Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Jesus, unser Heil (Teil 2)

17. Juli 2005

Die Menschheit Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Was man nicht kennt, kann man nicht lieben. Nun ist es uns aber aufgetragen, Gott aus ganzer Seele und mit allen Kräften zu lieben. Also müssen wir ihn kennen lernen. Der Erkenntnis Gottes dienen verschiedene Mittel. Man kann Gott kennen lernen aus der Heiligen Schrift, wenn man sie unter der rechten Anleitung liest. Man kann Gott kennen lernen aus seinem Leben, denn das Leben ist voll der Fügungen und Führungen Gottes. Man kann Gott auch kennen lernen aus der Geschichte, denn das Wort ist nicht umsonst gesprochen, dass die Weltgeschichte das Weltgericht ist. Man kann aber auch Gott kennen lernen aus der Predigt. Es ist die Aufgabe des Predigers, den Menschen die Kenntnis Gottes zu vermitteln. Sie sollen Gott kennen lernen, damit sie ihn lieben und damit sie ihm folgen.

Am heutigen Sonntag, meine lieben Freunde, wollen wir uns mit Jesus Christus beschäftigen, näherhin mit seiner Menschheit. Man kann nicht alles auf einmal sagen; man muss nacheinander die verschiedenen Schichten in der Wirklichkeit Gottes und seines Christus entfalten. Heute wollen wir uns der Menschheit Christi zuwenden. Wir wissen, wir lernen es aus dem Evangelium: Christus war ein ganzer und voller Mensch. Zwar ist er auf wunderbare Weise empfangen worden, aber seine Mutter hat ihm alles das vermittelt, was eine Mutter ihrem Kind geben kann. Und er ist wahrhaftig unser Bruder geworden als ein wahrer und ganzer Mensch. Jesus war als Knabe, hilflos, wie ein Kind ist, auf die Mutter angewiesen. Sie musste ihm den Mutterdienst Tag um Tag leisten, bis er heranwuchs, an Alter und Weisheit zunahm, wie es im Lukasevangelium heißt. Er brauchte als Mensch Speise und Trank, er fühlte den Hunger und den Durst, er wusste, was Freude und Trost ist, aber er wusste auch, was Leid und Kummer ist. Wir haben es eben im Evangelium gehört: Er weinte. Er weinte über seine Stadt, er weinte über sein Volk. Jesus hatte ein liebendes Herz, dem es die Tränen auspresste, wenn er das Leid seiner Mitmenschen sah. Er fühlte den Schmerz an seinem Körper und in seiner Seele. Er kostete die Todesangst und den Tod aus. Wahrhaftig, er ist uns in allem gleich geworden – ausgenommen die Sünde. Er ist ein wahrer Mensch und unser Bruder.

In den ersten Jahrhunderten des Christentums standen Irrlehrer auf, eine Sekte, die Doketen, die behaupteten, Jesus habe keinen wahren Leib gehabt, er habe einen Scheinleib besessen. Wie kamen diese Irrlehrer zu dieser Meinung? Sie sagten, der Leib ist das Gefäß der Sünde, und da Jesus von Sünde frei war, kann er keinen Leib gehabt haben. Das ist ein Irrtum, der schwerwiegende Folgen hat. Meine lieben Freunde, hätte Christus nur einen Scheinleib gehabt, dann hätte er auch nur ein Scheinleiden haben können, dann wäre sein Tod ein Scheintod gewesen, und dann wäre unsere Erlösung nur eine Scheinerlösung gewesen. Nein, er hatte einen wahren Leib wie jeder Mensch. Johannes bezeugt es in seinem ersten Brief: „Wir haben ihn gehört, wir haben ihn gesehen, und wir haben ihn betastet. Wir haben mit ihm gegessen.“ Und Paulus erwähnt es ebenso, wenn er schreibt: „Es gibt nur einen Mittler zwischen Gott und den Menschen, den Menschen Jesus Christus.“ Wäre Christus nicht ein wahrer Mensch gewesen, wäre er nur der Gottessohn geblieben und nicht ein Menschensohn geworden, dann hätte er die Menschheit nicht erlöst. Wir könnten Gottes nicht teilhaftig werden, wenn er sich nicht teilhaftig gemacht hätte unserer Sterblichkeit.

Es sind auch Männer aufgetreten, welche leugneten, dass Jesus überhaupt gelebt hat. Er sei ein Phantasieprodukt; er sei ein literarisches Erzeugnis. So haben manche uns Jesus entwirklichen wollen. Aber, meine lieben Freunde, wir brauchen uns dadurch nicht irremachen zu lassen. Heiden, Juden und Christen bezeugen uns, dass Jesus wirklich gelebt hat. Besonders kostbar sind uns natürlich die Zeugnisse der Heiden. Ich erwähne an erster Stelle den Geschichtsschreiber Tacitus. Er hat uns ein wunderbares Büchlein über die Germanen geschenkt. Und dann hat er die Annalen geschrieben, die Jahrbücher. In diesen Annalen, da steht der Satz: „Christus, auf den dieser Name zurückgeht, war unter der Regierung des Tiberius durch den Landpfleger Pontius Pilatus mit dem Tode bestraft worden.“ Hier haben wir das Echo der Evangelien. Christus hat unter Tiberius gelitten, verurteilt von Pontius Pilatus. 20 Jahre später schrieb Suetonius, das ist der Geschichtsschreiber der römischen Herrscher, und er berichtet, dass in der Zeit des Kaisers Claudius in Rom ein Aufruhr entstand unter den Juden „wegen Christus“. Im Jahre 111 hat der Statthalter von Bithynien, Plinius, einen Brief an den Kaiser Trajan geschrieben. In diesem Brief berichtet er, dass die Christen „Christus als ihrem Gott Lieder singen“. Die Heiden bezeugen die Wirklichkeit, die Geschichtlichkeit Christi.

Die Juden bezeugen sie auch. Zwar ist im Talmud jedes Wort über Christus von Hass durchtränkt, aber die Wirklichkeit Christi wird auch im Talmud nicht bestritten. Es heißt da, Jesus sei ein „Bastard“ gewesen, also ein Unehelicher, gezeugt im Ehebruch; er sei von einer Menstruierten geboren worden, also unerlaubterweise, und er habe die Seele Esaus in sich gehabt. Solche Ungeheuerlichkeiten stehen im Talmud, aber die Wirklichkeit Jesu, seine geschichtliche Existenz wird dort nicht bestritten.

Und schließlich haben wir natürlich die christlichen Zeugnisse. Wir haben die Evangelien, die uns vom Christusleben berichten. Wir haben die Apostelgeschichte, die uns die Christuspredigt der Jünger Jesu aufgezeichnet hat. Und wir haben die Briefe der Apostel, in denen die Christuslehre enthalten ist. Hell wie das Sonnenlicht sind alle diese Zeugnisse, dass Christus wahrhaft gelebt hat.

Manche haben Anstoß genommen daran, dass Christus ein Jude war. Es gibt eine Rede eines Mannes namens Adolf Hitler, in der er Jesus „unseren arischen Helden“ nennt. Jesus, „unseren arischen – also nichtjüdischen – Helden“. Das ist natürlich völliger Unsinn. Jesus war ein Jude. Er stammt aus dem Volk der Juden. Es wird uns berichtet, dass er in der Stadt Davids geboren wurde, weil er eben aus dem Hause und Geschlechte Davids stammte. Wir müssen es Gott überlassen, welches Volk er auswählt, wenn er seinen Messias sendet. Und er hat das jüdische Volk ausgewählt, damit aus ihm Jesus geboren wird, der genannt wird „der Christus“.

Jesus war ein ganzer Mensch, aber auch ein Mensch ohnegleichen. Er ist die Sonne, die über allen anderen Menschen strahlt. Es war kein Freund Christi, sondern ein Leugner, nämlich David Friedrich Strauß, der zwei Bände geschrieben hat, in denen er das Christusleben, wie er meint, zerfetzt. Aber dieser David Strauß schreibt auch: „Im Tempel des Genies und der Humanität bleibt Christus der erste Platz vorbehalten als dem unübertreffbaren, unerreichbaren Ideal sittlicher Größe.“ Nichts ist an Christus, was uns befremdet. Bei all den Großen der Erde entdecken wir Fehler, und oft um so mehr, je näher wir mit ihnen vertraut werden. Christus erhebt sich in überirdischer Majestät über alle. Wie innig ist sein Verhältnis zu Gott! Er ist innerlich eins mit ihm und ist es auch in seinem Leben. Er ist ganz gottgebunden und an seinen Vater hingegeben. Er kann ganze Nächte im Gebete zubringen. Und die Jünger sind von seinem Beten so angetan, dass sie ihn bitten: „Herr, lehre uns beten!“ Denn er kann es. Er vollbringt immer, was der Vater will. Er ist ihm gehorsam, ja, gehorsam bis zum Tode am Kreuze. Seinem großen Messiasberuf ist er buchstäblich zum Opfer gefallen. „Meine Speise ist es“, so sagt er, „den Willen des Vaters zu tun.“ Den Willen dessen, der ihn gesandt hat. In allem entdeckt er den waltenden Willen des Vaters und spricht: „Nicht wie ich will, sondern wie du willst.“ Nie hat ein Widerspruch zu Gottes Willen seine Seele befleckt, nie hat eine Sünde ihn entweiht. Er konnte seinen Feinden sagen: „Wer aus euch kann mich einer Sünde beschuldigen?“ Er ist der ganz Große, der ganz Reine, der ganz Heilige, der nie versagt hat, der nie hätte etwas anders machen wollen, der nie etwas zu bereuen hatte. Er ist ein Mensch über allen Menschen.

Wenn wir sein Verhältnis zu den Menschen ansehen, dann staunen wir, denn die Liebe ist das Grundgesetz seines Lebens und seines Wandels unter den Menschen. Er ist nicht gekommen zu verdammen, sondern zu suchen, was verloren war, und es selig zu machen. Er ist der gute Hirte, und er ist unser Freund. Das Programm seines Lebens haben ja die Engel gesungen: „Ehre Gott in der Höhe und Friede den Menschen seiner Gnade, den Menschen auf Erden.“ Er ist der Freund der Kinder. Am Abend, als der Herr müde ist vom Predigen, vom Heilen, vom Wandern, am Abend kommen Kinder zu ihm, und die Jünger wollen es ihnen wehren, damit er endlich Ruhe findet. „Nein“, sagt er, „lasset die Kinder zu mir kommen, denn ihrer ist das Himmelreich.“ Und erlegt ihnen die Hände auf und segnet sie. Er ist der Freund der Armen. Denken Sie an die schöne Parabel vom armen Lazarus und vom reichen Prasser. Denken Sie daran, wie er das Scherflein der Witwe lobt, die aus ihrem geringen Vermögen viel in den Opferkasten geworfen hat. Die frei gewählte Armut begleitet ihn von der Krippe bis zum Kreuze. Wer war ärmer als Christus in der Krippe? Und wer war ärmer als er in seinem irdischen Leben? Einmal kam einer zu ihm und sagt: Ich will dir folgen, wohin du gehst. Da gab er ihm zur Antwort: „Die Vögel haben Nester, und die Füchse haben Höhlen, aber der Menschensohn hat nicht, wohin er sein Haupt legen kann.“ Er ist der heimatlose Fremdling auf dieser Erde, arm geboren und arm gestorben. Mit einem Lendentuch bekleidet hat er am Kreuz gehangen. Die Armen müssen wissen, dass er der Freund der Armen ist.

Und er ist der Freund der Kranken. Wir wissen, auf wie vielen Seiten des Evangeliums steht, dass er die Kranken heilte, die Lahmen, die Blinden, die Aussätzigen, die Besessenen. Eine Kraft ging von ihm aus und heilte alle. Alle, die ihn anrührten, wurden geheilt. O, meine Freunde, was ist ergreifender als der Heiland, der alle Krankheiten heilt? Freilich auch die schwerste aller Krankheiten, nämlich die Sünde. Wo ist ein Mensch, der Ähnliches getan hat? „Eine größere Liebe hat niemand, als der sein Leben hingibt für seine Freunde.“ So hat der Herr erklärt. Aber er hat sein Leben hingegeben für seine Feinde. Die echte Liebe ist etwas Großes, Gewaltiges und Herrliches.

Und Jesus war ein kerngesunder Mann. Das unterscheidet ihn von allen Religionsstiftern. Als Mohammed die Fahne des Propheten entrollte, da war er ein verbrauchter, ein ausgelaugter Kerl, seelisch belastet, erblich belastet, in seinem Nervenleben zerrüttet. Das ist Mohammed. Und als Buddha seine Lehre begann, da war er innerlich zerbrochen, verlebt, ausgelebt. Von Jesus hören wir niemals, dass er von irgendeiner Krankheit heimgesucht wurde. Die Leiden, die ihn trafen, waren Berufsleiden, Entbehrungen und Opfer, die ihm seine Sendung abverlangte. Er war ein kerngesunder Mann; er versagte niemals und nirgends, selbst nicht in den aufregendsten und gefährlichsten Lagen. Mitten im rasenden Sturm des Sees Genesareth liegt er auf einem Kissen und schlummert. Als die Jünger ihn aufwecken, da ist er nicht aufgeregt, da findet er sich sofort in der Situation zurecht, und überlegen spricht er: „Schweige, verstumme!“ Und der Sturm legt sich, und das Seebeben hört auf. Wahrhaftig, alles fahrige, aufgeregte Wesen ist ihm fremd gewesen, er war ein kerngesunder Mann.

Wenn wir erst in seine Seele schauen! Als Mensch war er füllt von der heiligmachenden Gnade, vom göttlichen Leben. Und mit der heiligmachenden Gnade kamen ihm die göttlichen Tugenden und die anderen Tugenden, die sittlichen Tugenden, also die Reinheit, der Friede, das Erbarmen, die Demut. Alle diese Tugenden hat er in höchstem Grade besessen – und die Gaben des Heiligen Geistes. Er hatte einst die Schriftrolle aufgerollt und gesagt: „Heute ist in Erfüllung gegangen, was hier steht, nämlich: Der Geist Gottes ruht auf ihm, der Geist der Weisheit und des Verstandes, des Rates und der Stärke, der Frömmigkeit und der Furcht des Herrn.“ Alle Gaben des Heiligen Geistes waren in ihm, und ein besonderes Wissen, ein besonderes Schauen Gottes, was uns erst vorbehalten ist, wenn wir am Ziele angekommen sind.

So ist Jesus wahrhaftig unser Ziel, unser Ideal und unser Licht, das Haupt der Menschheit und unser Bruder. Weil er das alles ist, ist er unser Vorbild. Ich habe Ihnen neulich erzählt, dass mir von einer Berliner Wochenzeitung ein Fragebogen zugeschickt wurde, den ich beantworten sollte und der dann veröffentlicht wurde. In diesem Fragebogen gab es auch eine Frage, die lautete: „Was möchten Sie ändern?“ Ich habe geschrieben: „Mich selbst und die mir Anvertrauten zu größerer Ähnlichkeit mit Christus.“ Wahrhaftig, das möchte ich ändern, mich selbst und die mir Anvertrauten zu größerer Ähnlichkeit mit Christus. Denn er ist unser Vorbild. Wenn wir das tun, was Jesus tut, tun wir immer recht. Wir brauchen immer nur zu fragen: Was würde Jesus an meiner Stelle tun? Und dann wissen wir, was zu tun ist. Die Nachfolge Christi ist unsere große Aufgabe. Man kann das ganze Leben, die ganze Aufgabe des Christen in dem einfachen Wort zusammenfassen: Folge mir nach! Wenn wir Jesus nachfolgen, dann werden wir wie er, und dann finden wir das Ziel, wie er es gefunden hat.

Amen.

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