Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Das Leiden Jesu Christi (Teil 1)

27. Januar 2013

Unser Herr am Ölberg

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am Gründonnerstagabend wurde das Paschamahl gehalten, und es musste bis Mitternacht beendet sein. Also vor Mitternacht noch begab sich der Herr mit seinen Jüngern in den Ölgarten, der ihm vertraut war. Auf dem Wege dorthin gab Jesus seinen Jüngern die schwere Erschütterung ihres Glaubens zu verstehen, die sie bald erreichen sollte. "Ihr werdet alle zu Fall kommen." Es wird sich also an den Jüngern das Wort des Propheten Zacharias erfüllen: "Ich werde den Hirten schlagen und die Herde wird sich zerstreuen." In der Stunde, in der die Feinde an ihn Hand anlegen, werden die Jünger die Flucht ergreifen, wie eine Schafherde, wenn ihnen der Hirt genommen wird. Aber nicht in der Flucht liegt das eigentliche Zu-Fall- Kommen, sondern in der Erschütterung ihres Glaubens an die Messianität Jesu. Sie haben ihn bisher als den Wundertäter, als den machtvollen Prediger erlebt, der dem Meere gebot und die Aussätzigen heilte, und jetzt werden sie ihn erleben als den, der zittert und zagt vor dem bevorstehenden schweren Schicksal. Niemals hat sich der Messias so menschlich gezeigt wie am Ölberg. Petrus ist voller Entrüstung. "Wenn auch alle zu Fall kommen, ich doch nicht!" Er meint, seiner Treue gegen den Herrn sicher zu sein, sodass er die so bestimmte Voraussage des Herrn abweist. Er merkt gar nicht, dass er damit in die Vermessenheit hineingerät und in den Unglauben, denn was der Herr sagt, das wird auch eintreffen. Und deswegen muss er sich sagen lassen, dass gerade er in dieser Nacht zu Fall kommen wird. "Noch ehe der Hahn zweimal kräht, wirst du mich dreimal verleugnen." Durch dieses Wort wird Petrus erst recht zum Widerspruch gereizt. "Selbst wenn ich sterben müsste, ich werde dich nicht verraten!" Er ist nicht der einzige, der so spricht. Auch die anderen denken so. Und wir kennen uns selbst und wissen, was von unseren Vorsätzen und unseren Versprechungen zu halten ist. Wenn auch alle dich verleugnen, ich doch nicht. Selbst wenn ich sterben müsste, ich werde dich nicht verleugnen.

Der Herr geht in den Garten hinein, acht Jünger lässt er am Eingang zurück, drei nimmt er mit sich, die er bei sich haben will. Es sind dieselben, die mit ihm auf dem Berge der Verklärung waren. Aber wie sie damals nicht gerade eine rühmliche Rolle gespielt haben, so noch weniger im Ölgarten. Die Stunde des längst vorhergesagten Leidens ist gekommen. Und diese Stunde ist die Ursache einer schweren inneren Erschütterung Jesu. Seine menschliche Natur bäumt sich auf gegen das vom Vater bestimmte Schicksal. Die Seelenangst in ihm bewegt ihn, den Jüngern zu gestehen: "Meine Seele ist betrübt bis zum Tode", d. h. er ist so traurig, dass er sterben könnte. Das ist Todesangst! Was sind die Gründe? Die Evangelisten sprechen nicht davon. Wir können sie nur vermuten. Vieleicht, dass der Herr an die grauenhafte und schmerzliche Behandlung dachte, die ihm die Schergen antun würden. Vielleicht, dass er die Sündenlast des Menschengeschlechtes spürte, die auf ihn gelegt wurde. Vielleicht, dass er an den Verrat des Judas, an die Flucht der Apostel, an die Verleugnung des Petrus, an die Verhärtung des Judenvolkes dachte. Der Schmerzensschrei, der sich aus seinem Herzen entwindet, ist nicht nur Klageruf, sondern auch Ausdruck der Liebe. Er spricht eine Bitte aus an die Jünger: "Bleibet hier und wachet!" O, wie menschlich, meine lieben Freunde. Wir wissen ja auch, wenn wir leiden, greifen wir gern nach der Hand des Freundes, dass wir nicht allein sein mögen. Das Wissen um die Nähe der Jünger ist für den Herrn ein gewisser Trost, und deswegen sollen sie wachen. In seinem Leidenskampf sollen sie als Wachende ein Trost für ihn sein. Zugleich sind sie Zeugen für seinen Leidenskampf, denn Sie müssen wissen, es wurde damals laut gebetet. Und die Jünger waren ja nur einen Steinwurf weit entfernt, wie Lukas schreibt, konnten also das Gebet des Herrn hören, solange sie nicht eingeschlafen waren.

Es sind drei Gebetsgänge, die der Herr am Ölberg zurücklegt. "Vater, wenn es möglich ist, so gehe dieser Kelch vorüber, aber nicht wie ich will, sondern wie du willst." Diese Klage beweist die Echtheit und die Tiefe seines Leidens. ‚Kelch‘ ist im Alten Testament immer ein Bild für den Zorn Gottes. Gott gibt den Menschen den ‚Kelch‘ zu trinken, wenn er über sie zürnt, über ihre Sünde zürnt. Aber – kann er denn zürnen über den sündlosen Sohn Gottes? Gewiss nicht, und wenn jetzt vom Leidenskelch für ihn die Rede ist, dann ist damit gesagt, dass er stellvertretende Sühne für die Sünden leistet. Jesus weiß, dass er nicht eigentlich einem menschlichen Attentat zum Opfer fällt, sondern, dass der himmlische Vater ihm den Kelch zum Leiden reicht. Es bittet um die Hinwegnahme. Aber sein Wille bleibt dem Willen des Vaters untergeordnet: "Gehorsam bis zum Tode.“ Einmal hat er den Jüngern gesagt: "Meine Speise ist es, den Willen des Vaters im Himmel zu erfüllen." Diese Speise muss er jetzt zu sich nehmen. Eine volle Stunde hat der Herr gebetet. Der Aufruhr in seinem Inneren treibt ihn zu den Jüngern zurück. Er findet sie schlafend. Sie sind keine wachenden Tröster. Und so spricht er zu Petrus: "Simon, du schläfst? Konntest du nicht eine Stunde mit mir wachen?" Ich denke oft, meine lieben Freunde, wenn ich am Gründonnerstagabend in der Kapelle unten Anbetung halte, wo sind denn die Budenheimer Katholiken? Können sie nicht eine Stunde mit dem Herrn wachen? "Wachet und betet, damit ihr nicht in Versuchung fallet." Die Mahnung zum Wachen und Beten klingt zwar allgemeingültig, aber sie ist auch auf die besondere Situation der Jünger anzuwenden, denn sie sind in Gefahr, an Jesus irre zu werden, das ist die Versuchung. Die Wucht des Leidens legt sich jetzt auf sie; ihr Wille ist zwar gut, aber ihre menschliche Natur ist schwach. Während die Seelennot Jesu andauert und er um die Hinwegnahme des Leidenskelches fleht, geraten sie wieder in Schlaf. Als Jesus das zweite Mal kommt, sind sie beschämt und wissen nicht, was sie zur Entschuldigung sagen sollen. Aber das Gebet Jesu zum zweiten Male hat einen anderen Wortlaut. Jetzt heißt es: "Vater, wenn es nicht möglich ist, dass ich den Kelch trinke, dann geschehe dein Wille!" Jetzt hat er den Leidenswillen gefunden.

Es war einmal ein junger Mann, und er sollte sterben, aber er wollte nicht sterben. Ein Priester besuchte ihn und sagte zu ihm: "Wir sollen zusammen beten. Ich bete vor und Sie beten nach." "Ja“, sagte der Kranke, „das wollen wir tun." "Vater unser im Himmel", "Vater unser im Himmel", "geheiligt werde dein Name", "geheiligt werde dein Name", "dein Reich komme", "dein Reich komme", "mein Wille geschehe". Da stutzte er. Dann brach es aus ihm heraus: "Nein", sagte er, "nein, so darf es nicht heißen, es muß heißen: dein Wille geschehe!" Da hatte er ihn gefunden, den Leidenswillen.

Beim dritten Gebetsgang wird der Herr ermutigt, nicht durch Menschen, sondern durch einen Engel, wie der Evangelist Lukas berichtet. Ein Engel erschien und tröstete ihn und stärkte ihn. Engel haben seine Geburt vorhergesagt. Engel dienten ihm, als er die Versuchungen bestanden hatte. Ein Engel stärkte ihn in seinem Leidenskampfe am Ölberg. Wodurch hat er ihn gestärkt? Wir wissen es nicht. Die Evangelisten schweigen darüber. Aber wir können Vermutungen anstellen. Vielleicht, dass er dem Herrn die segensreichen Wirkungen seines Leidens voraussagte, dass er ihn darauf hinwies, welche Kraft auf die Menschen ausgehen würde, wenn er durchhält in diesem Leiden. Das vermag uns ja auch bei unseren Leiden Kraft zu spenden, wenn wir daran denken, dass das Leid einen Sinn hat, dass wir damit etwas bewirken. Es wird auch allein vom Evangelisten Lukas berichtet, dass es wie Blutstropfen aus seinem Körper quoll. Blutschweiß. Schweiß ist verständlich, denn die Angst treibt ihn heraus. Aber Blutschweiß ist physiologisch schwer zu erklären. Ich maße mir nicht an, hier den Mediziner zu spielen, aber wir beten doch im Rosenkranz, "der für uns Blut geschwitzt hat".

Beim dritten Mal kommt der Herr zurück und sagt: "So schlaft denn weiter und ruht, es ist genug. Die Stunde ist gekommen. Seht, der Menschensohn wird in die Hände der Sünder überliefert." Jetzt ist Jesus vollkommen gefasst. Jetzt blickt er ohne Zagen dem unmittelbar bevorstehenden Augenblick der Verhaftung entgegen. Nicht willenlos übergibt er sich seinem Schicksal, sondern mit freiem Willen erfüllt er den Willen des Vaters. Hinter dem Unseligen, der ihn verraten wird, steht ein anderer, dessen Ratschluss erfüllt werden muss. Die Stunde ist gekommen. Es ist die Stunde Gottes. Wir erinnern uns, wie er bei der Hochzeit von Kana sagt: „Die Stunde ist noch nicht gekommen.“ Jetzt ist die Stunde da, die entscheidende Stunde.

Wir können fragen, wie ist der Seelenkampf Jesu möglich? Die Antwort lautet: Weil er ein vollkommener Mensch war. Weil er menschlich empfunden hat, und ein Mensch ist eben auch der Angst ausgeliefert. Er wollte auch die Angst auf sich nehmen, um das menschliche Schicksal aufzuarbeiten. Welche Ursachen mögen in ihm die Seelenpein und die Todesangst bewirkt haben? Nun ja, ich sagte schon: Die bevorstehende Misshandlung, der grausame Tod, der Verrat eines Jüngers, die Flucht der Apostel, die Last der Sündenschuld, die er auf sich nahm. Wenn wir also fragen, warum hat der himmlische Vater Angst und Bedrängnis, Seelennot und Todesfurcht über seinen Sohn kommen lassen?,  so müssen wir sagen: er wollte, dass Jesus uns in allem gleich würde. Zum Menschen gehören Beklemmung, Bangen, Entsetzen. Darum musste das alles über ihn kommen. Der himmlische Vater wollte, dass Christus uns erlöse von der Sünde und vom ewigen Tode. Die Erlösung vollzog Jesus in seinem ganzen Leben. Auch durch seine Beschneidung, auch durch seine Lehre, auch durch seine Wunder, aber auch und vor allem durch sein Leiden und Sterben. Die Pein des Ölbergs ist ein Teil, ein gewichtiger Teil, der erlöserischen Wirksamkeit Jesu.

Der Seelenkampf ist jetzt vorbei. Der Herr weiß, die Stunde ist gekommen, und er geht ihr entgegen, und deswegen spricht er zu den Jüngern: "Steht auf, wir wollen gehen!" Und zwar dem Verräter entgegengehen, nicht fortgehen von ihm. "Steht auf, wir wollen gehen!" Das ist ein Wort der Kraft. Der Gottesknecht ist entschlossen, den Willen des Vaters zu erfüllen. Er ist entschlossen, sich dem Verräter auszuliefern. Er ist entschlossen, den Preis für die Entsühnung des Menschengeschlechtes zu bezahlen. "Steht auf, wir wollen gehen!" Das ist aber auch ein Wort des Trostes, meine lieben Freunde. Wir wollen miteinander gehen, heißt das, ihr und ich. Und das ist eine Verheißung für die Zukunft. Der Herr wird mit seinen Jüngern gehen, nach Syrien, nach Arabien. Er wird mit ihnen gehen nach Rom, zum Himalaya, in die Arktis. Wir wollen gehen, wir wollen zusammen gehen! Der Herr wird mit ihnen gehen, auch in Verleumdung und Verfolgung. Er wird bei ihnen sein, wenn sie zur Gestapo vorgeladen werden und wenn die Presse über sie herfällt. "Steht auf, wir wollen gehen!" Katholische Kirche, jetzt sehe ich dein Geheimnis. Du bist eine unansehnliche Schar. Du bist eine kleine Herde. In dir gibt es Abfall und Versäumnisse. In dir gibt es Ärgernis und Schuld. Aber der Herr hat zu dir gesagt: „Wir wollen gehen. Wir wollen miteinander gehen, ich und ihr.“

Darum, meine lieben Freunde, wollen wir der Kirche sagen: „Katholische Kirche, wir wollen dir treu bleiben. Wir wollen dich nicht verlassen. Wir wollen deine Schmach und deine Erniedrigung teilen. Der Weg, den du gehst, wird über Ölberge führen.“ Aber wir gehen nicht allein. Der Herr geht mit uns. „Steht auf, wir wollen gehen!"

Amen. 

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