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Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Abenteuer des menschlichen Lebens (Teil 5)

20. Juli 2003

Die Liebe

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Daß die Liebe zu den Abenteuern des Lebens gehört, wird ein jeder zugeben, und daß die Liebe ein atemberaubendes Abenteuer sein kann, ja ein lebensgefährliches Abenteuer, das wird wohl auch zugestanden werden. Dazu kommt, daß die Liebe mit einer gewissen Süßigkeit begabt ist. Die Menschen pflegen sich mit freudeglänzenden Augen in sie hineinzustürzen. Die Liebe ist ohne Zweifel ein Abenteuer des Lebens. Es muß ein jeder Mensch dieses Abenteuer durchmachen, und wenn es in der heimlichsten Verkleidung oder in der lichtesten Verklärung wäre. Aber ohne dieses Abenteuer durchzumachen, kommt er nicht zu seinem vollen Menschentum.

Da ist freilich schon die Schwierigkeit, zu erklären, was Liebe ist. Dieser Name der Liebe ist einerseits wundersam und holdselig und andererseits verrucht und verfemt. Liebe ist das am meisten mißbrauchte Wort in allen Sprachen. Wir können, wenn wir heute von der Liebe als Abenteuer des Lebens sprechen, zwei Arten der Liebe unterscheiden, nämlich einmal die Liebe der freien Tat und die Liebe der Neigung. Die Liebe der freien Tat entsteht aus dem bewußten Wollen des Menschen. Sie gründet auf Überlegung und auf Entschluß. Die Liebe der freien Tat erwächst aus der Freiheit des Menschen. Anders die Liebe der Neigung. Sie quillt aus den Gründen, aus den tiefen Gründen der menschlichen Seele empor. Sie ist wie eine Notwendigkeit und wie ein Zwang, der über den Menschen kommt. Sie ist eben eine Neigung, d.h. etwas, was einem anderen gewissermaßen zufällt. Und darum ist sie wie ein Schicksal, wie ein Schicksal, das über den Menschen kommt und das ihm manchmal wie ein fremde, unverständliche Macht erscheint.

Woher kommt diese Neigung? Die Neigung entsteht durch Reize, die der Mensch aufnimmt durch seine Sinne und die dann zu dieser Neigung führen. Das ist der Weg: Reize zuerst, die Sinne, die diese Reize aufnehmen, und dann das Schwergewicht der Neigung, das daraus entsteht. Schon beim Säugling können wir diese Entwicklung beobachten. Der Säugling, der von seiner Mutter genährt wird, spürt die Wärme und den Wohlgeschmack, den er von der Mutter empfängt, und so entsteht die Liebe zur Mutter. Bei den Erwachsenen sind es andere Sinne, die zu der Neigung führen. Gewöhnlich ist es der Gesichtssinn, also das Sehen, das Schauen, und manchmal auch der Gehörsinn, das Hören, das Aufnehmen. Sie tragen dem Menschen eine Botschaft zu, und auf diese Botschaft reagiert er mit einer Neigung.

Die Entstehungsart der Neigung ist auch bestimmend für ihre Eigenart. So wie sie entsteht, so ist sie beschaffen. Sie hat ihre Schwächen, und darin liegt auch das Abenteuer der Liebe. Es fehlt der Liebe, die Neigung ist, erst einmal an Freiheit. Sie kommt wie eine Notwendigkeit, wie ein hartes Gesetz, wie ein Zwang über den Menschen, ja wie ein Schicksal, dem er sich unterworfen fühlt. Es fehlt dieser Liebe an Freiheit. Es fehlt ihr aber auch an Weichheit. Diese Liebe ist hart wie ein Gesetz, sie ist mehr ein Fallen als ein Gehen, mehr ein Stürzen als ein Schreiten. Sie wirkt beinahe wie eine mechanische Stoßkraft, fast wehtuend, und es kann geschehen, daß das Zusammentreffen zweier Menschen zu einem Zusammenprall, ja zu einer Katastrophe wird. Das ist die Gefahr, und das ist die Schwäche dieser Liebe der Neigung.

Das ist auch schon der Weg, auf dem diese Schwächen überwunden werden müssen. Die Neigung muß verarbeitet werden, sie muß veredelt werden; sie muß den Grundsätzen des höheren, des geistigen Lebens unterworfen werden. Man kann ruhig sagen, sie muß vergeistigt werden. Sie muß eingefügt werden in das höhere, geistige Leben des Menschen.

Das gilt zunächst für die Freiheit. Was zunächst Trieb ist im Menschen, das muß bearbeitet werden. Diese Erregung, die in seiner Seele aufsteigt, muß den höheren Zielen der Gesamtpersönlichkeit dienstbar gemacht werden. Die aufsprießende Liebesneigung darf nicht ziellos und sinnlos wuchern, sondern sie muß gebunden, geformt und veredelt werden. Das ist natürlich im ganzen Leben notwendig und gilt für alle anderen Regungen auch. Wir müssen ständig die Affekte, die Gefühle, die Regungen, die in uns aufsteigen, beherrschen lernen, wir müssen sie den Zwecken der menschlichen Persönlichkeit einfügen. Wir dürfen der Laune, dem Mißmut, der Trägheit, dem Kleinmut nicht nachgeben, sondern müssen ihrer Herr werden. Und so müssen wir auch die Liebesgefühle meistern, denn diese Gefühle können von einer dämonischen Wildheit werden, wenn sie nicht beherrscht und auf eine höhere Ebene gehoben werden. Die Erfahrung des täglichen Lebens zeigt, daß alle Regungen unserer Seele überwacht und gelenkt werden müssen. Wir sollen sie nicht auslöschen, gewiß nicht, aber wir sollen sie veredeln. Wir sollen die aufkommenden Regungen bemerken mit unerbittlicher Selbstkontrolle und sie dann in die höheren Zusammenhänge des Lebens hineinfügen. Nur durch Überwachung, nur durch Kontrolle werden die Liebesgefühle vor Entartung und vor Perversion geschützt.

Der zweite Mangel, der der triebhaften Liebe anhaftet, ist die Weichheit. Das heißt, die schicksalhafte Liebe leidet an einer Härte. Sie hat etwas Robustes, etwas Herrscherliches, etwas Selbstsüchtiges an sich. Dieser Mangel muß ausgeglichen werden, und er wird ausgeglichen durch die gütige Liebe. Was zur triebhaften Liebe hinzukommen muß, ist die gütige Liebe. Sie muß das Zufallen zu einem anderen Geschöpf in ein sanftes Gehen, in ein sanftes Schreiten verwandeln. Sie muß die triebhafte Liebe, die wie ein Feuermeteor ist und alles verbrennt,  formen, so daß sie indas geliebte Wesen hineingeht wie ein Engel, so wie ein Priester, wenn er ein Haus betritt und sagt: Friede sei diesem Hause! So muß diese gütige Liebe zum Menschen kommen.

Freilich,  meine lieben Freunde, es könnte jemand fragen: Ja, ist denn überhaupt notwendig, daß die Liebe, die geistige Liebe von Gefühlen begleitet ist? Kann man nicht eine rein geistige Liebe aufbauen, die in keiner Weise mit den Sinnen verknüpft ist und die allein im Gebiete des Geistes ihre Heimstätte hat? Es scheint das nach der menschlichen Artung nicht möglich zu sein. Der Mensch scheint so gebaut zu sein, daß, was in seinem Geiste blühen soll, in der Seele, in der Tiefe der Seele, im Unbewußten der Seele, auch in den Trieben der Seele beginnen und verwurzelt sein muß. Die Bewegung, die in der geistigen Liebe zum anderen geht, muß ihren Anfang nehmen in der Tiefenschicht der Seele. Sie muß ausgelöst sein von Anregungen und von Antrieben, die in der Tiefe der leib-seelischen Persönlichkeit ihren Anfang nehmen. Oder aber um es anders auszudrücken: Wer Liebe nicht fühlt, der wird kaum je dazu kommen, Liebe zu wollen. Man muß die Liebe erst fühlen, und dann wird man auch lernen, Liebe zu wollen. Wer nie eine Neigung in sich verspürt hat, in dem wird sich auch der Geist nicht in Bewegung setzen. Das ist eben das Abenteuer der Liebe.

Dieses Abenteuer besteht nicht darin, daß die Liebe für den Unvorsichtigen gefährlich ist, daß sie ihn womöglich an einen Menschen kettet, von dem er sich schon nach wenigen Jahren lösen möchte. Das Abenteuer der Liebe besteht auch nicht darin, daß von der rohen und ungeformten Liebe maßloses Leid ausgeht. Nein, das Abenteuer der Liebe ist darin gelegen, daß ein Liebender lernen muß zu lieben, daß er in seiner Liebe sich entwickeln muß, daß er seine Liebe erheben und vergeistigen muß, daß er ihr Freiheit und Weichheit einimpfen muß, um ihre Härte und ihren Zwang zu durchbrechen. Die Liebe muß sich entwickeln. Aber das ist eben die Frage, ob sie sich entwickelt nach oben oder nach unten, ob jemand lernt, in seiner Liebe immer milder, immer gütiger, immer wohlwollender, immer selbstloser zu werden, oder ob er in seiner Liebe immer engstirniger, immer kleinlicher, immer armseliger und immer banaler wird. Das ist die Frage, was ein Mensch aus seiner Liebe macht.

Derjenige, der keine Liebe hat, dem bleibt dieses Abenteuer erspart, aber er wird auch kein voller Mensch. Wer aber irgendeine Sehnsucht, ein Heimweh, eine Liebesseligkeit je verspürt hat, der weiß, daß es für ihn die Schicksalsfrage ist, ob er an seiner Liebe reift, ob er zu einem Engel oder zu einem Heiligen wird, oder ob er zu einem Teufel entartet, ob er ein Lebensquell wird oder ein Stein, der verhärtet ist. Die Frage ist, ob er eine wärmende Sonne wird für viele Menschen oder eine ausgebrannte Schlacke. Das ist das schrecklich schöne Abenteuer der Liebe.

Amen.

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