Die Wahrheit verkündigen,
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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Vom Wesen der Engel (Teil 3)

24. Oktober 1993

Die Erhabenheit der Engel

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Im September durfte ich die heilige Messe in der Kirche eines Einsiedlers feiern. Auf dem Hochaltar, dem einzigen Altar der kleinen Kirche, war die Muttergottes mit ihrem gestorbenen Sohn auf dem Schoß zu erblicken, also die Pietà, und um den Altar war eine große Schar von Gestalten, die als kleine Kinder dargestellt waren, mit Flügeln, mit goldenen Flügeln, lieblich anzuschauen – offenbar Engel.

Wenn man das Unvorstellbare vorstellen will, gibt es notwendig Unzulänglichkeiten. Warum hat der Künstler die Engel als kleine Kinder dargestellt? Weil eben Kinder Frische, Unverbrauchtheit, Lebendigkeit, Lieblichkeit an sich haben, und das alles kann man ja in einer analogen Weise auch von den Engeln aussagen. Sie sind unverbraucht, frisch, sie sind liebenswürdig.

Freilich muß man auch die Grenzen dieser Darstellungs- und dieser Betrachtungsweise sehen; denn die heiligen Engel haben auch andere Züge. Sie werden uns in der Offenbarung dargestellt als geheimnisvolle, gewaltige, alles Menschenmaß hinter sich lassende, mächtige, ja furchterregende Wesen. In mehreren Stellen der heiligen Schrift wird bezeugt, daß die Ansprache, welche die Engel an Menschen richten, wenn sie erscheinen, lautet: „Fürchte dich nicht!“ Also muß doch etwas Furchterregendes an ihnen sein. Diese Anrede haben sie gebraucht, als sie dem Zacharias die Geburt des Johannes des Täufers ankündigten. Auch der Engel Gabriel sagt zu Maria: „Fürchte dich nicht!“, als er ihr die Botschaft bringt. Die Hirten hörten als erstes von den Engeln auf den Halden von Bethlehem: „Fürchtet euch nicht!“ Und die Frauen am Grabe, am leeren Grabe werden von den Engeln belehrt, daß sie sich nicht fürchten sollen.

Die Engel sind also alles Menschnmaß hinter sich lassende, gewaltige, geheimnisvolle, furchterregende Wesen. Ihre wirkliche Gestalt ist so, daß Menschenworte und menschliche Vorstellungen eigentlich nicht ausreichen, um sie zu schildern. Gott hat gelegentlich seinen Offenbarungsträgern Visionen geschenkt, in denen sie die Engel schauen durften; und sie haben versucht, diese Visionen in Worten und Bildern niederzulegen. Etwa der Prophet Ezechiel: „Ich sah Gestalten, die vier lebenden Wesen ähnlich waren. Sie hatten Menschengestalt, jedes hatte vier Gesichter und jedes von ihnen vier Flügel. Das Aussehen ihrer Gesichter war folgendes: Vorn hatten sie ein Menschengesicht, rechts ein Löwengesicht, links ein Stiergesicht, nach innen zu ein Adlergesicht bei allen vier Wesen. Ihre Flügel waren oben ausgebreitet. Mit zwei berührten sie einander, mit zwei bedeckten sie ihre Leiber. Ein jedes ging geradeaus vor sich hin. Wohin der Geist sie zu gehen trieb, dahin gingen sie. Sie wandten sich nicht um, wenn sie gingen. In der Mitte der Wesen war etwas, was aussah wie glühende Feuerkohlen, wie Fackeln. Diese fuhren zwischen den Wesen hin und her. Das Feuer hatte einen leuchtenden Platz, und Blitze gingen aus dem Feuer hervor. Die Wesen liefen hin und her, so daß es aussah, als ob Blitze zuckten.“ So muß man sprechen und schreiben, wenn man das Unaussprechliche und Unsagbare aussagen will.

Die Engel sind dem Feuer – und Feuer hat es immer mit der Nähe Gottes zu tun – dem Feuer benachbart, lichtflammend, von einer Gestalt, die das Menschenmaß weit hinter sich läßt.

Sie sind auch kämpferische und kriegerische Wesen. Als Josue vor Jericho lag, da erschien ihm ein Engel, und er erkannte ihn als den Anführer des himmlischen Heeres. Und immer wieder wird  von den Engeln gesagt, daß sie die himmlischen Heerscharen seien, das ist ja ein militärischer Ausdruck. Sie sind also kriegerische, kämpferische Wesen. Und wenn im Neuen Testament ihre Furchtbarkeit gemildert erscheint, so sind sie doch immer noch geheimnisvoll, mächtig und das Menschenmaß hinter sich lassend.

Es ist bezeichnend, daß sie im Neuen Testament als Männer erscheinen. Damit soll ausgesagt werden ihre Kraft und ihre Aufgabe in der Öffentlichkeit.

Die Engel sind reine Geister. Nichts Körperliches haftet ihnen an. Reine Geister sind für uns unvorstellbar. Wenn man überhaupt etwas von ihnen aussagt, so ist das ein Stammeln, ein armes Stammeln, das sicher nicht falsch ist, aber das nur einen geringen Begriff von der Wirklichkeit, nämlich der Geistigkeit der Engel verschafft. Der heilige Thomas nennt die Engel forma subsistens, eine selbstbestehende Form, weil er eben ausschließen will, daß sie dem Stofflichen benachbart sind. Weil sie Geister sind, sind sie nicht an Raum und Zeit gebunden. Sie sind auch freilich nicht über Raum und Zeit erhaben – wie Gott. Sie sind irgendwie raumhaft und zeithaft; sie haben eine bestimmte Stelle, einen Ort, einen Wirkbereich, ein Wirkfeld, in dem sie anwesend sind, und wir dürfen überzeugt sein, daß die Engel anwesend sind, wenn wir das heilige Meßopfer feiern. Deswegen haben diese Gestalten um den Altar der Kirche des Einsiedlers durchaus ihre Berechtigung. Sie nehmen an unserer Gottesverehrung teil.

Mit unvorstellbarer Geschwindigkeit vermögen sich die Engel von einem Ort zum anderen zu bewegen, es ist dies ein augenblickliches, plötzliches, einfaches Sich-Versetzen. Das soll ausgesagt werden, wenn den Engeln Flügel zugeschrieben werden. Sie bewegen sich eben mit unvorstellbarer Geschwindigkeit. Sie vermögen in die Unzugänglichkeit einzudringen. Sie vermögen auch auf den Geist und den Leib des Menschen einzuwirken. In irgendeiner Weise ist es ihnen möglich, auf Geist und Leib des Menschen einzuwirken.

Sie besitzen eine Erkenntnis, die weit über die menschliche hinausgeht. Ihre Erkenntnis unterscheidet sich von der menschlichen etwa so, wie das Schauen eines Genies sich unterscheidet von dem Leben eines dumpf dahinvegetierenden Menschen. Sie besitzen eine weitgreifende und tief eindringende Erkenntnis.

Ihrer Erkenntnis entspricht ihr Wille. Weil sie eben eine durchdringende und umfassende Erkenntnis besitzen, die in der Bibel dargestellt wird als Gesichter ( bei Ezechiel) oder als Augen  (in der Apokalypse). Deswegen fassen sie ihre Entschlüsse, ihre Willensentschlüsse ohne Zögern und ohne langes Überlegen, augenblicklich und mit Festigkeit; sie machen sie nicht rückgängig. Die Engel besitzen auch eine Sprache. Wir wissen nicht, wie diese Sprache beschaffen ist. Man kann annehmen, daß sie sich verständigen, indem sie ihre Willensentschlüsse einander offenbaren.

Freilich darf man die Macht der Engel auch nicht übertreiben. Sie sind und bleiben Geschöpfe Gottes, d.h. von ihm abhängig. Sie können nur tun, was Gott ihnen zu tun gestattet oder befiehlt. Die Engel sind die Vollstrecker und Vollzieher des Willens Gottes.

Ihre Natur ist gewaltig und groß, aber noch gewaltiger und größer ist ihre übernatürliche Beschaffenheit. Sie sind nicht nur Geister – das ist die Natur, sondern sie sind vom Heiligen Geist erfüllte Geister – das ist ihre übernatürliche Beschaffenheit. Sie sind in die Lebensvollzüge Gottes einbezogen. Sie sind in jenem Zustand, den wir den Himmel nennen. „Sie schauen Gott“, so drückt es die heilige Schrift aus, sie schauen Gott! Sie schauen Gott und sie lieben Gott, und das ist der Zustand der Vollendung, in dem sie ihr Leben vollziehen. Ihr ganzes Wesen ist Schauen, Schauen Gottes und Anbetung Gottes. Sie bringen ja eine himmlische Liturgie dar, wie uns Johannes in seiner Apokalypse versichert: „Inmitten des Thrones und rings um den Thron standen vier Wesen, ganz voll Augen vorne und hinten. Ruhelos sprachen sie Tag und Nacht: Heilig, heilig, heilig ist der Herr, der allmächtige Gott, der war und der ist und der kommen wird.“

In der Lobpreisung Gottes vollenden sich die Engel. Sie haben jene Vollendung erreicht, der wir entgegengehen. Deswegen konnten diejenigen, die Stephanus bei seinem Tode sahen, den himmlischen Glanz auf seinem Antlitz erblicken und sagen: Es war wie das Antlitz eines Engels! Das Glück und die Freude, die Seligkeit der Gottschau hat sich auf dem Antlitz des Stephanus, des sterbenden Stephanus, gezeigt.

Die Engel haben also ein Wesen, das sich im Lobpreis Gottes verzehrt. Sie existieren nur, indem sie sich an Gott verströmen.

Es gibt eine unvorstellbare Menge von Engeln. Die Heilige Schrift läßt uns ahnen, daß die Engel eine unzählbare Schar bilden; und diese Schar ist nicht ungegliedert, sondern es gibt eine Rangordnung unter den Engeln. Die Gleichmacherei ist im Himmel nicht gefragt, sondern da gibt es eben Unterschiede. Die Heilige Schrift redet von Thronen und Fürstentümern, Mächten und Kräften, Gewalten. Manche Kirchenväter sprechen von den „neun Chören der Engel“. In jedem Falle besteht in der ungeheueren Schar der Engel eine Gliederung, eine Hierarchie. Wir wissen, daß mächtige Engel an der Spitze stehen, wie Michael und Gabriel. Diese Rangordnung ist nicht Anlaß für andere Engel, aufsteigen zu wollen, wie das auf Erden der Fall ist, wo fortwährend von Demokratisierung der Kirche die Rede ist, einem Schlagwort, das dazu dient, die gottgewollte Hierarchie der geweihten Hirten durch eine andere von Rednern und Räten zu ersetzen. Nein, jeder Engel weiß, daß er die Stelle einnimmt, die nach Gottes Willen ihm zukommt, und er ist glücklich, daß er an dieser Stelle steht. Er beneidet niemanden. Kein Engel ist mit Neid erfüllt, sondern alle bejahen freudig und mit Dankbarkeit die Position und die Wirklichkeit, die Gott ihnen eingeräumt hat.

Wenn wir also, meine lieben Freunde, jetzt das heilige Meßopfer feiern, dann wollen wir daran denken, daß die Engel uns nicht fern sind. Wir dürfen überzeugt sein, daß die himmlischen Heerscharen mit uns an diesem heiligen Opfer teilnehmen. Und wenn wir im Sanktus rufen: „Heilig, heilig, heilig,“ dann greifen wir ja ihren Lobgesang auf. Ja, die Präfation sagt es eigens: Wir schließen uns den Engeln an und bitten, in ihren Chorus aufgenommen zu werden. Welche Würde haben wir, welche Wohltat ist uns erwiesen, daß wir mit den Engeln unseren großen, gewaltigen Gott preisen und loben dürfen!

Amen.

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