Predigtreihe: Die geoffenbarte Wahrheit (Teil 10)
17. August 1997
Die Erkennung des Christentums als Offenbarungsreligion
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Vor einer Reihe von Jahren war an einem Orte Musterung, also die Untersuchung für das Militär. An einem Tische in dem Lokal saßen 4 Männer zusammen, einer davon war ein Priester. Der Priester bestellte für die übrigen einen warmen Kakao, denn es war kalt draußen. Als die Männer den Kakao schlürften, sagte einer von ihnen: „Wir haben ja alle denselben Gott.“ Der Priester freute sich, daß der warme Kakao den ersten Gedanken des Mannes auf Gott lenkte, aber er fügte bedeutsam hinzu: „Es ist nur sehr verschieden, was jeder sich darunter vorstellt.“ Tatsächlich: Auf die Vorstellung kommt es an, auf das Bild, das man von Gott hat; denn danach richten sich das Verhalten gegenüber Gott und das sittliche Leben.
Wir sind seit geraumer Zeit bemüht, meine lieben Freunde, uns die Wirklichkeit der Offenbarung vor Augen zu führen. Das Christentum ist eine Offenbarungsreligion, ja, wie wir behaupten und bekennen: Es ist die einzige Offenbarungsreligion. Es muß also das Christentum von den anderen Religionen abgesetzt werden. Man muß es unterscheiden. Denn das ist heute die große Gefahr, die unsere Kinder schon in der Schule erleben, daß die Menschen die verschiedenen Religionen auf einer Ebene auftragen. Eine persische Ärztin sagte mir einmal: „Was für eine Religion man hat, ist ganz egal, Hauptsache, man hat überhaupt eine Religion.“ Nein, es ist nicht egal. Man muß die richtige Religion haben; man muß die gottgewollte Religion haben. Und darum ist es entscheidend, daß wir die Überzeugung gewinnen: Wir haben die Religion, die Gott gewollt hat. Wir stehen in der Offenbarungsreligion, in der einzigen Offenbarungsreligion, die es auf dieser Erde gibt.
Um das Christentum als Offenbarungsreligion zu erkennen, gibt es Kriterien. Kriterien sind Merkmale oder Kennzeichen, die es gestatten, ein Ding oder eine Unternehmung zu erkennen und von anderen zu unterscheiden. Wir hatten bei den Offenbarungskriterien positive und negative genannt; wir sprachen von objektiven und subjektiven. Die Offenbarungskriterien sind unerläßlich, um die Offenbarung zu erkennen. Aber sie reichen nicht aus. Die Offenbarungskriterien vermögen den Entschluß zu begründen: Ich werde ein Christ, weil mir die christliche Offenbarung durch die Kriterien glaubwürdig gemacht ist. Aber sie erzwingen diese Entscheidung nicht. Es geht bei den Offenbarungskriterien um eine freie Gewißheit. Das heißt: Bei der Annahme der Offenbarung wirken Verstand und Wille zusammen. Nur wenn beide menschlichen Vermögen zusammenkommen, können die Offenbarungskriterien ihre Kraft entfalten.
Da aber erheben sich Widerstände, Widerstände, die aus dem Herzen des Menschen kommen. Der Mensch weiß: Wenn er sich der Offenbarungsreligion anschließt, entstehen für ihn hohe, ja höchste Forderungen. Es gibt auf dem Erdkreis keine Religion, die so anspruchsvoll ist wie das Christentum. Gegen diese hohen, erhabenen Forderungen aber setzen sich die Feigheit, die Trägheit, die Selbstsucht und das Selbstgenügen des Menschen zur Wehr. Der Mensch will nicht durch solche hohen Bindungen gefesselt werden; er wehrt sich dagegen. Ein japanischer Missionar hat einmal geschrieben: „Die Japaner wissen sehr genau, daß das Christentum ihrer Religion überlegen ist, aber sie nehmen es nicht an. Es ist ihnen zu anspruchsvoll.“ Wenn der Mensch nicht gewillt ist, sein Verhalten nach seiner Überzeugung auszurichten, dann kommt er dazu, seine Überzeugung oder die Überzeugung, die er annehmen sollte, durch Scheingründe zu entwerten; dann sucht er die Überzeugung nach seinen Wünschen zurechtzubiegen. So ist der Mensch. Und daraus begreift man, daß es nicht genügt, die Offenbarungskriterien sich vor Augen zu führen, sondern daß zu den Glaubwürdigkeitskriterien auch die Glaubenswilligkeit kommen muß. Der Verstand muß die Glaubwürdigkeitskriterien zur Kenntnis nehmen, das Herz aber muß die Motive, die Beweggründe finden, mit denen es diese Glaubwürdigkeitskriterien annimmt. Objektives und Subjektives müssen sich finden, damit es zum Glaubensakt kommt.
Der Mensch ist auf die Wahrheit angelegt. Er weiß, es gibt die Möglichkeit, die Wahrheit zu erkennen, und es besteht auch die Verpflichtung, die Wahrheit zu bejahen. Aber das Wahrheitsethos, also das Suchen nach der Wahrheit, die Treue zur Wahrheit, ist bei den Menschen verschieden stark ausgebildet. Es gibt Menschen, denen ist die Wahrheit völlig gleichgültig. Ich habe es einmal erlebt, meine lieben Freunde, wie der Vater eines Priesters sagte: „Ob in der Messe eine Wandlung passiert oder nicht, ist mir völlig egal.“ Es braucht ein Wahrheitsethos, damit man die Wahrheit an- und aufnimmt. Um die Wahrheit an- und aufzunehmen, bedarf es des Mutes. Man muß sich nämlich über die menschliche Kleinheit und Beschränktheit erheben. Man muß offen sein für erhabene Wirklichkeiten, ob sie einem passen oder nicht. Es bedarf dazu auch der Demut. Man muß sich beugen unter die Wahrheit. Man darf die Welt nicht nach seinen Wünschen gestalten, sondern muß seine Wünsche unter den Maßstab, den Gott gesetzt hat, beugen. Und schließlich braucht es Hochgemutheit, um die Wahrheit zu erkennen, daß man den Einsatz leistet, der nun einmal notwendig ist, um zur Wahrheit zu finden und an ihr festzuhalten.
Die Wahrheit bedarf auch, um erkannt zu werden, der Ehrfurcht und geistiger Zucht. Wer im alltäglichen Getriebe aufgeht, wer an das Materielle verhaftet ist, für wen das Sinnliche das einzige Lebenswerte ist, ein solcher wird nicht zur Wahrheitserkenntnis kommen. Ihm geht es lediglich um das Leben, um das angenehme Leben, um das reiche Leben, um das Überleben, um das lange Leben, um das gesunde Leben. Dafür hat er Verständnis; aber für die Wahrheit, auch für die unbequeme, auch für die harte Wahrheit hat er nichts übrig. Es ist also für viele heutige Menschen außerordentlich schwer, zur Wahrheit durchzustoßen. Sie sind an der Wahrheit nicht interessiert. Ich sage noch einmal: Die Wahrheit ist für die meisten Menschen das gleichgültigste.
Wenn man sich dagegen der Wahrheit überläßt, erkennt man, daß es eine Stufenfolge der Dinge gibt, daß die Dinge begründet werden durch Ursachen, und daß es eine Ursachenkette gibt, in der man zurückgehen kann, bis man an eine Ur-Ursache kommt, die selber nicht mehr von außen begründet wird. Man sucht nach den Quellen der Wahrheit, nach dem Ursprung der Wahrheit. Und wir wissen: Dieser Ursprung der Wahrheit ist Gott. Die kontingenten, d.h. die sich nicht aus sich selbst erklärenden Dinge rufen nach einem Wesen, das nicht kontingent ist, und dieses nicht kontingente Wesen nennen wir Gott. Die Schöpfung macht es uns eigentlich gar nicht schwer, zu Gott zu kommen, denn die Dinge, Schätze und Werte der Erde sind begrenzt. Sie sind nur teilweise Verwirklichungen von Werten. Sie weisen auf einen Ursprung hin, der ihnen ihre Werthaftigkeit vermittelt hat. Die Dinge dieser Erde haben auch ihre Defekte und Mängel. In alle Blüten fällt Staub, und wie oft haben wir in unserem Leben gehört oder es selbst ausgesprochen: Du hast mich enttäuscht! Die Enttäuschungen begleiten unser Leben, Enttäuschungen im Beruf, Enttäuschungen in der Ehe, Enttäuschungen mit Menschen, ja auch mit so banalen Dingen wie mit dem Urlaub. Wie viele Menschen kommen enttäuscht aus dem Urlaub zurück und bemühen dann sogar noch die Gerichte, um einen Teil dessen, was sie dafür aufgewendet haben, zurückzuerhalten! Vor allem aber steht über allem Irdischen die Vergänglichkeit, der Tod. Wenn es nichts über das Leben hinaus gibt, dann ist das Leben, wie die Existentialphilosophen sagen, eine sinnlose Leidenschaft. Wenn das Mühen und Placken und das Sichanstrengen und das ständige ethische Ringen mit dem Tode vernichtet wird, dann hat sich alles nicht gelohnt. Es weist also diese Überzeugung des Menschen, daß nicht jede ethische Anstrengung umsonst sein kann, auf eine letzte werthafte Wirklichkeit hin, der wir entgegengehen. Der Mensch kommt von Gott, und er geht zu Gott. Er ist deswegen Gott zugewandt. Er ist auf Gott hingerichtet. Er entstammt Gott, und er zielt auf Gott, und diese transzendente Veranlagung kann der Mensch nicht vernichten.
Da fragen Sie mich vielleicht: Es gibt doch so viele Menschen, die überhaupt nicht an Gott denken und die nicht beten und die keinen Gottesdienst besuchen. Wie erklärt sich das? Das erklärt sich folgendermaßen. Diese Menschen haben die religiöse Anlage, die sie besitzen, nicht ausgebildet. Sie haben sich mit Vordergründigem begnügt und sind nicht dazu gekommen, die Disposition zu Höherem, die in ihre Seele gelegt wurde, auszubilden. Sie haben auch ihr Erkenntnisstreben vorzeitig abgebrochen. Sie fragen vielleicht danach, wie technische Geräte funktionieren, aber sie fragen nicht danach, woher der Mensch kommt und wohin er geht. Sie lassen die gewichtigsten Fragen überhaupt nicht an sich herankommen. Man kann mit manchen Menschen kein religiöses Gespräch führen. Sie wehren sofort ab. Sie fürchten instinktiv, daß sie dadurch in ihrer Weltverhaftetheit, in ihrem Kaninchenglück gestört und beunruhigt werden könnten. Aber Gott läßt nicht locker. Er beansprucht uns, bevor wir ihn beanspruchen. Er hat eine Verantwortung in uns gelegt; wir müssen ihm eine Antwort geben. Wie die Antwort ausfällt, ist uns überlassen, aber daß wir ihm antworten müssen, ist sicher. Die Antwort kann im Tun und im Unterlassen, im Bekennen und in der Verweigerung bestehen; aber eine Antwort müssen wir geben. Auch die Flucht vor der Verantwortung ist eine Antwort; es ist die schlechteste, die jemand geben kann. Denn die Unbeteiligten, die ewig Neutralen, die Unentschiedenen speit Gott aus seinem Munde aus.
Amen.