Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Gesetz und Gewissen (Teil 12)

24. Oktober 2010

Gute und schlechte Handlungen und ihre Folgen

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In unserem Handeln wollen wir etwas erreichen. Wir haben ein bestimmtes Ziel. Wir wollen etwas schaffen, etwas vollbringen; wir wollen einen Erfolg sehen, ein Ergebnis. Das Ergebnis unseres Handelns kann sich auf doppelte Weise einstellen, einmal, indem wir es unmittelbar wollen, und zum anderen, indem wir es nur zulassen. Wollen und Zulassen sind zwei verschiedene Dinge. Ein Erfolg, ein Objekt, das unmittelbar gewollt ist, das direkt beabsichtigt ist, das ist unser eigentliches Ziel, das, was wir unmittelbar anstreben, was wir als solches positiv wollen. Daneben aber gibt es auch Erfolge, die nur in der Ursache gewollt sind. Das heißt, wir haben die Ursache gesetzt, aufgrund derer der Erfolg eintritt, ohne dass wir ihn gewollt haben, ohne dass wir ihn beabsichtigt haben. Es gibt also ein indirekt Gewolltes, ein nur Zugelassenes.

Damit Sie verstehen, was damit gemeint ist, will ich Ihnen ein Beispiel geben. Ein Arzt gibt einem schwer Leidenden, einem von Schmerzen Geplagten ein Medikament. Er will mit diesem Medikament die Schmerzen lindern. Aber Medikamente haben Nebenwirkungen. Und so kann es sein, dass dieses Medikament das Leben des Patienten verkürzt. Es schwächt seine Herztätigkeit, es schwächt seinen Kreislauf, und so tritt als Nebenwirkung – als Nebenwirkung! – dieser Medikation ein, dass er verstirbt. Als Erfolg war beabsichtigt die Linderung der Schmerzen, aber zugelassen, weil eben untrennbar damit verbunden, wurde auch der frühere Tod. Bei dem in der Ursache Gewollten wird vorausgesetzt, dass das Handeln nur das anzielt, was die Folge verursacht oder veranlaßt, nicht die Folge selbst. Wenn die Folgen direkt beabsichtigt werden, dann ist der Handelnde natürlich auch voll dafür verantwortlich, dann ist es ein direkt Gewolltes. Aber ich spreche noch einmal davon, dass es eben Folgen gibt, die nur zugelassen sind.

Die praktische Bedeutung von dem, was in der Ursache gewollt ist, ist ungeheuer. Sie kann überhaupt nicht überschätzt werden. Es gibt fast keinen Lebensbereich, auf dem nicht diese Form der Willensrichtung zum Zuge kommt. Je näher die Menschen aneinander rücken, um so häufiger gibt es solche ausstrahlende Nebenfolgen. Ein Auto. Ein Auto ist ein Fortbewegungsmittel. Es bringt uns zur Arbeit, zum Gottesdienst, zum Arzt. Für viele ist das Auto unentbehrlich. Aber seine Benutzung hat auch schädliche Folgen. Denken wir an den Ausstoß schlechter Gase, an die Überfüllung der Straßen, an die möglichen Unfälle. Die schlechten Folgen der Benutzung des Autos sind natürlich vom Fahrer nicht beabsichtigt, aber sie werden, weil sie unvermeidlich sind, von ihm zugelassen. Die Wirkungen, die Folgen, die Erfolge des menschlichen Handelns, die nicht mehr der Freiheit des Willens unterstehen, nennt man Nebenfolgen, zugelassene Folgen. Bei guten Handlungen können sich gute Nebenfolgen einstellen, die wir dann eben auch zulassen. Also zum Beispiel: Wir kaufen ein, Lebensmittel, Kleidung, Möbel. Was wir dabei wollen, ist klar. Wir wollen unser Leben fristen, wir wollen unseren Körper vor Kälte schützen, wir wollen unser Heim wohnlich gestalten. Mit dem Einkauf verbunden sind aber auch gute Nebenfolgen, nämlich wir erhalten Arbeitsplätze: die Menschen, die die Waren herstellen, die sie heranbringen, die sie verkaufen. Diese Folge ist von uns nicht unmittelbar beabsichtigt, aber sie ist notwendig damit verbunden und von uns zugelassen.

Das alles ist kein Problem. Das Problem beginnt dort, wo ein gutes Handeln böse Folgen, böse Nebenfolgen hat, wenn also eine Handlung getan wird, wo man voraussieht, dass sie auch negative Folgen haben wird. Es ist bekannt, dass die Pille, welche die Empfängnis verhüten soll, auch verschrieben wird, um der Gesundheit der Frau zu dienen. Sie ist auch ein Medikament. Es gibt bestimmte Krankheiten, für die Ärzte diese Pille verschreiben. Die Absicht des Arztes ist, die Krankheit zu heilen, und die Absicht der Frau ist hoffentlich auch nur, die Krankheit zu beseitigen. Aber die Einnahme hat eben eine doppelte Wirkung. Sie hilft zur Gesundheit, aber sie verhütet auch die Empfängnis. Die erste Wirkung ist beabsichtigt, die zweite wird zugelassen.

Das in der Ursache Gewollte ist schlecht, wenn bestimmte Erfordernisse gegeben sind, nämlich das in der Ursache Gewollte ist immer dann schlecht, wenn die schlechte Handlung vorausgesehen wird, wenn die schlechte Folge verhindert werden konnte und wenn sie verhindert werden mußte. Also: Wenn die schlechte Folge vorausgesehen wird, wenn sie verhindert werden konnte, wenn sie verhindert werden mußte, dann ist das in der Ursache Gewollte sittlich minderwertig. Als Knabe gab ich einem Mädchen Nachhilfeunterricht. Nach dem Kriege kam das Mädchen nach Hamburg. Es lernte einen protestantischen Pastor kennen, verliebte sich und heiratete ihn. Nach einiger Zeit trat sie aus der Kirche aus und wurde protestantisch. Als sie heiratete, hat sie den Glaubensabfall nicht beabsichtigt, aber es war vorauszusehen, dass sie sich neben einem protestantischen Pastor nicht als Katholikin würde behaupten können. Das war vorauszusehen. Um diese schlimme Wirkung zu verhindern, hätte sie das tun müssen, was die Ursache war, sie hätte die Heirat unterlassen müssen; sie hätte ihn nicht heiraten dürfen. Da sie es nicht tat, wird ihr die schlimme Folge ihrer Handlung zugerechnet.

Ausnahmsweise darf man eine Handlung setzen, obwohl man die schlechten Folgen voraussieht, wenn vier – vier – Voraussetzungen gegeben sind. Erstens, die Handlung, die Ursache also muss in sich selbst gut sein. Die Handlung muss in sich selbst gut sein. Es tätigt jemand Einkünfte in einem Geschäft oder von Waren, die von der Scientology-Sekte hergestellt und vertrieben werden. Die Handlung selbst, Ware gegen Geld erwerben, ist gut. Die Folge, dass nämlich die Sekte dadurch finanziell gestärkt wird, ist schlecht, ist nicht gut, denn die Sekte ist gefährlich. Sie bringt Menschen vom Christentum ab. Wer sie unterstützt, der macht sich mitschuldig an ihrem Treiben. Zweitens, die gute Folge muss wenigstens gleich unmittelbar aus der Handlung hervorgehen wie die schlechte. Die gute Folge muss wenigstens gleich unmittelbar aus der Handlung hervorgehen wie die schlechte. Der große Dirigent Wilhelm Furtwängler harrte in der ganzen Zeit des Dritten Reiches in Deutschland aus. Nach dem Kriege machte man ihm Vorwürfe, dass er nicht emigriert sei und zugelassen habe, dass sich die Nazis seines Namens bedient hatten, um den kulturellen Hochstand des Regimes zu bekunden. Diese Argumentation tut Furtwängler unrecht. Er ist in Deutschland geblieben, um der Kunst zu dienen und um dem Volke, dem kunstbeflissenen Volke Freude und Erhebung zu spenden. Das war seine einzige Absicht. Dass die Nazis mit seinem Namen Propaganda trieben, das konnte er nicht hindern, aber diese Folge kam erst zustande dadurch, dass er eine gute Folge setzte und in Deutschland blieb. Die gute Folge ging der schlechten voraus. Wenn dagegen erst die schlechte Folge eintritt und daraus die gute, dann ist die Handlung nicht erlaubt, denn der gute Zweck heiligt nicht schlechte Mittel.

In der Zeit des Dritten Reiches traten viele – Millionen! – in die Nationalsozialistische Partei ein, in die NSDAP. Der Eintritt in die Partei hatte die Folge, dass man sich dem Regime verpflichtete. Man wurde für Dienstleistungen herangezogen, man gehörte zu dem System, man bekannte sich zu ihm. Das war die erste und unmittelbare Folge des Eintritts in die Partei. Und das war keine gute Folge, das war eine schlechte Folge. Aber aus dieser schlechten Folge ergab sich eine gute, denn wenn man in der Partei war, fiel man nicht mehr auf, man wurde in Ruhe gelassen, weil man sich ja zum System bekannt hatte. Man konnte auf Anstellung und Beförderung rechnen. Aber die gute Folge ging eben aus der schlechten hervor; deswegen war die Handlung unerlaubt.

Drittens, der Zweck, also die Absicht der Handlung muss sittlich gut sein. Die böse Folge darf nicht direkt intendiert werden, sie darf nur zugelassen werden. Das ist entscheidend. Am 20. Juli 1933 schloß der Apostolische Stuhl, der Heilige Vater Pius XI., mit Deutschland das Reichskonkordat ab. Der Papst hatte die Absicht, die Rechte und Freiheiten der katholischen Kirche in Deutschland vertraglich zu sichern. Dass der Konkordatsschluß von der deutschen Regierung im In- und Ausland mißbraucht wurde, um seine Reputation zu festigen, war nicht beabsichtigt, konnte aber auch nicht verhindert werden. Diese Folge wurde vom Heiligen Stuhl lediglich zugelassen. Seine Absicht war gut, und diese schlechte Folge war nicht zu verhindern.

Viertens, es muss ein entsprechend wichtiger Grund vorliegen, dass man diese Handlung setzt, die eben auch eine böse Folge nach sich zieht, ein entsprechend wichtiger Grund. Das Abwägen dieses Grundes ist dem gewissenhaften Urteil des Einzelnen überlassen. Aber es gibt dafür Maßstäbe, nämlich der Grund muss um so wichtiger sein, um so bedeutender, je näher der ursächliche Zusammenhang zwischen der Tat und der bösen Folge ist. Der Grund muss um so wichtiger sein, je schlechter die böse Folge ist, die neben der guten zugelassen wird. Und der Grund muss um so gewichtiger sein, je wahrscheinlicher die böse Folge ist. Nach dem letzten Krieg hat man den Eisenbahnern der Deutschen Reichsbahn Vorwürfe gemacht, dass sie die Züge, in denen Juden nach dem Osten befördert wurden, gefahren haben, also den Zugführern und den Lokomotivführern. Die Eisenbahner haben sich gewehrt. Sie hatten einen plausiblen Grund, weshalb sie die Deportationszüge fuhren. Es war ihr Beruf, es war ihr Broterwerb, es war ihre Pflicht. Hätten sie sich geweigert, dann wären sie um ihr Brot und vermutlich auch um ihre Freiheit gekommen und hätten ihre Familien ins Elend gestoßen. Außerdem waren sie an dem ganzen Vorgang der Judendeportation nur technisch, rein technisch beteiligt ohne die geringste böse Absicht.

Vier Gründe, meine lieben Freunde, sind es, vier Voraussetzungen, die vorliegen müssen, damit man eine Handlung setzen kann, die neben der guten auch eine böse Folge hat. Wo diese Gründe nicht gegeben sind, darf man die Handlung nicht setzen. Da kann vielleicht jemand fragen: Ja, wie ist das eigentlich möglich, dass aus einer guten Ursache böse Nebenfolgen entstehen? Wie ist das möglich? Und warum darf man das zulassen? Nun ja, es gibt eben Werte höherer und niederer Art. Die Werte stehen nicht alle auf der gleichen Ebene, und es ist gestattet, niedere Werte zu opfern, um die höheren zu erhalten. Außerdem beeinflußt eine bestimmte Tat auch andere. Die freie Tat eines Menschen beeinflußt die freie Tat eines anderen. Im letzten Kriege haben Hunderttausende, Millionen Deutsche, Ausländer, auch Juden, Konzentrationslagerhäftlinge in der Kriegsproduktion gearbeitet. Ich war auch dabei, bei Telefunken. Wir wurden verpflichtet, wir mußten es tun. Wir waren, wenn Sie wollen, Zwangsarbeiter. Durch diese Arbeit haben wir unsere Existenz gesichert und auch für einen bescheidenen Unterhalt gesorgt. Wenn wir uns geweigert hätten, wären wir todsicher im Gefängnis oder im Konzentrationslager gelandet. Aber gleichzeitig halfen wir natürlich mit, den Krieg zu verlängern, denn wir stellten Kriegswerkzeuge her. Diese Folge war von uns nicht beabsichtigt, aber wir konnten sie nicht hindern. Der Mensch vermag wegen der Begrenztheit seines Tuns oft nicht mehrere Werte zugleich zu verwirklichen. Er muss sich also entscheiden, und da entscheidet er sich eben für den einen und läßt den anderen fahren. Er strebt den einen an und verliert den anderen.

Ich fassen die soeben vorgelegten schwierigen Gedanken noch einmal zusammen. Direkt gewollt ist eine Wirkung, auf die sich der Wille unmittelbar richtet, die er beabsichtigt. Indirekt gewollt ist eine Wirkung, die nicht unmittelbar beabsichtigt ist, die aber durch ihren Zusammenhang mit der guten Folge nicht ausgeschaltet werden kann, zugelassen werden muss. In solchen Fällen dürfen wir das sogenannte Kompensationsprinzip anwenden. Kompensationsprinzip. Es besagt: Ist die unmittelbare Wirkung der Handlung gut, ist die Handlung selbst gut und berechtigt, und ist ferner der Zweck der Handlung gut, dann darf die Handlung trotz schlimmer Wirkungen vollzogen werden, wenn ein hinreichender Grund vorliegt. Oder noch einfacher: Ist der unmittelbar gewollte Effekt, ist die unmittelbar beabsichtigte Wirkung einer Handlung von der nicht gewollten üblen Folge verschieden und die Handlung nicht in sich schlecht, dürfen wir das Kompensationsprinzip anwenden.

Meine lieben Freunde, wir sind aufgerufen, unser ethisches Wissen zu vermehren und unser Gewissen zu schärfen, damit wir abzuwägen verstehen, ob eine Handlung gestattet oder verboten ist. Wir werden diese Leistung unseres Geistes nur vollbringen können, wenn wir uns an unseren Heiland anschließen, indem wir den Heiligen Geist anflehen und ihn bitten: „Erleuchte mein Herz, dass ich meinen Weg erkenne und deine Gebote erfülle.“

Amen.

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