Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Beherrschung der Sinne (Teil 12)

7. Januar 1996

Die Ordnung der menschlichen Hoffnung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Die Leidenschaft der Hoffnung ist dem Menschen von Natur aus eingegeben. Sie knüpft sich an noch so geringfügige Dinge, und sie verläßt den Menschen äußerst selten. Dem Verbannten ist sie ein lichter Strahl, dem Ackersmann verleiht sie Ausdauer, dem Schiffbrüchigen ist sie rettende Hand, dem Eingekerkerten eine lichte Aussicht. Der Mensch trägt von Natur aus die Hoffnung in sich. Sie richtet sich auf zukünftige Güter, die möglich, aber schwer zu erreichen sind. Hoffnung weist immer in die Zukunft. Was gegenwärtig ist, ist nicht Gegenstand der Hoffnung, sondern ist Gegenstand des Verlangens. Es muß sich aber bei diesem Zukunftsgut um etwas Mögliches handeln; denn was unmöglich ist, das kann man nicht erhoffen. Das Unmögliche nährt eher die Verzweiflung statt die Hoffnung. Und es muß ein Zukunftsgut sein, das möglich, aber schwierig zu erlangen ist. Denn was uns sowieso zufällt, was wir mit Sicherheit in Zukunft erlangen werden, das brauchen wir nicht zu erhoffen, das wird vielmehr durch die Umstände und durch die Verhältnisse uns gleichsam zugeworfen.

Die Hoffnung richtet sich auf Güter, die unserer sinnlichen Natur angenehm sind und von der Vernunft als erstrebenswert vorgestellt werden. Es sind Güter, die unserer sinnlichen Natur angemessen und entsprechend sind. Insofern teilen wir die Hoffnung ein Stück weit mit den nicht mit Vernunft begabten Wesen, also mit den Tieren. Auch die Tiere haben in irgendeiner Weise eine Erwartung in sich, aber sie ist beschränkt; sie richtet sich auf Erhaltung des Individuums und auf die Fortsetzung der Art. Der Mensch dagegen geht mit seinen Hoffnungen weit darüber hinaus; sie zielen auch auf das, was nicht unbedingt für das Individuum und für die Art notwendig ist. Auch auf solche Güter richtet sich die Hoffnung des Menschen. Ich erwähne beispielsweise Anerkennung, Lob, Beförderung. Das alles sind Hoffnungsgüter, die der sinnlichen Natur des Menschen angemessen sind und ihm gleichzeitig von der Vernunft vorgestellt werden.

Die Hoffnung – es ist immer die irdische Hoffnung gemeint – hat ihre Gefahren. Die Hoffnung kann sich auf sündhafte Güter richten, auf Güter, deren Erstreben nicht zulässig ist. Wer einen Betrug verübt hat, hofft, daß er nicht aufgedeckt wird. Ein Handwerker, der keine Rechnung ausstellen möchte, sondern sagt: Geben Sie mir den verdienten Lohn in die Hand, hofft, daß diese Manipulation um die Mehrwertsteuer herum nicht bekannt wird. Aber solche Hoffnungen sind sittlich nicht einwandfrei. Sie richten sich auf verbotene, auf unerlaubte, auf sündhafte Güter; sie kommen aus einem sündhaften Willen. Es kann sich auch eine Unordnung in die Hoffnung einschleichen, indem man auf Güter hofft, die in keinem rechten Verhältnis zu den eigenen Kräften stehen oder deren Besitz Folgen hat, denen man nicht gewachsen ist. Man sollte auf Güter hoffen, die in einer gerechten Proportion zu den eigenen Fähigkeiten stehen. Jemand, der äußerst schwach begabt ist, sollte nicht auf eine hohe Stellung hoffen. Ich traf einmal einen Priester aus der Diözese Essen, der die Hoffnung nährte, Kardinal zu werden. – Ich habe einen Schüler, der jetzt in einer anderen Diözese tätig ist und der mich des öfteren anruft und dabei die Hoffnung bekundet, Bischof zu werden. – Also das sind Hoffnungen, die in keinem angemessenen Verhältnis zu den Kräften und Begabungen der Hoffnungsträger stehen. Solche Hoffnungen sind zwar nicht sündhaft, aber sie sind töricht. Man sollte sie nicht nähren, denn es steht zu befürchten, daß man den Aufgaben, die einem möglicherweise übertragen werden, nicht gewachsen sein wird. Die Folgen einer etwaigen Erfüllung dieser Hoffnung werden nicht beglückend für den sein, der sie genährt hat. Eine letzte Unordnung besteht darin, daß man bei dem Hoffen von Gott absieht. Man sollte auch bei dem irdischen Hoffen Gott einbeziehen und nicht Gott beiseite lassen.

Weil es möglich ist, daß die Hoffnung ungeordnet ist, besteht die Verpflichtung, sie zu ordnen. Wie muß die Ordnung vonstatten gehen? Erstens dadurch, daß man die Hoffnung nicht auf falsche Güter richtet, nicht auf sündhafte Güter. Wir sollen die Hoffnung auch nicht allzusehr auf irdische Dinge richten. Alle irdischen Dinge verlassen uns. Ihr Besitz ist immer gefährdet, und die Hoffnungen, die sich auf irdische Dinge gründen, werden allzu leicht zuschanden. Deswegen, meine lieben Freunde, nicht zu sehr und nicht zu intensiv irdische Hoffnungen, Hoffnungen auf irdische Dinge nähren. Zweitens ordnet man die Hoffnung, indem man nicht zu sehr auf Menschengunst baut. Die Menschen sind oft wie ein Spinnengewebe, und wie leicht reißt das! Sie sind wie ein Rauch im Wind, und wie schnell verfliegt der! Die heute für dich sind, die können morgen wider sich sein. Deswegen ist es unklug, die Hoffnung allzusehr auf Menschen und Menschengunst zu richten. Wir sollten vielmehr, und das ist die dritte Weise, wie wir die Hoffnung ordnen sollten, auf Gott unsere Hoffnung setzen. Gott vermag das, was zu unserem Heile notwendig ist, uns zu gewähren. Er wird nicht unsere törichten oder manchmal auch weniger törichten irdischen Hoffnungen erfüllen, aber er wird uns das geben, was zur Erlangung des Heiles notwendig ist. Dazu hat er sich verpflichtet. Und daran wird er sich halten.

Das Gegenteil der Hoffnung ist die Verzweiflung. Sie stellt sich ein, wenn ein Mensch alle Hoffnung oder wenigstens eine bestimmte Hoffnung verloren hat. Die Verzweiflung ist das Aufgeben der Hoffnung, und sie ist eine gefährliche Leidenschaft; denn die Verzweiflung hat schlimme Folgen. Die Leidenschaft der Verzweiflung kann einmal hervorgehen aus subjektiven Mängeln. Man ist zu bequem, zu feige, zu träge, um sich Anstrengendes zuzumuten, und dann wird man mutlos und kommt dazu, zu sagen: Das ist unmöglich zu erreichen, das kann ich nicht anstreben. Aber der Grund ist darin gelegen, daß jemand sich nicht genügend anstrengt. Und das ist eine Verzweiflung, die sündhaft ist. Sie ist vor allen Dingen gefährlich im sittlichen Streben. Ich schaffe das nicht, ich kann das nicht, ich werde mit dieser Sünde nicht fertig, so sagen manche. Hast du dich genügend gemüht? Hast du alle deine Kräfte aufgerufen? Warum verzweifelst du, wenn du noch nicht bis zum Letzten Widerstand geleistet hast? Ich traf einmal einen jungen Mann, der Priester werden wollte. Eines Tages sagte er zu mir: „Die Kirche überfordert den Priester.“ Er meinte, es werde zu viel verlangt von den Priestern, im Dienst, im Lebenswandel. So schwankte er, ob er seinem Ziel treu bleiben solle. Nun, es gelang mir, diesen jungen Mann zu überzeugen, doch Priester zu werden. Er ist ein guter Priester geworden, ein Priester, der vorbildlich arbeitet und zu dem die Menschen strömen. Er hat seine Kräfte aufgerufen und die aufkeimende Verzweiflung niedergekämpft und ist auf diese Weise nicht nur zu seinem Beruf gelangt, sondern auch in seinem Berufe treu geblieben. Die Abfälle im Ordens- und im Priesterstande haben ihren Grund häufig in Verzweiflung, nämlich in der Verzweiflung, die aus dem ungenügenden sittlichen Streben hervorgeht; die unglücklichen Männer trauen sich nichts zu, sie meinen, sie schaffen es nicht und halten es nicht aus ohne Frau, und infolgedessen bricht die priesterliche oder Ordenspersönlichkeit zusammen. Hätten sie ihre Kräfte aufgerufen, hätten sie bis aufs Blut widerstanden, dann wäre die Verzweiflung von ihnen gewichen.

Die Verzweiflung kann sich auch dann einstellen, wenn sich die Hoffnung auf ein unerreichbares sündhaftes Gut richtet: Habsucht oder Ehrsucht in Menschen, die sich nach etwas ausstrecken, was nicht erreichbar ist. Dann muß man diese Haltung aufgeben. Dann muß man eben diese Scheingüter fahrenlassen. Verzweiflung über das Nichterreichen von sündhaften Gütern ist eine ganz unangemessene Haltung und braucht eine grundsätzliche Umkehr im Menschen.

Wir wollen, meine lieben Freunde, die Haltung, die Leidenschaft der Hoffnung in uns ausbilden. Sie ist eine Mitgift der Natur, aber sie muß geordnet werden. Sie muß vor allen Dingen eingebracht werden in die Tugend der Hoffnung. Die Tugend der Hoffnung richtet sich auf Gott. Sie geht auf jene Güter, die notwendig sind, um das Heil zu erreichen. „O mein Gott, ich hoffe von dir die Verzeihung meiner Sünden, deine Gnade und endlich die ewige Seligkeit.“ Mit diesem Gebet erwecken wir die Tugend der Hoffnung. Von irdischen Dingen ist hier nicht die Rede. Deine Gnade, die Vergebung der Sünden und das ewige Leben. Aber selbstverständlich, sofern irdische Dinge zur Erlangung des ewigen Zieles notwendig sind, sind auch diese Dinge von der Tugend der Hoffnung umfangen. Aber ich sage noch einmal: soweit sie notwendig sind für die Erlangung des Heiles. So sollte unsere Hoffnung sich letztlich und endgültig, immer und mit Ergebenheit auf Gott richten. „Auch wenn er mich tötet, will ich auf ihn hoffen“, heißt es im Buche Job. Wie schön, meine lieben Freunde! Auch wenn er mich tötet, will ich auf ihn hoffen. Denn die Hoffnung auf Gott läßt nicht zuschanden werden.

Amen.

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