Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Sakramente der Kirche (Teil 31)

14. Oktober 2001

Das eucharistische Opfer als Gedächtnisfeier

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Wir haben uns bemüht, in das Geheimnis des eucharistischen Opfers einzudringen. Das Konzil von Trient nennt das eucharistische Opfer ein „Gedächtnis“. Wir wollen uns heute Gedanken machen, was mit dieser Aussage gemeint ist. Die eucharistische Feier ist ein Gedächtnis.

Sie ist zunächst ein Gedächtnis des Letzten Abendmahles. Der Herr trug ja den Aposteln auf, das zu tun, was sie ihn selbst tun sahen. Weil aber das Letzte Abendmahl eine Vorwegnahme des Kreuzesopfers war, ist die Eucharistiefeier auch ein Gedächtnis des Kreuzesopfers. Diese Wahrheit wird uns von der Heiligen Schrift, von den Kirchenvätern und von der Liturgie eindeutig bezeugt. Der Apostel Paulus spricht im 1. Brief an die Korinther davon, nachdem er die Einsetzungsworte angeführt hat: „Jedesmal, wenn ihr dieses Brot esset und den Kelch trinket, verkündet ihr den Tod des Herrn, bis daß er wiederkommt.“ Paulus gibt hier eine Erklärung der Einsetzungsworte, des Stiftungsbefehls. Im Essen und Trinken, ja durch das Essen und Trinken, durch die Feier wird das von Christus befohlene Gedächtnis vorgenommen. Es bedeutet dies eine Verkündigung des Todes des Herrn; sein Tod wird durch das Essen und Trinken verkündet. Es handelt sich also um ein Tatgedächtnis und um eine Tatverkündigung. Die Eucharistie ist nach Paulus ein Opfergedächtnis und ein Gedächtnisopfer.

Die Kirchenväter haben diese Wahrheit zu erklären versucht, indem sie aus der Identität der Opfergaben – Christus, die Opfergabe am Kreuze, Christus, die Opfergabe in der Eucharistie – die Identität, also die Dieselbigkeit der Opferhandlung folgerten. Die Eucharistie ist ein Opfer, weil sie das Gedächtnis eines Opfers, nämlich des Kreuzesopfers, ist. Das Gedächtnis des Opfers Christi feiern heißt das Opfer Christi selbst darbringen. Das Kreuzesopfer wird im Meßopfer gegenwärtig.

Ganz eindeutig spricht unser Meßtext. Ich verweise Sie auf das Gebet nach der heiligen Wandlung. Da heißt es: „Daher sind wir denn eingedenk, Herr, wir, deine Diener, aber auch dein heiliges Volk, des heilbringenden Leidens, der Auferstehung von den Toten und der glorreichen Himmelfahrt deines Sohnes, unseres Herrn Jesus Christus.“ „Daher“ setzt dieser Text ein. „Daher“, nämlich weil Christus es so angeordnet hat, weil Christus es so verfügt hat, daher sind wir denn eingedenk. Aber Christus hat ja doch nicht nur eine Erinnerung befohlen, sondern er hat eine Feier angeordnet. Es wird also hier nicht bloß psychologisch ein Gedächtnis vorgenommen, wie wir uns an einen Unfall oder an ein fröhliches Ereignis erinnern, nein, es handelt sich hier um ein Tatgedächtnis. Wir feiern das objektive Gedächtnis des Leidens, der Auferstehung und der Himmelfahrt des Herrn. Und weil hier Tod, Auferstehung und Himmelfahrt in der Gestalt des Herrn gegenwärtig werden, besitzt die Kirche die Fähigkeit und die Möglichkeit, ein Opfer darzubringen. Dadurch, daß die Heilstat Christi gegenwärtig wird, besitzt die Kirche die Möglichkeit zu opfern. Sie geht in das Opfer Christi ein und opfert dadurch dem Vater im Himmel das, was Christus selbst dem Vater dargeboten hat.

Das Gedächtnis ist natürlich zunächst einmal, wenn wir im Umgangssprachgebrauch verbleiben, ein psychologisches. Wir denken an einen Geburtstag, wir erinnern uns unseres Tauftages; das ist das psychologische Gedächtnis. Um aber das Gedächtnis nicht untergehen zu lassen, setzen wir Denkmale. Wir bringen Tafeln an, die die Namen unserer Gefallenen enthalten. Das ist ein objektives Gedächtnis. Im Passionsspiel wird ebenfalls das Gedächtnis des Leidens Christi festgehalten. Hier wird eine Nachahmung dessen vollzogen, was sich im wirklichen Leben Christi zugetragen hat. Die Gedächtnisfeier der Eucharistie geht weit darüber hinaus. Hier ist gewiß auch ein psychologisches Gedächtnis: Wir denken an das Leiden des Herrn. Sie ist gewiß auch ein objektives Gedächtnis, weil eben hier die Opfergaben Brot und Wein ein Symbol sind für das, was sie enthalten, nämlich Leib und Blut Christi. Aber dazu kommt eine weit tiefere Feier des Gedächtnisses. Sie ist ein ontologisches Gedächtnis, weil Leib und Blut Christi gegenwärtig sind. Sie ist ein wirklichkeitserfülltes Gedächtnis. Sie ist nicht bloß ein intentionales, also in der Absicht geschehenes Gedächtnis, sondern ein realitätsgefülltes, ein wirklichkeitserfülltes Gedächtnis. In den Gestalten von Brot und Wein erscheinen Leib und Blut Christi. Durch das sakramentale Symbol wird der Tod Christi dargestellt und tritt in die Gegenwart ein, ja der TOD Christi erscheint in der Eucharistie. Man kann sagen: Die Eucharsitei ist die sakramentale Epiphanie, die sakramentale Erscheinung von Golgotha.

Die Kirchenväter haben versucht, das Gedächtnis noch mit zwei anderen Begriffen dem menschlichen Verstand nahezubringen, nämlich mit den Begriffen des Symbols und des Typus. Ein Symbol ist ein Gegenstand und ein Ereignis, das auf einen anderen Gegenstand oder ein anderes Ereignis hinweist. Die Gestalten Brot und Wein sind in diesem Sinne ein Symbol, weil sie hinweisen auf das, was sie enthalten, nämlich Leib und Blut Christi. Weil aber Leib und Blut Christi getrennt sind, verweisen sie zugleich auch auf das Geschehnis, das diese Trennung bewirkt hat, nämlich auf den Tod Christi. Typus ist ein Vorbild oder ein Abbild. Die alttestamentliche Geschichte ist ein Vorbild der neutestamentlichen, und ähnlich ist die Zweiheit der Gestalten von Brot und Wein ein Abbild des unter ihnen gegenwärtigen Leibes und Blutes Christi. Man kann also diese beiden Ausdrücke Symbol und Typus durchaus verwenden, nur müssen sie eben als wirklichkeitserfülltes Symbol und als wirklichkeitserfüllter Typus verstanden werden.

Sie erinnern sich, daß in der heiligen Messe mehrfach davon die Rede ist, daß wir nicht nur an den Tod Jesu denken, daß wir nicht nur ein Gedächtnis des Todes feiern, sondern auch der Auferstehung und der Himmelfahrt. Im Einsetzungsbericht ist nur vom Tode die Rede, und deswegen wird man nicht sagen können, daß wir in gleicher Weise der Auferstehung und der Himmelfahrt des Herrn gedenken, wie wir des Todes gedenken. Die Eucharistie ist zunächst einmal eine Feier des Todes Christi. Aber der Gekreuzigte ist ja der Auferstandene, der Gekreuzigte ist ja der Erhöhte. Wenn wir also seinen Tod feiern, dann feiern wir nicht einen im Tode Verbliebenen, sondern einen durch den Tod in das Leben Hinübergegangenen. Deswegen wird man sagen müssen, daß mittelbar in der Eucharistie auch Auferstehung und Himmelfahrt des Herrn gefeiert werden.

Entscheidend ist, meine lieben Freunde, gegenüber allen Abschwächungsversuchen, die in der letzten Zeit aufgekommen sind, daß wir daran festhalten: Die Eucharristiefeier ist ein wahres und eigentliches Opfer. Sie ist ein wahres Opfer, weil der am Kreuze geopferte Leib und das am Kreuze geopferte Blut Christi als Opfergaben gegenwärtig werden. Diese Opfergaben opfert die Kirche dem Vater im Himmel auf. Sie geht in die Opferbewegung Christi ein und wird dadurch selbst zum Opfer. Sie nimmt an der Hingabebewegung teil, in der Christus sich dargebracht hat, und bringt dadurch selbst ein Opfer dar.

Es ist viel und häufig darüber geschrieben worden, wie man das heilige Meßopfer mitfeiern soll. In meiner Jugend kam der Slogan auf: Nicht nur in der Messe beten, sondern die Messe beten. Das heißt also, die Meßgebete verrichten, die der Priester verrichtet. Das ist nicht falsch. Aber schon damals fühlte sich mancher überfordert. Ich erinnere mich an einen Mitschüler, der sagte: „Der Priester betet die Gebete so schnell, daß ich nicht folgen kann, und so lasse ich manches, was im Schott in eckige Klammern gesetzt ist, aus.“ Das ist durchaus eine Möglichkeit, die Meßfeier mitzubegehen. Es ist auch möglich, die Meßandachten zu beten, wie wir sie in unseren früheren Diözesangesangbüchern gefunden haben. Diese Meßandachten bereiten das, was im Meßopfer geschieht, in einer verständlichen Weise zu, so daß die Menschen, die diese Meßandachten verrichten, wirklich am Meßopfer teilnehmen können.

Es gibt aber noch eine ganz einfache Weise, sich am Meßopfer zu beteiligen. Wenn man kein Buch hat oder kein Buch benutzen will, dann braucht man eigentlich nur einen einzigen Satz zu sprechen, und man feiert die Messe gut. Dieser Satz lautet: „Mein Jesus, du gehst durch Tod und Auferstehung zum Vater. Nimm mich mit!“ Wer diesen Satz betet, hat das Meßopfer schon verstanden und nimmt an ihm teil. Er nimmt an ihm teil in der bestmöglichen Weise, weil er sich nämlich an die Opferbewegung Jesu anschließt und dadurch auch wirklich zum Vater geführt wird. „Mein Jesus, nimm mich mit!“ Wer so betet, hat das Meßopfer trefflich mitgefeiert.

Amen.

 

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