Predigtreihe: Unser Leib (Teil 2)
13. September 1992
Gebote und Gesetze Gottes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Es gibt zwei Wege zur Erkenntnis der Notwendigkeit von Geboten und Gesetzen. Der erste Weg ist die Einsicht in die innere Berechtigung, in den Nutzen, in die Notwendigkeit von Geboten und Gesetzen. Aber dieser Weg wird von vielen nicht begangen. Darum hat Gott vorgesehen, daß es noch einen anderen Weg gibt, um Verständnis zu gewinnen für die Gebote und Gesetze. Die Zerstörung, die dann eintritt, wenn der Mensch sich nicht an Normen hält, ist ein laut sprechendes Argument für die Berechtigung und für die Vernünftigkeit derselben.
Das erfahren wir schon in der unbelebten Natur. Wir kennen die Gesetze der Mechanik: Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung; wir kennen die Gesetze der Elektrizität: Spannung ist das Produkt von Stromstärke und Widerstand. Und diese wichtigen, ja grundlegenden Gesetze müssen bei jeder menschlichen Arbeit bedacht werden. Kein Bauwerk kann entstehen, keine Lichtleitung gelegt werden, wenn man nicht das Ohm'sche Gesetz und die Gesetze der Mechanik beachtet. Eine Brücke, die nicht unter Beachtung der Gesetze der Statik gebaut wird, bricht zusammen, wenn ein schweres Fahrzeug über sie rollt.
Da zeigt sich die Berechtigung des Wortes des heiligen Augustinus: „Du hast es geboten, o Gott, und so ist es, daß seine Strafe sich selbst ist jeder ungeordnete Geist.“
In der belebten Natur wird uns jeden Tag vordemonstriert, was es bedeutet, wenn die Menschen sich nicht in die Ordnung des Schöpfers einfügen. Die Menschen haben die Wälder auf den Bergen in Spanien und Italien abgeholzt, und so stehen sie vielfach kahl, die Erosion arbeitet an ihnen, Schuttmassen werden in die Täler geführt, unfruchtbar starren die kahlen Gipfel zum Himmel. Die Polen haben ein blühendes Land übernommen mit Namen Schlesien. In Schlesien war der ganze Gebirgszug von wunderbaren Wäldern überzogen. Aber was haben die Polen gemacht? Sie haben angefangen, die Wälder abzuholzen. Mancher Bergkamm ist heute entwaldet und schon arbeitet die Erosion und schwemmt die fruchtbare Humuserde weg. So wird das Land zugrundegerichtet. „Du hast es geboten, o Gott, und so ist es, daß seine Strafe sich selbst ist jeder ungeordnete Geist.“
Auch in der Wirtschaft gibt es Gesetze, und der Privatmann und der Staat tun gut, sich an die Gesetze des Wirtschaftens zu halten. Ein elementares Gesetz, das jeder kennt, lautet: Man darf nicht mehr ausgeben, als man einnimmt. Schulden sind eine Hypothek für die Zukunft, belasten die kommende Generation, verzehren etwas, was noch gar nicht verdient ist. Aber das Schuldenmachen ist heute weithin üblich. Wenn dann die Schulden einmal ein Maß erreicht haben, daß die Zinsen nicht mehr aufgebracht werden können, dann ist der Bankrott da.
Jahrzehntelang wurde uns Deutschen von linker Seite Schweden als der Wohlfahrtsstaat gepriesen, der Wohlfahrtsstaat, der angeblich vorbildlich ist. Jetzt geht die Meldung durch die Presse: Schweden sieht sich gezwungen, den Wohlfahrtsstaat zu beschneiden. Die Pensionsgrenze wird von 65 auf 66 angehoben, die Renten werden gekürzt, es werden Karenztage eingeführt, also in den ersten Tagen, wenn einer krank ist, bekommt er kein Geld. Das muß das reiche Schweden durchführen, das über seine Verhältnisse gelebt hat. Und es zeigt sich auch hier die Berechtigung des Wortes: „Du hast es geboten, o Gott, und so ist es, daß seine Strafe sich selbst ist jeder ungeordnete Geist.“
Was für den natürlichen Bereich gilt. das hat auch Bestand im Bereich des Geistes, ja der Religion. Der Glaube ist ein wunderbares System. Die Glaubenswahrheiten hängen alle miteinander zusammen, sie haben einen bestimmten Aufbau. Es gibt grundlegende Wahrheiten und abgeleitete Wahrheiten, es gibt fundamentale Wahrheiten und solche, die im Rang etwas niedriger stehen, aber keine darf man preisgeben, wenn man nicht das ganze Gebäude gefährden will.
Und das hat eben eine Religion wie der Protestantismus getan. Er hat Maria den Rang geraubt, der ihr im Heilsgeschehen zukommt. Man hat die hohe Stellung, die Maria in der katholischen Kirche einnimmt, verdächtigt als eine Gefahr für Jesus. Man sagt, dadurch werde der Glanz des Herrn verdunkelt. Das Gegenteil ist der Fall. Wo die Mutter des Herrn in die Ecke gestellt wird, da ist man bald so weit, daß man die volle Wirklichkeit Jesu nicht mehr anerkennt, und das hat ja nun der Protestantismus in weitestem Umfang getan. Für viele protestantische Theologen ist Jesus eben nicht der wesensgleiche Gottessohn, sondern eine zwar säkulare Erscheinung, aber rein menschlicher Art. Man hat Jesus seiner Göttlichkeit entkleidet, und das war auch die Folge davon, daß man seiner Mutter die gebührende Anerkennung entzogen hat.
Die Kirche hat immer gewußt, daß die Marienlehre ein Schutz für die Lehre von Gott und Jesus Christus ist. Sie hat immer gewußt, daß die Mariendogmen Schutzdogmen für die Christusdogmen sind. Das Konzil von Ephesus im Jahre 431 hat Maria gegen kräftigen Widerstand als Gottesgebärerin feierlich verkündet.
Warum liegt denn in diesem Ausdruck Gottesgebärerin so viel? Wen hat Maria geboren? Nun, eben Gott. Wenn man dagegen sagt, Maria sei bloß Christusgebärerin, dann muß man erst klären, wer Christus ist, und er ist eben für die Ungläubigen und Abgefallenen lediglich ein Bußprophet, der Sohn des Zimmermanns. Wer dagegen bekennt: Maria ist Gottesgebärerin, der bekennt einschlußweise die Gottheit ihres Sohnes.
Da sieht man, wie wichtig auch die Terminologie ist, und wie gefährlich es ist, auch nur einen Stein aus dem gesamten Gebäude der heiligen Religion herauszubrechen. Es besteht die Gefahr, daß dann das ganze Gebäude zusammenstürzt – und der Fall ist groß! „Du hast es geboten, o Gott, und so ist es, daß seine Strafe sich selbst ist jeder ungeordnete Geist.“
Was für die Kirche als Glaubensgemeinschaft gilt, das hat auch Berechtigung für den Einzelnen. Auch der einzelne Christ, der meint, in seinem Glauben Konzessionen machen zu können, der meinetwegen die Jungfrauengeburt fallen läßt, der rührt an das Glaubensganze. Es fängt mit scheinbar – mit scheinbar! – unauffälligen und unbedeutenden Abstrichen an und endet beim völligen Zusammenbruch.
In den Buchhandlungen ist jetzt ein Buch ausgestellt von Horst Herrmann: „Kirchenaustritte – ja oder nein? Argumente für Unentschlossene.“ Wer ist dieser Horst Herrmann? Horst Herrmann war und ist katholischer Priester. Er war Professor der katholischen Theologie an der Universität in Münster. Aber Horst Herrmann hat nicht nur das Priestertum und den katholischen Glauben aufgegeben, sondern er ist in die Rotte der Verfolger und der erbitterten Feinde des Christentums und vor allem der katholischen Kirche übergegangen. Und mit fieberhafter Aktivität arbeitet er daran, andere in seinen Abfall hineinzuziehen. An ihm erfüllt sich das Wort, das einmal ein biederer Handwerksmeister im Jahre 1931 an seinen Sohn schrieb: „Der Katholik, der seinen Glauben verliert, findet seine Ruhe nicht.“ Der das schrieb, war der Vater von Joseph Goebbels. Der Katholik, der seinen Glauben verliert, findet seine Ruhe nicht! Er ist vielmehr von einer furchtbaren Unruhe erfüllt und sucht andere in seine Unruhe und in seine Unseligkeit hineinzuziehen. „Du hast es geboten, o Gott, und so ist es, daß seine Strafe sich selbst ist jeder ungeordnete Geist.“
Schließlich trifft dieses Wort auch zu auf das Verhalten zu den Sittengeboten, zu den Normen der Sittlichkeit. Auch hier trägt jede Verfehlung schon den Unsegen in sich. Der Teufel versucht uns zwar vorzugaukeln, daß die Übertretung der Gebote Gottes Gewinn versprechen könne, aber noch immer hat sich erfüllt, was in meisterhafter Weise im ersten Buch der Heiligen Schrift geschrieben steht, als die ersten Menschen die Sünde getan hatten. „Da gingen ihnen die Augen auf und sie erkannten, daß sie nackt waren. Sie flohen vor Gott und verbargen sich vor ihm.“ Wahrhaftig, für die Sünde gilt in gesteigertem Maße das Wort: „Du hast es geboten, o Gott, und so ist es, daß seine Strafe sich selbst ist jeder ungeordnete Geist.“
Natürlich muß nicht sofort und greifbar und sichtbar die Strafe der Sünde auf dem Fuße folgen. Die Heilige Schrift spricht ja im Buche der Weisheit selbst von einem, der gesagt hat: „Ich habe gesündigt, und was ist mir geschehen?“ Er meinte, nichts ist mir geschehen. O, sagt die heilige Schrift, warte nur, Gott ist geduldig. Er gibt dir Zeit zur Bekehrung. Aber einmal wirst du die Strafe deiner Sünde empfangen; auch hier wird sich das Wort erfüllen: „Du hast es geboten, o Gott, und so ist es, daß seine Strafe sich selbst ist jeder ungeordnete Geist.“
Manchmal wird diese Erfahrung uns in besonderer Weise drastisch vor Augen geführt. Vor einiger Zeit war in der Presse ein Bericht über einen Prozeß zu lesen. Eine Frau klagte von der Witwe eines reichen Mannes eine Million Mark ein. Wie kam sie dazu? Der reiche Mann hatte zu Lebzeiten eine Schiffsreise unternommen. Auf der Schiffsreise lernte er eine bezaubende Frau kennen. Er warb um sie, sie wies ihn ab; er drang auf sie ein, er lag vor ihr auf den Knien. Schließlich, als er ihr versprach, sich scheiden zu lassen und sie zu heiraten, gab sie sich ihm hin. In der Folgezeit trafen sich die beiden gelegentlich in Hotels. Die Frau drängte auf die Erfüllung seines Versprechens. die Scheidung, der Mann widerstrebte, er zögerte, er suchte Ausflüchte, aber sie ließ nicht locker. Schließlich in die Enge getrieben, nahm er sich die Sache so zu Herzen, daß er an einem Herzinfarkt verstarb. Jetzt drängte die Frau auf eine Entschädigung von der Witwe dieses Mannes, der ihr die Ehe versprochen hatte. „Du hast es befohlen, o Gott, und so ist es, daß seine Strafe sich selbst ist jeder ungeordnete Geist.“
An jedem Sonntag, meine lieben Freunde, nehme ich das Gebetbuch des Priesters, das Brevier, mit besonderer Freude zu Hand; denn am Sonntag läßt uns die Kirche den längsten Psalm von allen 150 Psalmen beten. Das ist der Psalm 118. In diesem Psalm ist hundertemal die Rede davon, wie hilfreich, wie erleuchtend, wie erquickend Gottes Gebote sind. Und das sagt uns die Kirche an jedem Sonntag, damit wir uns hineinleben in die Welt der Normen Gottes, diese herrliche Welt, die uns schützt, bewahrt, trägt und leitet.
Auch wir wollen uns diese Sicht zu eigen machen. Wir wollen den Geboten Gottes in der Schöpfung und im Geistesleben, in der Natur und im Glauben Gehorsam schenken. Wir wollen uns nicht abbringen lassen. Wir wollen auch nicht im Kleinen Konzessionen machen, sondern ganz und ungebrochen uns in die Ordnung Gottes einfügen und mit dem Psalm 118 beten: „Inclina cor meum in mandata tua“ – Neige mein Herz zu deinen Geboten!
Amen.