Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Gebote Gottes (Teil 11)

14. September 1986

Der Wert und die Bedeutung der Arbeit

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Das 3. Gebot Gottes befiehlt uns, den Sonntag zu heiligen. Eng mit ihm verbunden, ja gar nicht zu erklären ist dieses Gebot, wenn man nicht von der Arbeit spricht. Denn der nächste Satz im Buche Exodus lautet gleich: „Sechs Tage sollst du arbeiten!“ Gott hat das Gebot der Arbeit gegeben. Dieses Gebot ist so alt wie der Mensch. Das Tier sammelt aus Instinkt, der Mensch arbeitet, planmäßig, zielbewußt. Schon im Anfang, im Paradies, hat der Mensch gearbeitet. Das Paradies war kein Schlaraffenland wie im Märchen, denn es heißt: „Gott setzte den Menschen in den Garten Eden, daß er ihn bewache und bearbeite.“ Die Arbeit des Menschen, der mit Gott und der Welt im Einklang war, war freilich eine Lust. Sie war eine Freude, ein Vergnügen für den Menschen. Ja, sie war, wenn man so sagen will, eine Erholung.

Seit der Sünde ist die Arbeit eine Mühe. Seit der Sünde ist zu der Arbeit die Erfolglosigkeit, der Schweiß, die Plackerei gekommen. Seit der Sünde, seit dem Sündenfall heißt es: „Im Schweiße deines Angesichtes sollst du dein Brot essen.“ Also es ist wohl zu unterscheiden: die Pflicht zur Arbeit, die dem Menschen kraft seines Menschseins zukommt, und die Mühsal der Arbeit, die aus der Sünde, aus der Ur- und Erbsünde stammt.

Christus hat die Arbeit zudem erhoben und geheiligt, weil er selbst arbeiten wollte. Sein ganzes Leben war Arbeit, zuerst körperliche, dann geistige Arbeit, aber gearbeitet hat er zeit seines Lebens. Damit hat er eine Lehre gegeben, die angesichts der Zeitverhältnisse sehr angebracht war. Denn die herrschenden Schichten von damals hielten es unter ihrer Würde, zu arbeiten. Die ermüdende, die körperliche Arbeit war in der Welt des Hellenismus den Sklaven überlassen. Der freie Mann arbeitete nicht in diesem Sinne, er beschäftigte sich mit Politik, mit der Leitung des Staatswesens. Christus hat auch die körperliche Arbeit erhoben und geheiligt. Als Sohn eines Handwerkers – Bauhandwerkers vermutlich – wurde er angesehen, und er hat jahrzehntelang bei seinem Pflegevater gearbeitet und dann in seiner öffentlichen Wirksamkeit die Tätigkeit gewechselt, aber nicht aufgegeben. So haben es ihm viele, viele nachgemacht. Paulus war bekanntlich nicht nur ein großer Theologe, sondern hat auch ein Handwerk gelernt. Er war Zeltmacher, und er hat dieses Handwerk ausgeübt, um niemandem zur Last zu fallen. Wir wissen von großen Heiligen, die körperlich gearbeitet haben. Der heilige Bischof Hilarius von Poitiers arbeitete auf dem Felde, und der weise Mönchsvater Benedikt hat seinen Mönchen nicht nur geistige Tätigkeit, sondern auch körperliche Arbeit verordnet.

Ich war einmal als Theologiestudent in dem Benediktinerkloster Schäftlarn bei München. Ich habe dort erlebt, wie die älteren Patres, die teilweise schon im Pensionsalter waren, nicht nur in der Schule tätig waren – das Kloster unterhält ja ein Gymnasium –, sondern auch im Garten und auf dem Feld sich nützlich machten, eingedenk der Weisungen ihres Mönchsvaters Benedikt. Kaiser Joseph II. von Österreich führte den Pflug in Raubnitz bei Mähren. König Ludwig XVI. von Frankreich war ein tüchtiger Schlosser. Und die Hohenzollern hatten ein Hausgesetz, wonach jedes Mitglied ein Handwerk lernen mußte.

Alle diese Beispiele weisen darauf hin, welchen hohen Wert die Arbeit, auch und gerade die körperliche Arbeit, besitzt. Die Arbeit ist eine Pflicht. Sie ist eine Pflicht vor allem, wenn sie Berufsarbeit ist. Es gibt in der Welt verschiedene Stände. Das Wort „Stand“ kommt von „stehen“ und hängt zusammen mit „beständig“. Ein Stand ist eben eine Verfassung des Lebens, in der man ständig tätig ist. Die Stände sind von Gott geschaffen oder wenigstens angelegt, denn aus den Notwendigkeiten und Bedürfnissen der Gesellschaft ergeben sich der Nährstand und der Wehrstand und der Lehrstand, um nur einige dieser Stände zu nennen.

Eng mit dem Stand verbunden ist der Beruf. Beruf hängt mit „Berufung“ zusammen. Man soll möglichst einen Beruf wählen, zu dem man sich berufen fühlt. Freilich ist das nicht ein bloßes, unsicheres Meinen, die Berufung, sondern sie ist ein klares Erkennen. Berufung hat immer zwei Merkmale, nämlich Eignung und Neigung. Man muß körperlich und seelisch für den Beruf geeignet sein, also die Fähigkeiten dazu besitzen. Und man muß Neigung verspüren, also ein Hingezogensein, einen Drang, diesen Beruf zu übernehmen und auszuüben. Wenn man dann diesen Beruf erwählt hat, ist die Berufsarbeit das Wichtigste im ganzen Leben. In der Berufsarbeit wirkt man oder verspielt man sein Heil.

Bei Seligsprechungsprozessen lautet eine der ersten Fragen immer: Wie hat der oder die Selige ihren Beruf ausgeübt? Denn die Berufsarbeit ist uns von Gott aufgetragen. Sie ist Gott wohlgefällig, und es gibt kein schlimmeres Sich-Verfehlen, als wenn man meint, man müsse die Berufsarbeit zugunsten von Frömmigkeitsübungen geringschätzen oder aufgeben. Nein, eher muß man Frömmigkeitsübungen aufgeben als die Berufsarbeit. Erst kommt der Beruf, erst kommt das, wozu Gott uns gerufen hat, erst kommt die Arbeit im Dienste des Nächsten, und dann kommen die Frömmigkeitsübungen. Wir verfehlen unser Leben, wenn wir unsere Berufsarbeit nicht ernst nehmen, wenn wir uns nicht auszeichnen in unserem Beruf.

Diese Arbeit sollen wir verrichten in der Gesinnung des Dienstes an Gott und dem Nächsten. Wir sollen vor der Arbeit und bei der Arbeit und nach der Arbeit zu Gott unseren Blick erheben. Vor der Arbeit, indem wir die gute Meinung erwecken. Es gibt so schöne Gebete, um die gute Meinung hervorzurufen. „O Gott, komm meinem Handeln mit deinen Eingebungen zuvor und begleite es mit deiner Hilfe, damit all mein Reden und Tun stets von dir seinen Ausgang nehme und durch dich seine Vollendung finde!“ Wie schön, dieses Gebet zur Erweckung der guten Meinung! Während der Arbeit sollen wir immer wieder aufschauen zu Gott und unsere gute Meinung erneuern. „Alles meinem Gott zu Ehren!“ Indem wir Stoßgebete sprechen, indem wir die Hilfe Gottes anrufen. „O Gott, komm mir zu Hilfe! Herr, eile, mir zu helfen!“ Wenn der Priester sein Morgengebet im Brevier betet, da kommt eine Anrufung vor, die dreimal gesprochen wird: „O Gott, komm mir zu Hilfe! Herr, eile, mir zu helfen!“ Warum denn dreimal? Das erklärt sich aus der Entstehung dieses Gebetes. Denn das Brevier kommt ja aus dem Kloster. Das Brevier ist zuerst von den Mönchen eingeführt und geschaffen worden. Und jeder dieser Mönche nahm seine Tätigkeit auf dem Feld, im Garten, in der Küche, in der Wäscherei auf mit dem Rufe: „O Gott, komm mir zu Hilfe! Herr, eile, mir zu helfen!“ Deswegen das dreifache Anrufen, auch wenn der Priester einsam für sich sein Brevier betet. So sollen wir also unsere Arbeit gleichsam durchwirken, indem wir zu Gott aufschauen. Wir sollen so arbeiten wie die Engel. Sie verrichten ihren Dienst bei den Menschen, aber sie hören nicht auf, das Antlitz Gottes zu schauen. Wir sollen es machen wie der Schiffer, der immer wieder nach dem Kompaß schaut, um den Kurs nicht zu verlieren.

Nach der Arbeit sollen wir danken, daß wir arbeiten durften, daß wir etwas schaffen und leisten durften. Es gibt wenige Gefühle, die so beglückend sind, meine lieben Freunde, wie das Gefühl getaner Arbeit, erfüllter Pficht.

Und so trägt denn auch die Arbeit ihren Lohn in sich selbst. Wer arbeitet, fühlt sich nicht überflüssig, er entbehrt der Langeweile, er ist zufrieden und heiter gestimmt. Mag die Arbeit ermüdend sein und mag sie uns den Schweiß austreiben, aber das Bewußtsein, etwas schaffen und leisten zu dürfen, gehört zu dem Beglückendsten, was der Mensch erfahren kann.

Die Arbeit wehrt auch vielen Gefahren. Der Volksmund sagt nicht umsonst: „Müßiggang ist aller Laster Anfang.“ Derjenige, der sich müde arbeitet, wird viele Gefahren, wird viele Versuchungen nicht haben, die anderen, die müßig gehen, bereitet werden. Ich habe deswegen immer auch den Theologiestudenten in der Vorlesung gesagt: „Meine Herren, lernen Sie nicht nur aus Büchern, sitzen Sie nicht nur am Schreibtisch, sondern arbeiten Sie auch körperlich!“ Und wenn das nicht möglich ist, dann wenigstens Sport treiben, auch das ist ja eine Art Arbeit. Aber es muß immer auch der Körper in die Arbeit einbezogen werden. Es erheben sich sonst Gefahren aus dem Körper.

Die Arbeit bringt irdischen Lohn. Wer arbeitet, hat etwas. Wer viel arbeitet, hat in der Regel mehr als jener, der wenig arbeitet. Der Gleichheitsgedanke kann ja übertrieben werden. Auch wenn man auf eine grüne Wiese zwei Männer setzen würde und jedem einen Spaten in die Hand gäbe, und sie sonst nichts hätten, sie also völlig gleich wären, so würde nach einer gewissen Zeit doch der eine mehr als der andere haben, weil er nämlich fleißiger und sparsamer ist. Die Gleichheit in den Chancen ist berechtigt, aber die Gleichheit in der Verteilung führt zur Ungerechtigkeit. Die Arbeitsamkeit muß ihren Lohn finden und die Faulheit ihre Strafe. Nicht umsonst zählt die Trägheit zu den Hauptsünden, denn aus der Trägheit quellen wie aus einem schmutzigen Loch viele andere Laster hervor.

So wollen wir also, meine lieben Freunde, den Sonntag heiligen. Aber wir wollen uns die Sonntagsheiligung dadurch besonders schätzenswert machen, daß wir die Woche über arbeiten, angestrengt arbeiten, etwas zu leisten versuchen, das Beste aus uns herauszuholen suchen, uns auszeichnen im Dienste Gottes.

Der große Joseph de Maistre, der französische Schriftsteller und Philosoph, hat einmal den schönen Satz geschrieben: „Wer arbeitet, ist niemals ganz unglücklich.“ Ja wahrhaftig, wenn man arbeitet, wenn man arbeiten darf, kann man vieles leicht überwinden. Die Arbeit besitzt geradezu therapeutische Bedeutung für leidgebeugte, für schmerzgeplagte Menschen.

Außerdem ist der Arbeit der himmlische Lohn verheißen. „Jeder wird seinen Lohn empfangen nach seiner Arbeit,“ sagt der Apostel Paulus. So wollen wir also, meine lieben Freunde, nicht aufhören, angestrengt zu arbeiten, wollen wirken, solange es Tag ist, und hoffen auf den Lohn, den der Herr denen verheißen hat, die in seinem Dienste sich müde arbeiten.

Amen.

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