Predigtreihe: Die Gebote Gottes (Teil 3)
9. Juli 2023
Der Name Gottes
Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.
Geliebte im Herrn!
Dürfen wir zu Gott reden? Können wir es wagen, dem unendlichen Gott gleichsam unsere Anerkennung auszusprechen, ihn gar mit Namen anzureden? Erweisen wir ihm damit eine Ehre oder tun wir ihm eine Schmach an, wenn wir seinen Namen in den Mund nehmen, wenn wir seinen Namen über uns ausrufen? Es haben schon manche sehr aufrichtige Menschen erkannt und gesagt, dass der Mensch alles herabziehe, was in seinen Bereich tritt, dass auch die erhabensten Ideen verbogen und beinahe verlogen werden, wenn er sie in die Hand oder in den Mund nimmt. Wenn wir nun gar den Namen Gottes in den Mund nehmen! Der zweite Satz des Zehntafelgesetzes lautet: Du sollst den Namen des Herrn, deines Gottes, nicht vergeblich nennen. Da ist also von Gott selbst feierlich erklärt, dass der Name des Allerhöchsten in Gefahr und Verruf gebracht wird, wenn wir ihn nennen um einer eitlen und armseligen Sache willen. Aber welche Menschensache wäre groß und würdig genug, den Namen Gottes damit in Verbindung zu bringen? Es ist doch vor seiner Herrlichkeit alles Menschliche klein, vor seiner Ewigkeit alles Zeitliche gering. So kann man verstehen, dass ein ernsthafter und gewissenhafter Mensch sich überhaupt scheut, den Namen Gottes auszusprechen und nur in allerwichtigsten Dingen und aus heiliger Absicht den zu nennen wagt, für den selbst tausend Namen, die Weisheit und Liebe ersinnen können, nur ein Stammeln und Lallen sind. Dennoch berufen wir uns auf Gott, und zwar in dreifacher Weise: auf den allwissenden Gott, auf den helfenden Gott, auf den schaffenden Gott. Wir müssen uns sogar auf ihn berufen, denn es ist die einzige Berufung, die uns möglich ist. Aber dass es in einer Weise geschehe, die des großen Gottes nicht unwürdig ist, die seinen erhabenen Namen nicht herabzieht, das muss unsere Sorge sein.
1. Wir berufen uns auf den allwissenden Gott. Allbekannt ist die feierliche Zeremonie, in der ein Mensch vor der rechtmäßigen Autorität und in wichtigen Sachen sich auf den allmächtigen Gott als Zeugen beruft. „So wahr Gott mein Zeuge ist und mein Herz durchschaut. So wahr sind meine Worte.“ Eigentlich ist es etwas Furchtbares, dass die höchsten Autoritäten auf Erden in Staat und Kirche ein Recht haben, uns so zu befragen und den allwissenden Gott gleichsam als Zeugen vorzuladen. Es ist das Äußerste, was ein religiöses Gemüt ertragen kann. Vielleicht sind wir deshalb so glücklich, dass wir nie in unserem Leben in die erschreckende Notwendigkeit kommen, in ernster Stunde Gottes Namen anrufen zu müssen zur Bekräftigung unserer Aussage. Sind wir aber darum schon aller Gefahr entrückt, Gottes des Allwissenden Namen eitel zu nennen? Wir stehen doch allezeit mit unserem ganzen äußeren und inneren Leben vor seinem alles durchforschenden Auge; er weiß alles um und in uns. Ihn machen wir ununterbrochen zum Zeugen all dessen, was uns durch Kopf und Herz und Sinn geht, machen ihn zum Zeugen all des Widerspruchs, der Feigheit und Unaufrichtigkeit, all der Unzulänglichkeit und Unlauterkeit, die sich uns überall einmischt. Was muss Gott alles sehen, wenn seine Augen über die Erde hingehen! Was müssen sie sehen, wenn sie in mein eigenes Herz hineinschauen! Wir zittern vielleicht vor jener furchtbaren Stunde, wo wir dereinst vor den Augen des ewigen Richters erscheinen werden und unser Leben vor ihm ausgebreitet sehen. Aber das geschieht doch eigentlich jeden Augenblick, immerfort ist ihm alles unterbreitet. Petrus, der Apostel, hat einst in einer sehr schweren Stunde bekannt und er hat es beinahe schluchzend getan: Herr, du weißt alles – und er konnte doch in aller Aufrichtigkeit hinzusetzen: Du weißt auch, dass ich dich liebe. Wird es uns nicht das Herz abstoßen in Scham und Schrecken, wenn wir einmal inne werden, dass wir immerfort vor dem allwissenden Gott stehen und sagen müssen: Herr, du weißt alles.
2. Wir berufen uns auf den helfenden Gott. Wir rufen ihn an als Helfer bei unseren Werken, ja wir setzen oft genug einfach voraus, dass Gott mit uns sein werde. Und hernach, wenn wir unser Werk vollendet haben, rühmen wir uns, dass Gott mit uns geschafft habe. Ja, so sollte es sein. Gott sollte mit uns sein in all unserem Tun und Lassen; wir können ja nichts Wahrhaftes und Würdiges tun ohne seine Gutheißung und seine Hilfe. Wir dürfen und sollen um seine Hilfe flehen, sollen beten: Dass du uns in deinem heiligen Dienste stärken und erhalten wollest, wir bitten dich, erhöre uns. Aber es sollte eben doch ein heiliger Dienst sein, für den wir um Gottes Hilfe rufen. Sind unsere Werke so, dass wir erwarten können, Gott werde mit uns sein? Sind sie so, dass wir dabei den Namen Gottes in den Mund nehmen, dass wir Gott in Verbindung bringen dürfen mit unseren Werken? Gott will es, sagt unser Mund, aber unser Herz oder gar unser Fleisch denkt: Ich will es. Gott will es, sagen wir, die Gerechtigkeit will es, mein Gewissen befiehlt es, meine Selbsterhaltung fordert es, meine Persönlichkeit gebietet es, meine innere Stimme, meine Freiheit verlangt es, so sagen wir. Aber in Wirklichkeit meinen wir: mein Zorn, meine Leidenschaft, meine Gekränktheit, meine Rechthaberei, meine Bequemlichkeit, meine Sinnlichkeit will es.
Wenn wir den Namen des helfenden Gottes nicht herabziehen dürfen, so können wir ihn doch über allem Großen und Schönen anrufen, das in uns ist. Und es gibt solches. Es gibt Menschen, mit denen Gott tatsächlich gewesen ist, auch heute noch. Es gibt Menschenwerke, die in Gott und mit Gott getan sind. Es gibt ein menschliches Wollen und Streben, von dem man mit Recht sagen kann: Gott will es, Gott ruft es, ja Gott braucht es. Es gibt ein Wirken und Schaffen, ein Leiden und Weinen, ein Leben und ein Sterben, an dem Gott sein Wohlgefallen hat. In unserer Welt, in unserer Zeit, in unserem Leben gibt es Werke, zu denen wir Gottes Hilfe anrufen dürfen. Ein versuchter und kämpfender Mensch darf beten: Lass mich nicht in Versuchung fallen. Jeder berufswillige Mensch darf zu seiner täglichen Arbeitsstätte gehen mit dem Morgengebet im Herzen: Lass mich dein Werk, das dir wohlgefällige Werk vollbringen. Jeder Erzieher, jeder Arzt, jeder Priester darf den Namen Gottes auf seine Lebensarbeit herabrufen: Lass mich ein Segen sein für die Menschen, die mich suchen, die auf mich vertrauen, zu denen ich gesandt bin. Alle, die in wahrhafter Liebe und gegenseitiger Sorge verbunden sind und füreinander einstehen, dürfen beten: Du bist bei uns, o Herr, und dein heiliger Name ist angerufen über uns. Verlass uns nicht, Herr, unser Gott! Endlich alle, die ihr Leben erfüllt haben, die den guten Kampf gekämpft und den Glauben bewahrt haben, dürfen sich zum Sterben rüsten mit der zuversichtlichen Bitte: Bleibe bei uns, o Herr, denn es will Abend werden. Ja, es gibt sogar Menschen, denen Gott nicht nur hilft, sondern die er geradezu braucht, die er ruft, die ihm einen Dienst leisten. Es gibt Menschen, die eine Lebensführung und eine Lebensarbeit vollbringen, die selbst in Gottes Augen nicht gleichgültig ist, denen Gott selbst einmal danken wird: Du guter und getreuer Knecht! Alles, was du getan hast, und wäre es auch für die Kleinsten und Ärmsten, das hast du mir getan!
3. Gott hat uns geschaffen. Wir sind die Gebilde seiner Hand. Wir gehören ihm, wie ein Kunstwerk dem Künstler gehört. Sein Name ist über uns angerufen, seine Banner wehen über uns. So fällt es also auch auf ihn zurück, wie wir sind und wie wir werden. Wenn man die Menschen ansieht, dann muss man sagen: Seht, so ist das Volk Gottes, so sind die Geschöpfe Gottes, so sind die Gläubigen Gottes, so sind die Erlösten Gottes. Die Schlussfolgerung könnte dann lauten: So ist also auch Gott, ihr Schöpfer und Herr, Gott, der sie in seinen Gedanken trug und der sie in die Wirklichkeit setzte. Wenn wir das hören, sollten wir da nicht schambedeckt uns auf die Erde werfen und weinen vor ihm und ausrufen: Nein! Nein! So bist du nicht, unser Herr und Erschaffer! So bist du nicht, unser Heiland und Erlöser, wie wir sind! Das darf man dir nicht nachsagen. Nicht gelästert, sondern geheiligt werde dein Name! Dies ist eine der schwersten und schrecklichsten Fragen, die es gibt: Gott hat uns zu seiner Ehre, das heißt als Ausdruck seiner göttlichen Herrlichkeit und Größe, als Ausdruck seiner Gedanken und seiner Liebe geschaffen. Aber gereichen die Menschen auch wirklich Gott zur Ehre? Kann er Ehre mit ihnen einlegen? Muss man den Vater im Himmel preisen, wenn man seine Kinder sieht? Muss man dem Heiland danken, wenn man seine Erlösten sieht? Muss man an die Kirche glauben, wenn man die Katholiken sieht? Muss man die Religion anziehend finden, wenn man die Frommen sieht? Woher das Böse in der Welt? Und wie muss man denken, damit es nicht auf Gott zurückfällt? Das muss jeder einzelne für sich bewältigen: keinen Schatten fallen zu lassen auf seinen Gott und Herrn. Jeder strebe und sorge dafür, so zu sein und zu werden, so zu leben in jeder Stunde, dass die Menschen, die ihn sehen, den himmlischen Vater preisen und dem Gott danken, der ihn geschaffen hat. Geschöpfe Gottes, also Knechte und Mägde Gottes sind wir. Wenn wir ihm Unehre machen, fällt sie auf Gott zurück. Kinder Gottes und das Volk Gottes sind wir. Auf unseren Vater und Herrn soll kein Schatten fallen; Gottes Name soll keinen Schimpf und keine Lästerung erfahren.
Wie ist es denn nun wirklich? Sind die Menschen zur Ehre Gottes geraten und wird sein Name um ihretwillen gebenedeit? Wie es um die große dunkle Masse der Menschheit stehen mag, das wissen wir nicht. Sie ist wohl noch im Stande der Unmündigkeit, und man muss es bebend zugeben, dass Zahllose irre werden an Gott, wenn sie die Menschenmasse betrachten, erfahren und erleben. Aber einzelne, der eine und der andere, ja Tausende sind doch schon wach, sind doch schon reif und gottähnlich geworden. An ihnen kann man sehen, nicht was die Menschheit im allgemeinen ist, sondern was ein Mensch werden und leisten kann, was in unseren Seelen steckt, was an göttlicher Größe und Schönheit in uns angelegt ist. Es hat doch Menschen gegeben, um derentwillen man sich freuen konnte, dass es einen Schöpfer gibt. Und immer wieder gibt es solche Menschen, um derentwillen wir an den Himmel glauben und den Herrgott preisen. In jedem Jahr stehen wir in den Weihnachtstagen an der Krippe des Gotteskindes. Gott selbst ist es, der ein Mensch geworden ist. Das ist viel mehr, als wir erwarten konnten. Wenn Gott es möglich und erträglich fand, ein Menschenkind zu werden, dann muss er es doch erst recht möglich und erträglich gefunden haben, Menschen zu erschaffen. Dann muss es möglich sein, aus den Menschen etwas zu machen, an die Menschen zu glauben, für die Menschen etwas zu hoffen, ja, es muss möglich sein, die Menschen zu lieben. Als Gott den Menschen erschuf, da hat er seinen Namen an ihn gehängt, und das kann nicht vergeblich gewesen sein. Es kann nicht sein, dass Gott seinen eigenen Namen vergeblich nannte, als er den Menschen erschuf.
Amen.