Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das achte Gebot (Teil 2)

1. September 2013

Die Ehre des Nächsten

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In allen menschlichen Gemeinschaften beruhen der innere Zusammenhang und das äußere Gedeihen auf gegenseitiger Achtung und Liebe. Die Achtung aber geht hervor aus der Überzeugung von dem Wert und der Würde des anderen. Auf diese Achtung hat jeder einen ursprünglichen Anspruch, bis er ihn, durch sein eigenes Verhalten, verwirkt hat. Der gute Ruf hat aber nicht bloß Bedeutung für die Person des Nächsten, sondern ist auch die Voraussetzung seiner Stellung und seiner Wirksamkeit innerhalb der Gemeinschaft. Wem man alles mögliche anhängt, der kann nicht mehr frei und ungestört und wirksam seine Tätigkeit ausüben. Aus diesem Sachverhalt ergeben sich drei Arten von Pflichten: Erstens: Die Ehre des Nächsten hochzuhalten und die ihm gebührende Stellung auch äußerlich zu bezeugen. Zweitens: Seinen guten Namen zu schützen und zu verteidigen. Drittens: Jede Ehrverletzung und jede Schädigung des guten Rufes zu vermeiden.

Leider sind Verfehlungen gegen den guten Namen und gegen die Ehre nicht selten. Wir unterscheiden innere und äußere Sünden gegen den guten Ruf: Innere Sünden sind der Argwohn und das freventliche Urteil. Argwohn ist der unbegründete Zweifel oder die unsichere Haltung, unsichere Meinung, über den sittlichen Wert eines anderen Menschen. Wir erleben ja im Augenblick die Hetzkampagne gegen den Bischof von Limburg. Er hat offenbar ein gutes Verhältnis zu seinem Chauffeur. Was tut man? Man verdächtigt ihn der Homosexualität! Das ist böser Argwohn, das ist ungerechter Argwohn! Die frühere Bildungsministerin Schavan hielt es für notwendig, weil sie allein lebt, sich gegen die Angriffe zu verteidigen, sie habe ein Verhältnis mit einem Manne oder sie sei eine Lesbe. Das ist ungerechter Argwohn! Das freventliche Urteil geht noch weiter, indem nämlich die bestimmte Behauptung aufgestellt wird, dass der andere sittlich nicht einwandfrei ist. Niemand darf ohne Beweis für schlecht gehalten werden. Der Nächste behält das Recht auf ein günstiges Urteil über seine sittliche Haltung, bis das Gegenteil bewiesen ist. Es ist die Eigenart christlicher Gesinnung, dem Wort des Nächsten zu vertrauen und ihn nicht der Falschheit zu bezichtigen. Man hat die Männer, die am 23. März 1933 dem Ermächtigungsgesetz zustimmten, böse getadelt und verunglimpft. Aber sie haben nichts anderes getan, als den Versprechungen des ersten Mannes im Staate zu vertrauen. Hitler hatte ihnen feierliche Versicherungen abgegeben, und sie haben ihm geglaubt. Sie waren nicht bereit, ihm von vornherein Lügenhaftigkeit und Verschlagenheit zu unterstellen, was sich dann freilich, allerdings zu spät, herausstellte. Argwohn und freventliches Urteil verletzen die Liebe und die Gerechtigkeit, denn durch den Argwohn wird das Rechtsgut der Ehre des Nächsten angetastet. Wenn das auch zunächst rein innerlich geschieht, so ist doch das Innere die Stätte, wo sich das Äußere vorbereitet. Und eine schwere Sünde begeht derjenige, der mit Bestimmtheit dem anderen schwer kränkende Eigenschaften zuschreibt, mit klarer Erkenntnis des Ungenügens der Gründe. Davon unterschieden ist freilich die praktische Vorsicht. Man muss natürlich mit dem Bösen rechnen. Und das ist nicht falsch, wenn man bei erster Bekanntschaft mit einem Menschen alles für möglich hält, aber eben nur rein hypothetisch, ohne ihm Böses zuzuschreiben.

Äußere Sünden gegen die Ehre des Nächsten sind Ehrabschneidung, Verleumdung und Beschimpfung. Ehrabschneidung besteht darin, dass man wirklich vorhandene, aber geheime Fehler des Nächsten weitererzählt. Die Ehrabschneidung offenbart verborgene Fehler des Nächsten. Das Motiv kann Wichtigtuerei sein, Geschwätzigkeit, die Absicht, dem Nächsten zu schaden, kann aber auch aus Rachsucht und Neid geschehen. Wenn der andere herabgesetzt wird, denkt mancher: „Dann steige ich empor.“ Dem Nächsten wird dadurch Schaden zugefügt und auch der Gesellschaft. Denn je mehr in der Gesellschaft die Meinung entsteht, es taugen alle nichts, sie sind alle minderwertig, sie halten sich alle nicht an die Gebote, umso leichter fällt es dem Einzelnen, sich über die Gebote hinwegzusetzen.

Üble Nachrede ist die Verbreitung ehrenrühriger Tatsachenbehauptungen; das Behaupten oder Verbreiten ehrenrühriger, nicht erweislich wahrer Tatsachen gegenüber Dritten. Diese Verfehlung ist sehr häufig. Aus ungenügenden Gründen wird eine Person um ihren guten Namen gebracht. Gewisse Journalisten werden darauf angesetzt, Ungünstiges und Ehrenrühriges über Personen, die in die Schusslinie geraten sind, herauszufinden. Wem ist damit gedient, meine lieben Freunde, dass Schnüffler auf Doktorarbeiten von Politikern angesetzt werden, um herauszufinden, ob sie den Standards wissenschaftlicher Arbeit genügen? Wem ist damit gedient? Dazu ist folgendes zu sagen: Erstens sind für die Doktorarbeiten die Professoren verantwortlich, die sie veranlassen und die sie annehmen. Sie sind die Hauptverantwortlichen, wenn solche Arbeiten angenommen werden und in den Umlauf geraten. Zweitens: Die Richtmaße für wissenschaftliche Arbeiten sind nicht einheitlich; manche sind großzügiger, andere weniger großzügig. Ich hatte einmal eine Festschrift herauszugeben für einen Professor. Und mir kamen auch Beiträge von Juristen zu. Bei den Juristen stellte ich fest, dass sie niemals bei Autoren den Vornamen angaben. Das ist aber gefährlich, denn manche Leute haben denselben Zunamen. Es bestand also ein Unterschied in der Bewertung der wissenschaftlichen Standards. Drittens: Durch solche Vorwürfe und Anklagen werden unbescholtene Männer und Frauen um ihr Ansehen und manchmal sogar um ihre Stellung gebracht. Denken Sie an den Herrn von Guttenberg.

Weiter geht es, wenn man jemanden verleumdet. Verleumder sind solche, die anderen unwahre Fehler zulegen. Verleumdung ist eine unwahre Aussage, die mit der Absicht gemacht wird, die Ehre des Nächsten anzutasten. Sie geschieht in der Weise, dass ihm Fehler zugelegt werden, die er nicht hat, oder dass vorhandene Fehler vergröbert werden. Bei der Verleumdung treffen Ehrenkränkung und Lüge zusammen. Der hl. Paulus stellt die Verleumdung zu den Sünden, die vom Reiche Gottes ausschließen. Verleumdungen gibt es vor allem in der Politik. Im Jahre 1929 stand in der schlesischen Stadt Schweidnitz ein Mann namens Adolf Hitler vor Gericht. Es ging um den Vorwurf, er habe die Hostie ausgespuckt. Diese Behauptung konnte Hitler allerdings leicht widerlegen, denn er hatte seit seiner Jugend nicht mehr kommuniziert. Sie kennen alle Konrad Adenauer, der lange Oberbürgermeister von Köln war. In der Zeit, in der ich in die Schule ging, wurde er als „Separatist“ verleugnet: Er habe das Rheinland von Deutschland abtrennen wollen. Eine reine Lüge. Was wollte Adenauer? Er wollte einen eigenen rheinisch-westfälischen Staat im Deutschen Reiche begründen, was wir jetzt in Nordrhein-Westfalen haben.

Eine andere Verfehlung ist die Ohrenbläserei. Sie besteht darin, dass ungünstige Äußerungen an den Getadelten weitererzählt werden. Da kann ich ihnen eine wahre Begebenheit aus meinen Leben erzählen. Ein Universitätsprofessor, nennen wir ihn A, sagte über einen anderen, nennen wir ihn B: „Das ist ein Holzkopf.“ Der Universitätsprofessor B sagte über den Universitätsprofessor A: „Er ist ein Hochstapler.“ Wenn ich diese beiden Äußerungen weitererzählt hätte, wäre ich ein Ohrenbläser gewesen. Ich habe sie natürlich für mich behalten. Der Ohrenbläser verbindet mit Ehrabschneidung und Verleumdung die schwer sündhafte Absicht, unter nahestehenden Personen Misstrauen und Zwietracht zu stiften. Der, dem man die herabsetzenden Äußerungen überbringt, erregt sich, verständlich, stellt den anderen zur Rede und der Streit ist da. Vor König Friedrich II. von Preußen erschien einmal die Gattin eines Offiziers in Audienz, und sie klagte, dass ihr Mann sie misshandle. Der König antwortete: „Das sind Sachen, die mich nichts angehen.“ Da legte die Frau nach: „Aber er schimpft auch über Eure Majestät.“ Der König entgegnete: „Das sind Sachen, die Sie nichts angehen.“ So war die Ohrenbläserin abserviert.

Ehrabschneidung und Verleumdung sind schwere, nur im Ausnahmefalle leichte Sünden. Das achte Gebot „Du sollst kein falsches Zeugnis geben“ brandmarkt ja die schlimmste Form der Ehrabschneidung oder der Verleumdung. Verleumdung und Ehrabschneidung verfehlen sich gegen die Nächstenliebe und gegen die Gerechtigkeit. Die willkürliche Mitteilung wahrer verborgener Fehler ist als Rechtskränkung anzusehen, abgesehen von den häufig mitspielenden schlechten Beweggründen. Denn der gute Name ist ein soziales Gut, und er stützt sich nach außen auf das Verhalten und das sittliche Wesen des Menschen. Er darf deswegen nicht ohne weiteres durch Beeinträchtigung, indem man verborgene Fehler offenbart, geschädigt werden. Der Ehrabschneider kann sich nicht damit entschuldigen, dass der Fehlende sein Recht auf den guten Ruf verwirkt hat, denn ihm fehlt jede Befugnis, über ihn zu richten. Freilich, es gibt Fälle, in denen es notwendig ist, manchmal sogar pflichtmäßig, geheime Fehler des Nächsten aufzudecken: Etwa wenn es notwendig ist, um einen Schädling zu entlarven: Einen Knaben, der andere Knaben in seiner Klasse zur Unzucht verführt – das gibt es. Aber auch deswegen kann es notwendig sein, einen geheimen Fehler des Nächsten aufzudecken, weil er dem Wohl des Nächsten schadet: Zum Beispiel wenn man einem Dienstherren erklärt, einer, den er anstellen will, habe schwere Fehler. Um ihn vor Schaden zu bewahren, sagt man ihm das. Auch das Wohl des Fehlenden kann ein Anlass sein, die Fehler bekannt zu geben, nämlich um ihn zur Besserung zu bringen. Auch der Ruf des Verstorbenen steht unter dem Schutz dieser sittlichen Grundsätze. Es gibt ein Recht auf den guten Namen auch nach dem Tode. Wer die Ehre des Nächsten, der verstorben ist, antastet, schadet seinem Ruf in der Gesellschaft, trifft vor allem die Angehörigen, die Familie. Ich halte von der gegenwärtigen Kampagne mit Missbrauchsfällen nichts. Wie kann man Fälle aufgreifen, die Jahre und Jahrzehnte zurückliegen? Wo die Täter, die angeblichen, die mutmaßlichen Täter, häufig gestorben sind? Aber man tastet ihren guten Ruf an. Die Toten können sich nicht mehr wehren! Die Wissenschaft freilich hat die Aufgabe, über geschichtliche Persönlichkeiten die Wahrheit herauszubringen. Sie muss also Lob und Tadel in gleicher Weise aussprechen. Man kann es der Wissenschaft nicht versagen, zur Aufhellung der Vergangenheit auch bisher unbekannte Fehler eines Verstorbenen aufzudecken. Der Grad der Sünde bei Ehrabschneidung und Verleumdung richtet sich nach der größeren oder geringeren Schädigung des guten Namens. Und die Schädigung bemisst sich wiederum nach dem Inhalt. Je nach dem, was da behauptet wird, ist der Schaden größer oder geringer. Eine schwere Sünde liegt vor, wenn der gute Ruf des Nächsten bedeutend herabgesetzt wird. Freilich ist auch die subjektive Seite zu bedenken. Manche Menschen haben die Neigung zur üblen Nachrede. Das ist ein Zeichen eines kleinlichen Charakters. Sie sehen den Splitter im Auge des Nächsten, aber den Balken im eigenen, den sehen sie nicht. Wer Ehrenkränkungen und Verletzungen des guten Namens beifällig anhört oder sie hervorruft oder an ihnen Freude hat, sündigt ebenso wie der Ehrenkränker. Nur zu leicht werden Ehrabschneidungen und Verleumdung mit Wohlgefallen aufgenommen und lassen dann eben Misstrauen und Verdacht zurück. Wenn niemand zuhört, kann niemand erzählen. Die Sünden gegen den guten Ruf des Nächsten ziehen die Pflicht zur Wiedergutmachung nach sich. Die ungerecht erlittene Einbuße an gesellschaftlicher Achtung muss, soweit möglich, wieder gut gemacht werden. Der Verleumder leistet die Wiedergutmachung, indem er einen Widerruf vornimmt. Der Ehrabschneider leistet die Wiedergutmachung, indem er sich entschuldigt.

Eine weitere und letzte Form der Angriffe gegen die Ehre sind Beschimpfung und Beleidigung. Beleidigung ist die vorsätzliche Kränkung der Ehre eines anderen. Sie kann durch Worte, Zeichen oder Tätigkeiten geschehen. Beleidigungen, Beschimpfungen, Schmähungen, Verhöhnungen, alles, was man dem anderen ins Gesicht wirft, ist – leider Gottes – sehr häufig. Es kann gewöhnlich nicht ohne Antastung des guten Namens geschehen. Ein deutscher Bundeskanzler sprach einmal von den Verfassungsrichtern in Karlsruhe als von den acht „Arschlöchern in Karlsruhe“; die Bundesrichter, die acht „Arschlöcher in Karlsruhe“. Beschimpfungen und Beleidigungen entstehen meistens aus zorniger Erregung und im Streit. Negativ werden sie begangen durch Unterlassung der schuldigen Ehrenbezeugung. Unter den üblichen Ehrenbezeugungen steht an erster Stelle der Gruß. Der Gruß ist das Zeichen gegenseitiger Hochachtung und Anerkennung. Häufig auch der Ausdruck einer Verbundenheit: politisch, religiös, völkisch. Aus der Bedeutung des Grußes ergibt sich die Pflicht, ihn in würdiger Weise zu vollziehen und ihn in gleicher Weise zu erwidern. Wer nachlässig grüßt oder den Gruß nicht erwidert, fügt dem anderen eine Ehrenkränkung zu und beleidigt ihn. Ebenso ist es geboten, jedem die Anrede und den Titel zu gewähren, auf die er einen Anspruch hat. Negativ werden Beschimpfungen und Beleidigungen vorgenommen durch schmähende Worte oder Handlungen, Grobheit, Verhöhnung, auch durch unwürdige und unsittliche Zumutungen. Es ist gerichtlich festgestellt worden, dass es eine Beleidigung ist, wenn unbescholtenen Bürgern Sendungen von Sexfirmen zugeschickt werden, in denen ihnen sexuelle Praktiken und Mittel angeboten werden – eine Beleidigung. Einen anderen für so schlecht halten, wie man selbst ist, ist gröbliche Beleidigung und Ehrenkränkung.

Für das Verhalten gegenüber Beleidigungen und Beschimpfung zeigt das Beispiel des Heilandes zwei Möglichkeiten: Man kann dazu schweigen und die Beleidigung geduldig ertragen. Der Bundeskanzler Adenauer war ja häufig das Ziel von Ehrenkränkungen und Beleidigungen. Man empfahl ihm, den Rechtsweg zu beschreiten. Adenauer erklärte: „Ich klage nicht gegen den Spiegel und wenn er behauptet, ich hätte meine Großmutter verspeist.“ Man kann Beleidigungen auch zurückweisen und auf Genugtuung bestehen. Das ist manchmal notwendig, um des Standes, um des Berufes willen, um der Ehre willen. Auch im Interesse des Beleidigers: Damit er seine Unverschämtheit unterdrückt und in Zukunft derartiges unterlässt.

Meine lieben Freunde, im Briefe des Apostels Jakobus steht das schöne Wort: „Selig der Mann“ – und wir können ergänzen: selig die Frau – „die mit der Zunge nicht straucheln“. Die Zunge ist ein kleines Organ, aber sie kann unermessliches Unheil anrichten. Bei der Beräucherung des Altares, während der hl. Messe, betet der Priester: „Herr, gib eine Wache meinem Munde, eine schützende Tür meinen Lippen, so wird mein Herz sich nie zum Bösen neigen und nie einen Vorwand suchen, sündigen zu können.“         

Amen.

Schrift
Seitenanzeige für große Bildschirme
Anzeige: Vereinfacht / Klein
Schrift: Kleiner / Größer
Druckversion dieser Predigt