Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Kirche in der Welt (Teil 5)

12. Dezember 1999

Die Stiftung der Kirche durch Jesus Christus

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

In den letzten Jahrzehnten ist es unter manchen katholischen Theologen üblich geworden, Jesus die Stiftung der Kirche abzusprechen. Sie haben sich das Wort eines liberalen protestantischen Theologen zu eigen gemacht, der, wie er meinte, witzig gesagt hat: „Jesus hat das Reich Gottes verkündet, und gekommen ist die Kirche.“ Das wird als Gegensatz ausgegeben, nämlich die Verkündigung des Reiches Gottes und das Kommen der Kirche. Im katholischen Bereich ist es vor allem der Freiburger Anton Vögtle, der glaubt, Jesus die kirchenstiftenden Äußerungen absprechen zu können. Nach Vögtle ist die Kirche entstanden nach dem irdischen Wirken Jesu. Die Jünger haben sich in der Überzeugung von seiner Auferstehung – an der er übrigens auch rüttelt! – zusammengefunden und haben dann eben die Gemeinde geschaffen, die wir als katholische Kirche bezeichnen. Diese Auffassungen sinken schon ab in das Volk über die Lehrbücher in den Schulen und werden allmählich, wenn keine Gegenbewegung eintritt, zum Gemeingut derer werden, die sich noch katholische Christen nennen.

Dagegen gilt es entschieden Front zu machen. Selbstverständlich haben Tod und Auferstehung Jesu, und zwar im wörtlichen und buchstäblichen Sinne verstanden, etwas mit der Kirche zu tun. Selbstverständlich wäre die Kirche nie entstanden, wenn der Leichnam Jesu verwest und er nicht auferstanden wäre. Selbstverständlich lebt die Kirche aus den Kräften von Tod und Auferstehung Jesu. Aber das hindert nicht, daß der historische Jesus, der auf Erden wandelnde Jesus kirchenstiftende Handlungen gesetzt hat, daß die Kirche nicht ohne oder gegen seine Absicht entstanden ist, sondern mit seinem Willen, daß er gewollt hat, daß eine Kirche entsteht, und daß das Wort, das ihm nicht nur zugeschrieben wird, sondern das er gesprochen hat, zu Recht besteht: „Ich will meine Kirche bauen.“ Meine, sagt er, und damit ist von vornherein klar, daß Jesus eine kirchenstiftende Absicht gehabt hat.

Jesus war von einem Zweckgedanken erfüllt. Er ist erschienen, um die Welt zu erlösen. „Ich bin gekommen“, sagt er, „nicht meinen Willen zu tun, sondern den Willen dessen, der mich gesandt hat.“ Und der Wille des Vaters ist eben, daß er als der Knecht Gottes in diese Weltzeit einging. Von dem Knecht Gottes hatte der Prophet Isaias gesagt: „Der Geist des allmächtigen Herrn ruht auf mir; denn mich hat der Herr gesalbt, mich gesandt, den Demütigen frohe Botschaft zu bringen. Er hat mich gesandt, die gebrochenen Herzen zu heilen, den Gefangenen Freiheit zu künden, den Gebundenen Erlösung, auszurufen ein Gnadenjahr des Herrn und einen Rachetag unseres Gottes, allen Trauernden Trost zu spenden.“ Von diesem Knecht Gottes sagt derselbe Prophet Isaias, daß auf ihm der Geist des Herrn ruht, der Geist der Weisheit und des Verstandes, der Geist des Rates und der Stärke, der Geist der Erkenntnis und der Furcht des Herrn. „An der Furcht Gottes hat er sein Wohlgefallen.“ Der Herr, unser Heiland Jesus Christus, macht sich diese Weissagung zu eigen. Er selber hat sich als den Knecht Gottes bekannt. Als er seine Antrittsrede in der Synagoge von Kapharnaum hielt, da ließ er sich die Schriftrolle geben und las vor. Man reichte ihm das Buch des Propheten Isaias. Er öffnete es und fand die Stelle: „Der Geist des Herrn ruht auf mir, weil er mich gesalbt hat. Den Armen die Frohbotschaft zu bringen, hat er mich gesandt, zu heilen, die zerknirschten Herzens sind, den Gefangenen Befreiung und den Blinden das Augenlicht zu verkünden, die Niedergedrückten in die Freiheit zu entlassen, das Gnadenjahr des Herrn zu verkünden." Als er das Buch zusammengerollt hatte (man hat ja damals Buchrollen gehabt), gab er es dem Diener zurück und setzte sich; aller Augen waren auf ihn gerichtet. Da begann er zu sprechen: „Heute ist diese Schriftstelle vor euren Augen in Erfüllung gegangen.“ Er selber ist es, der diese Schriftstelle erfüllt. Er ist der Messias Gottes. Das hat er auch gegenüber dem Johannes dem Täufer bekannt. Der befand sich im Gefängnis und war jetzt unsicher, ob er in Jesus den verheißenen Messias erkennen sollte oder nicht. Da hat Jesus nicht gesagt: Ich bin der verheißene Messias, sondern er hat gesagt: „Gehet hin und meldet dem Johannes, was ihr hört und seht: Blinde sehen, Lahme gehen, Aussätzige werden rein, Taube hören, Tote stehen auf, Armen wird Heilsbotschaft verkündet, und Heil dem, der sich an mir nicht ärgert.“ Er hat also die Taten als Zeugnis für seine Messiaswürde ausgegeben. An seinen Taten kann man erkennen, daß der verheißene Messias jetzt in ihm erschienen ist.

Jesus hat sich als den Knecht Gottes verstanden, der die Welterlösung bewirken soll. Mehr als einmal hat er vorausgesagt, daß er gekommen ist, sein Leben als Lösegeld für die Vielen, d. h. für alle hinzugeben. Er soll sich gewissermaßen aus der Menschheit ein heiliges Volk erkaufen durch sein erlösendes Leiden, durch sein vergossenes Blut. Ja, er hat das Reich Gottes verkündet, aber er ist es, der dieses Reich Gottes bringt, und er ist es, der die Zugehörigen dieses Reiches sammelt. Ein Reich ohne Reichsangehörige kann es nicht geben. Wenn er das Reich Gottes verkündet, dann will er eben die Menschen in diesem Reiche zusammenführen. Er hat sich als einen König bekannt. Ja, wo gibt es denn einen König ohne Untertanen? Wenn er sagt, daß er ein König sei, dann ist damit einschlußweise ausgesagt, daß er auch ein Volk zu regieren hat, nämlich alle, die auf seine Stimme, die Stimme der Wahrheit, hören; sie sind es, die er zu seinem Königtum sammelt. Jesus hat das Reich Gottes verkündet, jawohl, aber die Kirche ist nicht an seiner Stelle gekommen, sondern die Kirche ist das Organ des Reiches Gottes; die Kirche ist das Werkzeug des Reiches Gottes. Das Reich Gottes benötigt ein solches Werkzeug, um unter den Menschen verbreitet und ausgerufen zu werden.

Jesus selbst hat die Sammeltätigkeit begonnen. Er zog durch die Gaue Palästinas, er predigte auf Bergen und am Seegestade, und er scharte das Volk um sich. Er verkündigte ihnen das Heil, er rief die Heilsbotschaft aus, er heilte Kranke als Zeichen des anbrechenden Reiches Gottes, er weckte Tote auf als Signal, daß das Reich Gottes ein Reich des Lebens ist. Aber er hat auch noch anderes getan. Man könnte ja sagen: Nun, das mußte ihm doch klar sein, daß die Spanne seines Lebens nicht ausreicht, um das Reich Gottes überall zu verkünden. Selbstverständlich hat er das gewußt. Er war sich darüber klar, daß sein Leben nur eine kurze Spanne umfassen konnte. „Es kommt die Nacht, da niemand wirken kann.“ Diese Überzeugung stand ihm vor Augen. Er wußte auch, daß der Vater das Opfer seines Lebens von ihm forderte, daß er, weil das Volk Israel ihn nicht annahm, den Tod sterben mußte, der Erlösung bringen sollte. Und es drängte ihn dazu. „Ich habe eine Taufe, mit der ich getauft werden muß, und wie drängt es mich, bis es vollendet ist!“

In dieser kurzen Spanne hat er sich deswegen mehr und mehr darauf beschränkt, diejenigen heranzuholen, die seine Sendung weitertragen sollten. Er hat Jünger um sich gesammelt, Schüler, die er belehrte und denen er Aufträge und Vollmachten gab. Aus dem weiten Jüngerkreise hat er einen engeren Ausschuß gewählt, und seine Mitglieder hat er mit einer besonderen Feierlichkeit zu sich gerufen. Der Evangelist Lukas schildert es: „Jesus ging fort auf einen Berg, um zu beten, und er verbrachte die ganze Nacht im Gebet zu Gott. Nach Tagesanbruch rief er seine Jünger zu sich und wählte zwölf von ihnen aus, die er auch Apostel nannte, nämlich Simon, den er Petrus nannte, und seinen Bruder Andreas, Jakobus und Johannes, Philippus und Bartholomäus, Matthäus und Thomas, Jakobus, des Alphäus Sohn, und Simon mit dem Beinamen „Eiferer“, Judas, des Jakobus Bruder, und Judas Ischariot, der sein Verräter wurde.“ Er hat also hier eine Auswahl getroffen aus seinen vielen Anhängern und Schülern. Diesen Zwölfen hat er nun eine besondere Ausbildung zuteil werden lassen. Er hat sie unterwiesen; er hat ihnen auch Vollmachten gegeben und sie ausgesandt, um sie zur Teilnahme an seiner Sendung zu bereiten. Er gab ihnen einen eigenen Namen: Apostel. Dieses Wort bedeutet „Sendboten“. Sie sollten Sendboten sein, die das Reich Gottes ausriefen; und er hat sie auch schon gewissermaßen provisorisch ausgesandt. In alle Städte und Dörfer, in die er selbst kommen wollte, da sandte er sie zu zwei und zwei vor sich her, und sie sollten dort das Reich Gottes ausrufen. Diese Zwölf waren es, denen er besondere Autorität vermittelte. „Wer euch hört, hört mich; wer euch verachtet, verachtet mich; wer aber mich verachtet, der verachtet den, der mich gesandt hat.“ Die Apostel waren ein so fest geschlossener Kreis, daß man ihn als Kollegium bezeichnen kann, und noch in der Urgemeinde war immer von den Zwölfen die Rede. Warum denn zwölf? Warum hat er nicht elf oder dreizehn ausgewählt? Zwölf war eine heilige Zahl. Das Volk Gottes, das alte Israel war ja das Zwölf-Stämme-Volk, und wenn Jesus jetzt zwölf Jünger auswählte, dann ist damit eingeschlossen seine kirchenstiftende Absicht. Er gibt damit zu verstehen, daß er ein neues Israel schaffen will, eben gebaut auf seine Zwölf, die er ausgewählt hat aus seinen Anhängern. Diese Zwölfzahl ist also ein Symbol; die Zwölf sollen Stammväter des neuen Volkes Israel sein, das an die Stelle des alten, das seine Sendung nicht aufgenommen hat, treten sollte. Hier ist die kirchenstiftende Absicht Jesu völlig klar vor Augen liegend.

Aber nicht genug damit. Aus den Zwölf traf er noch einmal eine Auswahl. Er wählte nämlich einen aus, den er vor den anderen auszeichnete mit der Fülle der Vollmacht. Das geschah in Cäsarea-Philippi. Da fragte Jesus seine Jünger, was sie von ihm hielten. Die Jünger gaben ihm zur Antwort: Die Leute sagen halt, du bist Johannes der Täufer (der dann eben auferweckt worden sein muß), andere halten dich für Elias, wieder andere für Jeremias oder einen der Propheten. Da sprach Jesus zu ihnen: „Ihr aber“ – im Unterschied nämlich von den Volksmassen – „für wen haltet ihr mich?“ Da antwortet einer, nämlich Simon Petrus: „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Petrus hat Christus erkannt. „Du bist der Christus, der Sohn des lebendigen Gottes.“ Und dann erwidert ihm Jesus: „Selig bist du, Simon, Sohn des Jonas, denn nicht Fleisch und Blut hat dir das geoffenbart, sondern mein Vater im Himmel. Und ich sage dir: Du bist Petrus (d. h. der Felsenmann), und auf diesen Felsen will ich meine Kirche bauen, und die Pforten der Hölle werden sie nicht überwältigen. Dir will ich die Schlüssel des Himmelreiches geben. Was immer du binden wirst auf Erden, das soll auch im Himmel gebunden sein, und was immer du lösen wirst auf Erden, das soll auch im Himmel gelöst sein.“ Hier hat Jesus ein Amt begründet. Er hat den Simon, dem er einen eigenen Namen gab, nämlich Kephas, das heißt: der Fels (lateinisch Petrus), er hat diesen einen ausgewählt, um ihm eine besondere Stellung in seiner Kirche zu geben. Er sollte das zentrale Fundament der Kirche sein; auf ihn will er die Kirche bauen. Er gibt ihm die Verheißung, daß diese Kirche von den Todesmächten, das sind nämlich die Pforten des Hades, nicht überwältigt werden wird. Er gibt ihm die Schlüssel des Himmelreiches. Es ist ganz falsch, wenn man diese Stelle so deutet, als ob Petrus der Pförtner wäre. Nein, wer die Schlüssel hat, das ist der Hausherr, das ist derjenige, der einläßt und der herausläßt. Petrus ist der Schlüsselträger des Himmelreiches. Er besitzt die Binde- und Lösegewalt, das heißt: Er kann Gesetze geben und aufheben, er kann einlassen und auslassen, er kann mit Bann belegen und den Bann wieder lösen. Er besitzt die Binde- und Lösegewalt, der Wirksamkeit im Jenseits verheißen wird.

Nun hat Jesus ja auch den übrigen Aposteln die Binde- und Lösegewalt gegeben. Was hier in Mt 16,18 dem Petrus gegeben wird, das wird in Mt 18,18 auch den übrigen Aposteln gegeben, aber mit einem Unterschied: Sie erhalten diese Gewalt als eine Körperschaft, also nur zusammen; er erhält die Binde- und Lösegewalt als einzelner, und nur ihm ist das Wort von den Schlüsseln und von der Fundamentfunktion gesagt. Er ist also in diesem Kreis die zentrale Figur. Daß hier ein Amt begründet werden soll, erkennt man daraus, daß ausgerechnet Petrus auserwählt wurde. Er war nämlich dem Herrn nicht der liebste Jünger; der Lieblingsjünger ist Johannes. Er war auch nicht derjenige, der am meisten hervorragte durch Begabung oder Charakter. Gerade diese beiden Punkte zeigen, daß hier ein Amt begründet werden sollte. Nicht die persönlichen Verdienste des Petrus gaben den Ausschlag für die Wahl, sondern die von Gott erfolgte Bezeichnung. Jesus sagt: „Nicht Fleisch und Blut hat dir das geoffenbart (nämlich die Erkenntnis meines Wesens), sondern mein Vater, der im Himmel ist.“ Das heißt: Gott selbst hatte den bezeichnet, den er zum Felsenfundament machen sollte. Indem Gott dem Petrus offenbarte, wer Jesus ist, indem er ihm sein Wesen zeigte, bezeichnete er ihn als den, den Jesus zum Felsenfundament seiner Kirche machen sollte. Er empfing also vom Vater den Hinweis auf die Auswahl dieses Mannes.

An dieser Stelle spricht Jesus auch von seiner Kirche. Das Wort, das wir mit „Kirche“ wiedergeben, heißt im Hebräischen kahal und im Aramäischen, der Sprache, in der Jesus redete, kehala. Kahal oder kehala ist nichts anderes als die Versammlung der von Gott Berufenen. Wenn Jesus sagt, er wolle seine Kirche bauen, dann meint er damit die Versammlung der von Gott ins Reich Gottes berufenen Menschen. Das Wort wurde im Griechischen mit ekklesia und im Lateinischen mit ecclesia wiedergegeben. Das deutsche Wort Kirche kommt aus einem ganz anderen Stamm, nämlich von kyriake oikia, von dem Herrenhaus. Aber gemeint ist eben die Versammlung der von Gott ins Gottesreich Berufenen. Und diese, seine Kirche will Jesus erbauen auf die Männer, die er eben genannt hatte, denen er Autorität, denen er Vollmacht gab und deren Sendung er nach seiner Auferstehung bekräftigt hat. Als er nämlich den Jüngern erschien, hat er Petrus noch einmal gesagt: „Weide meine Lämmer! Weide meine Schafe!“ Er sagte es nur zu Petrus, und es genügt, wenn er es ihm sagt, weil mit ihm alle anderen einbegriffen sind. Er ist der Führer, er ist das Haupt der übrigen Apostel.

Und bevor er diese Welt verließ, um zum Vater im Himmel zurückzukehren, hat er seine kirchenstiftenden Worte noch einmal zusammengefaßt, hat er die Vollmacht und die Autorität und den Auftrag und die Sendung in einem Worte ausgedrückt, nämlich in dem ergreifenden Missionsbefehl, den er den Jüngern gegeben hat. „Jesus redete mit ihnen und sprach: Mir ist alle Gewalt gegeben im Himmel und auf Erden. Darum gehet hin und machet alle Völker zu Jüngern und taufet sie im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes und lehret sie alles halten, was ich euch befohlen habe. Und sehet: Ich bin bei euch alle Tage bis an das Ende der Welt.“

Amen.

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