Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Kommt, laßt uns Gott anbeten (Teil 5)

1. Dezember 1991

Der Eid als Gottesverehrung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Bevor ein Bischof in Mainz sein Amt übernimmt, muß er in der Staaskanzlei von Rheinland-Pfalz und von Hessen erscheinen und dort den folgenden Eid vor den beiden Ministerpräsidenten von Rheinland-Pfalz und Hessen ablegen: „Vor Gott und auf die heiligen Evangelien schwöre und verspreche ich, so wie es einem Bischof geziemt, der Bundesrepublik Deutschland und den Ländern Rheinland-Pfalz und Hessen Treue. Ich schwöre und verspreche, die verfassungsmäßig gebildete Regierung zu achten und von meinem Klerus achten zu lassen. In der pflichtmäßigen Sorge um das Wohl und das Interesse des deutschen Staatswesens werde ich in der Ausübung des mir übertragenen geistlichen Amtes jeden Schaden zu verhüten trachten, der es bedrohen könnte.“ Das ist der in den deutschen Konkordaten vorgesehene Treueid des Bischofs. Und dieser Treueid, den jeder deutsche Diözesanbischof ablegen muß, soll uns Anlaß sein, über jene Form der Gottesverehrung nachzudenken, die wir den Eid nennen.

Was ist der Eid? Der Eid ist die Anrufung des Namens Gottes als Zeugen der Wahrheit einer Aussage oder einer Zusage. Der Eid ist deswegen eine Form der Gottesverehrung, weil im Eide Gott ernstgenommen wird. Denn der Eid kann nur von jemandem in religiöser Form geleistet werden, der an Gottes Allwissenheit, an Gottes Allmacht und an Gottes Gerechtigkeit glaubt; er ruft ja Gott als Zeugen der Wahrheit an. Der Gedanke ist dabei, Gott weiß, was im Herzen des Schwörenden vor sich geht, und er kann einen, der falsch schwört, entsprechend strafen. Gott kann offenbar machen, ob er wahr oder falsch geschworen hat. Deswegen ist der Eid eine Weise der Gottesverehrung. Wer schwört, wer richtig schwört, nimmt Gott als den Allwissenden, als den Allmächtigen und als den Allgerechten ernst.

Wir unterscheiden zwei Arten des Eides, nämlich den Aussageeid und den Zusageeid. Der Aussageeid wird zum Beispiel vor Gericht geleistet. Der Zusageeid oder Versprechenseid wird von den Amtsträgern geleistet, soll von den Amtsträgern geleistet werden. Am 1. März 1989 hat der Heilige Vater für alle Amtsträger der katholischen Kirche einen solchen Versprechenseid vorgeschrieben. Dieser Versprechenseid ist in Deutschland noch nicht einmal übersetzt, geschweige denn eingeführt.

Der Eid rechtfertigt sich aus der Notwendigkeit, in der menschlichen Gesellschaft Gewißheit zu haben. Wir können den Menschen nicht ins Herz schauen, und wir wissen auch nicht, wie seine Zukunft aussieht. Da soll der Eid die notwendige Gewißheit erbringen. In der eidlichen Aussage und in der eidlichen Zusage ist eine solche Feierlichkeit, ein solcher Ernst, eine solche Ehrfurcht enthalten, daß man annehmen kann, wer sich dazu herläßt, der spricht die Wahrheit, der spricht die Wahrheit für die Gegenwart, und der spricht die Wahrheit für die Zukunft. Also die Bedürfnisse der menschlichen Gesellschaft machen es notwendig, vom Eide Gebrauch zu machen.

Nun gibt es Einwände gegen den Eid. Die hat es eigentlich immer gegeben. Sekten wie die Mennoniten und einzelne Kirchenväter haben den Eid abgelehnt, damals gewöhnlich wegen der Verknüpfung mit dem heidnischen Götzenwesen, wo der Eid sehr häufig war. Aber es gibt auch ein Wort des Herrn in der Bergpredigt, und das lautet: „Wiederum habt ihr gehört, daß zu den Alten gesagt worden ist: Du sollst nicht falsch schwören, sondern du sollst dem Herrn halten, was du geschworen hast. Ich aber sage euch: Ihr sollt überhaupt nicht schwören, weder bei dem Himmel, weil er der Thron Gottes ist, noch bei der Erde, weil sie der Schemel seiner Füße ist, noch bei Jerusalem, weil es die Stadt des großen Königs ist. Auch bei deinem Haupte sollst du nicht schwören, weil du nicht ein einziges Haar weiß oder schwarz machen kannst. Euer Ja sei vielmehr ein Ja, euer Nein ein Nein. Was darüber ist, das ist vom Bösen.“ Hier hat sich also der Herr eindeutig gegen das Schwören gewandt. Aber die Kirche hat diese Worte immer so verstanden, daß unter den Christen eine solche Aufrichtigkeit herrschen soll, daß das Schwören überflüssig ist. Sie hat dieses Wort des Herrn nie so verstanden, daß der Herr absolut und in jedem Falle den Eid verbietet, sondern daß er mit diesen Worten die Pflicht unbedingter Wahrhaftigkeit einschärfen wollte. Ihr sollt so wahrhaftig sein, daß es nicht notwendig ist, zu den Mitteln des Eides Zuflucht zu nehmen. Aber leider Gottes ist diese Wahrhaftigkeit, auch unter Christen, nicht in dem erforderlichen Maße vorhanden. Deswegen hat die Kirche nie gezögert, von dem Mittel des Eides Gebrauch zu machen. Die Kirche stellt sich hierbei nicht über die Schrift, sondern die Kirche sagt uns, wie die Schrift zu verstehen ist. Sie sagt uns auch, wie dieses Wort des Heilandes zu verstehen ist, und zwar: Der Herr schärft die Pflicht unbedingter Wahrhaftigkeit ein, und diese unbedingte Wahrhaftigkeit soll den Eid unnötig machen.

Die Kirche wendet den Eid nur an, wenn es unbedingt notwendig ist. Man soll den Eid nicht häufig und leichthin auferlegen, sondern nur, wo es für das Gesamtwohl der Kirche erforderlich scheint. So hat zum Beispiel der heilige Papst Pius X. im Jahre 1910 den Antimodernisteneid allen Geistlichen vorgeschrieben. In dem Antimodernisteneid mußten die Geistlichen beschwören, daß sie den falschen Lehren der Modernisten nicht anhängen, daß sie also zum Beispiel nicht die Meinung vertreten, in der Bibel würden Märchen erzählt, und Jesus sei bloß dem Geiste nach auferstanden und nicht nach dem Fleische. Leider Gottes ist dieser Antimodernisteneid von Papst Paul VI. abgeschafft worden, obwohl er heute vielleicht genauso nötig wäre wie damals. Aber aus diesem Beispiel erkennt man, die Kirche wendet den Eid nur an, wenn es ihr um des Gemeinwohles willen unerläßlich scheint.

Die Verpflichtung des Eides ist zu unterscheiden, je nachdem, ob es sich um einen Aussage- oder einen Versprechenseid handelt. Wenn ich einen Aussageeid leiste, dann bekräftige ich mit dem Eid, daß meine Worte wahr sind, daß meine Aussagen zutreffen. Wenn ich einen Versprechenseid leiste, dann erkläre ich, daß ich eine bestimmte Pflicht auf mich nehmen und in Zukunft erfüllen will. Ein solcher Versprechenseid ist der erwähnte Treueid des Bischofs.

Der Eid muß immer unter bestimmten Voraussetzungen geleistet werden, und das sind drei. Er muß in Wahrheit, in Gerechtigkeit und mit Überlegung geleistet werden. Der Eid muß in Wahrheit geleistet werden, das bedeutet, man muß sich vor jeder Lüge, vor jeder Zweispältigkeit, vor jeder Hinterhältigkeit bei der Eidesleistung hüten. Man muß die Worte so nehmen, wie sie dastehen und wie sie von dem gemeint sind, dem der Eid geleistet wird. Im Jahre 1535 saß im englischen Staatsgefängnis des Tower der Kanzler Thomas Morus. Seit 13 Monaten war er eingesperrt und wartete auf die Vollstreckung seines Todesurteils, weil er den Kampf des Königs gegen die Kirche nicht billigen konnte. Da kamen seine Freunde und sagten: Du kannst doch den Eid leisten. Du mußt ihn so fassen, daß er unschädlich ist. Du mußt sagen: Ich schwöre, die Bestimmungen meines Herrn und Königs zu halten, und dabei mußt du an den höchsten Herrn und König denken, an Gott und nicht an den König Heinrich VIII. von England. Das war der listige Vorschlag seiner Freunde; er sollte bei der Eidesleistung etwas anderes denken, als er sagte. Thomas Morus wies diesen Vorschlag entrüstet zurück. „Ich muß den Eid leisten, den man von mir verlangt“, sagte er, „und nicht, was ich bei mir selbst denke. Ich werde weder mich noch andere betrügen.“ Er hat den Eid nicht geleistet, weil er seinem Gewissen widersprach, und ist dann hingerichtet worden. Er hat gewußt, daß der Eid in Wahrheit geleistet werden muß.

Er muß zweitens in Gerechtigkeit geleistet werden. Das heißt, was man aussagt oder verspricht, das muß sittlich einwandfrei sein. Es darf nichts Schlechtes, nichts Böses sein. Wenn ich jemanden verleumdet habe, dann kann ich die Verleumdung nicht mit einem Eid bekräftigen, das würde zu der ersten Sünde eine zweite fügen. Oder wenn ich vorhabe, jemanden umzubringen, dann darf ich diesen Vorsatz nicht mit einem Eid bestätigen und bekräftigen. Es waren einmal zwei Brüder, und die waren verfeindet. Ein Freund bemühte sich, die Brüder zu versöhnen. Der eine war dazu bereit, aber der andere nicht. Er sagte dem Freund: „Ich habe geschworen, ich werde ihm nie verzeihen, und diesen Schwur breche ich nicht.“ Da sagte ihm der Freund: „Was du geschworen hast, ist eine Sünde und ungültig. Du hast geschworen: Siehe, Gott, ich will dein Gebot übertreten und dem Gesetze deines Feindes, des Teufels, gehorchen. Das hast du geschworen.“ Diese Worte nahm sich der Bruder zu Herzen und ließ ab von seinem Schwur, denn dieser Schwur war ungültig. Er hatte nicht in Gerechtigkeit geschworen.

Das dritte Erfordernis schließlich ist die Überlegung. Einen Eid muß man mit voller Erkenntnis und klarer Einsicht leisten. Wem das fehlt, Unmündigen, Betrunkenen, Drogenabhängigen, die können keinen Eid leisten. Ein solcher Eid wäre nicht gültig. Es muß ein judicium, eine Urteilskraft, eine Urteilsfähigkeit da sein. Was man geschworen hat, muß man halten. Es gibt freilich Fälle, in denen sich der Gegenstand des Eides ändert. Ja, es gibt Fälle, in denen der Gegenstand des Eides schlecht wird. Wenn man jemandem einen Treueid geschworen hat, der seine Macht benutzt, um sein Land und sein Volk zugrunde zu richten, dann verliert der Eid seine Kraft, denn der Eid gilt natürlich dem Aufbau der Volksgemeinschaft und dem Nutzen der Nation. Das waren die Überlegungen der Männer vom 20. Juli 1944. Sie rangen mit Gott und mit sich selbst, denn sie hatten den Fahneneid geschworen, den Treueid auf das Staatsoberhaupt. Aber sie waren jetzt zu der richtigen Ansicht gekommen, daß dieses Staatsoberhaupt Volk und Land und ganz Europa ins Unglück führt, daß er Volk und Land unermeßlich schädigt. Und so haben sie sich durchgerungen zu der Überzeugung, daß der Treueid nicht mehr bindend sein könne.

Wenn man freilich eine rechten Eid nicht hält, dann begeht man Eidbruch oder Meineid, und Eidbruch und Meineid sind schwere Verfehlungen, nicht nur gegen die Menschen, sondern auch gegen Gott. Man ruft ihn zum Zeugen an und macht ihn dann zum Zeugen eines falschen Herzens. Dem deutschen König Heinrich IV. wurde im Jahre 1077 ein Gegenkönig entgegenstellt, Rudolf von Schwaben. Es kam zum Kampfe und zur Schlacht bei Merseburg zwischen den beiden Königen und ihren Heeren, und in dieser Schlacht im Jahre 1080 schlug Gottfried von Bouillon, der auf der Seite Heinrichs IV. kämpfte, dem Gegenkönig die rechte Hand ab. Der Gegenkönig soll die rechte Hand betrachtet und gesprochen haben: „Das ist die Strafe dafür, daß ich meinem König den Eid nicht gehalten habe.“

Wir,  meine lieben Freunde, wollen diese Form der Gottesverehrung, die der Eid darstellt, hochhalten, wollen darin eine Möglichkeit erblicken, wie die unerläßliche Gewißheit unter Menschen hergestellt werden kann, wollen glauben, daß Gott, der Rächer des Unrechts und der Allwissende, der die Herzen durchschaut und die Nieren prüft, diejenigen, welche einen falschen Eid leisten, zu erreichen weiß, wenn sie nicht vorher umkehren, wozu wir ihnen die Gnade erbitten wollen.

Amen.

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