich, das Jesuskind, pflegen möchtest. Siehe da dein Jesuskind, die Kinder, die dir leiblich oder seelisch anvertraut sind, dein Jesusknabe!“ Zu einem anderen wird er sagen: „Ich weiß, dass du mich bedienen möchtest, dass du mir nachfolgen möchtest und alle deine Habe und deine Lebenswerke mir weihen möchtest. Siehe da dein Heiland, der Mensch, der dir anvertraut ist, der Mensch, dem du dienen sollst, der Mensch, der auf dich angewiesen ist. Siehe, das ist dein Heiland!“ Und zu einem anderen wird er sagen: „Ich weiß, dass du den Gekreuzigten abnehmen möchtest vom Kreuze und auf deinem Schoße bergen. Ich weiß, dass du alles tun möchtest, um seinen Blutfluss zu stillen. Siehe da diesen armen, diesen leidenden, diesen verlassenen Menschen, den ich zu dir schicke. Siehe, das ist dein Gekreuzigter, den sollst du an dein Herz nehmen!“

So sprach er auch zu Johannes: „Siehe deine Mutter.“ Ich weiß, dass du bei mir eine Heimat hattest, dass du an meinem Herzen zu Hause warst. Nun aber soll ein anderer Mensch bei dir zu Hause sein. Nun sollst du nicht mehr getragen werden, sondern nun sollst du einen anderen tragen: deine Mutter sollst du tragen, wie ein liebender Sohn seine alte Mutter trägt, so gebe ich dir meine Mutter. Und so heißt es im Evangelium: „Von dieser Stunde an nahm Johannes die Mutter zu sich“, als heiliges Vermächtnis seines Meisters. Es wird doch immer so sein, meine lieben Freunde, dass wir nur dann einen Menschen zu uns nehmen können, wenn Jesus, wenn Gott uns diesen Menschen gibt. Dass wir nur dann ein Kind, einen Bruder, eine Schwester, einen Vater, eine Mutter, eine Gattin, einen Gatten zu uns nehmen können, wenn Jesus sie uns gibt, und wenn wir daraufhin in diesem Menschen ein heiliges Vermächtnis sehen, wenn wir in diesem Menschen etwas Verehrungswürdiges sehen, wenn wir zu ihm aufschauen. Es wird doch so sein, dass nur der Mensch, der Gott wirklich liebt, auch ein Geschöpf an sein Herz nehmen und tragen kann. Denn das ist auf die Dauer sehr schwer, ein Geschöpf zu sich zu nehmen. Aber wenn Jesus sterbend sagt: „Siehe, nimm diesen Menschen an dein Herz“, dann ist es möglich.

Weil Maria, meine lieben Freunde, für alle Menschen unter dem Kreuze stand und für alle als neue Eva das Opfer ihres göttlichen Sohnes dem himmlischen Vater darbrachte, deswegen ist sie der ganzen Menschheit verpflichtet. Mariens geistliche Mutterschaft erstreckt sich auf alle Menschen: die Gläubigen und die Ungläubigen, die Abständigen und die Abgefallenen, die Gerechten und die Sünder. Mit der feierlichen Proklamation der geistlichen Mutterschaft Mariens ist die feierliche Erklärung der geistlichen Kindschaft der Menschen erfolgt. Wenn es heißt „von jener Stunde an nahm sie der Jünger zu sich“, so hat sich die ganze Kirche an Johannes angeschlossen. Sie übernahm Maria als die Mutter der Gläubigen, als unsere Mutter. Das ist nicht eine erbauliche Phrase, das ist eine katholische Wahrheit. Dürfen wir die Christen, die Maria vergessen haben, fragen, ob es richtig ist, die zu vergessen, derer sich der Herr am Kreuze erinnert hat? Wollen sie nicht die Frau lieben, deren Leib gleichsam das Portal des Himmels war, durch den er auf die Erde kam? So viele Christen haben den Glauben an die Gottheit Jesu verloren. Ein Grund – ein Grund – dafür mag sein, dass sie die Liebe zu ihr verloren haben, auf deren Leib das Jesuskind niederstieg. Es gibt keinen Christen in der Welt, der Maria verehrt, ohne Jesus, ihren Sohn, als wahren Sohn des lebendigen Gottes anzuerkennen. Christus am Kreuz wusste in seiner Weisheit, wie er den Glauben an seine Göttlichkeit erhalten konnte. Denn wer kennt den Sohn besser als die Mutter.      Amen.

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