Die Wahrheit verkündigen,
den Glauben verteidigen

Predigten des H.H. Prof. Dr. Georg May

Glaubenswahrheit.org  

Predigtreihe: Die Schöpfung (Teil 8)

10. Oktober 1999

Gott, der Haupttätige aller Schöpfung

Im Namen des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Amen.

Geliebte im Herrn!

Am vergangenen Sonntag führten wir uns die Wahrheit vor Augen, daß die gesamte Schöpfung von Gott erhalten wird. Wenn Gott die Welt nicht erhalten würde, dann sänke sie zurück ins Nichts. Gott ist also immer allen Dingen gegenwärtig mit seiner Kraft, mit seinem Willen, sie im Dasein zu bewahren oder jedenfalls, was die untermenschlichen Dinge angeht, die ja vergänglich sind, die Gesetze von Kraft und Energie zu erfüllen. Die erhaltende Tätigkeit Gottes hat aber eine wichtige Folgerung, nämlich: Wenn Gott alle Dinge erhält, dann ist er auch jedem Ding gegenwärtig, dann wird jedes Ding in jedem Augenblick von Gott getragen. Dann wird auch jede geschöpfliche Tätigkeit von Gott als dem Haupttätigen gewirkt. Ja, das ist ein Satz katholischen Glaubens: Jede geschöpfliche Tätigkeit wird von Gott als dem Haupttätigen gewirkt.

Die Theologie spricht vom Concursus, von der göttlichen Mitwirkung. Dieses Wort ist durch jahrhundertelangen Sprachgebrauch üblich geworden. Aber man darf es nur in analoger Weise, also in ähnlich-unähnlicher Weise verwenden. Denn eigentlich müßte man nicht sagen: Gott wirkt mit den Menschen mit, sondern man müßte sagen: Der Mensch wirkt mit Gott mit, weil Gott eben der Haupttätige ist. Wenn ein Herr mit seinem Diener verreist, dann kann man nur von dem Diener sagen: Der Diener reist mit seinem Herrn, nicht: Der Herr reist mit seinem Diener. Und ähnlich-unähnlich ist es auch, wenn wir sagen: Gott wirkt mit den menschlichen Handlungen mit. Die göttliche Mitwirkung ist eine natürliche, d. h. sie bezieht sich auf die natürlichen Kräfte des Menschen. Sie hat nichts zu tun mit dem übernatürlichen Einfluß, den Gott ausübt in der Gnade. Diese Mitwirkung Gottes ist weiter eine physische, d. h. sie ergreift die Dinge von innen heraus. Es ist nicht nur eine moralische, etwa durch Befehl, durch Gebot, durch Drohung, durch Rat. Es ist eine unmittelbare Mitwirkung, also nicht etwa nur, indem Gott Gelegenheit oder Kraft gibt zum Schaffen, nein, Gott trägt das menschliche Schaffen. Es ist auch nicht so, daß Gott einen Teil wirkt und der Mensch ebenfalls einen Teil. Nein, Gott wirkt die ganze Handlung, und der Mensch wirkt die ganze Handlung, wenn auch in verschiedener Weise. Das menschliche Tun ist in das göttliche Tun aufgenommen.

An dieser Wahrheit besteht gar kein Zweifel. Die Schriften des Alten und Neuen Testamentes bezeugen sie auf allen Seiten. Die Geschicke der Menschen und das Alltagsgeschehen werden von Gott gewirkt. Heil und Rettung, aber auch Unheil und Untergang kommen von Gott. Gott gibt den todverfallenen Kranken die Gesundheit wieder; Gott rettet den unschuldigen Gerechten vor der Wut seiner Feinde. Ich zitiere einige Stellen aus dem Alten Testamente, wo diese mitwirkende Tätigkeit Gottes bezeugt wird. Im Buch Deuteronomium heißt es: „Allmächtiger Herr, du hast deinem Knecht bisher schon deine Macht und deine starke Hand gezeigt. Denn wo ist im Himmel und auf Erden ein Gott, der solche Wunderwerke und Heldentaten vollbringt wie du?“ An einer anderen Stelle im selben Buche heißt es: „Nein, ihr habt mit eigenen Augen alle Großtaten gesehen, die der Herr gewirkt hat. Seine Wunderzeichen und Taten, die er in Ägypten am Pharao, dem König von Ägypten, und an seinem ganzen Lande vollführt hat.“

Gleichzeitig bleibt aber die menschliche Freiheit gewahrt. Es ist nicht so, als ob das göttliche Wirken die menschliche Freiheit vernichtet. Nein, der Mensch hat nach wie vor die Wahl. „Siehe, heute lege ich Leben und Glück, Tod und Unglück dir vor.“ Der Mensch bleibt frei, auch wenn Gott der Haupttätige ist. Er bleibt frei, weil Gott auch die Freiheit des Menschen wirkt. Er wirkt den Menschen nicht nur als Handelnden, er wirkt den Menschen auch als Freien. Er wirkt den Menschen als einen in seiner Schaffensfreiheit nicht Eingeengten.

Im Psalm 66 heißt es: „Kommt her und schauet Gottes Taten! Furchtbar ist bei den Menschen sein Tun. Das Meer schuf er um in trockenes Land; sie schritten zu Fuß durch die Strömung.“  Im Buch der Sprüche: „Gleich Wasserläufen ist das Herz des Königs in der Hand des Herrn. Er leitet es, wohin er will. Denn der Herrscher des Alls hat vor niemandem Furcht, er scheut sich vor keinem der Großen. Er hat ja den Kleinen und Großen geschaffen; in gleicher Weise sorgt er für sie.“ Und im Buche des Propheten Isaias lesen wir: „Herr, Frieden wirst du uns schaffen, denn was auch an uns geschah: Du hast es gewirkt.“ Beim Propheten Jeremias: „Kann ich nicht so, spricht Gott, wie ein Töpfer da mit euch verfahren, Haus Israel? Ja, wie der Ton in des Töpfers Hand, so seid ihr in meiner Hand.“ Und im Neuen Testament gibt es eine ganz berühmte Stelle, nämlich im Briefe des heiligen Paulus an die Gemeinde in Philippi, wo es heißt: „Gott ist es ja, der das Wollen und Vollbringen in euch wirkt nach seinem Wohlgefallen.“ Gott wirkt das Wollen und das Vollbringen nach seinem Wohlgefallen.

Der heilige Augustinus, der sich viel mit dieser Frage der menschlichen Freiheit und der göttlichen Mitwirkung beschäftigt hat, drückt das einmal so aus: „Wir wollen, wenn wir einen Entschluß fassen, aber Gott bewirkt, daß wir wollen. Wir handeln, wenn wir etwas unternehmen, aber Gott bewirkt, daß wir handeln.“ Es ist das eine Aporie, die nicht leicht aufzulösen ist. Die Schrift bemüht sich auch gar nicht um Auflösung. Sie stellt die Allwirksamkeit Gottes neben die Freiheit und die Verantwortung des Menschen. Die Heilige Schrift nimmt die Sünde ernst. Sie weiß, die Sünde ist dem Menschen zuzurechnen. Aber sie weiß auch: Der Mensch kann auch als Sünder nur handeln in der Kraft Gottes. Der Haß, mit dem er sich gegen Gott wendet, dieser Haß ist getragen von der allmächtigen Mitwirkung Gottes. Der Sünder lebt im Widerspruch. Er kann nur hassen, weil Gott es ihm ermöglicht.

Wir können uns diese tiefe Wahrheit von der stets vorhandenen Mitwirkung Gottes mit dem Verstand zu erläutern versuchen. Alles Sein, was lebt, geht ja auf Gott als den Ursprung zurück. Nun ist aber auch das Handeln ein Sein, also muß auch das Handeln auf Gott zurückgehen. Der Mensch ist total abhängig von Gott. Diese Abhängigkeit bezieht sich auf sein Sein und auf sein Handeln. Gott begründet nicht nur das Sein, sondern er begründet auch das Handeln des Menschen; er trägt das Handeln. Der Mensch wirkt, weil Gott wirkt. Das menschliche Handeln macht Gottes Wirken nicht überflüssig, und das Handeln Gottes macht das Wirken des Menschen nicht überflüssig. Beides gehört zusammen, damit eine Handlung zustande kommt. Die Freiheit des Menschen bleibt gewahrt, denn Gott schafft den Menschen als freien. Er wirkt so, daß der Mensch seine Freiheit gebraucht und benutzt. Der Mensch wird dadurch nicht unfrei, daß Gott handelt, sondern der Mensch wird gerade durch das göttliche Handeln zu seiner Freiheit erschaffen. Wenn man behaupten wollte, der Mensch könne etwas tun ohne die Mitwirkung Gottes, dann würde man behaupten, daß der Mensch aufhört, ein Geschöpf zu sein; denn das Geschöpf ist eben unlöslich an die Mitwirkung Gottes gebunden. Das ist die Aporie, die wir uns vor Augen führen müssen und die wir gleich einmal in einer besonderen Weise auf die übernatürlichen Handlungen des Menschen anwenden wollen.

Die übernatürlichen Handlungen des Menschen sind solche, die von der Natur getragen sind, aber mit der Gnade durch Gottes Willen zum Heile gedeihen. Paulus beschreibt unser Heilstun als ein Gefangennehmen durch das Evangelium. Gefangennehmen ist etwas Passives, so scheint es. Gleichzeitig aber fordert er auf, daß wir im Gehorsam uns gefangennehmen lassen. Also die menschliche Freiheit und Aktivität wird dadurch nicht aufgehoben, sondern herausgefordert. Paulus sagt weiter: Es kommt nicht auf unser Rennen und Laufen an, sondern auf den erbarmenden Gott. Gleichzeitig aber sagt er: „Schaffet euer Heil mit Furcht und Zittern! Ergreifet das ewige Leben! Kämpfet den guten Kampf des Glaubens!“ Das Geheimnis unserer Erlösung wird geschildert mit dem Gleichnis von der selbstwachsenden Saat, wo also scheinbar Gott alles tut; gleichzeitig aber wird das dasselbe Geheimnis ausgedrückt durch das Bild des Kaufmanns, der edle Perlen sucht und alles darangibt, um die eine kostbare Perle zu gewinnen. Das Gastmahl, zu dem wir geladen sind, wird von Gott gehalten. Aber wehe dem, der ohne hochzeitliches Gewand an diesem Gastmahl teilnehmen will!

An all diesen doppelten Aussagen sehen wir, daß die göttliche Mitwirkung und das menschliche Tun sich unlöslich verschlingen. Es haben zwei große Theologenschulen versucht, die Art und Weise der Mitwirkung, der Allwirksamkeit Gottes zu erklären. Man nennt sie die Thomisten und die Molinisten. Die Thomisten sagen: Alles Tun beginnt bei Gott. Der Ordnung nach – nicht der Zeit nach – der Ordnung nach beginnt eine jede menschliche Handlung bei Gott. Es gibt einen concursus praevius, also ein vorausgehendes Handeln Gottes der Ordnung nach, also der Kraft nach, nicht der Zeit nach. Der Mensch stimmt nur ein. Da bleibt freilich die Frage: Ja, wie ist dann noch die menschliche Freiheit gewährleistet? Deswegen sagen die Molinisten umgekehrt: Nein, die Initiative liegt beim Menschen, und Gott stimmt ein, zwar nicht der Zeit nach, aber der Ordnung nach hinter dem menschlichen Handeln. Hier wird die menschliche Freiheit besser gewahrt, aber die Allursächlichkeit Gottes vielleicht nicht genügend gewürdigt. Wie immer es auch um diese theologischen Auseinandersetzungen stehen mag, eines ist sicher: Jede geschöpfliche Handlung wird von Gott als dem Haupttätigen gewirkt.

Das hat natürlich Auswirkungen. Zunächst einmal kann man fragen: Ja, warum spüren wir davon nichts? Wir spüren davon nichts, weil sich Gott in und hinter dem Handeln der Geschöpfe verbirgt. In unserer Erfahrung ist es nicht möglich, dieses göttliche Haupttätigsein zu erkennen. Wir haben kein Organ dafür. Es fehlt uns an der Sehkraft, um zu begreifen, um zu erfahren, daß Gott der Haupttätige bei unseren Handlungen ist. Ich kann keine Hand, keinen Arm heben, ich kann keinen Lidschlag tun, ohne daß Gott es wirkt. Aber wir können es nicht durchschauen und nicht begreifen, wir können es auch nicht erfahren und erfassen, daß Gott der Hauptwirkende bei all diesen Handlungen ist.

Die Wahrheit macht uns gewiß, daß Gott die menschlichen, die geschöpflichen Handlungen als Haupttätiger wirkt. Das bedeutet dann, daß wir mit Energie und Kraft und Mut an unser Handeln herangehen können. Wir sind nicht allein. Wenn wir wirken, wirkt Gott mit uns. Wir haben das Bewußtsein der ständigen Nähe Gottes. Unser Handeln ist in sein Handeln aufgenommen. Er ist nicht fern von uns, sagt Paulus. „In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir.“ Besser kann man es nicht ausdrücken. In ihm leben wir, bewegen wir uns und sind wir. In ihm, in seiner Kraft, in seiner Wirksamkeit als der Haupttätige der geschöpflichen Handlungen.

Gleichzeitig dürfen wir ergeben sein in Gottes Willen. Wir wissen, daß wir, wenn wir nur das Rechte tun, in seiner Hut geborgen sind. Gott wird dadurch auch nicht zum Mitwirker der Sünde. Man könnte fragen: Ja, wird denn da Gott nicht mitschuldig, wenn er auch bei dem sündhaften Tun des Menschen mitwirkt? Man muß beim sündhaften Tun unterscheiden. Insofern das sündhafte Tun ein Handeln ist, ein Sein, wirkt Gott mit. Aber insofern das sündhafte Tun in eine falsche Richtung zielt, eine falsche Gesinnung beinhaltet, Fällt es in die Verantwortung des Menschen. Das Sein wirkt Gott, die schlechte Gesinnung des Menschen geht zu Lasten des Sünders.

Wenn wir also Gott als den Hauptwirkenden bei uns haben, in uns haben, dann werden wir auch angetrieben, unsere Kräfte zu entfalten. Wir wissen: Der Vater im Himmel wirkt immerfort; auch wir sollen die Hände nicht in den Schoß legen. Wir sollen unermüdlich tätig sein. Wir sollen uns auswirken, unsere Kräfte, unsere Talente, unsere Begabungen. Wir sollen wirken, solange es Tag ist, denn es kommt die Nacht, da niemand mehr wirken kann.

Amen.

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