Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Kirche und Gesellschaft (Teil 3)

1. Februar 2009

Das Verhältnis der Kirche zu Geist und Wissenschaft

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Kirche, so haben wir am vergangenen Sonntag gehört, hat ein Evangelium für die Wirtschaft. Es gibt ein Wirtschaftsevangelium, eine Wirtschaftslehre der Kirche, es gibt ein soziales Evangelium, eine Soziallehre der Kirche. Die Kirche hat aber auch ein Evangelium für das Geistesleben. Die Anwürfe und die Einwände gegen die Kirche als Geistesmacht sind bekannt. Die Sozialisten sprachen von der „Macht der Verdummung“, und noch heute hört man, dass die Kirche ein Hindernis der Geistesfreiheit, der freien Forschung und der freien Lehre sei. Das Wort Dogma weckt bei manchen Erregung und Widerstand. Wir wollen deswegen, meine lieben Freunde, heute uns über das Verhältnis der Kirche zum Geist, zur Wissenschaft Klarheit verschaffen. Wir wollen fragen, wie die Kirche zum Wissen steht, wie sie uns zum Glauben führt und wie sich Wissen und Glaube zueinander verhalten.

Es ist eine offenkundige Tatsache, dass der Mensch nach dem Wissen strebt. Er will im Bilde sein, er will hinter die Dinge kommen, er will sich Klarheit verschaffen, er will in seinem Geiste ein treues Abbild der Wirklichkeit vorfinden; dann nur findet er seinen Wissensdurst gestillt. Aber es gibt viele Menschen, die nicht wissen wollen, die sich gegen das Wissen sperren. Warum? Aus welchen Gründen? Weil Wissen auch eine Last sein kann. Wer weiß, kann nicht mehr so tun, als ob er nicht wüßte. Das Wissen stellt Forderungen an den Menschen, vor allem das Wissen um die sittlichen Grundsätze. Und da kann es geschehen, dass jemand, um der Konsequenz des Wissens zu entgehen, das Wissen madig macht. „Was ist Wahrheit?“ sagte Pilatus im Gespräch mit Jesus. Man will der Konsequenz der Wahrheit ausweichen.

Leider ist auch die Lehre, die von Martin Luther in die Welt gebracht wurde, an der Abneigung gegen die Wissenschaft nicht unschuldig. Nach ihm ist ja der Mensch ganz und gar verderbt, sein Erkennen und sein Wollen ist derart geschwächt, dass er nichts mehr wissen und nichts mehr wollen kann. Er sprach von der „Hure Vernunft, die nach dem Bock Aristoteles stinkt“. Die „Hure Vernunft, die nach dem Bock Aristoteles stinkt“. Und diese Haltung ist keineswegs erloschen. In der Französischen Revolution wurde eines Tages der berühmte Chemiker Lavoisier zur Hinrichtung geführt. Und was sagte ein Revolutionär dazu? „Die Revolution braucht keine Gelehrten.“

Gegen diese irrigen Meinungen hat die Kirche immer am Wert des Wissens und der Wissenschaft festgehalten, hat sie die Kraft des Geistes verteidigt, das Weltall und Gott zu erkennen. Sie hat an dem Licht und der Kraft des Geistes festgehalten, die uns Sicherheit verschaffen kann über viele Gegenstände. Gott hat ja den menschlichen Geist als Abbild seines Geistes geschaffen, nach seinem Ebenbild, so dass er über die Erkenntnisfähigkeit verfügt, dass er die Dinge nach ihrem Wesen erfassen kann, dass er sie so erkennen kann, wie der göttliche Künstler sie erdacht hat. Die Kirche hat eine Fülle von Gelehrten hervorgebracht, angefangen von Justin dem Martyrer aus dem 2. Jahrhundert, über Augustinus, Thomas von Aquin, Albertus Magnus, Duns Scotus und wie sie alle heißen, diese großen Theologen. Aber auch auf dem Gebiet des profanen Wissens hat die Kirche viele, viele Gelehrte, die sie hervorgebracht hat. Von dem französischen Gelehrten, der die Hygiene erfunden hat, dessen Name mir im Augenblick entglitten ist, von ihm stammt das schöne Wort: „Ich bin gläubig gewesen wie ein bretonischer Bauer, und wenn ich noch mehr geforscht hätte, wäre ich gläubig geworden wie eine bretonische Bäuerin.“ Pasteur heißt der Gelehrte, Pasteur, von dem ja das Wort pasteurisieren herkommt. Er hat dieses schöne Wort von der Versöhntheit von Glauben und Wissenschaft gesprochen. Die Kirche hat Schulen errichtet. Lange, lange, bevor der Staat daranging, an das Schulwesen zu denken, gab es kirchliche Schulen in den Klöstern, in den Domstiften, in den Stiftskapiteln. Sie hat die Universitäten errichtet. Die Universitäten sind eine Schöpfung der Kirche, und sie wurden in den Zeiten des Mittelalters alle mit einer päpstlichen Bulle eröffnet und gegründet.

Die Kirche weiß allerdings auch um die Gefährdung des menschlichen Verstandes. Sie weiß, dass er in die Irre gehen kann, und sie wendet sich gegen einen törichten Wissensstolz, der als Ergebnis der Wissenschaft ausgibt, was in Wirklichkeit gar kein Ergebnis ist. Es gibt viele Irrtümer in der Wissenschaft. Jahrtausendelang haben die Menschen gemeint, die Sonne drehe sich um die Erde. Erst der Domherr, jawohl, der Domherr Kopernikus in Frauenburg in Ostpreußen hat im Jahre 1543 die These ausgestellt, dass sich die Erde um die Sonne dreht. Den Beweis konnte er nicht bringen. Den Beweis hat erst Johannes Kepler erbracht mit den Keplerschen Gesetzen. Seitdem ist dieser Irrtum korrigiert.

Es gibt aber nicht nur Irrtümer der Wissenschaft, es gibt auch Fälschungen. Im britischen Naturhistorischen Museum in London wurde lange ein Bernstein gezeigt, in dem eine Fliege eingelassen war, und man behauptete, dieser Bernstein mit der Fliege sei 38 Millionen Jahre alt. Ein Student – ein Student – hat den Bernstein untersucht und entdeckte einen feinen Haarriß. Man ging dann daran, diesen Gegenstand näher zu betrachten. Es stellte sich heraus, dass es eine Fälschung war. Man hatte ein Stück Bernstein zersägt und die Fliege darin eingefügt. Im Jahre 1912 wurde in Piltdown in England ein Knochen gefunden, den man als den ältesten Engländer ansah. Diesem Knochen, oder dem Mann, der ihn getragen hatte, getragen haben sollte, wurde sogar ein Denkmal gesetzt: Der älteste Engländer. Im Jahre 1955 kam man darauf, dass es sich um eine raffinierte Fälschung handelte. Mit der Fluoranalyse hat man erkannt, dass der Knochen aus dem 20. Jahrhundert stammte.

Das sind bedauerliche Vorgänge, die uns skeptisch machen können gegen voreilige Angaben, es handle sich um Ergebnisse der Wissenschaft. Vor wenigen Jahren flog ein Deutscher, nämlich Jan Hendrik Schön, aus einem amerikanischen Laboratorium heraus. Warum? Er hatte lauter Meßdaten gefälscht. Die Amerikaner waren ihm auf die Spur gekommen, weil die Meßdaten zu schön aussahen, und sie waren ohne Ausnahme frei erfunden. Aber nicht genug damit, meine lieben Freunde. Vor kurzer Zeit mußte in Frankfurt an der Universität der Professor für Anthropologie seinen Hut nehmen und die Universität verlassen. Es handelt sich um Professor Potsch. Warum? Er hatte bewußt falsche Knochen angegeben, Mißbrauch mit geistigem Eigentum betrieben, behauptet, er könne mit seiner Methode das Alter von Knochen bestimmen. Er war aber gar nicht fähig dazu. Er mußte mit Schimpf und Schande die Universität Frankfurt verlassen. Die Wissenschaft, die ehrlich betrieben wird und ihre Grenzen erkennt, ist unserer Achtung gewiß. Aber die Wissenschaft, die den Mund zu voll nimmt, die sogar zu Fälschungen greift, um ihre angeblichen Ergebnisse zu beweisen, verdient unsere Verachtung.

Die Kirche hat die Irrtumsfähigkeit des Menschen erlebt in den vielen Irrlehren, die sie 2000 Jahre lang erlebt und bekämpft hat. Der weise griechische Philosoph Plato hat einmal gesagt: „Wir müssen warten, dass irgend einer kommt und uns unterrichtet über die Art und Weise, wie wir im Hinblick auf die Götter und die Menschen zu handeln haben. Nur ein Gott kann uns Aufklärung geben.“ Plato wußte offenbar um die Grenzen des menschlichen Erkennens, und so erwartete er, dass ein Gott den Weg zu den übersinnlichen, zu den metaphysischen Wirklichkeiten uns erschließt. Und so ist es tatsächlich geschehen. Gott selbst hat sich aufgemacht, den Menschen zu belehren. Er wollte dafür sorgen, dass wir ohne Irrtum und sicher die Wahrheit in den grundlegendsten Fragen des Lebens besitzen, dass wir die tiefsten Geheimnisse ahnend begreifen. Er schenkt uns seine Offenbarung und erhält sie lebendig und unverfälscht durch seine Kirche. Auf dem Weg des Glaubens finden wir zu dieser Wahrheit. Gott ist ein Geist, und ein Geist kann sich mitteilen, so kann Gott seine Wahrheit einem Geschöpf schenken. Er tut es zunächst einmal, indem er uns unsere Denkfähigkeit verleiht. Aber er kann auch in der Seele des Menschen Erkenntnisse hervorrufen. Er kann unmittelbar zu uns reden. Er kann unseren Geist befruchten und belehren. Er kann dem Empfänger der Offenbarung das Licht geben, dass er Wahrheiten aufnimmt, die von oben stammen, auf die er selbst nie gekommen wäre. So wird die Offenbarung der Weg zur Wahrheit. Auf dem Weg der Offenbarung gewinnen wir untrügliche Sicherheit über Gegenstände, die wir mit unserem natürlichen Vermögen nicht erreichen können. Wir nennen diese Erkenntnisse Glaubenswahrheiten, und der Weg zu ihnen ist der Glaube, also eine Annahme von Wahrheiten auf die Autorität Gottes hin, der nicht irren und nicht täuschen kann. Gott hat zu wiederholten Malen zu uns geredet durch die Propheten. Ihr Wort ist Wahrheit, ihre Verkündigung ist von Gott eingegeben. Zuletzt aber hat er zu uns geredet durch seinen Sohn. Er ist der Inbegriff der Wahrheit. Er kann von sich selber sagen: „Ich bin die Wahrheit.“ Und er konnte uns Kunde bringen von Gott, weil er am Herzen des Vaters geruht hat. Das Wort ist Fleisch geworden. „Durch Jesus Christus kam die Wahrheit“, schreibt Johannes in seinem Evangelium. Er, der eingeborene Sohn, der am Herzen des Vaters geruht hat, er hat uns geoffenbart. Und dem Nikodemus, der ihn des Nachts besuchte, sagt unser Heiland: „Ich sage dir: Wir reden, was wir wissen und tun kund, was wir gesehen haben.“ Es gibt eine Offenbarung durch den Sohn Gottes, der unter uns erschienen ist. Auf eine solche Offenbarung kann der Mensch nur antworten mit der vorbehaltlosen Hingabe des Glaubens.

Den Weg der Offenbarung gehen wir an der Hand der Kirche. Meine lieben Freunde, wenn die Kirche nicht wäre, wäre die Offenbarung längst verfälscht, nach den Gelüsten der Menschen gemodelt, wäre sie längst mit Irrtum vermischt worden. Nein, dass trotz der menschlichen Irrtumsfähigkeit die Wahrheit erhalten bleibt, das besorgt durch Gottes Heiligen Geist die Kirche. Durch die heilige Kirche halten wir an der Wahrheit fest. Dieser Geist erinnert uns an alles, was Jesus gesagt und gelehrt hat. Paulus kann mit Recht sagen: „Ich weiß, wem ich geglaubt habe.“

Glaube und Wissen sind keine Gegensätze, denn sie stammen beide aus dem Vater des Lichtes. Es sind zwei Wege, die zur Wahrheit führen, die menschliche Wissenschaft mit der Leuchte des Verstandes, die göttliche Wissenschaft mit dem Licht der Offenbarung. Kirche und Verstand haben beide denselben Ausgangspunkt und dasselbe Ziel, denn ihr Ausgangspunkt ist Gott und ihr Ziel ist Gott. Es ist unmöglich, dass zwischen Wissen und Glauben ein Widerspruch entstehen könnte. Wenn sich irgendwo Glaube und Wissen stoßen, dann kann das zwei Ursachen haben, entweder weil die Kirche ihre Schranken überschritten hat oder weil die Wissenschaft ihre Grenzen nicht eingehalten hat. Scheinbarer Widerstreit zeigt sich immer nur dann, wenn etwas als geoffenbarte Wahrheit ausgegeben wird, was keine solche ist, oder wenn etwas als sichere Wissenschaft hingestellt wird, was keine solche ist. Der christliche Glaube ist nicht blind. Die Rede vom blinden Glauben ist keine katholische Aussage. Unser Heiliger Vater wird nicht müde, die Notwendigkeit der Vernunft für den Glauben aufzuzeigen. Immer wieder kommt er darauf zu sprechen, dass sich Glaube und Vernunft ergänzen. Er wird nicht müde, die Zusammengehörigkeit von Glaube und Wissen hervorzuheben. Wir müssen das Erforschbare, auch im Glauben, zu erforschen suchen. Wir dürfen nicht vorzeitig die Geistestätigkeit, die Verstandestätigkeit einstellen.

Einer der Vorgänger des Heiligen Vaters, nämlich der Apostel Petrus, hat das schon in seinem ersten Briefe geschrieben: „Seid allezeit zur Verantwortung bereit einem jeden gegenüber, der von euch Rechenschaft über eure Hoffnung fordert.“ Wir sollen in der Lage sein, denen, die uns Fragen stellen, denen, die uns verspotten, Antwort zu geben, begründete Antwort, so dass sie auch zum Glauben finden können. Der Glaube bewahrt den Verstand vor Irrtümern und vervollkommnet ihn mit reichen Erkenntnissen. Als Papst Pius XII. noch Nuntius in Berlin war, unterhielt er sich einmal mit Albert Einstein, dem Begründer der Relativitätstheorie. „Ich achte die Religion“, sagte Einstein, „aber ich glaube an die Mathematik. Und bei Ihnen, Eminenz, wird es umgekehrt sein.“ Pacelli antwortete: „Sie irren. Religion und Mathematik sind für mich nur verschiedene Austragsformen derselben göttlichen Exaktheit.“ Einstein war erstaunt: „Aber wenn die mathematische Forschung nun eines Tages ergäbe, dass gewisse Erkenntnisse der Wissenschaft denen der Religion widersprechen?“ Pacelli antwortete lächelnd: „Ich schätze die Mathematik so hoch, dass Sie, Professor, in diesem Falle nicht aufhören würden, nach dem Rechenfehler zu suchen.“

Es ist keine Mauer aufzurichten zwischen dem religiösen und dem wissenschaftlichen Leben. Wir brauchen Gott nicht zu vergessen, wenn wir in die Lehrsäle gehen. Das Evangelium stützt die Vernunft, die Vernunft verneint das Evangelium nur, wenn sie sich selber untreu wird. Der große Münchener Physiker und Nobelpreisträger Werner Heisenberg hat einmal gesagt: „Der erste Trunk aus dem Becher der Wissenschaft macht atheistisch, aber auf dem Grund des Bechers wartet Gott.“

Amen.

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