Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Jesus, unser Gott und Heiland (Teil 11)

7. Juli 1991

Die Selbstaussagen Jesu

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Ein Sprichwort des Volkes sagt: „Wie man glaubt, so lebt man.“ Wir wissen, daß dieses Sprichwort die Wahrheit sagt. Das Leben, das Verhalten gegen sich selbst und den Nächsten, die Verantwortung, die man trägt für sich selbst und die Welt, haben ihre Wurzel im Glauben, oder sie haben eben keine Wurzel. „Wie man glaubt, so lebt man.“ Hat man einen starken und festen und lebendigen Glauben, dann wird sich das unweigerlich auch im Leben zeigen. Da wird man fähig sein, viel für unseren Gott und Heiland zu tun. Hat man einen schwachen, einen kläglichen, einen dahinsiechenden Glauben, dann wird man nicht imstande sein, die Gebote zu halten; dann wird man nicht willens sein, sie zu halten, weil man nicht überzeugt ist davon, daß der Wille Gottes sich in diesen Geboten ausspricht und daß die Kirche recht hat, wenn sie auf Anruf diese Gebote verkündet. Aus dieser Überlegung, meine lieben Christen, erklärt es sich, daß wir seit vielen Sonntagen versuchen, unseren Glauben aufzuerbauen, und zwar den Glauben an das Zentraldogma des Christentums, nämlich den Glauben an Jesus, den Herrn und Messias. Wir wollen ihn heute fragen: Was sagst du von dir selbst? Was sagst du selbst, wer du bist?

Das Selbstbewußtsein eines Menschen sagt etwas aus über seine Person. Entweder trifft dieses Selbstbewußtsein mit der Wirklichkeit seiner Person zusammen, und dann ist es geboten, daß wir diese Selbstaussage annehmen, oder es beruht auf einem Irrtum oder auf Täuschung, dann ist es abzulehnen. Jesus hat sich selbst als den Heilbringer, als den Messias und den Menschensohn und den Gottessohn bezeichnet. Diese Selbstbezeichnungen sind im Evangelium mit Treue und Gewissenhaftigkeit überliefert. Wir wollen fragen: Wie sind sie zu verstehen? Auf welchem Hintergrund müssen sie gesehen werden? Welches waren die Messiasvorstellungen jener Zeit? Jesus hat ja in eine bestimmte geschichtliche Stunde hineingesprochen, und er mußte natürlich so reden, daß er verstanden wurde. Er mußte seine Worte so wählen, daß keine falschen Vorstellungen von seiner Messiaswürde aufkamen. Denn wir werden gleich sehen, daß in der Umwelt Jesu eine Menge verschiedenartiger Vorstellungen über den Heilbringer lebendig war.

Schon in der Urzeit der Menschheit hat Gott einen solchen Heilbringer angekündigt. Schon nach dem Verlust des Paradieses infolge des Sündenfalls erging das Proto-Evangelium, die erste Frohbotschaft, worin ein solcher Heilbringer vorhergesagt wurde. Diese Verheißung wurde erneuert bei den Patriarchen. In der Königszeit nahm diese Vorstellung Züge des davidischen Königtums an, also der Heilbringer wurde verknüpft mit dem Königtum Davids. Besonders ausgeprägt ist die Gestalt des Heilbringers bei den Propheten. Unter ihnen ragt hervor der Evangelist unter den Propheten, der Prophet Isaias. Er spricht von einem Reis, also von einem Sproß, aus der Wurzel Isais. Isai ist das Geschlecht Davids. Ein Reis aus der Wurzel Isais, das hervorsprossen wird, ein Licht der Heiden, ein Heil für Israel. Dieser Heilbringer wird aber gleichzeitig vom Propheten Isaias geschildert als ein Knecht Gottes, der verwundet ist und mißhandelt wird wegen der Missetaten seines Volkes, einer, der stellvertretend für andere die Leiden trägt, voll Striemen und Beulen und frischen Wunden. Die Gestalt dieses Gottesknechtes ist nie mehr ganz vergessen worden im israelitischen Volke.

Im Buche Daniel ist dann die Rede von einem Menschensohn. Die Weltreiche werden abgelöst vom Gottesreich, und das Gottesreich wird heraufgeführt und dargestellt durch einen, der wie ein Menschensohn aussieht, aber Präexistenz besitzt, der also nicht aus der Erde kommt, sondern vom Himmel stammt. Entsprechend waren dann die Messiasvorstellungen in der Zeit Jesu. Da war die Gruppe der Sikarier, der Zeloten. Das waren entschlossene Männer, die durch Kampf und Krieg gegen die Römer das Gottesreich herbeiführen wollten. Sie haben zum Aufstand aufgerufen; und immer wieder haben sich Juden bereitgefunden, an diesen Aufständen teilzunehmen. Man rechnet vom Jahre 60 v.Chr. bis 70 n.Chr. mit 200.000 Menschen, die bei den Aufständen getötet wurden. Eine andere Gruppe waren die Pharisäer, die wir ja aus dem Evangelium kennen. Das waren strenge Männer, die es mit dem Willen Gottes genau nahmen. Aber es waren auch bornierte Männer, die einen Zaun um das Gesetz errichtet hatten durch menschliche Auslegung, durch Kasuistik, die an die Stelle der Theokratie, also der Gottesherrschaft, die Nomokratie gesetzt hatten, die Gesetzesherrschaft. Das Gesetz war also das ein und alles, und über dem peinlich genauen Beobachten des Gesetzes übersahen sie nicht selten den wahren Willen Gottes. Aber auch sie warteten auf den Messias, und er war ihnen eben derjenige, der die Herrschaft des Gesetzes herstellen werde. Er ist der Diener, der Vollstrecker des Gesetzes, aber nicht der Herr des Gesetzes.

Dann gab es die Gruppe der Sadduzäer. Das waren Freigeister, aufgeklärte Leute, die mit den Freidenkern unserer Zeit gewisse Züge gemeinsam haben. Sie paßten sich der Umgebung an, sie stellten sich auf den Boden der Tatsachen und haben als die Reichen und die Wohlhabenden, die sie waren, dem Landesfeind ihren Tribut gezollt. Sie wollten eben leben und überleben und gut leben.

Und schließlich gab es natürlich auch noch die Stillen im Lande, die Frommen, die auf die Gottesherrschaft warteten. Sie waren überzeugt, daß eine Gnadenzeit kommen wird, in der der Gehorsam gegen Gott wieder hergestellt wird, ein neuer Äon, der nicht nur Heil für Israel, sondern für die ganze Welt bringt. Und diese kleinen Kreise – es waren nur wenige, die so dachten – waren es offenbar, aus denen der Herr zuerst seine Anhänger gewinnen konnte.

Er ist nun aufgetreten mit einem Selbstbewußtsein, wie es kein Mensch vor ihm und keiner nach ihm gehabt hat. Wenn der Herr vor die Menschen tritt, dann sagt er nicht: Ich bin ein Lehrer, der alles selbst erdachte und daraus seine Weisheit schöpft, sondern er sagt immer: „Ich bin gekommen. Ich bin ausgesandt.“ Diese Aussagen deuten darauf hin, daß der Herr seinen Hörern nicht eine menschliche Erfindung darbietet, sondern was er gehört hat aus dem Munde Gottes. Im Johannesevangelium ist die Selbstbezeichnung „der mich gesandt hat“ fünfundzwanzig Mal vorhanden.  Sie ist geradezu eine Charakteristik seiner Persönlichkeit – „der mich gesandt hat.“ Zum Beispiel heißt es an einer Stelle: „Das aber ist der Wille dessen, der mich gesandt hat, daß ich nichts von allem, was er mir gegeben hat, verlorengehen lasse, sondern es auferwecke am Jüngsten Tag.“ Der mich gesandt hat! Oder an einer anderen Stelle: „Ich bin von Gott ausgegangen und gekommen. Ich bin nämlich nicht von mir selbst gekommen, sondern er hat mich gesandt.“ Jesus leitet seine ganze Existenz, den Inhalt seines Lebens und seinen Auftrag von dem Vater ab, der ihn gesandt hat. Und so an einer dritten Stelle: „Ich habe nicht aus mir selbst geredet, sondern der Vater, der mich gesandt hat, hat mir geboten, daß ich reden und verkünden soll.“ Es steht also fest: Jesus hat sich bei seinem Auftrag und bei seiner Sendung auf einen anderen berufen. Sie sind ihm zuteil geworden in der Welt Gottes. Er hat eine Existenz gehabt, bevor er auf Erden erschienen ist. Er ist der Präexistente, d.h. derjenige, der nicht nur ein irdisches, sondern ein jenseitiges, ein himmlisches Leben hat. Und das ist nicht nur im Johannesevangelium ausgesagt. Das findet sich ähnlich auch in den drei anderen Evangelien, also bei Matthäus, Markus und Lukas. Auch da heißt es fortwährend: „Ich bin gekommen“, „ich bin gesandt“. „Ich bin nicht gekommen, Gerechte zu berufen, sondern Sünder.“ „Ich bin gekommen, ein Feuer auf die Erde zu werfen, und was will ich anderes, als daß es brenne?“ „Ich bin gekommen, nicht um mich bedienen zu lassen, sondern zu dienen und mein Leben hinzugeben als Lösegeld für die vielen.“ Ich bin gekommen, ich bin ausgesandt. Damit deutet der Herr an, daß er vom himmlischen Vater in diese Welt gesandt ist. Dieser Sendung von oben entspricht sein ganzes Verhalten. Er tritt auf wie einer, der Macht hat. Da staunen die Volksmassen und wundern sich. „Er spricht nicht wie die Pharisäer“, sagen sie, „er redet wie einer, der Macht hat“, der also nicht ein Diener des Wortes ist, sondern ein Herr des Wortes, nicht ein Knecht des Gesetzes, sondern ein Herr des Gesetzes.

Wegen seiner überirdischen Herkunft ist er ein Fremdling auf dieser Erde. „Die Füchse haben Höhlen, und die Vögel des Himmels haben Nester, aber der Menschensohn (also er selbst) hat nichts, wohin er sein Haupt legen könnte.“ Das bedeutet nicht, daß er keine Schlafstätte gehabt hätte. Natürlich hat er eine gehabt, selbstverständlich hat er sich am Abend zur Ruhe niedergelegt. Nein, das bedeutet seine Heimatlosigkeit auf dieser Erde. Weil er himmlischen Ursprungs ist, ist seine Heimat im Himmel, und deswegen hat er Distanz von dieser Welt, ist er fremd in dieser Welt. Und dieses ganze Leben wird vom Stundenschlag des Vaters bestimmt. Nicht er lenkt sein Leben, sondern der Vater im Himmel gebietet, welche Wege er zu gehen hat. Ob er sich auf den Fluren von Galiläa bewegt, ob er am See Genesareth predigt, ob er am Ölberg von Angst überfallen wird, immer steht hinter seinem Leben der Wille des Vaters. „Es ist meine Speise“, so sagt er einmal, „den Willen dessen zu tun, der mich gesandt hat.“ Vom Stundenschlag des Vaters ist dieses Leben bestimmt.

Wir wollen am nächsten Sonntag sehen, wie die Selbstbezeichnungen Jesu sich in das Messiasbild, das vom Alten Testament überkommen und in seiner Umgebung lebendig war, unterscheidet, wie es daran anknüpft und welches sein voller Inhalt ist.

Amen.

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